≪≪≪≪≪≪ M A D A G A S I K A R A ≫≫≫≫≫≫
August 1992
6
Es dauerte freilich keine Viertelstunde, bis ich wieder in die Bremsen stieg; noch ein Volksauflauf nahe der Straße, wo freilich keine Wohnhütten, sondern aus Lehm gemauerte, aber fensterlose Häuser standen. Mir schwante schon, was da passieren würde, ich hatte den Reiseführer gut gelesen. Die Merina bauen für ihre Verstorbenen nämlich luxuriöse Paläste, um die sie die Lebenden nur beneiden können. Einmal alle fünf oder sechs Jahre feiern sie eine Famadihana, das Totenfest. Da werden die Leichen aus den Gräbern geholt und während eines mehrtägigen Festes im Familienkreis willkommen geheißen. Man glaubt, wie auch in anderen Religionen, dass die Ahnen irgendwie weiterleben. Die Vorstellung, dass mit dem Tod alles aus sein sollte, ist den Menschen in allen Erdteilen gleichermaßen unerträglich. Wenn man also glaubt, dass die Toten nicht tot sind, muss man sie auch über die familiären Ereignisse auf dem Laufenden halten; wer wen geheiratet hat, wie viele neue Ururururenkel inzwischen zur Weltbevölkerungsexplosion beitragen, wie viele Bäume neu abgehackt wurden und um wie viele Zebus sich der Bestand der Sippe vermehrt hat. Als wir hinzukamen,
erklomm just der Ombiasy (Medizinmann) ein Grabhaus, über
dessen
zugemauerten Eingang das heutige Datum, 22 Août 1992, frisch
aufgepinselt war, und hielt eine rumreiche Ansprache, zu der ein
beschwipster Alter aus der Menge, wohl der allseits respektierte
Dorfschulze, ausführlich Gegenrede und Antwort stand. Wir
glaubten schon, das werde ein endloses Palaver, aber weil den
Rednern der Sprit auszugehen und ein rumloses Ende der Zeremonie
drohte, purzelte der Ombiasy flugs vom Dachl und gab das Zeichen
zum Beginn der Arbeiten. Die Erdgräber der letzten Jahre
wurden
aufgebuddelt und das Mausoleum geöffnet. Darin liegen die
älteren Ahnen, etwa dreißig in weiße, vom
Zahn der Motten
freilich graubraun genagte Stoffbahnen gewickelte Mumien, die
nach und nach herausgeholt wurden.
|
Leiche auf Urlaub vor dem Umtopfen
Die Frauen jeder
Familie hockten sich um die Leiche auf Urlaub, wiegten und
streichelten das längliche Totenpäckchen,
schluchzten, heulten
und stimmten eine Art Wiegenlied an, bevor die männlichen
Angehörigen den Grufti auspackten und in frische
Tücher
wickelten. Währenddessen sind auch die Erdgräber
offen, und aus
den schlichten Särgen kamen ähnliche, frischere,
wenngleich
etwas angefaulte Leichenbündel zum Vorschein, die man ohne
weiteres als Vogelscheuchen verwenden könnte. Auch die wurden
umgetopft, frisch verpackt und von den Klageweibern bewimmert und
befingert, während die Männer mit Eifer
dafür sorgten, dass
wenigstens der Rum in den Leibern der Lebenden begraben werde.
|
Klageweiber wiegen singend die Ahnen
Trotz
des Heulens und
Zähneknirschens der Frauen, das dem jüngsten Gericht
alle Ehre
machen würde, ist diese Auferstehung der Toten keineswegs eine
friedhofspietätvolle Angelegenheit. Gleich nebenan schrummt
und
fiedelt schon wieder ein Jazz-Trio, Teenies hopsen und rumvolle
Würdenträger lallen im Afro-Rhythmus derart
enthusiastisch mit,
dass zu befürchten steht, die Toten wachen ob des
Getöses
unsanft auf. So eine Famadihana
mitzuerleben, die ohnehin nur alle Jubeljahre veranstaltet wird,
vorwiegend in entlegenen Dörfern und ohne
Vorankündigung, ist
ein seltener Glücksfall und Höhepunkt einer
Madagaskar-Reise.
