≪≪≪≪≪≪ M A D A G A S I K A R A ≫≫≫≫≫≫
August 1992
4
In
Richtung
Abendsonne muss der Strand sein. Auf schmalen Holzfällerpfaden
kommen wir im letzten Abendlicht beim nahen Dorf Ifaty raus. Die
Erwachsenen sind Vazaha wohl gewöhnt, die von den
Strandbungalows herbeigestromert kommen, und die Kinder auch,
aber deren Reaktion ist anders: Während die Malagasy-Mamas vor
der Hütte seelenruhig in ihren Holzfeuer-Kochtöpfen
weiterrühren und den Gruß "Salama" erwidern, kommen
die Steppkes und Bengels allesamt herbeigerannt.
Das
französische Vokabular, das sie alle beherrschen:
"Monsieur,
donnez-moi un cadeau, Madame, donnez-moi de l'argent, donnez-moi
un bonbon, donnez-moi un stylo, donnez-moi, donnez-moi,
donnez-moi...."
So
eine Dauerbettelei
von Leuten, die nicht wirklich in Not sind, sondern lediglich ihr
traditionelles Leben führen wie wir auch, haben wir noch in
keinem Land erlebt. Nicht nur Kinder stimmen angesichts von
Ausländern sofort ihren Donnez-moi-Chor an, sondern
mancherorts
auch etliche Erwachsene, nur haben die ein verfeinertes
Repertoire.
"Monsieur, donnez-moi un pourboire", jammert der Pousse-poussist, obwohl er seinem Gast just einen fünffach überhöhten Fahrpreis vorgeflunkert hat, "monsieur, un tout petit cadeau", bettelt der Hotelbus-Fahrer, der den Gast in seiner Luxuskarosse für stolze 20000 FMg zum Airport kutschiert hat, obwohl er später als vereinbart losgefahren, verspätet angekommen und unterwegs durch die Mitnahme einheimischer Passagiere um mindestens 3000 FMg reicher geworden ist. "Donnez-moi Hustenmedizin, donnez-moi Wehweh-Lutschbonbons", wo immer der weiße Mann auftaucht, soll er Almosen und Wohltaten verteilen. Sind da die Missionare dran schuld gewesen, die jeden Barfüßigen und Halbnackten in christlicher Tradition als Bedürftigen missverstanden und mit Rock und Stiefeln versehen haben? Die Lumpenkinder in Tibet lehnen es lachend ab, wenn man ihnen was geben will, im Gegenteil, sie schenken dir buddhistische Amulette; wenn du einem Papua ein Pflaster aufklebst, rennt er nach Haus und bringt dir umgehend eine Ananas dafür. Wie kommt es, dass die Malagasy dermaßen ihren Stolz verloren haben und alle das Donnez-moi-Lied singen? In Afrika, so scheint es, wird die europäische Charité als Macke des weißen Mannes interpretiert, der auch gratis hilft, spendet und zahlt, wenn man ihn richtig zu behandeln versteht und den Bogen raus hat, einen miserablen Eindruck zu erwecken. Madagaskar ist keines der afrikanischen Hungerländer; wohlgenährte Kinder mit Schleifchen im Haar, in Hemdchen und Röckchen beten reflexartig ihr "donnez-moi diesunddas" her, sobald sie ein weißes Gesicht erspähen; warum sich placken und den Buckel krümmen, wenn der weiße Dummkopf auch anders zum Zahlen und Spenden zu bewegen ist?
Donnez-moi, donnez-moi !
Aber
die Zeiten sind
vorüber, da katholische Mütterchen warme Pullover
für die nackten Negerlein*) in Afrika strickten oder
die Eskimos**) in Alaska
mit Kühlschränken versorgten, ohne zu ahnen, dass
auch
Afrikanerinnen stricken können und Iglus keine Steckdose
haben.
Wir werden jetzt zu Erziehern.
"Donnez-moi
un
stylo!"
"Ist
gebongt, wenn
du mir einen Fisch bringst. Oder eine Papaya."
