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Von NAZCA nach AREQUIPA
"Aha, aus Alemania kommt ihr. Hm, Beckenbauer ist fabelhaft. Jeder kennt ihn in Perú, und den Gerd Mudschar auch. Aber Perú hat auch gut gespielt bei der Weltmeisterschaft. Habt ihr gesehen, wie wir die Schotten vom Platz gefegt haben?"
In Nazca gibt's ein prima Frühstück mit Waschgelegenheit, und dann folgt ein ganzer Tag mit unserem LKW-Piloten. Was man so alles unterwegs erledigen kann, wenn man mit dem LKW durch Perú rumpelt, zeigt uns der Camionista ausführlich. Zunächst einmal wird das karge Einkommen durch den Verkauf eines Teils der Ladung (Bauholz) auf private Rechnung aufgebessert. Das erfordert viel Sorgfalt beim Abzählen der Hölzer und der Geldscheine und bringt uns einen zweistündigen Zwischenaufenthalt ein, bessert aber die Laune des Chauffeurs spürbar auf. Nun geht's über die Regierung her.
Ab und zu ein Fischerdorf,
dessen Lehmhütten an Farbe völlig dem Boden gleichen |
Die weiß getünchte
Hütte mit dem Vordach trägt stolz |
"Ist das Mädchen da vorn im Fahrerhäusel deine Frau? Warum hast du keine Peruanerin geheiratet? Gefallen sie dir nicht?"
Doch, doch, vielleicht bei der nächsten Gelegenheit...
"Warum hast du keine Peruanerin geheiratet?" |
An einer Stelle, wo sich die Straße wie ein Dickdarm grundlos zu einem breiteren Platz erweitert, rollt der Laster aus und bleibt stehen. Hier ist allerdings kein Restaurant oder dergleichen zu sehen; gar nichts gibt's weit und breit.
"Willst du nicht mal 10 Minuten mit deiner Frau spazieren gehen?"
Der Señor hat wohl 'nen Sonnenstich. Wozu sollte ich am heißen frühen Nachmittag in der Wüste herumlatschen? Der Mensch sieht mir die Verständnislosigkeit an und wird deutlicher.
"Ich will mal ein paar Minuten lang mit der jungen Mitfahrerin alleine sein. Du kannst so lange mit deiner Frau einen Spaziergang machen."
In die Wüste schicken lassen wir uns nicht; seinen Spaß soll er meinetwegen haben, aber ich trenne mich nicht von meinem Gepäck auf der Ladefläche, das kommt mir nicht in die Tüte. Noch dröhnen mir die Ohren von den Erzählungen über geklaute Trekker-Ausrüstung. So hocken wir also alle auf den Bauholzbalken und wiegen uns in dem Seegang, der in rhythmischen Stößen vom Fahrerhaus ausgeht, derweil die Peruanerinnen ein verlegen-schalkhaftes Grinsen aufsetzen. In kaum drei Minuten ist alles vorüber; sogleich wird der Motor angelassen und weiter donnern wir nach Süden, durch die immer bergiger, enger und wilder werdende Einöde.
Camaná. Es ist schon halb sieben, als wir dort ankommen, also stockfinster, denn hier ist es von 6 bis 6 hell, man kann die Uhr danach stellen. Ein typisches Oasenstädtchen; ringsum Sandwüste, aber hier, wo ein schmales Rinnsal das ganze Jahr über Feuchtigkeit bringt, explodiert geradezu die Vegetation. Alles grün, weite Felder und Haine, Vieh und Schilf, und ein geschäftiges Abendtreiben wie in allen peruanischen Städtchen. Der Abendmarkt ist voll im Gange, an allen Ecken sind Verkaufs- und Fressalienstände, die gesamte Einwohnerschaft scheint auf den Beinen zu sein und sich in der Abendkühle zu ergehen. Es wuselt und wimmelt nicht nur von Fußgängern, sondern auch von Haustieren, Radfahrern und Mopedpiloten; Taxis und LKWs schieben sich hupend durch die Menge, Busse von Anno Tubak blasen Dieselwolken auf das Spanferkel, das an der Ecke von Faltern und Käufern umschwärmt wird, und wie in jedem größeren Ort hat unser Driver auch hier ein Geschäftchen zu erledigen und verlässt uns und unseren LKW "für zehn Minuten".