Es gibt in diesem Land weder Burgen noch Schlösser, keine
Tempel
und Ruinen; das Interesse des Besuchers gilt daher vorwiegend der
Natur und dem Brauchtum, dessen Nonplusultra eben die Famadihana
ist. Wir verdanken diesen Zufallstreffer unserer Eingebung, uns
vorübergehend, trotz der wahrhaft afrikanischen
Straßenlage,
motorisiert zu haben. Sonst wären wir vermutlich im
proppevollen
Karacho-Bus mit langen Gesichtern an all den Fêten
vorbeigedonnert.
|
Vom Dach des Grabes hält der Ombiasy seine Ansprache
≪≪≪≪≪≪≫≫≫≫≫≫
Zunehmende
Verkehrsdichte, vermehrte Schlagloch-Fallen und immer
verschmocktere Großstadt-Lüfte: Tana, Tana, wie
liebe ich dich
! Sonntagmorgen,
früh um
halb acht. Zwei Ladies aus Südafrika warten ebenso
nervös wie
wir auf den schlaftrunkenen Boy des Hotels "Au cheval
blanc", der uns zum Flughafen fahren wollte. Unsere
Mietkarosse sind wir wieder los, um halb neun wollen wir mit AIR
MAD auf die Insel Nosy Bé düsen. Der Fahrer
fährt erst die
Blumenrabatte im Vorgarten zuschanden, bevor er richtig wach wird
und mit fast einstündiger Verspätung doch noch den
nur 8
Minuten entfernten Airport erreicht. Noch steht die Karre nicht
recht, da stürzt sich schon eine Meute von Jungs auf den
Kofferraum und reißt Taschen und Päcke an sich. Ein
schriller
Schrei des Schreckens, im Duett von den beiden Tanten
ausgestoßen, lässt die "Räuber" erstarren.
"Wir
tragen unsere
Sachen selbst!"Gibt's das auch in
Südafrika? Nun, die beiden Damen sind erst vor wenigen Jahren
aus Frankreich zugewandert und haben noch europäische
Koordinaten im Kopf. Andrerseits brauchen wir wahrhaftig keine
Träger für die 9 Meter bis zum Eingangsportal und von
da die 14
Meter zum Check-In. Und auch die Eile war unnötig, der Flug
hat
mehr als 2 Stunden Verspätung.
|
Nosy
Bé
(Große Insel)
im Nordwesten von Madagaskar ist das größte der
Eilande, die
Madagaskar an dieser Ecke belagern. Und das rumreichste und
teuerste obendrein. Schon die Fahrt vom Flughafen bis nach
Ambatoloaka kostet stolze 7500 FMg pro Haupt, denn der Airport
ist sinnigerweise am fernsten Ende der Insel gelegen, um das
Hauptdorf Hellville nicht aus seinem behäbigen
Tropen-Dösen
aufzustören. Nach Ambatoloaka fuhren wir nur, um den beiden
ganz
patenten südafrikanischen Französinnen beim
Mittagsmahl
Gesellschaft zu leisten. Als wir den Preis vernahmen, den ihr
Strandhotel zu verlangen wagt, machten wir kehrt: Das Siebenfache
dessen, was das "Weiße Rössl" am Airport zu Tana dem
Gast abknöpft. Freilich steht Nosy Bé im Ruf, die
Costa Brava
von Madagaskar zu sein, drängen sich doch bis zu sieben
Strungalotels (Strand-Bungalow-Hotels), sämtlich auf gehobene
Ansprüche und gespickte Geldtaschen zugeschnitten, an den
Gestaden, und das färbt auf die Preise spürbar ab.
