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Von LIMA nach NAZCA
PERÚ ANNO DOMINIMCMLXXX
Eyne warhafftige historie
Uberauß
lustig / unt männiglich nützlich zu lesen / durch Franciscum Eschersheimerumzu Würtzburg am Mayn |
Das
Lächeln, das du aussendest, kehrt stets zu dir zurück. Indianisches Sprichwort |
Europa, du alte Genossin....
--- wer hat da gelacht?
Still, ihr Spötter, warum sollte man einen Südamerika-Reisebericht nicht mit dem Wort "Europa" beginnen? Ist denn nicht Europa das, was uns all das so exotisch erscheinen lässt, was außerhalb seiner Grenzen liegt und uns immerfort ruft und lockt?
Also, auf ein Neues:
Europa, du alte Genossin, lange genug habe ich mich mit dir begnügt, ja, auch vergnügt, ich gebe es zu.... Deine Reize sind mir auch jetzt noch lieb und teuer, und je mehr ich mich mit dir befasste, desto liebenswerter, reizvoller bist du mir geworden. Alle Reize aber unterliegen dem Gesetz der Gewohnheit, und wie der Mann, der um einer ordinären Bardame willen seine anmutige, geistvolle und kluge Frau vergisst, vielleicht, weil das neue Mädchen einen Augenaufschlag oder Gang hat, den er bei seiner Frau nie gefunden hat, so reizt auch den Liebhaber Europas das ferne Peru mit Namen, die er in Europa nicht findet, Apurimac , Arequipa , Yarina Cocha .... oder mit dem Zauber versunkener Kulturen, mit Göttern und gottgleichen Sagengestalten wie Viracocha , Manco Capac , Pachacamac ....
Der
Seitensprung ist beschlossene Sache.
Fast hättest du es geschafft, Europa, uns noch zurückzuhalten! Noch rechtzeitig aber entsann ich mich deines ungeschminkten Angesichts, der ungepuderten Öde deiner Innenstädte und Beton-Irrgärten; all dein Bruxelles-Flair kann das nicht vergessen machen, und mächtig rufen Wüste, Hochgebirge und Dschungel südlich des Äquators, den Asphaltwüsten, Hochhausgebirgen und Schilderdschungeln zu entrinnen, dorthin, wo solche Dinge noch nicht durch die künstlichen Vorsilben zivilisatorischer Umweltverschmutzung verdorben sind. Geh, Europa, deine Schminke ist aus Amerika, dein Puder made in Hongkong, dein Busen ein Produkt der Chemie-Industrie....!
Silbrige Fäden schlängeln sich wie betrunken durch ein grünes Moosbett, auf dem ein ständig bewegtes Schattenmuster spielt; einer dieser glänzenden Fäden, teils von wattigen, tiefen Wolken verhüllt, muss der Rio Orinoco sein, ein anderer der Rio Japurá, dann ein wesentlich dickerer Schlängelfluss, im Schatten kakaobraun, in der Sonne silbergleißend, den man Rio Amazonas nennt, und weiter drüben der Rio Marañón. Bald wellt sich das Moos aus der flachen Ebene, wächst auf Hügel hinauf, bis diese urplötzlich kahl werden: Nicht 10 m über einem Moosbett, sondern 10000 m über dem Regenwald Brasiliens ziehen wir dahin, und die Anden gleichen einer kalten, faltigen, spitzigen und lebensfeindlichen Marslandschaft. Nur 20 Minuten weiter wieder ein Meer, ein schmaler Küstenstreifen, eine weitflächige Stadt: Lima, die Hauptstadt von Perú.
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Die Anden gleichen einer
kalten, faltigen, spitzigen |
Wir sind tatsächlich angekommen in Perú.
"Gardez bien vos bagages!", lautete der letzte Gruß aus Europa. Nach 18 Stunden ohne Sonnenuntergang geht jetzt, im Reiche der Sonne höchstselbst, die Sonne um Punkt 18 Uhr unter. Ein leicht unbehagliches Gefühl beschleicht uns alle, die noch nicht wissen, wo wir die Nacht verbringen werden, nachdem wir aus dem sicheren Gruppendasein entlassen sind, und da stehen wir auf fremdem Kontinent in der Dunkelheit, mit schwerem Gepäck bei Fuß.
"Bus in die Stadt zu den Hotels nur 400 Soles (1,40 Euro)!"
