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Von AREQUIPA nach Cuzco
Diese Legende vom Ursprung des Inca-Reiches lebt noch heute fort bei den Völkern der Hochland-Indios. Die Quechua, Aymará, Uro usw. sind alle Nachfahren der Völker des Inca-Reiches, das vom 13. bis zum 16. Jahrhundert das Hochland der Anden von Colombia über Ecuador, Perú, Bolivia bis zur Mitte des heutigen Chile umfasste. Dabei gehörten die ebenen Küstengebiete mit den Kulturen der Chimú im Norden, der Cuismancu und Chincha in der Gegend des heutigen Lima, und von Nazca und Paracas im Süden nur locker zum Reiche des Inca; sein eigentliches Volk waren die Bewohner des Hochlandes. Bis heute ist der Altiplano reines Indio-Land; "Peruaner" und Indios trennt eine unsichtbare Grenze, die etwa in 2800 m Höhe liegen muss: Unterhalb dieser Marke leben die Peruaner, und oberhalb davon leben die Hochland-Indios. Nur in den großen Städten findet man die typisch städtische Mischbevölkerung, wenngleich in der Sierra auch in den Städten die steifen Hüte, bunten Röcke und farbenprächtigen Mantas der Indias überall das Stadtbild beherrschen.
Quittegelb und knallorange wie eine Spielzeugeisenbahn, so stehen fünf, sechs Wagen auf einem der beiden Gleise des Bahnhofs von Arequipa. Davor ist eine amerikanische Diesellok gespannt, ebenfalls orange angepinselt, aber vom Dieselruß stellenweise stark eingedunkelt. Man hat die Wahl zwischen 2. Klasse, 1. Klasse und Speisewagen, dem Wagen mit der Aufschrift BUFFET, Inbegriff des peruanischen Eisenbahnkomforts, denn die Platzkarten für den Buffet-Wagen sind noch teurer als 1. Klasse, für unsere Begriffe jedoch noch immer spottbillig. Da man uns dringend zu Buffet-Plätzen geraten hatte, erklimmen wir die steilen Stufen zu dem antiken Wagen und passieren die strenge Ticket-Kontrolle, die ein uniformierter Zerberus noch am Zugang zum Abteil durchführt, damit die Passagiere dieser Luxusklasse keinesfalls vom gemeinen Volk behelligt werden. Diese Selektion hat allerdings zur Folge, dass im Speisewagen die Gringos unter sich sind, während sich die wohl interessanteren Szenen in der Holzklasse abspielen, wo sich die "normalen" Reisenden drängeln, hoch bepackt mit Ballen, Packen und Bündeln, wo Kisten, Hühner, Kinder, Säcke und Karnickel durcheinanderkullern. Der einzige Vorteil der Gringo-Klasse ist, dass man da nicht unablässig sein Gepäck bewachen muss und auch mal vom Fenster aus in aller Ruhe Fotos schießen kann, ohne dass jemand die Gelegenheit dazu nutzt, dem Fremden die Brieftasche aus dem Kittel zu zupfen. Ausgerüstet mit meiner in Arequipa in nur zwei Tagen billig angefertigten Brille erbaue ich mich ohne Handicap am wuseligen Treiben auf dem Bahnsteig und genieße noch einmal den Anblick des hoch aufragenden Vulkans El Misti, dessen Schneekappe während der Nacht frischer und weißer geworden ist --- der Herbst naht....
Anblick des hoch aufragenden Vulkans El Misti |
Auf dem Bahnhof gibt es alles, was man zu einer Reise benötigt oder gebrauchen könnte, denn es wird schier alles verkauft, was einen Käufer findet, und zwar auf dem Vorplatz unter freiem Himmel. Bis auf die Stufen des Bahnhofs haben die Frauen ihre Mantas gebreitet und verkaufen Kuchen, Brötchen, Obst und Gemüse in Hülle und Fülle. Auf der gegenüberliegenden Seite sind Fruchtsaft, Tee, Kaffee, Obst und Backwerk feil, nur das in der Werbung ständig präsente Inca-Cola ist nicht im Angebot, vermutlich, weil es keine Käufer fände.
Da auf allen sechs Bahnlinien Perús nur jeweils ein Zug pro Tag und Richtung fährt, ist die Abfahrt oder Ankunft des täglichen Zuges naturgemäß ein wichtiges Ereignis und ein ökonomischer Faktor, der auf die Stände der Marktwirtschaft einen bedeutenden Einfluss ausübt.