Aus dem kostspieligen Bungalow-Dorf will uns jedes vorbeifahrende Vehikel fortschaffen, das Taxi-Schild griffbereit unter dem Fahrersitz, und scharf auf alle Vazaha-Devisen. Dabei gibt es außer diesen Raffgeiern auch demokratischere Transportmittel. Das Sammeltaxi, das wir erwischten, trieb die Demokratie freilich ins Extrem. Wie viele Leute passen in einen R4? Wir haben es am eigenen Leib ausprobieren dürfen: 15 Personen und ein Baby, das Gepäck nicht mitgezählt, quollen aus dem geplagten Rostmobil; Kazuko lag quergestapelt über einem Knäuel Leuten auf der Hinterbank, und ich hing zu drei Vierteln hinten aus der Heckklappe raus, die glücklicherweise hielt, obwohl sie noch drei anderen zahlenden Passagieren als einziger Halt diente. Trotzdem rumpelte der Behelfsbus mit gut 80 Sachen durch die Schlaglöcher, und dass unterwegs nur einer der antiken Reifen schlapp machte, wundert mich bis heute. Hellville erreicht mit Müh und Not, aber für nur 1000 FMg, und das war der Sinn der Übung. |
Deutschen
Gemütern
suggeriert der Name des Hauptortes Licht und Sonne; britische
Ohren denken wohl mehr an Orkus und Schwefel. Recht haben alle
beide: Tatsächlich verströmt hier auch im tiefsten
Winter die
gleißende Sonne höllische Hitze, und für
infernalische
Rüchlein sorgen die müffelnden Abfallberge rund um
den Markt
und in den Gärten der einstigen Strandvillen aus der
Kolonialzeit, die jetzt von vermehrungsfreudigen Malagasy behaust
sind, in jedem Zimmer eine Großfamilie. Sonst aber geht es
eigentlich ganz friedlich zu. Wenn man vornehm über den
Müll,
Rost und Verfall der Jahrzehnte hinwegsieht, wirkt der Ort
beinahe nobel; die lang gestreckte Haupt-Avenue, die zum Hafen
hinunterführt, erinnert mit ihren schattenspendenden
Alleebäumen an die Pracht vergangener Zeiten. Es gibt sogar
eine
ruinöse, stellenweise auch als Erdrutsch
strandabwärts
gegangene Uferpromenade mit halb zugewachsenem Blick aufs Meer,
und hinter dem grünbunten Vorhang von Unkraut und Unrat
bröseln
die Reste der ehemaligen Prunkpaläste vor sich hin, zernagt
von
der Karies der Zeitläufte. Unbekümmert prachtvoll
ranken sich
nur die üppigen Bougainvillea um die Ruinen, und wenn sie
duften
könnten wie Rosen oder Orchideen, würden sie
vielleicht sogar
den Drittweltruch von Müll, Urin und Dieselruß
gnädig
parfümieren.
|
Am späten Nachmittag tapern wir durch den Slumgürtel am Rand des Hafens, denn da legen angeblich zu dieser Stunde Pirogen ab zu den Nachbarinseln. Wir wollen auf das kreisrunde Vulkaninselchen Nosy Ambariovato, für Touristen und andere Fremdlinge einprägsamer auf Nosy Komba getauft, auf dem es nur zwei kleinste Dörflein gibt. Diese straßen- und autolose Insel ist ein Reservat für Lemuren, denen wir noch einmal auf den Pelz rücken möchten. "Pirogen?? Die
fahren morgens um sieben!", gibt lässig ein Mensch vor einer
der
grauschwarzen Wellblech-Hütten Auskunft. Nicht zu glauben. Die
Reiseführer beharren einstimmig auf ihrer Version, dass abends
die Leute vom Hellville-Markt mit ihren Einbäumen zu den
Nachbarinseln lospirogieren und die zwei Meilen entfernte, just
gegenüber sichtbare Insel Nosy Komba gerne ansteuern, wenn
weiße Geldbringer mitzufahren wünschen. Aber auch
andernorts
ward mir die gleiche negative Auskunft, und in der Tat sah das
mit Gerümpel übersäte Meeresufer nicht allzu
pirogenträchtig
aus. Sollten wir schon wieder, wie vor Nosy Boraha, die Flinte
ins Zuckerrohr werfen müssen?
Eingedenk der hiesigen
Hotelpreise soll das Glück auf Biegen und Brechen
herbeigezwungen werden und nichts unversucht bleiben, um trotzdem
unsere einsame Traum-Insel zu erreichen. Noch heute. Auf geht's,
in den Hafen! Dort aber, oh weh, dümpeln in der Abendsonne
nur
wenige rostrote Seelenverkäufer vor sich hin, die nicht so
aussehen, als würden sie je wieder in See stechen. Eine flotte
Segelyacht kommt gerade von einem Törn zurück; auch
das ist
kaum das Richtige für uns. Verflixt nochmal, da schiebt sich
eine Piroge in unser Blickfeld, von links, wo wir zuvor nach
Booten gefragt hatten, die offene See anstrebend! Sogar mit
Segel versehen, reitet das Ding flott über die Wellen in
Richtung Nosy Komba. Wo kommt die denn her? Wir winken und
brüllen und hüpfen wie Lambada-Tänzer im
Koksrausch. Trotz der
Entfernung werden die Pirogisten auf uns aufmerksam. Sie winken
und brüllen zurück, machen aber keine Anstalten,
umzukehren und
noch zwei Paxe an Bord zu hieven. Das war's wohl für heute.
