perustrip

 

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Von LIMA nach NAZCA

 

balls83 PERÚ balls83

ANNO DOMINI

MCMLXXX

balls84

Eyne warhafftige historie
von den ergetzlichen thaten unt abenthyeren
zweyer guten freund / wie / wo / unt welcher gestalt sie nemlich in solches land kommen / was sie darinn gesehen / gelernet /
erfahren unt außgestanden / auch warumb sie solches wieder freywillig quittiret haben / sambt zweyer teütscher poësien

Uberauß lustig / unt männiglich nützlich zu lesen /
deßgleichen noch nie zuvor in teütscher sprach gesehen / jetzo nach vieler wunsch unt langem anhalten zum erstenmahl in schrifft verfertiget

durch

 balls82 Franciscum Eschersheimerum balls82 

zu Würtzburg am Mayn

 

 

Das Lächeln, das du aussendest, kehrt stets zu dir zurück.
Indianisches Sprichwort

 

kolibri

 

Europa, du alte Genossin.... 
---  wer hat da gelacht? 

 

Still, ihr Spötter, warum sollte man einen Südamerika-Reisebericht nicht mit dem Wort "Europa" beginnen? Ist denn nicht Europa das, was uns all das so exotisch erscheinen lässt, was außerhalb seiner Grenzen liegt und uns immerfort ruft und lockt?

Also, auf ein Neues:

Europa, du alte Genossin, lange genug habe ich mich mit dir begnügt, ja, auch vergnügt, ich gebe es zu.... Deine Reize sind mir auch jetzt noch lieb und teuer, und je mehr ich mich mit dir befasste, desto liebenswerter, reizvoller bist du mir geworden. Alle Reize aber unterliegen dem Gesetz der Gewohnheit, und wie der Mann, der um einer ordinären Bardame willen seine anmutige, geistvolle und kluge Frau vergisst, vielleicht, weil das neue Mädchen einen Augenaufschlag oder Gang hat, den er bei seiner Frau nie gefunden hat, so reizt auch den Liebhaber Europas das ferne Peru mit Namen, die er in Europa nicht findet, Apurimac , Arequipa , Yarina Cocha .... oder mit dem Zauber versunkener Kulturen, mit Göttern und gottgleichen Sagengestalten wie Viracocha , Manco Capac , Pachacamac ....

Der Seitensprung ist beschlossene Sache.

Europa aber erweist sich als eifersüchtig und lässt den Ungetreuen nicht los. In Bruxelles eine Verzögerung, die Sobelair ist dran schuld, eine unverhoffte weitere Nacht mit Europa auf Kosten der Muttergesellschaft Sabena...
Und Europa zeigt sich von ihrer europäischsten Seite, wie kein anderer Ort ist Bruxelles dafür geeignet: Die Pommes frites, das Nationalgericht, schmecken köstlich, das unvergleichliche Steak mundet wie in Old England, der perlende Wein ruft den Charme Italias ins Gedächtnis, Europa gibt sich wirklich alle Mühe, man muss es anerkennen. Und süß ist auch die Nacht an Europas Busen, das kostenlose Hotelzimmer ist piekfein, der Abendspaziergang in milder Frühlingsluft durch belebte Boulevards voller Bierstuben, Café-Salons, Kinos, Discos, Bars und Restaurants ist herrlich, und obwohl wir uns um diese Stunde bereits über dem "großen Teich" glaubten, legt sich schon hier das Gefühl über uns, in Urlaub zu sein, und verklärt wie eine Droge den Anblick von Baustellen, Büroschlusshektik und Großstadtgetümmel.

Fast hättest du es geschafft, Europa, uns noch zurückzuhalten! Noch rechtzeitig aber entsann ich mich deines ungeschminkten Angesichts, der ungepuderten Öde deiner Innenstädte und Beton-Irrgärten; all dein Bruxelles-Flair kann das nicht vergessen machen, und mächtig rufen Wüste, Hochgebirge und Dschungel südlich des Äquators, den Asphaltwüsten, Hochhausgebirgen und Schilderdschungeln zu entrinnen, dorthin, wo solche Dinge noch nicht durch die künstlichen Vorsilben zivilisatorischer Umweltverschmutzung verdorben sind. Geh, Europa, deine Schminke ist aus Amerika, dein Puder made in Hongkong, dein Busen ein Produkt der Chemie-Industrie....!