Ungläubig
staunende
Gesichter, wenn die Gören genug französisch
verstehen.
Kommt
ein Bursche auf
uns zu. "Monsieur!"
Mal
gespannt, mit
welcher Masche er an unsere Piepen will.
"Ich
führe Sie in
den Busch und zeige Ihnen die Baobab-Bäume!"
Hochinteressant.
Und
was kostet der Spaß?
"Zwei
Stunden
Bushwalk für zwei Personen, macht 40 000 FMg."
Wir
lachen uns tot
über das viele Geld, das wir gestern gespart haben, ohne es zu
ahnen.
*) bei Bedarf durch
"afrikanischen Kinder" ersetzen
**) bei Bedarf
durch "Inuit" ersetzen
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Wieder einmal Tana, nicht etwa, weil es so schön war, sondern weil alle Wege nach Rom führen, das hierzulande Antananarivo heißt. Eine Schicht urbanen Smogs legt sich auf unseren Sonnenbrand. Drei Tage Tana, und wir sind von den Malagasy kaum noch zu unterscheiden. Was von Vorteil wäre, denn da wäre man in der kapitalen Marktwirtschaft und ihrem Gedränge weniger behelligt.
Arm sind die Kinder in Madagaskar, aber Not leiden sie nicht
Derweil
hat ein anderer
auf direktere Weise dafür sorgen wollen, dass mir die Dukaten
wortwörtlich aus der Tasche rieseln, indem er im
Gewühle mit
einer Rasierklinge an meiner Umhängetasche herumgeschnitzt
hat,
wie ich wenig später gewahre. Es wurmt mich gewaltig, nicht
allein für reich und gutmütig, sondern auch noch
für blöde
gehalten zu werden. Wer trägt denn in seiner Tragetasche
Bargeld
und Juwelen spazieren? Mit den Hotelrechnungen, die sich im
Isalo fürs Feueranmachen so gut bewährt hatten und
daher in der
aufgeschlitzten Außentasche gesammelt waren, kann der
Langfing
vermutlich nicht viel anfangen, aber die olle Tasche taugt damit
endgültig nicht mehr fürs schnieke Tokyo. So ein
Blödian. Ist
das der Dank der Malagasy, dass wir sie verarzten und mit Spenden
überhäufen? Ist das die madegassische
Hospitalité,
die wir bisher vergeblich suchten?
Begeben
wir uns eine
Weile in höhere Sphären, wo die Massas unter sich
sind. In der
Pâtisserie des angeblich sündhaft teuren
Hôtel de France
verwöhnten wir uns mit Naschwerk, das es nur in Tana gibt, und
bei AIR MADAGASCAR sind wir mittlerweile zu VIPs geworden in der
Abteilung für "Clientèle spéciale", zu
der normalen
Sterblichen der Zugang verwehrt ist, auch Ausländern. Wie das?
In
unserer Einfalt
hatten wir im AIR MAD-Büro von Toliara unsere
nächsten Flüge
vorbuchen wollen, aber dort verfügt diese Firma nicht allein
über keinerlei Computer, sondern selbst die Telefone sind nur
für Ortsgespräche taugliche Attrappen. Keine
telefonische
Verbindung nach Tana?! Ein Wunder, dass unter solchen
Umständen
überhaupt ein Inland-Flugnetz unterhalten werden kann. Der
verlegene Bedienstete erbot sich, eine Depesche zu senden, aber
wir sind viel zu mobil, um von madegassischen Telegrammen
eingeholt zu werden. So setzte er ein Empfehlungsschreiben auf an
Madame Clémence, la directrice der diskreten VIP-Abteilung
in
Tana, und wir bekamen von der Madame, die zweifellos noblere
Klientel gewöhnt ist als Typen in schmuddeligen Jeans und
abgelatschten Trekking-Tretern, ohne Schwierigkeiten die
gewünschten Plätze in den vorgeblich längst
ausgebuchten
Flügen, wie Funktionäre im verblichenen Ostblock.
