≪≪≪≪≪≪ M A D A G A S I K A R A ≫≫≫≫≫≫
August 1992
5
Viel
merkt ein Tourist
nicht davon, dass Madagaskar politisch am Brodeln ist. Am Tag vor
unserer Ankunft ein gescheiterter Putschversuch, in Toliara eine
Kundgebung, und hier und da ein paar Militärs oder Polizen,
Militessen oder Politärs, aber keineswegs mehr als in anderen
Ländern auch. Und bedrohlich wirken die Uniformierten auch
nicht, solange sie nicht in Rudeln daherkommen. In Toamasina
hielten rebellische Studenten den lokalen Radiosender besetzt,
was die Gendarmen indessen nicht sonderlich kümmerte; auch die
Bevölkerung fasste es offenbar mehr als eine Art Volksfest auf
und tanzte zu wilden Rhythmen, die einem Kofferradio entquollen.
Über die Hauptstraße spannte sich ein Spruchband mit
der
sinnreichen Drohung "Grève générale des
chômeurs"
(Generalstreik der Arbeitslosen), und es steht nur zu hoffen,
dass dieser Streik der maroden Wirtschaft des Inselstaates nicht den Todesstoß versetzen möge. Nicht auszudenken,
wenn sogar die
Arbeitslosen streiken!
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Die Arbeitslosen in Toamasina drohen mit Generalstreik!!!
Ansonsten
geht alles
seinen gewohnten Gang, und der sieht etwa so aus: Du gehst auf
der Suche nach dem AIR MAD-Büro durch den Industriehafen, da
kommt ein Mensch dahergespurtet, macht ein Täschel auf und
fingert ein Beutelchen raus: "Vanille, Vanille, wullewu
Vanille kaufen?"
Ich
wäre dem Burschen
beinahe um den Hals gefallen. Nie habe ich Vanille dringender
benötigt als am heutigen Tage. Was sonst hat uns wohl in das
Industrieviertel geführt als die verzweifelte Suche nach
Vanille? Du bist im Begriff, eine Bank zu betreten, da will dich einer
davon überzeugen, dass der Kauf einer lebenden
Schildkröte,
rund 8 Pfund schwer, unumgänglich ist. Im Freihafen soll man
sich mit Vanilljestangen eindecken und auf dem Flugplatz, vor dem
Einchecken, noch einen frischen Fisch in die Tasche stecken....
Absolut faszinierend, die madegassische Logik. Verständlicher
ist da ein anderer Zeitgenosse, der uns vom Hotel kommen sieht,
ein paar Kilometer vom Stadtzentrum weg.
"Sucht
ihr ein
Taxi?", fragt er sicherheitshalber und erbietet sich, uns
beim Heranwinken behilflich zu sein. Kann ich selber. Oder die
Stadt zu zeigen. Danke, bin schon mal hier gewesen, kenne mich
aus. Oder oder oder. Seine Freundlichkeit ist überbordend und
grenzenlos. Da hält ein Taxifritze, und unser Schmarotzer
springt mit rein, labert pausenlos weiter und hört erst auf,
als
er am Ziel angelangt ist. Wuppdich, hoppt er raus, natürlich
ohne zu bezahlen, und meint wohl, mit seinem Gequassel genug
geleistet zu haben, um auf Kosten der dämlichen
Ausländer einen
Fußweg zu sparen. Nicht die paar Pfennige wurmen mich,
sondern
die Frechheit, ausgenutzt, für stinkreich und obendrein
blöde
gehalten zu werden. Das soll, das schwöre ich mir, das letzte
Mal gewesen sein, dass uns einer so dreist verarscht.
Kaum geschworen, schon
verloren. Um 10 Uhr früh steht der verblüffte Tourist
vor dem
Service-Büro der saatlichen
Luftfahrtgesellschaft und sieht,
wie die Angestellten gerade die Gitter RUNTERLASSEN,
zu einer Stunde, wo sonstwo
die Läden aufmachen.
What is then here loose?
"Aujourd'hui
il y
a des événements", lautet die lakonische
Auskunft, am
Nachmittag sei wieder geöffnet. Mein Hinweis, einen
VIP-Empfehlungsbrief zu haben, verfängt nicht, denn die Chefin
ist auf Dienstreise in Tana.