 

Silbrige Fäden schlängeln sich wie betrunken durch ein grünes Moosbett, auf dem ein ständig bewegtes Schattenmuster spielt; einer dieser glänzenden Fäden, teils von wattigen, tiefen Wolken verhüllt, muss der Rio Orinoco sein, ein anderer der Rio Japurá, dann ein wesentlich dickerer Schlängelfluss, im Schatten kakaobraun, in der Sonne silbergleißend, den man Rio Amazonas nennt, und weiter drüben der Rio Marañón. Bald wellt sich das Moos aus der flachen Ebene, wächst auf Hügel hinauf, bis diese urplötzlich kahl werden: Nicht 10 m über einem Moosbett, sondern 10000 m über dem Regenwald Brasiliens ziehen wir dahin, und die Anden gleichen einer kalten, faltigen, spitzigen und lebensfeindlichen Marslandschaft. Nur 20 Minuten weiter wieder ein Meer, ein schmaler Küstenstreifen, eine weitflächige Stadt: Lima, die Hauptstadt von Perú.

 

anden

Die Anden gleichen einer kalten, faltigen, spitzigen
und lebensfeindlichen Marslandschaft

 

Empfangsgebäude, Tankfahrzeuge, es sieht aus wie überall in der Welt auf Airports, in Zimbabwe, Neufundland oder Laos nicht anders. Aber dann das Gesicht des Fahrers auf dem Gabelstapler: Ein Indiogesicht wie aus dem Naturkundemuseum!

Wir sind tatsächlich angekommen in Perú.

 

 

"Gardez bien vos bagages!", lautete der letzte Gruß aus Europa. Nach 18 Stunden ohne Sonnenuntergang geht jetzt, im Reiche der Sonne höchstselbst, die Sonne um Punkt 18 Uhr unter. Ein leicht unbehagliches Gefühl beschleicht uns alle, die noch nicht wissen, wo wir die Nacht verbringen werden, nachdem wir aus dem sicheren Gruppendasein entlassen sind, und da stehen wir auf fremdem Kontinent in der Dunkelheit, mit schwerem Gepäck bei Fuß.

"Bus in die Stadt zu den Hotels nur 400 Soles (1,40 Euro)!"

Prima, prima! Wer da außer Ka und mir noch auf ein solches Gefährt angewiesen ist, sind alles Leute, die man wie uns bei Zoll und Passkontrolle besonders eingehend untersucht hat, denn in diesen vom Militär verwöhnten Breiten müssen bedrohlich friedfertige Utensilien wie Kochtöpfe, Gitarren und Schlafsäcke höchsten Argwohn erregen. Mit Handfeuerwaffen und Granaten im Koffer, aber einer Krawatte um die Gurgel würde man wahrscheinlich mit einer Verbeugung durchgewinkt werden.

Weh uns, der "Bus" naht! Oh, Perú, deine Automobile!

Es rattert ein vom TÜV völlig verschonter VW-Bus heran, der aus seinem Alter kein Hehl macht; immerhin funktionieren beide schielenden Lampen, die eine nur auf Standlicht, die andere nur auf Fernlicht. Von einst vorhandenen Sitzen zeugen die noch teilweise vorhandenen stabilen Metallrohre, die jede Kurvenbewegung mitmachen. Der Außenspiegel muss während der Fahrt vom Beifahrer festgehalten werden, ebenso wie die hintere Tür, damit die Rucksackberge der Insassen sich nicht zu den Müllbergen am Straßenrand gesellen. Gnädig verhüllt die Dunkelheit die trostlosen Vororte; die Innenstadt ist, bis auf den für unsere Begriffe chaotischen Verkehr mit lichtlosen Kamikaze-Fahrern und urplötzlich aus der Dunkelheit auftauchenden Hindernissen wie Fuhrwerken oder Fahrrädern, durchaus ansprechend. Weite Plätze mit großstädtischen Palästen im Kolonialstil, Nobelhotels, Leuchtreklame, Bürogebäude und Restaurants fallen auf den ersten Blick auf; der zweite Blick hingegen erfasst auch den Mikrokosmos: Am Boden auf dem Bürgersteig ausgebreitete Tücher, auf denen alte Illustrierte, Wäscheklammern, Shampoo, Poster, Erdnüsse, Comics, Plastikteller, Zigaretten und Plunder aller erdenklichen Art zum Verkauf ausliegt. Indias mit Hut, Manta und Baby auf dem Rücken hocken am Boden, ein Geruch, der sich aus Müll und Urin zusammensetzt, weht aus kleineren Nebenstraßen hervor....