Adieu, Nosy Komba, Einsamkeit, Wildnis und Lemuren....
Südländische
Leser
sind mit dem, was nun folgt, kaum zu beeindrucken; japanischen
Fleißlingen hingegen sei ein dickes Lob des italienischen
Dolce
farniente hinters
Ohr gerieben. Wie
nutzbringend auch mal ein faules Herumlungern sein kann, zeigte
sich im Verlauf der restlichen Stunde bis zum Sonnenuntergang,
den wir nämlich doch noch auf Nosy Ambariovato erlebten.
Und
das ging so: Wir blieben einfach
faul da. Ist es nicht auch ganz romantisch, wie Otis Redding
on
the dock of the bay
zu
hocken und in die
rotgüldenen Abendwellen zu blinzeln, die eine immer kleiner
werdende Segelpiroge durchfurcht? Schließlich sind wir zum
Urlaubmachen hier und nicht zum stressig-manischen
Organisierhetzhastrennen. Lieber schlagen wir unser Taschenhotel
auf dem Anlegesteg auf als jetzt nochmal in Panik in die
müllduftige Oberstadt zu hecheln, Transfer, Quartier,
Menü,
Tickets und wasweißich zu besorgen, nach Banken,
Ämtern,
Büros, Information, Restauration, Gastronomie, Hotellerie und
Taxisten zu suchen und überall ein lappriges Scherflein zu
spenden. Schluss damit heute, es reicht uns einfach, jetzt machen
wir
moramora!
|
Und siehe da, es brümmelt was von der See her, und nicht lange, da rumst eine Art Badewanne mit Außenbordmotor an die Mole und entlädt ihre Fracht von acht Globetrottern toskanischen Mutterlautes, die auf meine Frage hin kund taten, soeben von der Lemureninsel gekommen zu sein. Und der junge Schiffer war willig, für uns heute Abend noch eine Extra-Tour zu fahren, für 10 000 FMg. Und schon zischte und gischtete die Yamaha-getriebene Bütte über die Wellenkämme, überholte besagten Segel-Einbaum und knirschte knapp 20 Minuten später in den Sandstrand von Nosy Ambariovato. Ha, da waren wir also! Wer auf diesem Inselchen geduldig den Strand entlang watschelt, kommt nach spätestens drei Stunden wieder da an, wo er losmarschiert ist. Da passt also nur ein Dorf drauf, und noch eins oben am Krater des eingeschlafenen Vulkans, dem das Eiland sein Dasein verdankt. Fremde Besucher müssen dennoch keineswegs auf ein Robinson-Crusoe-Leben gefasst sein, denn gleich zwei Etablissements halten Gäste-Bungalows im Stil der örtlichen Architektur für reisende Lemuren-Fans parat. Dort logierten wir, wie die Einheimischen, in Holz- und Grashütten, die wir in der Nacht mit Heimchen teilten, die uns die Ohren vollzirpten, und mit anderem Geziefer, als da wären Heerscharen von Schnecken und Schnaken, welche die weit klaffenden Spalte zwischen den Lattenwänden wohl als Einladung missverstanden. Obwohl angeblich ein (derzeit abwesender) Allemand, das einzige auf der Insel ansässige Bleichgesicht, den Laden managen soll, war von preußischer Perfektion nichts zu spüren; das originell durchlöcherte Moskitonetz bot jedenfalls keinen Schutz vor nächtlichen Luftangriffen der blutrünstigen Flug-Draculas, so dass wir uns vom harzigen Qualm japanischer Moskito-Coils umschmaucht der unfreiwilligen Blutspende entzogen. |
Einen Abort hat die
tierliebe Villa ebenso wenig wie elektrische Leitungen; dafür
beginnt der Busch gleich hinter der Rückwand. Es ist jedoch
ratsam, auf Austritte während der Nacht zu verzichten, weil
die
Vormieter mit ihren Notdurftmarken den Vorgarten des Palastes
geziert haben. Immerhin rinnt Quellwasser aus einer hölzernen
Pipeline, die im Dusch-Erker endet, und Dutzende von Fröschen,
denen man beim Kerzenschein beinahe auf die Pfoten tappt, duschen
freudig jauchzend gleich mit.