Am
Nachmittag gibt's
offenbar noch immer oder schon wieder événements,
denn das
Gitter ist nach wie vor unten und es sieht nicht aus, als
würde
es sich bald wieder öffnen. Ein paar ratlose
Ausländer stehen
davor.
"Die
machen sicher
erst übermorgen wieder auf", sagt ein freundlicher Passant.
Wieso übermorgen?"Na, morgen ist doch Volksabstimmung!"
Ach
ja. Wieder eine
Probe für die Comédie mit dem Titel "Demokratie",
die
in Madagaskar schon seit Jahrzehnten auf ihre Première
wartet.
An solchen Tagen entfernt man sich besser aus Städten mit
Kasernen, wo Zeitgenossen mit Schießgerät den
Urnengang
überwachen.
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Wir finden Abhilfe. Am Abend fahren wir in einer ordentlichen Mietkarosse vorm Hotel Miramar vor, die uns eine kompetente Dame und ein kundiger Ingenieur von der landesweit operierenden Firma Aventours ruckzuck bereitstellten, nachdem wir uns vehement gegen das aufdringliche Ansinnen zur Wehr gesetzt hatten, zum Wagen den passenden Chauffeur (und Führer, Träger, Funker, Mechaniker, Koch und Leibwächter etc) mitzumieten; so sind wir ab morgen vorerst von Massentransportern und Fahrplänen, vom Frühaufstehen, Ticket-Besorgen und Wartereien verschont und rollen auf unseren eigenen Gummifüßen. Uns hatte gewiss doch die Glücksfee geküsst, dass wir gestern auf Anhieb ein ordentliches Automobil erwischten. Heute ist alles zu; Banken, Ämter und AIR MAD-Büro sowieso, es fährt keine Bahn, kein Bus, kein Taxi, kein Garnichts. ABER WIR! Nur zwei Fehlversuche, und schon schuckeln wir durch die Pneu-Killer-Schlaglöcher in die freie Prärie raus, auf die wie ausgestorben wirkende Chaussee nach -- Antananarivo! Nicht dass wir es vor Sehnsucht nicht mehr aushalten konnten; nur hatten wir in Soanierana-Ivongo bereits das Ende der asphaltierten Fahnenstange Ost erkundet. Wir sind noch immer schwarzbraun wie die Kokosnuss, denn von Regen war auch an der Ostküste keine Spur gewesen. Nun hocken wir im Schatten unseres Blechdachs und schleichen wie deutsche Sonntagsfahrer genüsslich durch die Vegetation, die willkommene Freiheit in vollen Zügen genießend. |
Hinter
Brickaville
springt einer auf die Straße und fuchtelt mit allen
Körperteilen wild um sich. Ein Medizinmann beim Versuch,
Daimlers Dieselgeist zu bannen? Oder ein neuer Trick, an die
Geldtasche von Automobilisten zu gelangen? Neugierig
verlangsamen wir das ohnehin gemütliche Tempo. Da
löst sich aus
dem Schatten der Büsche ein bärtiger Rucksack.
"My
name is
Keiser, how do you do."
Ein
Tramper aus
Südafrika, der mangels öffentlicher Transportmittel
in
Brickaville hängen geblieben war. Und der madegassische
Veitstänzer hatte sich seinetwegen todesmutig vor unseren Renner geworfen. Der Buren-Keiser gab dem Malagasy für seine
aufopfernde Hilfe nicht mal einen FMg Trinkgeld; das tat ich dann
schließlich, und der Apartheid-Kopp sah mich wahrscheinlich
für
einen Narren an, dass ich dem Kaffer auch noch Geld
nachschmeiße. Als er mir in Moramanga, wo er sich am
frühen
Nachmittag absetzen ließ, Geld für die
Beförderung anbot, nahm
ich genau den kleinen Betrag, den ich in Brickaville als
Trinkgeld gespendet hatte. Die Weißafrikaaner vom Kap
dürfen
erst seit wenigen Monaten schwarzafrikanische Staaten wie
Madagaskar bereisen, und nur mit einem 10-Tages-Visum. Da kann
man schwerlich erwarten, dass Buren in so kurzer Zeit lernen, als
weißer Massa anders als daheim hier nicht zum Geldscheffeln
und
Herumkommandieren, sondern einzig zum Geldausgeben zuständig
zu
sein.