 

nachtlima

Weite Plätze mit großstädtischen Palästen

 

Das gleiche Bild am trübgrauen Morgen: Nach dem Ende der Hauptverkehrszeit verwandeln sich alle Hauptstraßen in einen endlosen Markt, und die Anzahl der Menschen, die sich zwischen den Ständen drängeln, ist wirklich erstaunlich. Ein Verkaufsstand reiht sich an den anderen, sowohl auf der Straßenseite als auch auf der Häuserseite des Trottoirs, und es gibt wirklich nichts, was man nicht auf der Straße erstehen könnte. Vor allem Essbares gibt es rund um die Uhr: Hier werden Choclos, gekochte Riesenmaiskolben, feilgeboten, dort kann man ein Stück geschältes Zuckerrohr zum Lutschen kaufen, daneben werden unter freiem Himmel auf einer Gasflamme Pfannkuchen zubereitet. Neben dem Eisverkäufer sind Sangüiches (Sandwiches) erhältlich, und Berge von Zitrusfrüchten, Bananen und Papayas wechseln sich ab mit Bergen von Brötchen oder Kuchen (in Perú wird ausgezeicheter Rührkuchen gebacken!). Just vor dem Haushaltswarengeschäft stehen Stände mit Haushaltswaren, zum Verdruss des Geschäftsinhabers, und vor dem Kleidergeschäft kann man bei der Freiluft-Konkurrenz Jeans, Röcke, T-Shirts und Wäsche erstehen, natürlich weit billiger als im Laden. Der Platz vor der Universität und dem Ministerio de Educación, der Parque universitário, ist eine einzige riesige Open-Air-Mensa: Hier reihen sich die Wägelchen aneinander, die zugleich Spülstein, Herd, Anrichte, Kühlschrank und Theke sind und aus denen die Besitzerinnen blitzschnell die verschiedensten warmen Mahlzeiten hervorzaubern. Zum Nachtisch holt man sich nebenan ein Stück Wassermelone oder Kokosnuss, und dann.... beginnt der Kampf um die richtige Auskunft, welcher der pausenlos vorbeiröhrenden Busse uns wohl zum archäologischen Museum befördern würde.

 

limabus

Nachdem wir die ganze Farbskala der Busse von Lima
durchprobiert hatten...

 

"Der himmelblaue Mikrobus, der dort an der Ecke vorbeikommt, fährt direkt dort entlang", lautet die freundliche Information, aber der Schaffner jenes himmlischen Busses erklärt mit Bestimmtheit, wir seien im falschen Bus und müssten den schokoladenbraunen Bus an der gegenüberliegenden Ecke nehmen. Nach etwa 20 Minuten, nachdem wir die ganze Farbskala der Busse von Lima durchprobiert hatten, stehen wir im Richtigen (Farbe: himberrot). Bis dahin hatten wir Zeit, uns Limas Busverkehr in aller Ruhe anzusehen; es fahren alle erdenklichen Modelle und Größen, wobei die einzelnen Linien nur durch den Farbanstrich und die Aufschrift der wichtigsten Stationen seitlich am Fahrzeug unterschieden sind. Einheitlich ist auch, dass überall die Schaffner, meist halbwüchsige Burschen, während der Fahrt in der offenen Tür stehen und raffiniert die Geldscheine zu 50, 100, 200, und 500 Soles um die einzelnen Finger gewickelt tragen; die Münzen haben sie in der anderen Hand und sind, egal wie groß der Geldschein des Fahrgastes ist, unglaublich flink beim Wechseln --- und korrekt. Haltestellen in unserem Sinne haben wir nicht entdecken können; man steht am Straßenrand und winkt sich seinen Bus heran. Zum Aussteigen brüllt man laut "bajan!" (aussteigen), und schon hält der Bus an.

Das Museum, in einem alten Palast in Pueblo Libre, einem Vorort von Lima, untergebracht, ist eine Oase in der Hektik der Stadt. Noch tönen die Ohren, wirbeln die Sinne von der Turbulenz der Fahrt hier heraus, da umfängt uns schon Ruhe, umgibt uns Grün, bieten sich schattige Arkaden an, nachdem die Sonne den Morgendunst aufgelöst hat und nun ihr Bestes tut, um eine Kostprobe südlicher Spätsommerhitze zu bieten. Nach den lebhaften Blicken lateinamerikanischer Augen, nach den lautstarken Gesprächsfetzen, die den Bus erfüllten, schauen wir nun in die starren weißen Augen der Figuren der Nazca-Keramik, die stummen Münder der Mochica-Figuren. Man darf sich aber nicht täuschen lassen; wenn sich die Sinne auf das Halbdunkel des Museums eingestellt haben, kann man wahrnehmen, was die stummen Tonfiguren erzählen: Sie berichten von einer Zeit, als die Indios ein großes Kulturvolk waren, Herren in ihrem eigenen Land, die nicht wie heute ein halb verachtetes Dasein am Rande der Gesellschaft führten; sie künden davon, dass sie Götter verehrten, sich der Liebe erfreuten und Krankheiten erduldeten.