Prima, prima! Wer da außer Ka und mir noch auf ein solches Gefährt angewiesen ist, sind alles Leute, die man wie uns bei Zoll und Passkontrolle besonders eingehend untersucht hat, denn in diesen vom Militär verwöhnten Breiten müssen bedrohlich friedfertige Utensilien wie Kochtöpfe, Gitarren und Schlafsäcke höchsten Argwohn erregen. Mit Handfeuerwaffen und Granaten im Koffer, aber einer Krawatte um die Gurgel würde man wahrscheinlich mit einer Verbeugung durchgewinkt werden.
Weh
uns, der "Bus" naht! Oh, Perú, deine Automobile!
Weite Plätze mit großstädtischen Palästen |
Nachdem wir die ganze
Farbskala der Busse von Lima |
...schauen wir in die
starren weißen Augen |
Die Garúa, der ewige,
trübe Grauschleier von Lima, weicht nun einem Dunst... |
Außer uns beiden teilten sich noch einige Frauen aller Altersstufen in das Glück, Lima verlassen zu dürfen, und dann glitt unser Gefährt über die Autobahn Panamericana-Süd, die eine breite Schneise durch den Slumgürtel im Süden von Lima schlägt. Nach knapp 10 km ist allerdings Schluss mit der Autobahn-Herrlichkeit, die Straße verengt sich zu einer normalen Landstraße, und weitere 10 km südlich ist sie bereits so schmal, dass zwei sich begegnende Lastwagen nicht aneinander vorbei kommen, ohne den Sand des Randstreifens zu einer gelben Wolke aufzuwirbeln. Limas Vororte stehen schon mit einem Bein in der Wüste; hat man erst die Stadt und auch den Müllring vollends hinter sich gelassen, beginnt die Wüste, alles Grün, alles Leben unmöglich zu machen. Die Garúa, der ewige, trübe Grauschleier von Lima, weicht nun einem Dunst, der die Glut der Wüstensonne in der Mittagshitze nicht abhält, sondern allein die Fernsicht auf die linker Hand vermutete Kette der Anden verhindert. Was sichtbar ist, so weit das Auge reicht, sind nur Hügel, steinige, erdige, sandige oder staubige Hügel, die in der flimmernden Hitze zeigen, was das Gegenteil von "Wasser" ist, sowie Sanddünen aller Größen und Farben, die oftmals so riesig hoch sind, dass man sie nicht eindeutig von echten Bergen unterscheiden kann. Das immer schmaler werdende Asphaltband der Straße windet sich geschickt durch die hügelige Einöde, deren gleißend helles Ocker das Auge rasch ermüdet. Das stürmisch anbrandende Meer zur Rechten, das mal näher rückt, mal hinter einer Düne verschwindet, bietet die einzige Abwechslung für die meiste Zeit der Fahrt. Der Verkehr, der anfangs, in der Nähe von Lima, auf der Panamericana herrschte, lässt schon bald nach; Busse und Lastwagen sind nun fast gänzlich unter sich.
Das immer schmaler werdende
Asphaltband der Straße |
Wo immer ein noch so mickriges Rinnsal Wasser aus den Bergen bringt, entsteht sogleich, wie aus dem Boden gezaubert, schlagartig eine Oase üppigster Vegetation. Hier ist jeder Quadratmeter genutzt, für Bananen-, Baumwoll-, Mais- und Zuckerrohr-Anbau oder als Weidefläche für Rinder und Ziegen; Gehöfte drängen sich unter den Schatten großer Palmen, und um sie herum wimmelt es von Bewohnern: Enten, Schweine, Kinder, Hühner....
Cañete, Chincha, Pisco, das sind die etwas größeren Orte auf dem Weg ---- idyllisch sieht keiner aus. Das schönste Stück aller Orte in Perú ist meist der zentrale Platz, die Plaza de armas, wo garantiert unter Palmen gepflegter Rasen (bitte nicht betreten!), Blumen, ein Denkmal und Bänke auf den müden Reisenden warten --- und die Schuhputz-Jungen; wurde hier nicht vor 6 Jahren die allgemeine Schulpflicht eingeführt?
"Mister, wo kommst du her?"
"Aus Deutschland."
"Ah, Alemania. Da kommen viele Leute her. Gestern waren auch zwei Deutsche hier. Hast du deutsche Münzen? Schenk mir welche!"
Eine Traube naseweiser Buben drängt sich um uns, denn hier gibt es doch erheblich weniger Touristen als in der Hauptstadt. Nach wenigen Minuten ist aber der Reiz des Neuen verflogen, zumal es bei unserem Schuhwerk zwecklos ist, mit Schuhwichs und Lappen ans Werk zugehen.