Mit unglaublichen Kurven,
durch bizarr geformte Felsklüfte |
Pünktlich auf die Minute war der Zug losgefahren und hatte sich dann in gemütlichem Bummelzug-Tempo aus Arequipa herausgewunden. Nahe am Misti vorbei führte die ständig ansteigende Strecke, die in zeitweilig kühnem Schwung die Westkordillere in Angriff nahm. Mit unglaublichen Kurven, an Abgründen entlang, durch bizarr geformte Felsklüfte versucht der Zug, Höhe zu gewinnen, wobei er sein Bestes tut, ohne Tunnels und Brücken auszukommen, die beim Bau der Strecke die Kosten wohl in unerschwingliche Höhe getrieben hätten. An jedem Gehöft in dieser Bergwildnis hält der Zug, um einen Sack mit bestellter Ware, Zeitungen, Post und ein paar Ziegen aus- oder einzuladen, und an den vergammelten "Bahnhöfen" kann man stets eine Angabe der jeweils erreichten Höhe finden. Nähert sich der tägliche Zug keuchend einem Ort, versammelt sich die halbe Einwohnerschaft neben den Gleisen, Kinder und bellende Hunde rennen die letzten 100 m neben dem Zug her, winkend und johlend. Der Zug steht noch nicht richtig, da geht schon das Aus- und Einsteigen in einem unentwirrbaren Menschenknäuel los, Kästen, Kisten, Beutel, Säcke, Taschen, Kinder und Tiere werden durch die Abteilfenster heraus- und hereingereicht, am Zug laufen junge Indias entlang, um den Fahrgästen Choclos, Zigaretten, Brot, Obst, Braten oder Stoffe zu verkaufen, und emsig wechseln Münzen und Fressalien an den Fenstern die Besitzer. Andere Verkäuferinnen steigen sogar ein und gehen durch die Abteile, und wenn der Zug anfährt, das Geschäft aber gut läuft, fahren sie einfach mit bis zur nächsten Station und fahren am Nachmittag mit dem Gegenzug wieder zurück, Zeit hat man ja hier....
Weiter geht es durch schroffe Felsenwildnis, die jedoch immer mehr mit Grün bewachsen ist, denn in den Bergen gibt es Wolken, die Regen bringen, und die Täler sind feucht und fruchtbar. Noch sind die steilen Hänge vorwiegend mit Kakteen und anderem eher auf subtropisches Klima deutenden Gestrüpp bestanden, aber bald erreichen wir die 3500 m-Marke, die Endstation für Wüstenpflanzen. Fortan gedeihen ein karger Weizen, viel Mais, Kartoffeln und Klee, und ansonsten nur hartes Gras, in Talsenken satt grün, an den Hängen mehr bräunlich, das von unzähligen Schafen abgeweidet wird. Mitten in den Bergen der Westkordillere sind die engen Schluchten zu Ende; es öffnet sich eine weite, geräumige Berglandschaft, grüne Hänge, die in der Ferne zu kahlen, schneebedeckten Gipfeln ansteigen, zahlreiche Wolken, die immer dichter über dem Boden einherschweben und ein scheckiges Licht- und Schattenmuster auf die Landschaft tuschen. Tümpel, Seen, flache Teiche, Wildenten und Reiher prägen das Bild, dann wieder Pampas, riesige Schaf- und Rinderherden, dazu ab und zu Pferde, Esel und Llamas. Immer noch gewinnt der Zug weiter an Höhe, bummelt schnaufend die kurvige Strecke hinauf, während böse Zungen behaupten, man könne ohne weiteres an einer geeigneten Stelle den vorderen Waggon verlassen, in Ruhe hinter einem Busch pinkeln und dann in den letzten Wagen wieder einsteigen....
Wolken,
die ein scheckiges Licht- und Schattenmuster auf die Landschaft tuschen |
Aus Neben- und
Abstellgleisen direkt neben unserem |
Beim
Erklimmen der steilen Stufen des Buffet-Waggons sah ich auf
einmal ein Feuerwerk vor meinen Augen; keuchend, mit Ohrensausen
und Herzklopfen sank ich auf meinen Sitz und musste erst mal
verschnaufen; auf einmal machte sich die Höhe heftig
bemerkbar.
Auch andere Gringos saßen recht flapp und matt da und taten
so,
als seien sie müde oder an der Landschaft uninteressiert. 4400
m, so hoch wie der Gipfel des Matterhorns, das ist keine
Kleinigkeit, und es ist keine Schande, da der atemberaubenden
Soroche zu erliegen.
In Puno, dem Hafenstädtchen am Titicaca-See in "nur" 3800 m Höhe, kann man auch heute noch Manco Capac und seine Nachfolger Sinchi Roca, Lloque Yupanqui, Huiracocha, Pachacutec Yupanqui, Huayna Capac und wie sie alle heißen, antreffen. So heißen nämlich die Fischerboote, die an der seichten Mole dümpeln und die Touristen gerne auf den See hinausschippern möchten. Uns geleitet der allerletzte Inca, Tupac Amaru, durch das Schilf des Sees zu den Islas flotantes, den Schilfinseln, auf denen das kleine Volk der Uro lebt.
Die erste Atemlosigkeit ist schon überwunden, der Organismus hat sich an die Höhe gewöhnt, und nur die niedrig schwebenden Wolken zeigen an, dass die weite Fläche des Sees hoch in den Anden liegt und dass die vergleichsweise niedrig anmutenden Bergketten, die ringsumher den Horizont begrenzen, ausnahmslos Gipfel von weit mehr als 5000 m Höhe sind. In der Sonne ist es zwar angenehm warm, im Schatten aber und in der Nacht wird es recht kühl; es hat schon seinen Sinn, dass auf dem Markt in Puno in der Mittagshitze dicke Pullover aus Alpaca-Wolle feilgeboten werden. Am Abend schon sehnt man sich danach.