 

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...schauen wir in die starren weißen Augen
der Figuren der Nazca-Keramik

 

Von der Götterdämmerung zurück in die Gegenwart: Zu Gast bei einer Familie, von der wir nicht mehr kannten als die Telefonnummer, werden wir sofort wie alte Freunde oder gute Verwandte aufgenommen und bis tief in die Nacht nicht mehr fortgelassen. Und zu allem Überfluss kam just an diesem Abend zufällig auch Flor Arriaga zu Besuch, unzweifelhaft das schönste Mädchen von ganz Perú....

Um nicht von der umfassenden, ja besitzergreifenden Gastfreundschaft unserer neuen Freunde zu einem unabsehbar verlängerten Aufenthalt in Lima verführt zu werden, lancieren wir uns auf die Startrampe zu einer ellipsenförmigen Umlaufbahn, an deren Ende dann, gut 6 Wochen später, wieder Lima stehen soll. Ein ungefährer Zeitplan steckt im Rucksack, zwischen Kunst-Reiseführer, Straßenkarte und South America Handbook, das Gepäck ist halbwegs diebstahlsicher geschnürt, Bares in einer Geheimtasche im Inneren der Jeans auf Höhe der Gesäßtasche warmgestellt, und seit unseren ersten Erfahrungen mit hartnäckigen Schuhputzern fußt unser weiterer Werdegang nunmehr auf weißen Sneakers, die man damals noch "Tennisschuhe" nannte.


Unser Tagesziel für heute liegt rund 260 km südlich an der Küste und heißt Paracas, ein Ort, der zugleich Kultur als auch Vergnügen verspricht: Paracas ist sowohl der Name einer der alten präkolumbianischen Kulturen als auch Synonym für einen Badeort in landschaftlich reizvoller Lage in einem Naturschutzgebiet. Transportmittel ist, mangels Bahnlinie, das Auto, und wenn man sich in Lima mit Rucksack morgens dem Parque universitário nähert, wird man mit Transportangeboten förmlich überhäuft und braucht sich nur das günstigste auszusuchen. Also kein Problem, der Bursche, der am lautesten "A Pisco, Pisco!" brüllte, bekam den Zuschlag, denn von Pisco aus sind es nur noch 20 km bis Paracas. Und jener Bursche war natürlich der Colectivo-Fahrer. Ja, was ist das, ein Colectivo? Wie der Name sagt, handelt es sich um einen Kundensammler, ein uraltes amerikanisches Straßenschiff, in das der Fahrer 6 Personen und Gepäck einstapelt und dann Kurs auf das vereinbarte Ziel nimmt.

 

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Die Garúa, der ewige, trübe Grauschleier von Lima,
weicht nun einem Dunst...

 

Außer uns beiden teilten sich noch einige Frauen aller Altersstufen in das Glück, Lima verlassen zu dürfen, und dann glitt unser Gefährt über die Autobahn Panamericana-Süd, die eine breite Schneise durch den Slumgürtel im Süden von Lima schlägt. Nach knapp 10 km ist allerdings Schluss mit der Autobahn-Herrlichkeit, die Straße verengt sich zu einer normalen Landstraße, und weitere 10 km südlich ist sie bereits so schmal, dass zwei sich begegnende Lastwagen nicht aneinander vorbei kommen, ohne den Sand des Randstreifens zu einer gelben Wolke aufzuwirbeln. Limas Vororte stehen schon mit einem Bein in der Wüste; hat man erst die Stadt und auch den Müllring vollends hinter sich gelassen, beginnt die Wüste, alles Grün, alles Leben unmöglich zu machen. Die Garúa, der ewige, trübe Grauschleier von Lima, weicht nun einem Dunst, der die Glut der Wüstensonne in der Mittagshitze nicht abhält, sondern allein die Fernsicht auf die linker Hand vermutete Kette der Anden verhindert. Was sichtbar ist, so weit das Auge reicht, sind nur Hügel, steinige, erdige, sandige oder staubige Hügel, die in der flimmernden Hitze zeigen, was das Gegenteil von "Wasser" ist, sowie Sanddünen aller Größen und Farben, die oftmals so riesig hoch sind, dass man sie nicht eindeutig von echten Bergen unterscheiden kann. Das immer schmaler werdende Asphaltband der Straße windet sich geschickt durch die hügelige Einöde, deren gleißend helles Ocker das Auge rasch ermüdet. Das stürmisch anbrandende Meer zur Rechten, das mal näher rückt, mal hinter einer Düne verschwindet, bietet die einzige Abwechslung für die meiste Zeit der Fahrt. Der Verkehr, der anfangs, in der Nähe von Lima, auf der Panamericana herrschte, lässt schon bald nach; Busse und Lastwagen sind nun fast gänzlich unter sich.