Was gab's nicht alles zu tun unterwegs! Die anderen Mitfahrerinnen waren kaum ausgestiegen, da fuhr er wieder an einem Landstraßen-Restaurant vor, um was zu trinken. Bald saß er der robusten Wirtin auf dem Schoß und erklärte vielsagend "meine Verlobte". Die hatte freilich heute schon von mehreren Verehrern Besuch gehabt und war nicht zum Scherzen aufgelegt, weshalb wir keine 30 km weiter die Bekanntschaft einer weiteren seiner zahlreichen Verlobten machen durften. Auch diese Dame hatte zwar Haare auf den Zähnen und mindestens zehn Kinder, aber keinen Ehegatten, und nun versuchte Señor Martínez vermutlich in Camaná sein Glück bei einer anderen Braut.
Nicht alle Stopps unterwegs waren freilich Damenbesuche. Hier fuhr er bei einem Bekannten vor, um frische Oliven und Pacayes (eine Hülsenfrucht) zu kaufen, dort wohnte ein Alter, der mit Groschenromanen handelte und ausgelesene Bändchen für eine geringe Gebühr gegen nicht minder zerlesene andere Exemplare umtauschte. In der einen Ortschaft waren die Feigen besonders frisch und billig, in der anderen gab es ein Geschäft für die Rückfahrt abzusprechen. Trotz allem waren wir glücklich bis nach Camaná gelangt, und bis unser Chauffeur wieder auftauchte, waren keine zehn Minuten, sondern anderthalb Stunden verflossen. Vielleicht hatte es ja Zoff mit seiner hiesigen Liebsten gegeben.
Hinter uns ist der Blick begrenzt von einer mächtigen Düne |
Aus dem Innern des Zeltes sieht man nur das Panorama der ständig bewegten Brandung, die vergeblich versucht, bis zu uns herauf zu gelangen. Brüllend vor Wut, dass er uns nicht verschlingen kann, wirft der Ozean unermüdlich gischtende Wogen auf den Strand, die dann aber ohnmächtig zerrinnen und im Sand versickern. Nach beiden Seiten nichts als menschenleerer Sandstrand, so weit das Auge reicht, nur am nördlichen Horizont zeigt ein dunkler Streifen an, wo die Vegetation von Camaná beginnt. Hinter uns ist der Blick begrenzt von einer mächtigen Düne, die sich etwa 500 m vom Meerufer entfernt himmelhoch auftürmt. Davor, klein wie ein Puppenhäuschen, duckt sich ein längliches, flaches Gebäude, eines der vielen Landstraßenrestaurants an der Panamericana, die dort vorüberführt. Gestern Abend haben wir dort gegessen, und während unser Camionista in der Nacht seine Fahrt fortsetzte, waren wir durch die Finsternis zum Strand getapst, um ein letztes Mal vor dem Eintritt in die Bergwelt der Anden das Meer hautnah zu genießen.
Eigentlich wollten wir heute früh weiterfahren, um unseren Zeitplan einzuhalten, aber hier draußen auf freier Strecke war kein Vehikel zum Anhalten zu bewegen. Außerdem ist heute Sonntag, da kommt oft eine gute Viertelstunde lang überhaupt kein Fahrzeug vorüber. Weit und breit kein Baum, kein Schatten, nur knallige Mittagssonne, da war es uns angenehmer, am Strand den Krabben zuzuschauen, die wie große Spinnen zu Zigtausenden auf dem Sand herumflitzen und bei jeder unserer Bewegungen wie der Blitz in etwa fingerdicken Löchern verschwinden; nach einer Weile lugen sie dann vorsichtig wieder hervor, und wenn die Luft rein ist, hoppen sie heraus und sausen weiter auf dem Sand umher.
Das Wasser ist eisig. Der Humboldt-Strom kommt aus antarktischen Regionen und ist hier noch nicht sonderlich aufgewärmt, trotz der subtropischen Spätsommerhitze in diesen Breiten. Man hat die wenig erquickliche Wahl, entweder in der Sonnenglut zu verbrennen oder im Eiswasser zu erfrieren; wir wechseln die Alternativen ab. Weil es dem Meer auch jetzt nicht gelingen will, uns zu verschlingen, rächt es sich auf andere Weise: Meine Brille, ein unentbehrliches Utensil fürs Krabben-Foppen, hatte ich vergesslicherweise aufgelassen, als ich mich wieder einmal in die Brandung stürzte, und sogleich warf sich mit höhnischem Getöse eine schäumende Woge auf mich und entführte mir mein Sehgerät von der sonnenbrandigen Nase. Sollte also irgend jemand von euch, verehrte Leser, am Strand südlich von Camaná eine rostige, von der Flut ans Ufer gespülte, seetangbewachsene Herrenbrille aus dem späten 20. Jahrhundert finden, so möge er meiner gedenken....