Dem Urnengang sei Dank:
Auch die Bauarbeiter an der tückischen Brücke, in
deren Hand es
alltags liegt, Antananarivo und Toamasina zu verbinden oder
voneinander abzunabeln, durften heute dem Vaterland bei der
Demokratisierung behilflich sein, und wir rumpelten ungestört
über die Bohlen, wunderten uns aber, weshalb man ausgerechnet
diese Brücke so ausgiebig renoviert; wir haben wesentlich
baufälligere Stege erlebt.
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Beim --wievielten?--
Einzug in Antananarivo trauen wir unseren Augen nicht: Tana hat
sich unversehens in eine schnieke Weltstadt verwandelt! Das kann
doch nicht wahr sein! Welche Prinzessin hat diese warzige
Kröte
geküsst und in einen schmucken Märchenprinzen
verwandelt? Wo
sonst Tag für Tag das Marktgedränge wogt, wo
Dieselbrodel
wabert, wo Staubdünste und Menschenmeere das Stadtbild
ersticken, flanieren auf den breiten und leeren Prachtboulevards
nur vereinzelte Liebespaare, Studenten und Touristen, von den
wenigen, verloren wirkenden PKWs kaum gestört. Die Araben na
Fahaleovantena zeigt in der Nachmittagssonne ihre ganze
Schönheit, die Palmen sehen grün aus und nicht grau
wie sonst,
die filigrane Kolonial-Architektur des Hauptbahnhofs harmoniert
mit den champsélyséeischen Bauten, die den
Boulevard säumen,
und die Luft ist beinahe exportfähig.
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Leider war es dem
unbekannten
Simsalabim nicht gelungen, auch noch die Abfallberge und die
Schlaglöcher fortzuzaubern, aber wir wollen ja nicht
unverschämt sein. Ob wir diese paradiesische Leere dem
Generalstreik der Arbeitslosen oder der heutigen Generalprobe
für die Einführung einer afrikanischen Demokratur
verdanken,
ist ungewiss. Sicher hingegen ist nur, dass wir dem Autoverleih
dankbar sind, uns heute Flügel verliehen und einen
äußerst
seltenen Anblick von Tana beschert zu haben.
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Antsirabé, oder vielmehr Bad Antsirabé, ist DER Kurort auf Madagaskar. Wie der Schöpfer auf den Spleen gekommen ist, auf diesem tektonisch toten Eiland ausgerechnet in der Bergluft von Antsirabé heiße Quellen sprudeln zu lassen, sei seinem unergründlichen Ratschluss anheim gestellt. Die Franzosen, froh, auch fern der Heimat ein Vichy aufgetan zu haben, klotzten auf den Huppel nah der einzigen Therme eine Wuchtbrumme von Kur-Kasino, legten einen See an, bauten einen Bahnhof, zogen Platanen-Avenuen durch die Geografie und machten einen Kurpark aus der Steppe. Das muss man gesehen haben auf Madagaskar! Nichts wie hin! 160 sonnige Kilometer
auf einer Landstraße in passablem Zustand durch anmutige
Berglandschaft im eigenen Gefährt, da genießt der
Vazaha die
angenehmen Seiten seiner Madagaskar-Reise. Gut ausgestattet mit
frischem Brot und französischem Käse vom Morgenmarkt
in Tana,
das wieder zum staubigen Alltag zurückgekehrt war und uns in
die
eilige Flucht getrieben hatte, dazu ein Fläschel Rotwein oder
auch zwei, und ein kurzer Halt am Straßenrand, wo Frauen der
umliegenden Dörfer riesige Schüsseln voll frisch
gepflückter
Erdbeeren feilbieten. Damit sind alle Zutaten für das Picknick
im Schatten eines Wäldchens zur Mittagszeit komplett. Man muss
sich freilich vorsehen, wenn man am Straßenrand was einkauft.
Da
wird zwar, von Ananas bis Zuckerrohr, buchstäblich alles
angeboten, was sich ohne Tieflader transportieren lässt, aber
man bedenke, dass sich auf jedes Fahrzeug, das Anstalten macht
anzuhalten, drei bis fünf Verkäufer stürzen.