...und
begegnet hier und da einem Balsa, einem der Boote, |
Mir war es etwas peinlich, als das Boot an der ersten Binsen-Insel anlegte und der Außenborder verstummte: Eine ganze Bootsladung Gringos sollte sich nun auf die wenigen Bewohner des Inselchens stürzen, gaffend, fummelnd, knipsend. Die anderen Besucher schienen alle das gleiche zu empfinden; zögernd bewegte sich die Gruppe über den schwankenden Grund, bis sich zwei Peruaner, die zufällig im gleichen Boot mitgekommen waren, energisch an die Spitze setzten und uns zu den Hütten der Bewohner leiteten. Die Männer sind tagsüber entweder in der Stadt oder auf dem See in ihren Booten --- auf den Inseln empfingen uns nur Frauen und Kinder. Sie sind natürlich an die täglichen Besuche neugieriger Gaffer gewöhnt und kalkulieren mit dem Geld, das die Gringos für Getränke, Souvenirs und die bettelnden Kinder dalassen. Kaum wurden sie die Fremden gewahr, setzten sich die Frauen in einer Reihe nebeneinander, breiteten Decken vor sich aus und boten darauf Stickarbeiten, Miniatur-Balsas, Handarbeiten aller Art und sonstige Andenken zum Verkauf. Die Mehrzahl der Besucher fingerte nur dran herum und fotografierte wie wild, aber kaum jemand kaufte etwas, denn es war ziemlich viel Kitsch aus der Fabrik dabei, und was wirklich handgemacht war, hatte auch seinen Preis. Die Kinder umschwärmten uns und wollten alles haben, was zu kriegen war, Kugelschreiber, Bleistifte, Filzstifte, Papier, Plastiktüten, Wäscheklammern, Brot und Kleingeld.... Man kann auch, wie es die beiden Peruaner uns vormachten, ohne mit Geld um sich zu werfen, sowohl den Kindern eine Freude machen als auch den Mamas etwas zukommen lassen: Zwei Tüten Kekse zu je 50 Soles gekauft und an die Kinder verteilt, dazu eine Bottel Coca Cola, aus der jeder einen Schluck nehmen darf, das macht alle froh und dankbar. Auf anderen Inseln halten wir es ebenso und machen uns damit die Kinder zu guten Freunden. Während die anderen Gringos zwischen den Schilfhütten umherstapfen und die Handarbeiten der Indias hin- und herwenden, gehen wir in die Binsen, sitzen inmitten einer Bande von dunkelbraunen Indiokindern und falten zusammen Papierflieger, essen Kekse und malen Bilder. Na ja, zupft mich nur ruhig am Bart, guckt durch meine neue Brille und durch den Sucher der Kamera!
...sitzen wir inmitten einer Bande von dunkelbraunen Indiokindern |
Bums, da traf der Ellbogen eines naseweisen Bürschleins ein kleines Mädchen genau auf die Nase, und schon fließt Blut und kullern Tränen. Brauchst nicht gleich zu heulen, kleines Indianerchen, ich habe ein Papiertaschentuch da. Leg dich schön auf den Rücken, ich wisch dir Blut und Tränen ab. Heile heile Gänsje, 's werd bald widder gut....! Siehste, es tut schon gar nicht mehr weh, du kannst ja schon wieder lächeln! 's Kätzje hat'n Schwänzje, 's werd bald widder gut....! Setz deinen Hut wieder auf, mach die Binsenspreu aus deinen schwarzen Zöpfen, und schon ist alles wieder klar. Heile, heile, Mausespeck, in hunnert Jahrn is alles weg!
Ein anderes Mädchen, etwa 8 Jahre alt, hat mit Filzstiften bunte Bilder gemalt von ihrer Insel. Hier sieht man die Schilfhütten, davor Mama beim Stricken und Papa beim Bau eines Bootes. Dort fährt Papa auf dem Balsa über den See, auf dem dichtes Schilf wächst und sich im Hintergrund die Berge erheben.
"Willst du mir die Bilder nicht abkaufen?"
"Was, kannst du dich denn davon trennen?"
"Och, ich mal mir wieder neue. Für 25 Soles geb ich sie dir. Machst du nicht mal ein Foto von mir?"
Sonst wollen sie oft Geld haben, wenn sie fotografiert werden, aber diese Kleine war offenbar ein bisschen eitel und fühlte sich gekränkt, wenn man sie nicht als fotogen genug betrachtete. Wie könnte ich einer so reizenden Bitte widerstehen?
Ein
anderes Mädchen, etwa 8 Jahre alt, hat mit Filzstiften bunte Bilder gemalt |
Das Sehenswerteste in Puno ist sicherlich der Markt. Puno ist ein kleines Städtchen, das keine weiteren Attraktionen aufweist als den Titicaca-See und die nahe Grenze zu Bolivia, die mitten durch den See geht. Der Markt aber ist für uns der erste echte Indio-Markt. Hier sollte man tüchtig einkaufen, was immer man in Perú einkaufen wollte, denn die Preise sind hier günstiger als im Touristenzentrum Cuzco. Hier ein schöner Alpaca-Pullover, dort eine farbenfrohe Manta....
"¡Cómprame, señor, llévate eso!" (Kauf mir was ab, nimm dir das mit!).
Dein Lamento, dass dir heute noch niemand etwas abgekauft hätte, nehme ich dir nicht unbedingt ab, aber deinem bildhübschen Gesicht zuliebe kaufe ich die Manta eben bei dir anstatt nebenan, wo mir die Farben ein wenig besser gefallen hätten.... Bei einer verschrumpelten alten Kräuterhexe hole ich mir noch eine Tüte Coca-Blätter, denn die sollen recht gut sein für den Kreislauf, wenn einem die Soroche zusetzt.