Plumps, sagt es, und,
kaum in den Schlaf gezirpt, erwacht der Stadtmensch, weil ihm ein
Frosch im Eifer der nächtlichen Grillenjagd auf den Wanst
gehoppt ist. Dreht sich der Vazaha um und drückt die Augen zu,
um noch eine Mütze Schlaf zu fassen, kräht der erste
Hahn los
und gibt das Kommando für sämtliche Gickel der
umliegenden
Hütten, in einem Bremer-Nachtmusikanten-Wettbewerb
loszukeckern.
Kein Wunder, dass sich auf dieser naturnahen Insel auch Lemuren
wohl fühlen!
Die kommen in den
Vormittagsstunden aus dem Busch geflitzt, sausen durch Blattwerk
und Gebälk, greifen sich Gemüseabfälle und
vegetarische Reste
des Abendmahles, kiebitzen und stibitzen, um dann das Geknatter
der Boote voller Touristen zu erwarten, die in Gruppenexkursionen
von den feinen Strungalotels hier Tag für Tag einfallen, den
Dorfleuten alle faulen und schimmeligen Bananen abkaufen und an
die pelzigen Akrobaten verfüttern. Wenn die Boote sich
verspäten, fläzen sich die Tierchen zwischen die
Latten
baufälliger Hütten und äugen missmutig auf
die Dorfkinder, die
mit Bananenschalen wedeln und die langschwänzigen Urviecher zu
locken und zu foppen suchen.
|
"Maki, Maki !", flöten kleine Mädchen in den süßesten Locktönen, aber die ulkigen Lemuren mit ihren großen, ernsten Augen und weißen Backenbärten seilen sich nur unwillig an der Regenrinne ab, denn sie ahnen schon, dass die Kiddies ihnen wieder nur leere Schalen andrehen wollen, um sie dann garantiert an ihrem Stolz, den buschigen, langen Schwänzen, zu zoppeln. |
Den ganzen Tag stromern
wir den Hauptpfad der Insel zum Berggipfel rauf; oben bräuselt
ein angenehm frischer Luftzug durch Kaffee- und Ananas-Plantagen.
Die Kaffeebäume stehen in voller Blüte und duften
weder nach
Muckefuck noch gar nach Eduscho, sondern, wer hätte das
gedacht,
nach Jasmin. Ein Chamäleon entging, obwohl es sich dem
graugesprenkelten Ast angepasst und perfekt getarnt zu haben
vermeinte, durchaus nicht unserer Aufmerksamkeit und ergriff
schleunigst die Flucht, als ihm der bärtige Fremde mit der
Kamera nachzustellen begann. Baobab-Bäume wachsen in dieser
Gegend selten, dafür aber andere Scherzartikel aus der
Humorkiste der Natur: Kein Ylang-Ylang-Baum schafft es offenbar,
ohne fünf Knoten und zig Verrenkungen in Stamm und
Geäst
einfach nur nach oben zu wachsen. Dafür riechen die
unscheinbaren Blüten dieser Ulkhölzer nach Chanel,
oder besser
gesagt, das Chanel-Parfum duftet nach Ylang-Ylang, denn aus den
Blüten dieses Baumes wird der Grundstoff der
französischen
Parfum-Industrie gewonnen.