Wenn nun die
Erdbeer-Mädels gar gewahren, dass in dem bremsenden Wagen
Weiße
hocken, kommt alles, was laufen, rennen, humpeln oder krauchen
kann, hinterdreingestürmt. Sie schütten dir glatt die
Erdbeeren
zum Seitenfenster rein, um nur ja einen Geldschein aus der
vermeintlich prallen Brieftasche zu ergattern, denn wo bereits
zerlumpte Rucksack-Hippies als Rockefeller Junior auf Safari
betrachtet werden, kann ein Vazaha am Steuer eines
Benzinschluckers eigentlich nur Ona$$i$ inkognito
sein.
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Die einstige Therme ist heute das einzige passable Hotel in Antsirabé
Angesäuselt
vom vin
rouge, vollgestopft mit köstlich duftenden Erdbeeren, gegen
die
alle holländischen Treibhaus-Erzeugnisse wie abgestandener
Pappkarton schmecken, näherten wir uns erwartungsvoll dem
idyllischen Kurort Antsirabé, der uns bei der Ankunft jedoch
schlagartig ernüchterte und in die madegassische
Realität
zurückversetzte. Die Alleen: Eine Abfolge von Löchern
und
Mulden. Der See: Ein Schnakensumpf voller Müll. Die Hotels:
Man
wendet sich voll Grauen ab und landet, sofern man nicht im Auto
nächtigen will, im einzigen Nobelhaus am Platze, dem einstigen
Kasino, das heute Hôtel
des thermes heißt
und pro Zimmer eine
sechsstellige FMg-Summe verlangt. Dafür sind es allerdings
Zimmer, die andernorts Suiten genannt würden, mit englischem
Park hinterm Haus, Tennisplätzen und (wasserlosem)
Swimmingpool.
Dennoch ist die Vornehmheit nur Fassade: Man hockt kaum im
Zimmer, halb ausgezogen, den Rucksack-Rödel malerisch im
Zimmer
ausgebreitet, da klopft's, und eine Tante vom Hotelpersonal kommt
rein und packt Tischdecken aus. Service, service, staunt das
Greenhorn, aber die Alte denkt nicht daran, die Suite zu
verschönern, sondern will das Zeug verkaufen. Sehen wir aus
wie
Textilien-Einkäufer auf Akquisitionsreise? Ist das hier ein
Hotel oder ein Trödelmarkt? Weil das Personal beim Einchecken
angesichts unserer Trampsäcke auf Vorauszahlung Wert legte,
entledigten auch wir uns aller Reste von Stil, warfen die Tante
raus und spazierten zum Abendmahl in das gemütliche
China-Restaurant des Hotels Diamant am anderen Ende des Ortes,
dessen 12-seitige, eng beschriebene Speisekarte wahrhaft
eindrucksvoll und appetitanregend ist.
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Auch
bei Tage sucht man
in Antsirabé vergebens nach Eigenschaften, die mit
herkömmlichen Vorstellungen von einem Luft- und Thermal-Kurort
in Einklang gebracht werden könnten. Der Ort
versprüht den
gleichen Charme wie Tana: Staubreiches Marktgedränge und ein
desaströses Straßennetz, an dem täglich
mindestens zehn
Pousse-pousses zu Bruch gehen. Und die Leute sind noch eine
Nummer anhänglicher als in der Kapitale. Hält der
Motorist am
Straßenrand an, um mal auf die Wegekarte zu lugen, klopft ein
Mensch an die Scheibe und will uns dazu bewegen, in sein
Pousse-pousse umzusteigen. Hier gelten wahrhaftig andere Gesetze
der Logik. Beim nächsten Halt kommt einer mit einem Pferd und
erwartet offenbar allen Ernstes, dass wir die Karre stehen
lassen, um die 90 km nach Fianarantsoa zu reiten.
Zugegeben,
auf dem Gaul
hätten wir Fianarantsoa womöglich sogar erreicht.