 

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Das immer schmaler werdende Asphaltband der Straße
windet sich geschickt durch die hügelige Einöde

 

Wo immer ein noch so mickriges Rinnsal Wasser aus den Bergen bringt, entsteht sogleich, wie aus dem Boden gezaubert, schlagartig eine Oase üppigster Vegetation. Hier ist jeder Quadratmeter genutzt, für Bananen-, Baumwoll-, Mais- und Zuckerrohr-Anbau oder als Weidefläche für Rinder und Ziegen; Gehöfte drängen sich unter den Schatten großer Palmen, und um sie herum wimmelt es von Bewohnern: Enten, Schweine, Kinder, Hühner....

Cañete, Chincha, Pisco, das sind die etwas größeren Orte auf dem Weg ---- idyllisch sieht keiner aus. Das schönste Stück aller Orte in Perú ist meist der zentrale Platz, die Plaza de armas, wo garantiert unter Palmen gepflegter Rasen (bitte nicht betreten!), Blumen, ein Denkmal und Bänke auf den müden Reisenden warten --- und die Schuhputz-Jungen; wurde hier nicht vor 6 Jahren die allgemeine Schulpflicht eingeführt?

"Mister, wo kommst du her?"

"Aus Deutschland."

"Ah, Alemania. Da kommen viele Leute her. Gestern waren auch zwei Deutsche hier. Hast du deutsche Münzen? Schenk mir welche!"

Eine Traube naseweiser Buben drängt sich um uns, denn hier gibt es doch erheblich weniger Touristen als in der Hauptstadt. Nach wenigen Minuten ist aber der Reiz des Neuen verflogen, zumal es bei unserem Schuhwerk zwecklos ist, mit Schuhwichs und Lappen ans Werk zugehen.

Die letzten 20 km bis Paracas sind ein kaum lösbares Problem, denn von allen Seiten tönt es uns aus dem Munde geschäftstüchtiger Colectivisten entgegen "A Lima, Lima!" Diesem Chaos sind wir doch gerade erst entronnen! In der anderen Richtung, nach Paracas, gibt es nach Auskunft freundlicher Zeitgenossen nur vormittags Transporte. Mit lokalen Bussen und mehrmaligem Umsteigen schaffen wir es aber doch noch und werden in dem kleinen, aber ganz hübschen Küstenort Paracas direkt vor dem Hotel abgeladen, in dem die Rucksack-Gringos üblicherweise einzukehren pflegen. Mit ausgebreiteten Armen kommt auch schon der Besitzer strahlend auf uns zu: "Wie viele Nächte...?"

Mal nicht so stürmisch, mein Lieber! Wozu schleppen wir eigentlich unsere gesamte Campingausrüstung durch die Geographie? Um hier am Meer, am sandigen Gestade, in ameisenreichen, miefigen Hotelzimmern zu ersticken? Ein Kompromiss: Wir wohnen in unserem Taschenbungalow, benutzen aber gegen Gebühr die sanitären Einrichtungen des Hotelchens und konsumieren Getränke und Frühstück, ist's recht?

Der Abendspaziergang zeigt, wie begrenzt hier die Welt ist: Nach 50 m endet die staubige Piste im Nichts, und in der Gegenrichtung mündet sie auf einen Fußballplatz, der außer mit knöcheltiefem Sand auch mit fußballgroßem Geröll übersät ist. Zuvor nimmt dieser Weg jedoch die Parade einer Kompanie schön in Reih und Glied stehender Villen ab, die keinen Vergleich zu scheuen brauchen. Luxus ist eben international. Mittenmang auch das Hotel Paracas, als das "beste Hotel Perús" gepriesen, neben dem sich "unser" Hotel wie ein Geräteschuppen ausnehmen würde.