Frauen mit ihren schwarzen Zöpfen und dem ulkigen steifen Hut auf dem Kopf |
Die Indios im Hochland sind ein liebes Völkchen, das ich instinktiv gleich mochte. Alle laufen sie so herum, wie man es von Bildern kennt: Die Frauen mit ihren vielen Röcken, den schwarzen Zöpfen und dem unvermeidlichen ulkigen steifen Hut auf dem Kopf, dazu die Manta auf dem Rücken, die ebenfalls nie fehlt und als Transportmittel für Lebensmittel, Heu, Kleider, Babys, Baumwolle und was weiß ich noch alles dient. Sind sie auch alle schmutzig, als hätten sie nie gebadet, bis hin zu den Kleidern, die aussehen, als seien sie mit den Trägerinnen aufgewachsen, so sind sie doch meist schöne Menschen mit glatter, dunkler Haut, blitzenden Zähnen, blauschwarzem Haar und schwarzbraunen Augen. Unerwartet hübsche Gesichter schauen dich bisweilen unter der Hutkrempe hervor an, und selbst unter den kleinen Kindern trifft man auf richtige Schönheiten. Das gilt auch für die Männer, die allerdings weniger auffallen, da sie keine "typische" Indio-Tracht tragen, sondern sich von den anderen Peruanern nur durch die eine Spur dunklere Haut und das meist offenere Gesicht unterscheiden. Clever, durchtrieben, gewieft sind die Indios nämlich weiß Gott nicht. Auf dem Markt kann man zwar handeln auf Teufel komm raus, aber die Indios sind nicht dreist genug, zunächst einmal einen dreifach überhöhten Preis zu nennen. Wer sich darauf versteift, die für uns ohnehin billige Ware unbedingt noch unter den Preis herunterhandeln zu müssen, den die Marktfrau als das "Minimum" genannt hat, tut den Leuten sehr Unrecht. Die Manta, die 1800 Soles kosten soll, beziehen die Indias derzeit für 1000 Soles von der Spinnerei; die Verkäuferin kalkuliert mit einem Verkaufspreis von 1500 Soles, lässt sich aber auch auf 1400 Soles ein. Das sind 400 Soles Verdienst, also rund 1,35 Euro, von dem noch die Nebenkosten wie Transport und Marktstandgebühr abzuziehen sind. Was soll da der Ehrgeiz, unbedingt auf 1200 Soles herunterhandeln zu wollen? Selbst wer eine schöne Manta für 1500 Soles einkauft, kommt günstig genug davon. In der Münchner Innenstadt, in einem Importgeschäft, das auf Llama-Wolle und deren Produkte spezialisiert ist, kostet eine Manta fast das Zehnfache, 49 Euro.
Die ganze Ebene ist ringsum von Bergketten umsäumt |
Der häufige Regen, der Schauer um Schauer von den niedrig hängenden Wolken niederrieselt, findet keinen Abfluss, sondern sammelt sich in der Ebene, bildet Tümpel, Sümpfe und Teiche oder gluckert in kleinen Rinnsalen der großen Wasser-Sammelstelle Titicaca-See zu. Was jenseits der Westkordillere niederfällt, nährt die wenigen Bäche, die in den Pazifik münden und die Oasen der Wüstenseite bewässern, während Niederschläge östlich des Altiplano ins Tiefland der Selva fließen und früher oder später den Weg allen Wassers auf jener Seite gehen, nämlich via Amazonas zum Atlantik.
Unmerklich aber steigt die Hochebene doch allmählich an, und gegen Mittag, als gerade wieder die Tische im Speisewagen gedeckt werden, sind wir wieder auf 4200 m Höhe angelangt. Diesmal verdirbt uns aber kein Höhenkoller die Laune, der Mate de Coca hat uns die Lebensgeister erhalten, und als der Zug an der höchsten Stelle wieder Pause machte, um den noch mehr verspäteten Gegenzug zu erwarten, turnten wir munter im Freien umher. Das Grüppchen von nebenan ist eine ganz listige Bande: Anstelle des vornehmen Eisenbahn-Menüs haben sie sich irgendwo ein Viertel gebratenes Spanferkel und Berge von frischem Brot besorgt und säbeln nun unter den indignierten Blicken der Kellner mit langen Messern dicke Fetzen Braten herunter.
Cuzco, das Ziel dieser Zugreise, lag noch drei Stunden entfernt vor uns, da tönte es an einem der vielen Haltepunkte vom Bahnsteig her: "Mister, Mister!"
Da keiner wusste, wem die Rufe galten, öffneten die Gringos neugierig alle Fenster, die sich gutwillig öffnen lassen, und erhielten Prospekte und Visitenkarten etlicher Hotels in Cuzco, mit Preisen, die auf nordamerikanische Brieftaschen zugeschnitten sind. Aber da wir Uhren und Kameras besitzen, gelten wir Rucksack-Piepel für Peruaner als ebenso reich wie Rockefeller, denn noch der gammeligste Hippie hat immerhin so viel "plata", um sich den Flug nach Südamerika leisten zu können. Oft sind wir gefragt worden, was es kostet, von Europa nach Perú zu reisen, und mit nachdenklichem Gesicht rechneten die Leute dann den Betrag in Soles um. In Arequipa hatten wir auf dem Hoteldach gewaschene Sachen zum Trocknen aufgehängt und wunderten uns, dass am andern Morgen die Hälfte der Plastik-Wäscheklammern abhanden gekommen war. Das öffnete uns aber die Augen, und wir sahen plötzlich, wie die Frauen hier ihre Wäsche zum Trocknen auf den Rasen legen, über einen Kaktus oder eine vielfach verknotete, uralte Kordel werfen, und auf den Märkten sahen wir klobige, hölzerne Wäscheklammern, von denen aber 10 Stück ca. 0,50 Euro kosteten --- da muss eine Handvoll Plastikklammern hier schon ein wahrer Schatz sein. Und alle einherlatschenden Billigheimer und Wandervögel haben ähnliche Wertgegenstände wie Kugelschreiber und Plastiktüten im Ränzel, um die sie auf den Dörfern des Altiplano heftig beneidet werden. Was Armut ist, kann man hier lernen. Und dass die Diebin nicht böswillig war --- denn sie hat redlich geteilt und uns die Hälfte der Klammern übrig gelassen.