Die letzten 20 km bis Paracas sind ein kaum lösbares Problem, denn von allen Seiten tönt es uns aus dem Munde geschäftstüchtiger Colectivisten entgegen "A Lima, Lima!" Diesem Chaos sind wir doch gerade erst entronnen! In der anderen Richtung, nach Paracas, gibt es nach Auskunft freundlicher Zeitgenossen nur vormittags Transporte. Mit lokalen Bussen und mehrmaligem Umsteigen schaffen wir es aber doch noch und werden in dem kleinen, aber ganz hübschen Küstenort Paracas direkt vor dem Hotel abgeladen, in dem die Rucksack-Gringos üblicherweise einzukehren pflegen. Mit ausgebreiteten Armen kommt auch schon der Besitzer strahlend auf uns zu: "Wie viele Nächte...?"
Mal nicht so stürmisch, mein Lieber! Wozu schleppen wir eigentlich unsere gesamte Campingausrüstung durch die Geographie? Um hier am Meer, am sandigen Gestade, in ameisenreichen, miefigen Hotelzimmern zu ersticken? Ein Kompromiss: Wir wohnen in unserem Taschenbungalow, benutzen aber gegen Gebühr die sanitären Einrichtungen des Hotelchens und konsumieren Getränke und Frühstück, ist's recht?
BENUTZUNG DER EINRICHTUNGEN DES HOTELS ausschließlich FÜR HOTELGÄSTE |
steht groß angeschrieben, aber das Restaurant weist auch Sniekers-Piepel keinesweg ab, wenn sie sich da mal restaurieren lassen, um zu sehen, was Luxus auf peruanisch ist. Uniformierte Kellner, zahlreicher als zahlende Gäste, umschwirren uns und decken uns umgehend mit Menü-Karte, Servietten, Besteck, Blumen und Gläsern ein, bevor wir noch richtig sitzen. Die anderen Gäste, vermutlich alles betuchte Limeños, nehmen ausnahmslos mit Jackett, Dame und Bügelfalte Platz und belustigen uns mit ihren indignierten Blicken auf unsere Jeans und nicht mehr ganz blütenweißen Schuhe. Die Kellner hingegen zucken mit keiner Wimper und fahren alle georderten Köstlichkeiten auf, schenken Wein nach und sprinten, um die vergessene Karaffe eisgekühlten Wassers nachzuliefern. Cebiche de corvina, Ensalada de palta, Mariscos, Vino de Ica, Ensalada de frutas... Der Preis beträgt ziemlich genau das zehnfache dessen, was eine komplette Mahlzeit in Perú sonst kostet, aber nicht mehr als ein Jägerschniztel in einem Landgasthaus in Alemania.
Eine warme Nacht und ein selten klarer Sternenhimmel... Zum Duschen noch einmal in das schmuddelige Bad des Geräteschuppen-Hotels, wo es nach WC riecht und das Wasser nur spärlich aus der rostigen Dusche rieselt? Wir wissen was Besseres: Die Villen da drüben sind zum Meer hin alle offen, ohne Zaun, mit frei zugänglichem Garten und überdies fast alle nur am Wochenende von Hauptstädtern bewohnt. Gerade als der Mond dick und gelb aufgeht, plumpsen wir in das schönste Swimmingpool mit eingeschalteter Umwälzanlage. Das Wasser hat herrlich ideale Temperatur.... Wir beneiden keinen der Gäste des Luxushotels Paracas um ihre klimabelüfteten Zellen!
Auf den rostigen Wracks
einstiger Fischdampfer hocken Pelikane dicht an dicht |
Ein kleines Holzboot mit Außenbordmotor tuckert am felsigen Ufer vorbei, über dem sich riesige Sanddünen auftürmen. In der Bucht von Paracas wuseln und kreischen Möven und Kormorane, und auf den vergammelten, rostigen Wracks einstiger Fischdampfer, die hier und da im Seegang dümpeln, bis sie irgendwann dem Rostfraß erliegen und absaufen, hocken Pelikane dicht an dicht und machen griesgrämige Gesichter. Ich traue meinen Augen kaum, als gar ein Pinguin steuerbord durchs klare Wasser flutscht in diesem Vogelparadies. Die Eilande in der Bucht sind weiß vor lauter Vogelmist, dem Guano, der als natürlicher Dünger ein begehrter Exportartikel ist. Diese Felsen gehören den Tieren, die sich in der fischreichen Bucht sichtlich wohl fühlen. Angemeldet werden wir von den Pelikanen, die wie die Zinnen einer Burg in regelmäßigen Abständen hoch über uns am Rand der Felsen Wache schieben und uns missmutig beäugen, hereinbegleitet werden wir von den Möven, und empfangen von Antonio, dem Papa Seelöwe mit dem schicken Günther-Grass-Schnauzer. Alle seine 200 Gemahlinnen und 500 Nachkommen aalen und räkeln sich in der Sonne wie die Deutschen auf Mallorca, um sich dann, wenn ihnen der Pelz zu heiß wird, mit einem wohligen Grunzen ins Wasser platschen zu lassen, unter neidvollem Klicken der Touristen-Kameras. Am Nachmittag, wieder in Paracas, tun wir's den Robben gleich.