Nach den
ersten sieben asphaltierten Kilometern ging die Nationalstraße
jedoch
in einen derart naturnahen Zustand über, dass wir nach etwa
einer Stunde Kampfes mit Stock und Stein, Fels und Sand kehrt
machten, denn unseren fahrbaren Untersatz hatten wir als
unersetzlich schätzen gelernt und wollten ihm und seinen Pneus
nicht vorschnell den Garaus machen. Ein paar Meilen außerhalb
des Ortes, der uns, ähnlich wie Tana, anscheinend nicht aus
seinem Bannkreis entlassen mag, gibt es einen richtigen See, um
den Zebus weiden und in dem Frauen baden, Wäsche und ihre
Haare
waschen. Diesen See bewohnt ein offenbar allergischer Gott, denn
man darf weder Schweinefleisch hineinwerfen noch Seide darin
waschen. Das hatten wir allerdings auch nicht vor; nach einem
gemächlichen
Mittagspicknick setzten wir unser Gefährt mit dem Versprechen
in
Bewegung, ihm keine Ratterschüttelholper-Strapazen mehr
zuzumuten. Dies lässt, außer der Rückkehr
nach Tana, nur eine
Piste offen, nämlich die nach Miandrivazo. Was es da zu sehen
gibt, weiß ich nicht. Dieses über 300 km entfernte
Nest ist
nicht prominent genug, um in Reiseführern verzeichnet zu
stehen;
das gleiche gilt auch für die anderen Orte auf der Strecke.
Solcher Bedeutungslosigkeit verdankt die Straße aber
zweifellos
ihren luxuriös anmutenden Zustand.
Unser
Rolli schnurrt
munter über die Fahrbahn, glatt wie ein Baby-Popo, und an der
einzigen Stelle, die durch hässliche Löcher
verunstaltet ist,
werkelt eine Schar von Knirpsen mit Schaufeln und Besen; sie
füllen die Löcher mit Erde und Sand auf und
brüllen, wenn ein
Auto naht, aus Leibeskräften, um das Motorengeräusch
zu
übertönen:
"Mentenans
delarutt!"
Dabei
halten sie ihre
Mützen hin und kriegen, vielleicht, ab und zu von dankbaren
Automobilisten ein Scheinchen reingeworfen für die emsige
maintenance de la route.
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Diese Gegend mit ihren
Dörfern Betafo, Soavina und wie sie alle heißen, mag
zwar ohne
touristische Sehenswürdigkeiten sein, für uns hat
sich der
Ausflug aber gelohnt. Die bergige Landschaft, von tiefen
erodierten Schluchten durchzogen, präsentiert sich fotogen in
der Nachmittagssonne. Die Merina-Frauen, die ihr langes, glattes
Haar zu Zöpfen gewunden unter den Sonnenschutz-Hüten
hervorbaumeln lassen, gleichen, mit ihren Babys auf dem Buckel,
von hinten den Indias in den Anden, aber ihre Häuser, mit
luftgetrockneten Lehmziegeln mehrstöckig erbaut, sehen mit
ihren
Beatle-Frisur-Grasdächern wesentlich ulkiger aus als die
Bauten
der andinischen Indios.
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Supermarkt an der Straße nach Miandrivazo
Ab und zu fahren wir unsere Kalesche hinter eine Hecke nahe der Straße, schließen gut zu und folgen dann einfach einem Trampelpfad ins Landesinnere. Mal nach wenigen hundert Metern, mal erst nach einigen Kilometern endet der Weg dann in einem abgeschiedenen Dorf, und weil dessen Bewohner angesichts ausländischer Invasoren davonlaufen oder sich in ihren Hütten verschanzen, tippeln wir dann eben, um nicht noch mehr Furcht und Schrecken zu verbreiten, wieder zurück, die reine Luft, Stille und Aussicht genießend. Und dann fahren wir ein paar Kilometer weiter und stapfen erneut durch die baumlose Wildnis. Die Bildungsfrucht dieser Spaziergänge: Wo immer ein Gewächs im Verdacht steht, zu einem Baum heranwachsen zu wollen, kommt alsbald ein Mensch mit Axt und verarbeitet den Kümmerling zu Brennholz. Ungezählte Baumstümpfe und Hackspuren zeugen von den unbarmherzigen Feldzügen gegen Baum und Wald, und was da an den fruchtbaren Hängen noch gedeiht, reicht uns nur selten bis zum Bauchnabel. Entweder wird demnächst eine neue, unerschöpfliche, auch für die Ärmsten erschwingliche Energiequelle gefunden, oder der letzte Baum Madagaskars wird noch vor dem Jahr 2050 fallen. Aber selbst wenn es bis ins letzte Dorf Strom gäbe, brauchten die Leute Geld, um Elektroherde zu kaufen. Dann ziehen sie in die Städte, um Geld zu verdienen. Die Städte verslumen, Gewalt und Drogen breiten sich aus undsoweiter, siehe Mexico City, Nairobi, Mumbay, Dacca oder São Paulo... |
Vorne
auf der Chaussee
ist was los: Ein Menschengewimmel, ein Fest-Umzug! Die Band mit
selbstgebasteltem Musikgerät trommelt und pfeift vorneweg,
gefolgt von ein paar muskulösen Jünglingen, die ihr
Dorfheiligtum geschultert haben, und hinterdrein eine tanzende,
lachende, ausgelassene Meute, die sich um die bleichgesichtigen
Fotoreporter, die da aus dem Mietwagen geturnt kommen und wie
wild um sich knipsen, nicht die Bohne kümmern und uns
allenfalls
freundlich zuwinken. Eine feuergefährlich hochkonzentrierte
Wolke von Rumgeist bildet den Abschluss des Festzuges; da
unterscheidet sich Madagaskar keinen Deut von anderen Kulturen.