Was Armut ist, kann man hier lernen |
Je näher Cuzco rückte, desto umfangreicher wurde unsere Sammlung von Hotelprospekten. Eines mit vernünftigem Preis war freilich nicht darunter. Die Fülle der Nobelherbergen gibt allerdings Anlass zur Hoffnung, dass es auch zahlreiche preisgünstigere Unterkünfte geben sollte, die ihr Geld nicht mit dem Drucken von Prospekten verplempern. Während der Zug durch schmalere, immer fruchtbarer werdende Täler wiederum abwärts ratterte, kamen wir mit den drei Leutchen von nebenan ins Gespräch, mit den Peruanern Alfredo und Miguel und dessen Freundin Kathy aus Canada. Sie empfahlen uns ein zentral gelegenes, billiges und gutes Hotel, in dem sie selbst übernachten würden, und als sich herausstellte, dass wir in etwa das gleiche Besichtigungsprogramm haben, war es für die beiden Peruaner selbstverständlich, dass wir die Sache alle gemeinsam angehen.
Miguel lebt als Tennislehrer in Canada, wo er Kathy kennen gelernt hatte; er spricht gut Englisch, aber Kathy kann auch gut spanisch. Alfredo, Miguels Cousin, der nicht ganz zu Unrecht den Spitznamen "El Gordo" (Dicki) trägt, kann kein Englisch und war nie im Ausland. Dafür aber kennt er als Handelsreisender in Autozubehör sein Land bis in die entlegensten Ecken in und auswendig. Er kombiniert gerne Geschäfte und Sightseeing, kauft überall Andenken für Cecilia, seine im Lima zurückgelassene Frau und für seine beiden Kinder, und ist ein Weltmeister im Feilschen auf dem Markt.
Drei Ketten dicker Mauern, im Zickzack angelegt |
Drei Ketten dicker Mauern, im Zickzack angelegt, schützten die darunter liegende Hauptstadt Cuzco, und nahebei stehen noch die Fundamente eines Sonnentempels und anderer Kultstätten, deren Bedeutung ungeklärt ist. Kathy versucht sich vergebens an dem zungenbrecherischen Wort Sacsayhuamán, bis Miguel sagt: "Denk an 'sexy woman', das klingt doch genauso!"
Leider wurden die umliegenden, "heidnischen" Kultstätten einst von den christlichen Mullahs kurz und klein gekloppt. Von der riesigen, monolithischen Jaguar-Statue in Kenkko sind mit etwas Fantasie noch die Umrisse zu erkennen, die steinernen Hallen jedoch sind von den Iberern in Trümmerberge verwandelt worden.
Bis zu den nächsten Altertümern sind rund 4 km zu tippeln, aber die Hälfte der Strecke schuckeln wir auf der Ladefläche eines gerade des Weges kommenden Lieferwagens. Nur noch ein kleiner Feldweg bleibt zu bewältigen bis in das Tal, wo die heilige Quelle Tambo Machay sprudelt, aber am Zugang steht ein Schilderhaus, und eine Kette versperrt den Zugang.
"Ticket contrrrol", schnarrt uns ein Uniformierter an, mit rollendem RRR und rollenden Augen. What for ein Ticket? Wer no Ticket hat, must one kaufen. Na schön, da braucht er ja nicht so einen Feldwebelton aufzulegen.
"Ten dollars, please!"
Ich traue meinen Ohren nicht.
"Diez dólares, zehn Dollars!"
Der Mensch wird richtig polyglott, wenn er Geld will. Aber bin ich denn Ona$$i$?
'Schon wieder drei Gringos, die zu geizig sind, den Eintritt zu bezahlen!', mögen sie, ihren gehässigen Blicken nach zu urteilen, gedacht haben.
Giftig und hochmütig blickten die Llamas uns nach |
Cuzco ist eine recht hübsche Stadt. Gewiss, auch hier haben die Räuber gehaust und manches entzwei geschlagen, aber die genialen Steinmauern, die ein erdbebensicheres Fundament für die Paläste der Inca bildeten, waren zu fest gefügt, um so einfach in die Brüche zu gehen. So waren sie, vermutlich nach einer exorzistischen Weihwassertaufe, so weit entteufelt worden, dass auch ordentliche Christenmenschen nach der Ausrottung der heidnischen Bevölkerung ihre Häuser darauf bauen konnten. So findet man überall im Zentrum der Stadt Häuser im südamerikanischen Kolonialstil, deren Fundamente die alten Inca-Mauern bilden, und diese stehen noch heute schnurgerade, fugendicht und taufrisch wie zu Atahualpas Zeiten. Ein anderes Merkmal dieses Baustils sind die Balkone der Häuser, die hier wie in keiner anderen Stadt aus kunstvoll geschnitztem und gedrechseltem Holzwerk bestehen; fast jeder Balkon ist ein kleines Kunstwerk, das den Blick der Besucher zur Freude der Taschendiebe nach oben lenkt.