Wir hatten unterdessen schon Vorbereitungen getroffen, Tana auf schnellstem Wege wieder zu verlassen, und zwar in aller Frühe mit dem Überlandbus zur Ostküste. Um halb sechs, es war noch finster, wartete der freundliche, gebildete und fließend français parlierende Taxist, den wir am Vortag zufällig erwischt hatten, wie verabredet vor dem Hotel und fuhr uns zur gare routière, stolz darauf, für seine unverhoffte Zuverlässigkeit gelobt zu werden. Wie oft werden wir wohl noch durch die Schlaglöcher, in Antananarivo so zahlreich wie die Sterne am madegassischen Nachthimmel, rumpeln müssen?
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Dreifaches Erstaunen am heutigen Morgen: Es hat geregnet in der Nacht, der üblicherweise ölhaltige Staub der asphaltlosen Buszentrale hat sich in schwarzpfützigen, ebenso ölhaltigen Schlick verwandelt und sieht aus wie die Wüste von Kuwait im Golfkrieg. Verblüffend ferner, dass wir mit nur 15 Minuten Verspätung davonrollten, obwohl uns beim Eintreffen am Bushafen kund getan wurde, das Fahrzeug sei entzwei gegangen und Ersatz müsse erst organisiert werden. Und die dritte Überraschung: Jeder Fahrgast bekam 2000 FMg zurückgezahlt, weil das Ersatzvehikel enger sei als das kaputte Busch-Taxi. Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Vielleicht ist ja heute auch mal wieder ein Glückstag?
Was uns bevorsteht, liest sich in den Reiseführern etwa so:"DIE OSTKÜSTE. Tropische Klimazone, üppige Vegetation und dichter Urwald. Während es in den Wintermonaten im übrigen Land kaum je regnet, gibt es an der Ostküste nur zwei Klimazeiten: Die Regenzeit und die nasse Jahreszeit...", undsoweiter blablablaaa...
Kann ja heiter wolkig werden, wenn der Regen letzte Nacht die Ouvertüre war für wilde Ost-Schauer. Womöglich muss gar der Parapluie, seit Curepipe angeschimmelt und angerostet, wieder ausgegraben und aktiviert werden?
Das VW-Bus-große Ersatzmobil macht gewaltig Fahrt. Madegassische Fahrer auf dem Pilotensessel katapultieren ihre Chaussee-Raketen offenbar besonders schnittig über die verkehrsarme Piste, wenn es regenglatt glitscht und gischtet, die Kiste zum Bersten voll ist und in den Dörfern Hunde, Hühner und Kinder in panikartigem Entsetzen Reißaus nehmen. Keine Stunde sind wir denn auch gefahren, da steht ein Haufen Volk am Rande der Chaussee und guckt belämmert in das Reisfeld 10 m unterhalb des Fahrdamms, in dessen Schlamm ihr Sammeltransporter verendet ist. Unser Pilot macht keine Anstalten anzuhalten und zu helfen, streichelt nicht mal andeutungsweise das Bremspedal, sondern trampelt voll auf den Power-Pilz, hupt sich die Bahn frei, und dann Augen zu und durch....!
So
tauchte aus dem
nebligen Drizzelregen des kühlen Hochlands kurz nach 9 Uhr
schon
jene ominöse Brücke auf, die, wie Schilder unterwegs
mehrfach
angedroht hatten, nur vor 9, von 12 bis 13 und nach 17 Uhr
passierbar sei, wegen Bauarbeiten an der einzigen Fahrspur. Jetzt
wurde auch klar, warum unser Busdompteur so einen Lemurenzahn
drauf hatte: Die Bauarbeiter hatten schon ihre Brechstangen zur
Hand und sahen wild entschlossen aus, die Brücke zu
demontieren,
aber just bevor sie damit Ernst machten, wutschten wir durch auf
die andere Seite. Der Monsieur auf dem Sitz neben mir murmelte auf
französisch:
"Da
haben wir aber
verdammtes Glück gehabt, ich habe schon manche Stunde hier
vergammelt!"