BENUTZUNG DER EINRICHTUNGEN DES HOTELS ausschließlich FÜR HOTELGÄSTE

steht groß angeschrieben, aber das Restaurant weist auch Sniekers-Piepel keinesweg ab, wenn sie sich da mal restaurieren lassen, um zu sehen, was Luxus auf peruanisch ist. Uniformierte Kellner, zahlreicher als zahlende Gäste, umschwirren uns und decken uns umgehend mit Menü-Karte, Servietten, Besteck, Blumen und Gläsern ein, bevor wir noch richtig sitzen. Die anderen Gäste, vermutlich alles betuchte Limeños, nehmen ausnahmslos mit Jackett, Dame und Bügelfalte Platz und belustigen uns mit ihren indignierten Blicken auf unsere Jeans und nicht mehr ganz blütenweißen Schuhe. Die Kellner hingegen zucken mit keiner Wimper und fahren alle georderten Köstlichkeiten auf, schenken Wein nach und sprinten, um die vergessene Karaffe eisgekühlten Wassers nachzuliefern. Cebiche de corvina, Ensalada de palta, Mariscos, Vino de Ica, Ensalada de frutas... Der Preis beträgt ziemlich genau das zehnfache dessen, was eine komplette Mahlzeit in Perú sonst kostet, aber nicht mehr als ein Jägerschniztel in einem Landgasthaus in Alemania.

Eine warme Nacht und ein selten klarer Sternenhimmel... Zum Duschen noch einmal in das schmuddelige Bad des Geräteschuppen-Hotels, wo es nach WC riecht und das Wasser nur spärlich aus der rostigen Dusche rieselt? Wir wissen was Besseres: Die Villen da drüben sind zum Meer hin alle offen, ohne Zaun, mit frei zugänglichem Garten und überdies fast alle nur am Wochenende von Hauptstädtern bewohnt. Gerade als der Mond dick und gelb aufgeht, plumpsen wir in das schönste Swimmingpool mit eingeschalteter Umwälzanlage. Das Wasser hat herrlich ideale Temperatur.... Wir beneiden keinen der Gäste des Luxushotels Paracas um ihre klimabelüfteten Zellen!

 

pelikan

Auf den rostigen Wracks einstiger Fischdampfer
hocken Pelikane dicht an dicht

 

Ein kleines Holzboot mit Außenbordmotor tuckert am felsigen Ufer vorbei, über dem sich riesige Sanddünen auftürmen. In der Bucht von Paracas wuseln und kreischen Möven und Kormorane, und auf den vergammelten, rostigen Wracks einstiger Fischdampfer, die hier und da im Seegang dümpeln, bis sie irgendwann dem Rostfraß erliegen und absaufen, hocken Pelikane dicht an dicht und machen griesgrämige Gesichter. Ich traue meinen Augen kaum, als gar ein Pinguin steuerbord durchs klare Wasser flutscht in diesem Vogelparadies. Die Eilande in der Bucht sind weiß vor lauter Vogelmist, dem Guano, der als natürlicher Dünger ein begehrter Exportartikel ist. Diese Felsen gehören den Tieren, die sich in der fischreichen Bucht sichtlich wohl fühlen. Angemeldet werden wir von den Pelikanen, die wie die Zinnen einer Burg in regelmäßigen Abständen hoch über uns am Rand der Felsen Wache schieben und uns missmutig beäugen, hereinbegleitet werden wir von den Möven, und empfangen von Antonio, dem Papa Seelöwe mit dem schicken Günther-Grass-Schnauzer. Alle seine 200 Gemahlinnen und 500 Nachkommen aalen und räkeln sich in der Sonne wie die Deutschen auf Mallorca, um sich dann, wenn ihnen der Pelz zu heiß wird, mit einem wohligen Grunzen ins Wasser platschen zu lassen, unter neidvollem Klicken der Touristen-Kameras. Am Nachmittag, wieder in Paracas, tun wir's den Robben gleich.

Der Weg weiter nach Süden führt zunächst noch einmal nach Pisco, wo es gleich wieder tönt: "A Lima, Lima!"

Wir kennen uns doch schon!.....