Fast jeder Balkon ist ein kleines Kunstwerk |
Der zentrale Platz, wie in jeder Stadt die Plaza de armas, ist zur heißen Mittagsstunde nur spärlich bevölkert; erst im Laufe des Nachmittags kommen die Scharen wieder aus ihrem Siesta-Schatten hervor. Die Bänke sind nur dort besetzt, wo der Schatten der größten Palmen gerade hinfällt. Dem müden Touristen, der den ganzen Tag herumgelatscht ist wie Ahasver, wird allerdings keine Ruhe gegönnt. Cuzco ist das Eldorado all derer, die mit Souvenirs handeln, und da die Neckermänner außer nach Lima nur noch nach Cuzco/Machu Picchu gekarrt werden, müssen die Talmi-Händler hier zusehen, dass sie ihren Kitsch an den Gringo bringen. Kaum hat man sich niedergelassen, kommt schon eine India mit Kind an der Hand und Manta auf dem Rücken und packt aus: Pullover, Alpaca-Mützen, gestickte Gürtel, Hippie-Schmuck, Keramik-Souvenirs, das Sortiment eines ganzen Kramladens schleppt sie da ambulant umher. Es sind recht schöne Sachen mit dabei, aber wenn wir jeder India, die uns anbohrt, etwas abkaufen wollten, glichen wir auf dem Heimweg Sindbad, dem Lastträger. So flehentlich das "Cómprame, señor, llévate algo!" auch klingt, so tief der Seufzer beim Wieder-Einpacken, so traurig der Blick beim Weitergehen durch die heiße Mittagssonne auch ist, ja, so leid mir die junge Frau auch tut, die uns zuletzt auch noch ihren Säugling verkaufen wollte, wir haben uns in Puno auf dem Markt schon alles besorgt, was wir brauchten und haben wollten.
Geniale
Steinmauern, die ein erdbebensicheres |
Auch in Restaurants hat der Gast nur wenig Ruhe, sofern er ausländisch aussieht. Freche Buben kommen reingeflitzt, bieten - meist vergeblich - den Tafelnden Zeitungen oder Zigaretten an, einzelne, das Stück zu 10 Soles, und wenn jemand eine kauft und nach Feuer fragt, puhlen sie im Nu eine Handvoll Zündhölzer aus den Taschen der löcherigen Hosen. Die Kellner scheuchen die Kerlchen fort wie lästige Fliegen und hauen ihnen eins hinter die Ohren, wenn sie sie erwischen, aber das muss schon ein grüner Anfänger sein, der sich von einem lumpigen Kellner erwischen ließe, und der Kellner hat kaum den Rücken gedreht, sind sie gleich alle wieder da. Was auf den Speisekarten steht, entspringt meist nur einer alten Tradition; was man wirklich bekommen kann, danach fragt man am besten erst mal das Personal. Wer kein Liebhaber des berüchtigten Inca-Cola ist, kann nicht überall auf Bier als Ersatz vertrauen, obwohl es in Perú mindestens fünf einheimische Brauereien gibt, ja sogar Coca-Cola, das selbst in Lesotho, im Basislager am Annapurna und bei den Inuit auf Neufundland sonst stets unfehlbar erhältlich ist, macht sich in manchen Ecken Perús mitunter rar. Um auf Nummer sicher zu gehen, wähle man Chicha (Maissaft, in weiß oder in der teefarbenen, gegorenen Version) oder Cevada (kalter Tee aus gerösteten Maiskörnern), das gibt es überall. Man sollte auch wissen, dass Rindfleisch in den ersten 15 Tagen des Monats nicht verkauft wird, um die Devisenvorräte des Landes durch verringerte Importe zu schonen, und dass aus ähnlichen Gründen Camarones (Garnelen) ab Herbstanfang vom Inlandsmarkt verschwinden und nur noch exportiert werden. Stattdessen isst man halt Corazón (Rinderherz), Spanferkel, Cuy (Hamster) oder Fisch, wenn man sich mit dem üblichen Zwiebelreis nicht begnügen möchte. In den touristischen Lokalen, wo die Kellner befrackt einherstiefeln und weiße Tischdecken aufgelegt werden, bekommt die Rechnung noch kleine Zusätze: 18 % Gastronomie-Steuer und 12 % Service; da stecken wir das Wechselgeld natürlich nicht den Kellnern in die Tasche, sondern drücken den bettelnden Indiokindern, die vor der Tür hocken, die Münzen in die Pfoten. Die Kiddies brauchen das Kleingeld nötiger.