Bei vergleichbaren Naturvölkern, etwa den Eingeborenen von
Oberbayern, gilt die gleiche Devise: Man ehrt zwar seine
Götter,
die wahre Verehrung jedoch gilt jenem heiligen Geist, der den
Spirituosen innewohnt. Ihm seien Ehre und Preis, und uns der
Rum....
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Festumzug zu Ehre, Preis und Rum von Sankt Spirituos
≪≪≪≪≪≪≫≫≫≫≫≫
Um das
letzte größere Ziel auf Madagaskar zu erreichen,
müssen wir,
mal wieder, nach Tana. Wer konnte ahnen, dass die simple
Rückfahrt von Antsirabé ein tagesfüllendes
Programm für uns
auf Lager hatte? Kurz vor Mittag der Auftakt: Ein Dorf am
Straßenrand, in dem eine gewaltige Fête in Gang
war. Die
Bewohner aller Nachbardörfer drängelten sich zwischen
Häusern
und auf der Wiese, es roch, schon wieder, nach Rum und Braten.
Wer könnte da dran vorbeifahren? Natürlich waren wir
die
einzigen Fremden, schließlich ist Madagaskar nicht Mallorca,
und
so ein Dorffest ist kein internationales Filmfestival. Aber
Musicke gibt's trotzdem, und nicht zu knapp. Drei oder vier
Combos mit beuligen Trompeten, geflicktem Schifferklavier, mit
Fiedeln, Klarinetten und allem, was sonst noch zum Lärm machen
geeignet ist, legen einen zünftigen Afro-Jazz hin, dass selbst
den unmusikalischsten Zeitgenossen das Tanzbein juckt und zuckt.
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Afro-Jazz mit Pauken und Trompeten
Unser
Erscheinen brachte die Fiedler und Trommler nur kurz aus dem
Rhythmus; zwar grüßten wir artig nach links und
rechts
"Salama", wie es sich für Gäste geziemt, wurden aber
dennoch bestaunt wie Marsmenschen, die soeben einem UFO
entstiegen sind. Zaghaft nur trauten sich in unserer Anwesenheit
die Leute, zur Blasmusik zu tanzen; als erste hüpften die
Kinder
los, und dann gab es kein Halten mehr, Tanz und Musik liegt den
Leuten einfach im Blut, und die Dorfjugend wollte unsretwegen
nicht länger auf ihre Gaudi verzichten.
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Vazaha sind gekommen!!! ---- Neugier, Freude, Erstaunen und Misstrauen in den Gesichtern
Auf
zahlreichen offenen Holzfeuerchen brutzelte und kokelte es, in
riesigen Töpfen, in die durchaus auch ein Missionar als
Suppeneinlage passen würde, brodelte und blubberte es, jede
zweite Hütte war zum Rum-Ausschank umfunktioniert worden. Uns
duldete man zwar mittenmang, machte uns überall Platz, wo wir
hingingen, und musterte uns mit einer Mischung aus Neugier und
Verwunderung, aber niemand versuchte, uns anzusprechen oder uns
was zu zeigen, keiner bot uns was an oder lud uns zum Mittanzen,
Mittrinken, Mitfeiern ein, wie es jedem Ausländer bei Festen
in
Asien unweigerlich geschähe. Immerhin dachte auch keiner dran,
uns irgendwas verkaufen zu wollen. So machten wir, nachdem wir
die Leute --und die Leute uns-- sattsam angeglotzt hatten, die
Mücke und rauschten weiter gen Tana.
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