Der Schrotthaufen, der dann an der Busstation Richtung Ica, dem nächsten Städtchen im Süden, hielt, ist eine Beschreibung wert. Vor Urzeiten, das ist deutlich zu erkennen, war das mal ein Omnibus. Ob er wohl in den USA das Licht der Welt erblickt hat? Auf Grund von Farbresten lässt sich auch folgern, dass er einst blau gewesen sein muss, und meine Allgemeinbildung legt den Schluss nahe, dass die seitlichen Öffnungen vor Zeiten einmal mit Fensterglas gefüllt waren. Wo sonst die Tür zu sein pflegt, war gar nichts, was bei diesem Klima auch viel praktischer ist, während Reste der hinteren Tür noch vorhanden waren, mit Draht, Kordel aus verschiedenen Epochen und einem dicken Tau fest angebunden, damit das wertvolle Stück auch für die nächsten Jahrhunderte erhalten bleibe. Durch etliche Löcher verschiedener Größe im rostigen Fußboden, der niemals geputzt worden ist und an dessen Schmutzschichten man vermutlich das Klima der vergangenen Jahrzehnte ablesen könnte, lassen sich heiß gelaufene Füße ideal kühlen, während der übrige Körper, besonders Rücken und Sitzfleisch, an den rostigen Rohrskulpturen, die hier an Stelle von Sitzbänken vorzufinden sind, weniger Freude hat. Das Gepäck wird auf dem Dach festgezurrt, wobei der Busfahrer hurtig durch eine der Fensteröffnungen hinaufturnt, denn von einer Leiter, die einst zweifellos zum Zubehör gezählt hatte, sind nur noch die Löcher zu erkennen an den Stellen, an denen sie festgeschraubt gewesen sein muss. Zu unserer grenzenlosen Verwunderung gelang es dem Fahrer, das Vehikel in Bewegung zu setzen, und nach einer Viertelstunde, als ohne Zwischenfälle in flotter Fahrt wieder längst offene Wüste erreicht war, wurde dann der Fahrpreis kassiert.

Schon ab 9 Uhr wird die Hitze nahezu unerträglich, und der Blick schweift immer öfter und immer sehnsüchtiger zum Meer, das auf der rechten Seite die Wüste begrenzt. Man brummt zwar bisweilen durch Streckenabschnitte, in denen mickrige Mini-Palmen einen verzweifelten Kampf mit dem Wüstensand ausfechten und dadurch für etwas Abwechslung sorgen, doch ansonsten geht es die meiste Zeit durch sandige, weite, menschenleere Wüste, ganz so, wie man sie sich vorstellt. Wenn man den Ort, an dem Sandwüste und Ozean einander berühren, als "Sandstrand" definieren mag, dann besitzt Perú Tausende von Kilometern herrlichsten Sandstrand.

 

ica
Das Oasenstädtchen Ica, das auf allen Seiten von Sanddünen
umgeben ist wie von einer Stadtmauer

 

In dem Bus mit der fabelhaften Klimaanlage glasloser Fenster hatte sich die mittägliche Hitze nicht so bemerkbar gemacht; nun aber, mit Gepäck zu Fuß durch das Oasenstädtchen Ica, das auf allen Seiten von Sanddünen umgeben ist wie von einer Stadtmauer, das sind so die rechten Freuden des sonnenhungrigen teutonischen Touristen...! Eigentlich müsste es uns nach der guten Mahlzeit in der kleinen Picantería wieder besser gehen, aber wir hielten irrtümlicherweise das auf der Getränkekarte als Erfrischungsgetränk an prominenter Stelle aufgeführte "Inca-Cola" für eine peruanische Köstlichkeit; so musste noch ein dicker Nachtisch her, um den Nachgeschmack dieses Chemie-Destillats zu neutralisieren. Ein weiterer Irrtum war die Annahme, wir könnten nach dem Essen gleich weiterreisen, um am Abend noch Nazca zu erreichen, doch man sollte uns zugute halten, dass wir noch Greenhorns waren mit einem Zeitplan im Rucksack. Schließlich waren wir froh, dass wir immerhin noch ein Nachtbus-Ticket bekamen und im Busbüro auch unseren Rödel lassen durften. Der deutsche Globetrotter, der uns im Wartesaal mit Schauergeschichten von Überfällen der Straßenräuber in Colombia, von Attacken mit blankem Messer in Bolivia und weltmeisterlichen Diebstählen in Perú das Gruseln zu lehren versuchte, fand schließlich andere Opfer, die geduldig bewunderten, welchen Gefahren er kühn ins Auge geblickt hatte.

Ein Museum soll es in Ica geben. Nichts wie hin, denn uns bleiben noch vier Stunden bis zur Abfahrt des Busses. Im Innern des Museums ist es wenigstens ein bisschen kühler; die Scheiben beschlagen fast, so dampfen unsere Füße. Nie konnte ich die Leute, die sich in den Mittagsstunden zur Siesta niederlegen, besser verstehen! Klar, dass wir die einzigen Besucher waren, die die beiden vor sich hindösenden Wärter behelligten --- zum Kassieren wurden sie freilich munter. Das Museum übertraf alle Erwartungen. Hier hocken ausgezeichnet erhaltene Mumien aus der Nekropolis von Paracas in der kühlen Dämmerung und halten ewige Siesta, die Manta aus wunderbarem Gewebe in leuchtenden Farben um die Schultern gelegt; das Haar, von schön bemaltem oder gewirktem Stirnband gehalten oder zu langen Zöpfen geflochten, fällt in weichen, vollen Strähnen herab, und es ist schwer, sich vorzustellen, dass jene junge Mutter mit dem Kleinkind im Arm --- beide haben wohl den Geburtsvorgang nicht überlebt --- vor mehr als 1500 Jahren gelebt haben soll.