Den
bettelnden Indiokindern, die vor der Tür
hocken, |
Die Indiokinder habe ich schwer ins Herz geschlossen. Strubbelig und schmuddelig, mit Rotznasen und Grind, aber doch ganz lieb. Selbst die Babys, durchs dichteste Marktgewühl auf Mamas Rücken gedrückt, hier gestoßen, da angeeckt, tun keinen Mucks, sondern gucken nur still mit großen Knopfaugen umher. Geduld haben auch die kleinen Kinder, die schon selbst laufen können; ob im Bus oder im Zug, so lang die Reise auch dauert, sie machen keine Faxen, quengeln nicht, schreien nicht und spielen nur wenig: Wie kleine Erwachsene schauen sie ernst in die Gegend und suchen sich irgend ein Eckchen, in das sie sich verkriechen können, denn die Indios sind zu arm, um auch für die Kinder Sitzplätze bezahlen zu können. Die größeren Kinder sind schon nahezu erwachsen. Trotz der Schulpflicht, die neu eingeführt worden ist, haben sie alle einen Nebenberuf und arbeiten als Schuhputzer, Zeitungsjunge, Zigarettenhändler oder Sangüich-Mädchen. Zur Schule gehen sie freilich auch, aber der Unterricht findet in drei Schichten statt, um den Analphabetismus so schnell wie möglich zu beseitigen. Die Kinder gehen nur vormittags oder nachmittags oder abends zur Schule, je nach Schicht, so dass die weißen Hemden und Blusen und die grauen Röcke und Hosen der Schuluniformen, die alle Kinder, ob von armen Indios oder reichen Städtern, in der Schule zumindest äußerlich gleich machen, zu jeder Stunde das Stadtbild beleben. Sogar auf den schwappenden Schilfinseln der Uro im Titicaca-See war eine schwimmende Binsenschule eingerichtet, aus der wir flotten Chorgesang vernahmen. Kaum ist die Pflichtschulzeit zu Ende, wird bei den Indios geheiratet, und bei den halbwüchsigen Mädchen, die ein Baby in ihrer Manta spazieren tragen, kann man nie wissen, ob sie da ihr kleines Brüderlein und Schwesterlein oder eigenen Nachwuchs ausführen.
Die Indiokinder habe ich schwer ins Herz geschlossen |
Die erwachsenen Hochland-Indios sind still, geduldig, scheu und ehrlich - auf dem Land. Oft bildschöne Menschen, die auf Fragen freundliche Antwort geben, sofern sie Spanisch können. Und wenn man an einen mit mürrischem Gesicht geraten sollte, hellt es sich garantiert sofort auf, wenn man ihm irgendein zuvor aufgeschnapptes Quechua-Wort sagt, etwa "Sulpaic - schönen Dank".
Fröstelnd huschten wir durch die Morgenfrische zum Busbahnhof, denn mit unseren peruanischen Gefährten wollen wir zum Sonntagsmarkt nach Pisac fahren; ohne die neuen, einheimischen Freunde hätten wir das Taxi, das im Guidebook als einzige Transportmöglichkeit aufgeführt ist, nehmen müssen bis zu dem 35 km entfernten Dorf. So aber erfuhren wir, dass es Busse gibt, mit denen die Marktweiber von Cuzco nach Pisac reisen, und in die auch wir noch reinpassen, sofern wir keinen Komfort verlangen. Da standen sie schon, die rosteligen Busse, schwere Dieselrußwolken auspaffend. Riesige Warenballen, unter denen zwei braune Beine herausragen, bewegen sich drum herum und werden aufs Dach gehievt, auf dass der Lastträger in seiner ganzen Schönheit sichtbar werde. Knallproppevoll ist es, als sich der Bus endlich stöhnend in Bewegung setzt und über das antike Kopfsteinpflaster rattert. Durch die Enge schiebt sich ein schlanker Jüngling mit mehreren Bogen Papier und notiert Namen, Alter, Nationalität und Nummer des Ausweises aller Passagiere. Diese Prozedur haben wir danach noch mehrfach erlebt: An festen Kontrollpunkten an größeren Straßen und Ortschaften werden alle Reisenden, ob in Taxi, Colectivo oder Omnibus, kontrolliert, wobei freilich das Abgeben der Passagierliste meist ausreichend ist. Weil es viele Analphabeten gibt, füllt ein Mensch aus der Bus-Crew die Liste oft selbst aus und fragt nach dem Alter anstelle des Geburtsdatums, das die Indios in der Regel nicht kennen. Zu meiner Verblüffung ist die Alte auf dem Sitz vor mir erst 36, und die Dicke mit den Nudelholz-Armen, die halb auf mir sitzt, ist noch nicht mal 20? So rasch altern also die Indios! Oder .... schummeln auch sie sich jünger, wie so manche Dame in der großen, weiten Welt?
In dem engen Tal, von steilen Berghängen rings umgeben, liegt an einem braunschäumenden Wildgewässer der hubbelige Indioflecken Pisac. Gäbe es hier nicht seit Urzeiten Sonntag für Sonntag einen großen Indiomarkt, zu dem selbst aus Cuzco Händler und Käufer hinströmen, so würde sich wohl kaum je ein Fremder hierher verirren. So aber sind trotz der frühen Stunde, da die Stände erst im Entstehen begriffen sind, doch schon allerhand Blondinen und Zottelgringos mit im Gewühl, und die über den Platz mit der großen Dorflinde wehenden Quechua-Wortfetzen sind bisweilen durchsetzt mit trauten "Jo mei, do schaugst amoi"-Klängen. Je mehr der Markt aber Gestalt annimmt, desto klarer wird es, dass die Zeiten, als hier Indios für Indios Markt hielten, längst der Vergangenheit angehören. Bis zu 80% der Marktfläche beherrschen die Souvenirfritzen, und siehe da, die ersten Busse von Cusco-Tours, Inca-Travels und Condor-Sightseeing fallen ein und überschwemmen die Szene mit älteren Herrschaften aus Europa und Nordamerika.
"Franz-Joseph, wäre diese Decke nichts für unser Vertiko?" --- "Aber Emilie, da liegt doch schon das Häkeldeckchen von Tante Hannelore!"
"Darling, this is a lovely place, isn't it? It reminds me some village down there in Burma, or was it in Morocco?" --- "Oh yes, dear, it is absolutely phantastic, I say!"