Der Weg weiter nach Süden führt zunächst noch einmal nach Pisco, wo es gleich wieder tönt: "A Lima, Lima!"
Wir kennen uns doch schon!.....
Der Schrotthaufen, der dann an der Busstation Richtung Ica, dem nächsten Städtchen im Süden, hielt, ist eine Beschreibung wert. Vor Urzeiten, das ist deutlich zu erkennen, war das mal ein Omnibus. Ob er wohl in den USA das Licht der Welt erblickt hat? Auf Grund von Farbresten lässt sich auch folgern, dass er einst blau gewesen sein muss, und meine Allgemeinbildung legt den Schluss nahe, dass die seitlichen Öffnungen vor Zeiten einmal mit Fensterglas gefüllt waren. Wo sonst die Tür zu sein pflegt, war gar nichts, was bei diesem Klima auch viel praktischer ist, während Reste der hinteren Tür noch vorhanden waren, mit Draht, Kordel aus verschiedenen Epochen und einem dicken Tau fest angebunden, damit das wertvolle Stück auch für die nächsten Jahrhunderte erhalten bleibe. Durch etliche Löcher verschiedener Größe im rostigen Fußboden, der niemals geputzt worden ist und an dessen Schmutzschichten man vermutlich das Klima der vergangenen Jahrzehnte ablesen könnte, lassen sich heiß gelaufene Füße ideal kühlen, während der übrige Körper, besonders Rücken und Sitzfleisch, an den rostigen Rohrskulpturen, die hier an Stelle von Sitzbänken vorzufinden sind, weniger Freude hat. Das Gepäck wird auf dem Dach festgezurrt, wobei der Busfahrer hurtig durch eine der Fensteröffnungen hinaufturnt, denn von einer Leiter, die einst zweifellos zum Zubehör gezählt hatte, sind nur noch die Löcher zu erkennen an den Stellen, an denen sie festgeschraubt gewesen sein muss. Zu unserer grenzenlosen Verwunderung gelang es dem Fahrer, das Vehikel in Bewegung zu setzen, und nach einer Viertelstunde, als ohne Zwischenfälle in flotter Fahrt wieder längst offene Wüste erreicht war, wurde dann der Fahrpreis kassiert.
Schon ab 9 Uhr wird die Hitze nahezu unerträglich, und der Blick schweift immer öfter und immer sehnsüchtiger zum Meer, das auf der rechten Seite die Wüste begrenzt. Man brummt zwar bisweilen durch Streckenabschnitte, in denen mickrige Mini-Palmen einen verzweifelten Kampf mit dem Wüstensand ausfechten und dadurch für etwas Abwechslung sorgen, doch ansonsten geht es die meiste Zeit durch sandige, weite, menschenleere Wüste, ganz so, wie man sie sich vorstellt. Wenn man den Ort, an dem Sandwüste und Ozean einander berühren, als "Sandstrand" definieren mag, dann besitzt Perú Tausende von Kilometern herrlichsten Sandstrand.
Das Oasenstädtchen Ica, das
auf allen Seiten von Sanddünen umgeben ist wie von einer Stadtmauer |
In dem Bus mit der fabelhaften Klimaanlage glasloser Fenster hatte sich die mittägliche Hitze nicht so bemerkbar gemacht; nun aber, mit Gepäck zu Fuß durch das Oasenstädtchen Ica, das auf allen Seiten von Sanddünen umgeben ist wie von einer Stadtmauer, das sind so die rechten Freuden des sonnenhungrigen teutonischen Touristen...! Eigentlich müsste es uns nach der guten Mahlzeit in der kleinen Picantería wieder besser gehen, aber wir hielten irrtümlicherweise das auf der Getränkekarte als Erfrischungsgetränk an prominenter Stelle aufgeführte "Inca-Cola" für eine peruanische Köstlichkeit; so musste noch ein dicker Nachtisch her, um den Nachgeschmack dieses Chemie-Destillats zu neutralisieren. Ein weiterer Irrtum war die Annahme, wir könnten nach dem Essen gleich weiterreisen, um am Abend noch Nazca zu erreichen, doch man sollte uns zugute halten, dass wir noch Greenhorns waren mit einem Zeitplan im Rucksack. Schließlich waren wir froh, dass wir immerhin noch ein Nachtbus-Ticket bekamen und im Busbüro auch unseren Rödel lassen durften. Der deutsche Globetrotter, der uns im Wartesaal mit Schauergeschichten von Überfällen der Straßenräuber in Colombia, von Attacken mit blankem Messer in Bolivia und weltmeisterlichen Diebstählen in Perú das Gruseln zu lehren versuchte, fand schließlich andere Opfer, die geduldig bewunderten, welchen Gefahren er kühn ins Auge geblickt hatte.