 

museo

Hier hocken ausgezeichnet erhaltene Mumien
aus der Nekropolis von Paracas

 

Ein anderer Raum enthält schönste Beispiele der Nazca-Keramik, schlichte Gefäße, aber herrlich bemalt. Ein Kolibri, der mit seinem langen Schnabel der Blüte nahetritt, ein Seevogel, der gerade sein Fischmenü verspeist.... Ein weiterer Raum mit Gerätschaft, metallene Tumis (Rundmesser zur rituellen Schädeltrepanation) der Mochica, Quipus (Knotenschnüre zur Darstellung von Zahlen) der Inca, Zeugnisse aus der Zeit, als América noch Kultur besaß.

Hinter der Hauptstraße liegt der Markt, dort, wo die Straßen nicht asphaltiert sind, wo man hundert Augen braucht wie der olle Argos, um Taschendiebe, quer liegende Hunde, Fahrräder, niedrig hervorstehende Querstangen der Marktstände, "Tretminen", umherwuselnde Kinder und deckellose Gullis gleichermaßen zu würdigen und zugleich einen Stand ausfindig zu machen, der Sombreros im Sortiment hat. Meine Nase gleicht nämlich in Farbe (rosalilarot), Gestalt (abstrakte Kunst) und Konsistenz (eher labil) weitgehend der peruanischen Zwiebel, nur mit dem Unterschied, dass sie sich von alleine häutet. Bevor ich es riskiere, nasenlos weiterzureisen und auf all die lieblichen Düftchen, die dem Land erst die rechte Würze verleihen, zu verzichten, handle ich mir lieber auf dem Mercado so einen Gringo-Filz ein, wie ihn die Witzblattfiguren aus der Zigarettenwerbung tragen. Solchermaßen auch noch der letzten Spur eines intelligenten Aussehens beraubt, verlassen wir das Städtchen im letzten Tageslicht in einem funkelnagelneuen Reisebus, an dem es ausnahmsweise nichts auszusetzen gibt.

 

 

"Das ist ja hier entsetzlich! Ich habe wirklich die Nase voll!"

Harte Worte aus zartem Munde, dem sonst lieblichere Töne zu entfleuchen pflegen. Zum elften Mal stößt der Zeltpflock auf steinigen Untergrund gleich unter der sandigen Oberfläche. Ich rackere mich ab wie einer, dem nicht nur die Nase, sondern auch das Hirnschmalz geschmolzen ist, und Mylady steht in der Finsternis und schmollt. Gewiss, es ist die Schuld des Organisators, dass wir hier in mondloser Nacht in wasserloser Geröllwüste gelandet sind, obwohl unser Bus durchaus bis nach Nazca weiterfuhr. Dass wir mitten in finsterster Ödnis zur Verwunderung aller Mitreisender ausgestiegen sind und nun mutterseelenallein in einer regelrechten Mondlandschaft hocken, in der kein Haus, kein Baum und kein Nichts zu sehen ist, das deutet auf ein klares Versagen der Reiseleitung hin. Aber wie konnte selbige auch ahnen, dass es sich bei den Teilnehmern der Expedition um solche Banausen handelt; anstatt sich in dem Bewusstsein zu laben, auf hochhistorischem Grunde, mitten in dem Gefilde der rätselhaften Linien und Scharrbilder der Hochebene von Nazca, zu stehen und das Organisationstalent anzuerkennen, dank welchem sich hier mitten in der Geröllwüste ein handtuchgroßer Zeltplatz auftat wie das Rote Meer vor Papa Moses, nein, stattdessen nichts als bittere Vorwürfe!

 

nazcalines

Mitten im Gefilde der rätselhaften Linien
und Scharrbilder der Hochebene von Nazca

 

Anderntags, als die gerade aufgegangene Sonne ihre schrägen Strahlen über die Ebene sendet, stehen wir schon auf dem Mirador, dem Aussichtstürmchen, das die Forscherin Maria Reiche hier hat errichten lassen, und in dem Licht-Schatten-Kontrast der Morgensonne lassen sich zwei kleine Figuren, die in Sichtweite in den Boden gegraben sind, erkennen.

 
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