|
Uuiiiuuiiihh! Schon
wieder ein Schreckensschrei aus japanischem Munde, kann ja nur
ein Ringelvieh die Ursache sein. Nein, zweie! Mitten im
Paarungsakt begriffen. Die schlanke Dame verdrückte sich
schleunigst ins diskretere Unterholz, ihren verdatterten Gemahl,
der sich nicht von ihr lösen mochte, holterdipolter
hinterdrein
schleifend, obwohl er sich dabei fast verknotete und mehrfach
überschlug, wobei ihm ziemlich schwindelig geworden sein
dürfte. Kazuko steht währenddessen starr wie eine
Notrufsäule,
abgewandt und von Entsetzen gelähmt. |
Auch
auf diesem Eiland
kickt die fußballversessene Dorfjugend allabendlich auf dem
Sandstrand vor einem Blockhaus, auf dessen Veranda allmählich
die wundersamsten Vazaha-Typen eintröpfeln. Es hat sich bis zu
den Yachten, die weit draußen vor der Küste
dümpeln,
herumgesprochen, dass hier eines der Top-Restaurants von
Madagaskar zu finden ist. Anders als im schwyzerischen Récif verzichtet
der germanische Chef
nämlich auf das Selbst-Kochen, und jedermann ist ihm dankbar
dafür. Stattdessen werkeln vier oder fünf
einheimische Frauen
um die Feuerstelle hinter dem Haus, hantieren mit gewaltigen
Kesseln und Kellen, rühren, köcheln, brutzeln,
palavern und
zaubern wahre Wunderwerke von Delikatessen aus frischem
Meeresziefer vor die staunenden Gäste.
"Hm....
Ich habe
schon lange keinen Oktopus mehr gegessen."Die Maîtresse de cuisine ist eine Seele von Frau, mit Armen wie Nudelhölzern und einer Figur, die an einen ausgewachsenen Baobab erinnert. Ich lobe sie aufrichtig für ihr Dreisterne-Menü; da strahlt ihr ebenholzfarbig glänzendes Gesicht verlegen. Am nächsten Tag kommt sie auf mich zu und fragt, ob ich für das Abendessen einen besonderen Wunsch hätte. Am Abend balanciert
sie, extra für mich, einen Teller mit Oktopus à la
malagasy
herbei, einen Traum von Köstlichkeit, zusätzlich zum
sonstigen
Menü und kostenlos, als Dank für meine lobenden
Worte. Hoch
soll sie leben! So etwas Liebes entschädigt für
manchen
Ärger...
|
Um halb acht, so hatte
der Kapitän der Yamaha-Wanne versprochen, werde er uns am Tag
unsrer Abreise von Nosy Ambariovato wieder abholen. Auf dem ganzen
Inselchen existiert kein motorgetriebenes Fahrzeug, weder für
Land noch für Wasser, und wer seine Rückreise nicht
vor der
Hinfahrt organisiert, kann so lange vor Madagaskar liegen, bis er
die Pest an Bord kriegt oder ein zufällig anlandendes Boot
erwischt. Um halb acht kam niemand herbeigetuckert, um halb neun
auch nicht, und um halb zehn warteten wir noch immer auf Godot.
Als die komische Blechbüchse um kurz nach zehn endlich auf den
Sandstrand rauschte, waren wir sauer und fest entschlossen, die
Jungs Pünktlichkeit zu lehren. Im Hafen von Hellville
zählte
er mit Erstaunen nur 15000 FMg und erhob Protest: |
≪≪≪≪≪≪≫≫≫≫≫≫
Um auch von Nosy
Bé
noch was zu sehen, logiert man zwangsläufig in der "Villa
Blanche", dem billigsten unter den teuren Strungalotels. Die
einzige Alternative wäre die verkommene, schmuddelige
China-Herberge im Stadtzentrum von Hellville.
Um nicht aus dem Urlaub
heimzukehren, ohne wenigstens einmal im Indischen Ozean gebadet
zu haben, hopsen wir auch mal in die seichte, pipiwarme und
sandtrübe Brühe, aber nach dieser touristischen
Pflichtübung
zieht es uns schon wieder zu neuen Abenteuern ins Landesinnere.
Die lassen auf
Madagaskar niemals lange auf sich warten. Um tunlichst allzu
hitziges Schwitzen zu vermeiden, wollten wir uns die gut 2 km bis
zur Abzweigung zu unserem Wanderziel im preiswerten Taxi Bé
transportieren lassen, denn für eine so kurze Strecke
lässt
sich auch die demokratischste Enge notfalls ertragen. Ein
Grüppchen Malagasy wartet ebenfalls am Straßenrand.