Hier hocken ausgezeichnet
erhaltene Mumien aus der Nekropolis von Paracas |
Ein anderer Raum enthält schönste Beispiele der Nazca-Keramik, schlichte Gefäße, aber herrlich bemalt. Ein Kolibri, der mit seinem langen Schnabel der Blüte nahetritt, ein Seevogel, der gerade sein Fischmenü verspeist.... Ein weiterer Raum mit Gerätschaft, metallene Tumis (Rundmesser zur rituellen Schädeltrepanation) der Mochica, Quipus (Knotenschnüre zur Darstellung von Zahlen) der Inca, Zeugnisse aus der Zeit, als América noch Kultur besaß.
Hinter der Hauptstraße liegt der Markt, dort, wo die Straßen nicht asphaltiert sind, wo man hundert Augen braucht wie der olle Argos, um Taschendiebe, quer liegende Hunde, Fahrräder, niedrig hervorstehende Querstangen der Marktstände, "Tretminen", umherwuselnde Kinder und deckellose Gullis gleichermaßen zu würdigen und zugleich einen Stand ausfindig zu machen, der Sombreros im Sortiment hat. Meine Nase gleicht nämlich in Farbe (rosalilarot), Gestalt (abstrakte Kunst) und Konsistenz (eher labil) weitgehend der peruanischen Zwiebel, nur mit dem Unterschied, dass sie sich von alleine häutet. Bevor ich es riskiere, nasenlos weiterzureisen und auf all die lieblichen Düftchen, die dem Land erst die rechte Würze verleihen, zu verzichten, handle ich mir lieber auf dem Mercado so einen Gringo-Filz ein, wie ihn die Witzblattfiguren aus der Zigarettenwerbung tragen. Solchermaßen auch noch der letzten Spur eines intelligenten Aussehens beraubt, verlassen wir das Städtchen im letzten Tageslicht in einem funkelnagelneuen Reisebus, an dem es ausnahmsweise nichts auszusetzen gibt.
"Das ist ja hier entsetzlich! Ich habe wirklich die Nase voll!"
Harte Worte aus zartem Munde, dem sonst lieblichere Töne zu entfleuchen pflegen. Zum elften Mal stößt der Zeltpflock auf steinigen Untergrund gleich unter der sandigen Oberfläche. Ich rackere mich ab wie einer, dem nicht nur die Nase, sondern auch das Hirnschmalz geschmolzen ist, und Mylady steht in der Finsternis und schmollt. Gewiss, es ist die Schuld des Organisators, dass wir hier in mondloser Nacht in wasserloser Geröllwüste gelandet sind, obwohl unser Bus durchaus bis nach Nazca weiterfuhr. Dass wir mitten in finsterster Ödnis zur Verwunderung aller Mitreisender ausgestiegen sind und nun mutterseelenallein in einer regelrechten Mondlandschaft hocken, in der kein Haus, kein Baum und kein Nichts zu sehen ist, das deutet auf ein klares Versagen der Reiseleitung hin. Aber wie konnte selbige auch ahnen, dass es sich bei den Teilnehmern der Expedition um solche Banausen handelt; anstatt sich in dem Bewusstsein zu laben, auf hochhistorischem Grunde, mitten in dem Gefilde der rätselhaften Linien und Scharrbilder der Hochebene von Nazca, zu stehen und das Organisationstalent anzuerkennen, dank welchem sich hier mitten in der Geröllwüste ein handtuchgroßer Zeltplatz auftat wie das Rote Meer vor Papa Moses, nein, stattdessen nichts als bittere Vorwürfe!
Mitten im Gefilde der
rätselhaften Linien und Scharrbilder der Hochebene von Nazca |
Anderntags, als die gerade aufgegangene Sonne ihre schrägen Strahlen über die Ebene sendet, stehen wir schon auf dem Mirador, dem Aussichtstürmchen, das die Forscherin Maria Reiche hier hat errichten lassen, und in dem Licht-Schatten-Kontrast der Morgensonne lassen sich zwei kleine Figuren, die in Sichtweite in den Boden gegraben sind, erkennen.