Der Spaziergang am Strand entlang auf der Suche nach Schatten führte uns zu einer Reihe von Hütten aus Schilf und Bambusrohr, die wohl als Umkleidekabinen für Strandgäste in milderen Jahreszeiten gedacht waren, nun aber vollkommen leer standen. Dies war der richtige Ort für eine lange Siesta. Leider bemerkten wir zu spät, dass diese Hütten noch andere, kleinere Bewohner beherbergten. Ein einzelner Floh, den ich am späten Nachmittag in unserem Stoff-Appartement hüpfen sah, erregte noch keinen Verdacht, doch als kurz darauf der zweite und dritte gesichtet wurden, schrillten die Alarmglocken. Gut, dass es draußen, kurz vor Sonnenuntergang, noch sehr warm war, trotz der steifen Brise, die vom Eismeer her aufs Land zu wehte. All unser Krempel wurde malerisch im Zeltinnern ausgebreitet und dann, hussa, eine kräftige Ladung chemischer Keule hinein, und während wir hüllenlos ein letztes Bad nahmen, seufzten die Flöhe im Innern, schnappten nach Luft und fielen tot um. Requiescant in pace.
Am Ende der Ebene türmt sich eine neue Bergkette auf |
Mitten durch die dritte Hochebene zieht sich ein Cañón |
Mitten durch die dritte Hochebene zieht sich ein breiter Spalt, ein Cañón, aus dessen Grund endlich, endlich Grün heraufleuchtet. Welch eine Augenweide! Felder, Weiden, Menschen, Tiere, Wasser: Das Tal des Rio Síhuas. Wir sind so ausgedörrt, dass uns die Orangen, die eine dicke India teuer feilbot, köstlicher mundeten als alle je zuvor verspeisten.
Eine weitere Bergkette, eine weitere gute Stunde Fahrt, und allmählich wird es durch die erreichte Höhe und sinkende Sonne erträglicher; auch wird allenthalben stachliges Gestrüpp sichtbar, die Wüste wird weniger wüst. Hinter einer Biegung tut sich ein unerwartetes Panorama auf: Die schneebedeckten Gipfel der Anden, wolkenhoch über uns! Und wir glaubten, schon beinahe oben zu sein nach all den bisher bewältigten Bergketten, die vor diesem Anblick freilich zu Hügelchen schrumpfen.
In einem fruchtbaren Talkessel, am Rio Chili, liegt unser Ziel Arequipa, die drittgrößte Stadt Perús. In nur zweieinhalb Stunden Fahrt von der Höhe des Meeresspiegels sind wir nun auf 2200 m gelangt, wo das Klima schon wesentlich angenehmer ist. Arequipa liegt nicht so hoch, dass man die dünnere Luft spüren könnte, aber hoch genug, um der Wüstenhitze zu entgehen. Hier ist das Tor zum Indioland, zur Sierra, die als eindrucksvolles Panorama die ganze Stadt beherrscht: Im Nordosten die Kette des Chachani (6096 m), im Osten der perfekte Kegel des Vulkans El Misti (5843 m), und im Südosten die Zacken des Pichu-Pichu (5669 m), alle mit schneebedeckten Kuppen. Arequipa macht einen sehr freundlichen Eindruck, ein ansprechendes, gepflegtes Stadtbild, alles etwas heller, sauberer, moderner, attraktiver als Lima, ein Ort, an dem man es gut ein paar Tage lang aushalten kann.
Am Rio Chili liegt unser Ziel Arequipa |
Wie in allen Orten wird es auch in Arequipa mit Einbruch der Dunkelheit so richtig lebendig. Die Geschäfte haben natürlich alle auf, viele Bars und Restaurants erfüllen die Straßen mit köstlichem Duft. Wie könnte man da Zurückhaltung üben? Es ist zwar ratsam für den Fremden, sich vor Atahualpas Rache, dem gefürchteten "Inca quickstep", in Acht zu nehmen, aber wer bringt es tatsächlich fertig, sich aus Konserven und mit abgekochtem Wasser zu ernähren? Welch eine Sünde wäre es, in diesem Land, wo an allen Ecken und Enden gebrutzelt und gekocht, gesotten und gebacken wird, steriles Einerlei in sich zu stopfen! Und wenn ich die Ruhr kriege, in dieses kleine Lokal, an dessen Eingang ein großes Schild mit Sopa de pescado (eine gut gewürzte Gemüsebrühe, in der ein kompletter, dicker, gekochter Butt schwimmt), Ocopa (Zwiebelkartoffeln mit Curry-Sauce), Palta rellena (gefüllte Avocados) und Anticuchos de corazón (Schweineherz-Spießchen) lockt, müssen wir rein! Und was für eine Mahlzeit aus lokalen Spezialitäten bekamen wir da aufgetischt, so recht geeignet, um auf der Stelle Stammkunde zu werden!