Tatsächlich
also ein
Glückstag heute. Jetzt ging auch unser rasender Chauffeur die
kurvige Abfahrt zur Ostküste milder an. Dennoch verdrehten die
Serpentinen den Insassen auf den hinteren Sitzen offenbar den
Magen, geräuschvoll reiherte einer nach dem andern aus dem
Seitenfenster.
Das Dorf, dessen Lage zufällig ergibt, dass die Morgenbusse aus Tana hier genau zur Mittagsstunde eintrudeln, hat sich ganz auf die Reisegastronomie eingestellt. Die Hütten auf beiden Seiten der Straße sind zugleich Marktstände und Imbissbuden, mit großzügig bemessenen Parkplätzen versehen. Wer sich nicht niedersetzt und den durchs Seitenfenster entleerten Magen mit einem warmen Reismenü verwöhnen mag, der wandert die Händlerstände entlang und wählt zwischen Ananas, Bananas und Papayas, Durian und Rambutan, Pomeranzen, Mandarinen und Limousinen aus, was der Wald so bietet und das Herz begehrt. Wer Räucheraal zu frischem Brot mag, wird hier ebenso bedient wie der Liebhaber von Yams-Fritten oder gerösteten Kokos-Raspeln, und sogar Wienerwald-Hendl-Schenkl liegen für Kunden und Fliegen gleichermaßen verlockend bereit, zu Preisen, die auf die Barschaft der Einheimischen zugeschnitten sind.
Die Botanik verändert sich allmählich
Das
nebelgekühlte Obst
zeigt, dass wir vom Tana-Plateau, wo Kirsch- und Pfirsichbäume
blühen, schon weit heruntergekommen sein müssen, denn
was hier
an Früchten feil ist, gedeiht in subtropischen Breiten. Auch
die
Vegetation ist erheblich palmiger geworden --- nur Urwald ist
nirgendwo zu sehen, bis hinunter nach Brickaville, wo die
Straße
die Ostküste erreicht und dann nach Norden abknickt, in
Richtung
Toamasina. Sicher mag es hier mal Dschungel gegeben haben, aber
die madegassische Fruchtbarkeit ist zu beachtlichen
Menschen-Zuwachsraten detoniert, weshalb Plantagen, Felder und
angepflanztes Grün hier den Urwald nur vortäuschen.
Gewiss, die
Vegetation ist üppig, aber nur wer noch keinen tropischen
Regenwald gesehen hat, fällt drauf rein und glaubt, er stehe
im
Wald. Das buschige Geschling am Pangalanes-Kanal, der sich
parallel zur Küstenlinie in Nord-Süd-Richtung
hinzieht, ist
kaum jungfräulicher als die entschlaftablettene Marilyn
Monroe,
und die exotischen Gewächse auf dem welligen
Hügelland sind
kaum unberührter als die Plumeau-Expertin Madame de Pompadour.
Sogar die malerischen Fächerplamen, die AIR MAD sich zum
Markenzeichen erkoren hat und die hier anmutig die Plantagen
überragen, sind nichts als Edelkokotten unter den baumigen
Dirnen im Pseudo-Urwald, den der Mensch, rodend und kokelnd, zu
willigen Diensten gezwungen hat; da schwelen Köhler-Meiler,
werden Holzkohle, Nutz- und Brennhölzer fabriziert, Bananen,
Papayas und Lychees geerntet und Ölpalmen gehegt. Und wo die
Leute Nutzwald züchten, da müssen die Lemuren
flüchten.
Madegassische Fächerpalme
Die
Perle der
madegassischen Ostküste heißt Toamasina; was Le
Touquet für
Pariser, Brighton für Londoner und Westerland für
Hamburger
ist, das ist Toamasina für betuchte Antananariver. Die
wichtigste Bahnstrecke des Inselreichs verbindet die Hauptstadt
mit ihrem Seebad, wo sich Tana-geschädigte, welsche Siedler zu
Kolonialzeiten schon ihren Sonnenbrand holten.