Und dann
beginnt ein amüsantes Spielchen. Jedes leere Privattaxi, auch
aus der Gegenrichtung, von weitem schon hellhäutige
Fremdkörper
unter den wartenden Malagasy erspähend, hält
unaufgefordert an,
mit herrischer Handbewegung die Weißen zu sich winkend, die
doch
nur aus Versehen mitten unter den Einheimischen auf den
Massentransporter warten können. Wir lachen uns halb tot ob
der
Zielstrebigkeit, mit der die Schlitzohren am Volant der Droschken
sich die Ausländer aus der Menge picken. Mancher steigt gar
aus
und möchte fassungslos wissen, weshalb wir seine teure
Dienstleistung verschmähen, als sei es Ausländern
gesetzlich
verboten, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Dem 11.
staunenden Taxisten erzähle ich, ein Freund käme
gleich
vorbeigefahren, um uns abzuholen, und als ich diesen Bären
etwa
dem 17. Menschen aufzubinden im Begriff stand, rollte
tatsächlich der Freund heran und lud uns in sein nicht mal
überfülltes Taxi Bé.
|
Durch
Zuckerrohrplantagen, die weite Teile der Insel bedecken, führt
ein breiter Weg zu einem Dorf mit Namen Androandroatra. Ich hatte
seit gestern Abend den Namen geübt und auswendig zu lernen
versucht, um nach dem Weg fragen zu können, falls wir uns
verlaufen sollten, aber das war nicht nötig: Die Piste
führte
nach einigen Kilometern geradewegs in das Dorf mit dem eleganten
Namen hinein. Dann aber begingen wir den Fehler, nach dem Weg zu
den Kaskaden zu fragen, als sich die Straße vielfach gabelte.
Im
Nu stand die gesamte Dorfjugend bereit, uns als Führer zu
beguiden, und fortan sannen wir nur noch angestrengt nach
Methoden, die Eskorte anhänglicher Fans elegant
abzuhängen. Wer
am Ende einer Prozession latscht und sich abseilen will, kann
sich ohne Aufhebens in eine Kneipe oder Seitengasse
verdrücken.
Aber Baldachin, Pfarrer und das Allerheiligste müssten schon
gerissene Künstler sein, wenn sie sich unbemerkt
verkrümeln
wollten. Und bei der gegenwärtigen Buschprozession spielten
wir
leider die Rollen von Baldachin, Pfarrer und Heiligtum zugleich. |
Picknick im Schatten; noch waren wir nicht fertig, da kam die ganze Mischpoke wieder aus dem Tal hervor und stampfte zum Dorf zurück. Als alle weg waren, stiegen wir ins Tal hinunter. "Kaskaden" ist eine Übertreibung, aber dort, wo schon jahrhundertelang ein kleiner Bach etwa 30 Meter tief in die grüne Schlucht gestürzt ist, hatte sich ein wunderschöner, schattiger, tief grünblauer See gebildet, dessen Hinterwand wie bei den Wasserspielen der Villa d'Este der Wasservorhang des niederfallenden Bächleins bildet, und niemand war zu sehen außer einer Matrone, die am Rande des Teiches Wäsche wusch. Nach Herzenslust badeten, schwammen und suhlten wir uns in dem kühlen Nass, ließen uns vom Wasserfall den Kopf waschen und den Rücken massieren. Auch Ka fing bald an zu johlen wie zuvor die schwarzbraunen Bengels, aber aus anderem Grunde: Auch hier wimmelt es förmlich vor Schlangen..... Zwei
gute Stunden
hatten wir uns friedlich in dem Naturbassin gelabt und mit den
züngelnden Reptilien gespielt, da nahte aus der hohlen
Mada-Gasse wieder trautes Getöse: Jetzt hatte die Kinderschar
gleich sechs Vazaha erbeutet, die aber nur guckten und
fotografierten, ohne sich ins Wasser zu begeben. Verständlich,
angesichts des zahlreichen, aber nicht zahlenden Publikums.
|
Wir versuchten, den
Trubel der Neuankunft zu einem unauffälligen Rückzug
zu nutzen;
drei dörfliche Wegweiser hefteten sich dennoch unverdrossen an
unsere Fersen und machten an besagtem Kreuzweg das gleiche
lautstarke Theater, weil wir schon wieder die Richtung ins Dorf
verschusselten und den "falschen" Weg wählten. In der
Dorfchronik von Androandroatra werden wir zweifellos als die
begriffsstutzigsten Besucher des Jahrzehnts Erwähnung finden. |
Es bedarf keiner
großen Überlegung, was wir uns von unserer Reise
mitbringen
wollen; nach dem vielen Rumlaufen folgt nun das Rumkaufen. Den Fusel zapft die
freundliche Dame im Rum-Shoppe aus dem Fass. Wer keine leere
Flasche mitbringt, muss den Sprit in der hohlen Hand heimtragen.