Nur die Kinder kennen |
Es
erstaunt vielleicht, wie häufig man selbst zu fortgeschrittener
Nachtzeit in den dunkelsten Gassen der Städte Mädchen und
Frauen ohne Begleitung begegnen kann. Einerseits haben Frauen ein
starkes lateinisches Selbstbewusstsein, und andrerseits leiden
südamerikanische Machos kaum unter sexueller Frustration. Das
Sittenleben in Perú ist sehr freizügig; die Indios pflegen eh
seit Urzeiten, ob christlich oder nicht, ohne Trauschein
miteinander zusammenzuleben. Junge Frauen, die ihre Kleinkinder
mit auf den Markt, auf die Busreise oder auf die Ämter nehmen
müssen, haben keine Scheu, zu jeder Zeit und an jedem Ort dem
Kind die Brust zu geben. Kinder und Männer pinkeln ungeniert auf
offener Straße, hinter dem Bus oder aus dem fahrenden Zug, und
die Frauen hocken sich irgendwo mitten in die Landschaft und
verrichten ihr Geschäft im Schutz der weiten Röcke.
Gelüstet
es einen Mann auf ein Mädchen, bekommt er die gewünschte
Dienstleistung für 500 Soles (1,20 Euro) geboten, und dennoch
sind solche Mädchen, von denen jeder weiß, dass sie käuflich
sind oder damit ihren Lebensunterhalt bestreiten, nicht weniger
angesehen als andere Frauen. Da die Prostitution nicht verboten
ist, wird sie auch nicht in finstere Stadtviertel abgedrängt und
kriminalisiert, und die Mädchen werden daher auch nicht von
Zuhältern ausgebeutet und drangsaliert, sondern arbeiten nach
eigener Lust und Laune, voll in die Gesellschaft integriert. Und
Aids, das war 1980 noch unbekannt.
Hölle,
Fegefeuer und Paradies ---
all dies zugleich ist Santa
Catalina
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Hölle, Fegefeuer und Paradies --- all dies zugleich ist Santa Catalina. Wer in diese weitläufige Klosteranlage eintritt, schreitet durch das Tor direkt ins Inferno. Alles ist rostrot angemalt, einfaches Gemäuer aus schmucklosen Steinquadern, fensterlose Zellen für die Novizinnen und das Dienstpersonal, das einstmals in diesem Nonnenkloster von der Größe einer Kleinstadt hauste. Dass es sich freilich auch im Inferno gut leben lässt, davon zeugt die riesige Küche in diesem Teil des bedeutenden Klosters von Perú im Herzen von Arequipa, von der lauten, sündigen Umwelt natürlich abgeschirmt durch eine dicke Mauer. So bietet sich Santa Catalina selbst von seiner höllischsten Seite dar wie ein kleines Paradies im Chaos und Lärm der Stadt. Saubere Wege, vorbei an Blumenbeeten und riesigen Poinsettsia-Bäumen (Weihnachtsstern), führen zum Purgatorio, wo alles hellblau getüncht ist, ein Vorgeschmack auf den Weg ins Paradies. Auf dem grünen Rasen zwischen himmelblauen Arkaden durften sich die jüngeren Nonnen mangels anderer Freuden am Springbrünnlein in der Mitte des Hofes laben. In unserer heutigen Zeit, da die Mädchen andere Dinge als klösterliche Kasteiung im Kopf haben, lieber in der Disco herumhopsen als auf Knien die Zelle der Oberin schrubben und der Liebe Jesu diejenige ihres Fernando oder Alfredo vorziehen, konnte man die wenigen fossilen frommen Nonnen ohne weiteres in einen fernen Winkel verbannen und den Rest für zahlende Besucher zur Besichtigung freigeben. So gelangen selbst wir arme Sünder in den Genuss des Eintritts zum Paradies, den lieblichsten, weißgepinselten und mit Geranien und Rosengärten gezierten Teil des Klosters, bevor wir wieder in den profanen, weltlichen Alltag eintauchen.