Ganz am Rand des
Kitschmarktes hocken einige Indias |
Ein klarer Bergbach führt durch stille Wiesen, auf denen sich Schafe und Schweine tummeln, zu einem Wäldchen, an das sich Terrassenfelder am steilen Berghang anschließen, die noch vom Volk des Inca angelegt worden waren und bis heute ihren Dienst erfüllen. Das Markttreiben von Pisac sieht von hier oben aus wie ein farbiger Ameisenhaufen, und die Dächer der ärmlichen Hütten drängen sich so eng zusammen, als fürchteten sie sich vor den mächtigen Bergen oder vor den Regenwolken, die sich immer dunkler über dem Tal zusammenballen. Der Ton der Glocke des schmächtigen Kirchleins, der zum Kirchgang ruft, lockt uns wieder ins Dorf zurück, denn die Dorfältesten aus der ganzen Umgebung zelebrieren nun samt Gefolge in ihrem farbenfrohen Sonntagsputz den Kirchgang, und dieses Ereignis wird von zahllosen Kameras für kommende Generationen und neidische Nachbarn dokumentiert.
Die ganze Zeit über war der dicke Alfredo emsig am Feilschen gewesen; nun war er nirgendwo zu sehen. Miguel, der seinen Cousin am besten kennt, gab uns den rechten Tipp: In einer Seitenstraße, man muss nur dem Geruch gebratenen Spanferkels nachgehen, reihen sich die Stände der Brutzel-Omas aneinander, die zur Mittagsstunde von Hunger und Durst der Marktbesucher profitieren, und dort, wo auch sonst, hockte Alfredo, auf vollen Backen kauend, zugleich aber händefuchtelnd und lautstark diskutierend, in einer Gruppe junger Burschen, die sich alle Mühe gaben, nicht nur das Ferkelchen, sondern auch Berge von Brot ihrer letzten Bestimmung zuzuführen; wir waren gerade rechtzeitig gekommen, um ihnen dabei behilflich zu sein. Dass auch die Fliegen ihren Anteil mit abbekommen wollen, ebenso wie die umherstehenden, nasbohrenden Indio-Kinder, daran haben wir uns längst gewöhnt. Lieber ein umsummtes Keulchen Grillfleisch als ein Pappmaché-Ketchup-Hot Dog, wie ihn die Cuscotours-Gäste im klimatisierten Bus-Innern mampfen, von Fliegen und Indios unbehelligt.
"A Cuzco, Cuzco, cincuenta soles!"
Fünfzig Soles nur, das ist ein annehmbarer Preis, nehmen wir. Aber wo steht der Bus? Kein Bus, kein Colectivo ist zu sehen. Der Kassierer deutet auf einen hochbeinigen Lastwagen, auf dessen Ladefläche etwa zehn Personen sitzen, liegen, hocken, stehen, lungern... Wir setzen, legen, hocken, stehen und lungern uns dazu und harren der baldigen Abfahrt, aber der Kundenfänger lässt noch lange sein "A Cuzco, Cuzco!" auf der Plaza ertönen. Allmählich füllt sich die Ladefläche, so dass liegen und lungern immer schwieriger wird; stattdessen beginnt das Schieben, Drücken und Drängeln. Nach einer halben Stunde, in der die Enge ständig zunahm, gab es noch immer kein Anzeichen für eine baldige Abfahrt. Erstes Murren wird vernehmlich. Derweil erklimmen immer mehr Passagiere das Gefährt; Sitzen ist nur noch auf dem Dach des Fahrerhauses möglich. Junge Burschen, alte Opas, Mütter mit Kind, Mädchen mit Warenballen und gefüllten Mantas, dralle Marktfrauen, die aus der Tiefe ihrer zahllosen Röcke lapprige Geldscheine hervorziehen, zählen, sortieren und sie dann im BH sicherstellen.... Nun muss auch die Ohrringe tragende Gruppe Holländer, die es sich auf dem Ersatzreifen bequem gemacht hatte, in eine lotrechte Stellung übergehen, um nicht plattgetrampelt zu werden, und da der Mensch auf dem Platz noch immer auf Fahrgast-Werbung ist, mehren sich nun die "Vamos, vamos!"-Rufe. Als sich der Viehtransporter endlich ächzend in Bewegung setzt und zum Dorf hinausrumpelt, kann wahrhaftig niemand umfallen. Ich versuche nur, stets eine Hand auf der Hosentasche mit dem Bargeld zu halten und mit den Freunden in Blickkontakt zu bleiben. An dem Kontrollpunkt der Straßenpolizei wurde es einen Moment lang sogar atemberaubend eng, weil diejenigen, die auf dem Dach des Fahrerhauses hockten, vorübergehend in die Menschensuppe eintauchen mussten, aber hinter der ersten Kurve, als die Polizeistation außer Sicht war, kraxelten sie wieder auf ihren vorschriftswidrigen Sitz und ließen uns mehr Platz, um die Freuden der Fahrt zu genießen. Glücklicherweise begann etwa ab Mitte des Weges das Aussteigen, und obwohl alle paar hundert Meter jemand aus- oder einstieg, wobei jedesmal das klapprige Vehikel zum Stehen gebracht werden musste, Klappe auf, Passagier raus/rein, Gepäck rauf/runter, und das Fahrgeld kassiert wurde, erreichten wir doch im Laufe des gleichen Nachmittags einigermaßen behalten (von wohlbehalten kann keine Rede sein) die Stadt Cuzco, wo wir uns erst einmal von dem heutigen Ausflug erholten.