Oder eine Bottel leasen. 2500 FMg kostet der Liter Zuckersaft,
und 1000 FMg das kostbare Gefäß samt Korken, den die
Tante mit
geübter Hand kraftvoll reinpeppt, damit wir uns auf der langen
Rückreise nicht auch noch mit Rum bekleckern. Nachdem wir auf Nosy
Komba kulinarisch exzeptionell verwöhnt worden waren, will uns
die schale Kost der "Villa blanche" nicht sonderlich
munden. Glücklicherweise sind es nur wenige hundert Meter bis
zum benachbarten, eine Nummer teureren Strungalotel; zwar
lässt
sich auch da, wie in jedem Terrassen-Restaurant auf Madagaskar,
zur Mahlzeit neben dem Tisch ein Köter nieder und guckt dem
Gast
fast das Steak von der Gabel, Scharen von Muschis samt Nachkommen
maunzen "donnez-moi einen Fischkopf", Papageien
krächzen "donnez-moi ein Stück Melone", und
Schildkröten jappen nach Tomatensalat, aber sonst
lässt es sich
zu dezenter Barockmusik ganz ordentlich dînieren, denn die
Gäste der "Villa blanche" sind zum Abendessen fast
vollzählig hier versammelt; drüben hingegen speist
man
anscheinend nur einmal. |
Die Taxifahrt zum
Airport kostet 7500 FMg. An der Tankstelle in Hellville, vor der
Abfahrt, quetscht sich noch eine Quasseltante mit rein, labert
auf dem ganzen Weg lautstark mit dem Driver und springt am
Flughafen hurtig raus, offenbar in stillem Einvernehmen mit dem
Chauffeur. Mir aber reicht die dreiste Verarscherei; der
Taxifritze kriegt nur 5000 FMg, denn ich bin weder ein grüner
Neuankömmling noch eine doofe Weihnachtsgans, die sich nach
Belieben ausnehmen lässt. Ich würde es niemandem
abschlagen,
der höflich anfragt, ob er vielleicht das von uns gemietete
Fahrzeug mitbenutzen dürfe, das er selbst nicht berappen kann,
denn wir haben ja wirklich mehr Moos als die Leute hier. Aber
vergackeiern lasse ich mich nicht mehr.
Sein
Zeter-und
Mordio-Geschrei nützt dem Taxisten nichts, die restlichen 2500
FMg soll er sich von der Labertante holen, und wenn es für die
gratis gewesen sein sollte, zahlen wir auch nichts, danke sehr
für den freundlichen Service.
|
≪≪≪≪≪≪≫≫≫≫≫≫
In Tana treffen wir
wieder die Französinnen vom Kap, und weil wir zu viert sind
mit
Gepäck, lassen wir uns auch hier mit dem Taxi ins
"Weiße
Rössl" befördern. Der Taxi-Gauner, der am Airport
für
2000 FMg zu fahren versprochen hatte, verlangte beim Aussteigen
dreist 3500 FMg. Schon zückten die Damen das Portemonnaie zum
Nachzahlen, da schob ich sie zur Rezeption und blies dem Burschen
dann gewaltig den Marsch. Heute habe ich einen montierten Kopf
gegen diese Räuberbande und bedaure sehr, dass wir jetzt
wieder
weg müssen, wo ich gerade so richtig heiß darauf
bin, den
Touristen-Beduppern manchen Streich heimzuzahlen.
Vom Nachbartisch im
Restaurant, direkt hinter meinem Rücken, tönt es
vernehmlich
auf Deutsch. Sechs blutjunge Neuankömmlinge kämpfen
sich
lautstark durch die französische Speisekarte.
"Zebu-Steak, was isn das?" - "Wohl irgendso ein Büffel?" - "Nein, eher Zebrafleisch!" Aber die Lachnummer geht noch weiter: "Du, guck mal im Wörterbuch, was cheval ist. Die haben hier Steack à cheval !" (Steack à cheval ist französisch für Hackbraten / Bulette / Frikadelle) |
"Scheint
Pferdefleisch zu sein." |
Reisen bildet.
≪≪≪≪≪≪ ENDE ≫≫≫≫≫≫
HOME |