Wer dem Reiseführer traut und glaubt, die unweit des Busterminals verzeichnete Herberge zu Fuß erreichen zu können, erntet von dem Kordon der Pousseure, die den Rucksack-Menschen umringen, lautes Gelächter. Es sind, der trügerischen Karte zum Trotz, 6 lange Kilometer in einer deutlich anderen Richtung, die auch geübte Poussierer außer Pousste bringen. Das Hotel Miramar, zu deutsch "Seeblick", verfügt über leicht gebaute Chalets, in denen es schon einmal vorkommt, dass ein Frosch auf der Klobrille hockt und dich angrinst, wenn auch du mal austreten willst, und hat einen großen Swimmingpool im Rasengarten, denn der Gast tut gut daran, sich mit Pool und Blick auf den indischen Ozean zu begnügen. Die nähere Bekanntschaft mit dem nahen Meer ist nur extremen Fischliebhabern zu empfehlen, die gerne mal von einem Hai geküsst werden möchten. Diese Raffzähne kommen hier nämlich, von Müll und Touristen angelockt und von keinem Korallenriff gehindert, bis zum Strand und verschmähen angeblich auch bleiche und behaarte Vazaha-Beine nicht.
Weil alle Straßen der Ostküste als Sackgassen enden, heben wir uns den Genuss des Charmes von Toamasina für den Rückweg auf und erkunden Möglichkeiten, auf die idyllische Insel Nosy Boraha zu gelangen. Reguläre Fährverbindungen gibt es keine, man muss den wöchentlich einmal fahrenden Frachter erwischen, fliegen oder sich von den Fischern in ihren Segel-Pirogen übersetzen lassen. Das kann, je nach Windstärke und Seegang, bei 30 km Entfernung eine ziemlich lustige Seefahrt werden, zumal die Pirogen, günstiger Strömungen wegen, das Wagnis um 3 Uhr morgens in Angriff nehmen.
Fliegen? --- Auf Wochen ausgebucht. Frachter? --- 5 Tage warten. Also Piroge??? ---
Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord......
............einer Piroge.....??
Wer
wagt, gewinnt. Auf
geht's! Manompana heißt das Dorf, wo man die
Pirogen-Kapitäne
mit ein paar bunten Geldscheinen zur großen Fahrt bewegen
kann,
liegt 250 km nördlich von Toamasina jenseits des Endes der
asphaltierten Chaussee und ist mit etwas Glück und
Taxi-Bé
vielleicht irgendwie zu erreichen. Der Wagen, dem wir uns
anvertrauen, ist ein Peugeot 404 Pritsche; auf der Ladefläche
sind zwei Holzbänke montiert, die 8 Fahrgästen Platz
bieten,
aber erst nachdem 23 Personen reingenudelt waren, setzte sich die
Droschke in Bewegung.
Ob Weiße auf Malagasy-Frauen besonders sexy wirken? Jedenfalls schloss die üppig geformte, ausnahmsweise kinderlose junge Dame, neben, oder vielmehr auf der ich zu sitzen kam, mich innig in die Arme, drückte mir ihren Busen um die Ohren und wollte, allen Schlaglöchern und Holpersteinen zum Trotz, nimmer von mir ablassen. So saß ich immerhin warm und weich gepolstert, während es Ka hinters Fahrerhäusel verschlagen hatte, wo ihr der steife Fahrtwind die Seele aus dem Leib blies. 85 km lang hatte die tropische Schönheit Muße, an mir herumzuknuddeln, denn die Enge ließ keinerlei Gegenwehr zu. Jedes Strampeln bedeutet einen Tritt in den Bauch eines Mitfahrers, jede Hand- oder Armbewegung in dem unüberschaubaren Leiberknoten kann zum Nasenstüber für den Nachbarn werden oder als unsittliches Befummeln einer der überaus zahlreichen Frauen in dieser rollenden Sardinenbüchse ausgelegt werden.
** LE RÉCIF ** Bungalows, chalets, plage Cuisine exotique du chef |
Mein Gepäck ist absolut zu schwer für so einen Dreikäsehoch, ich trage es lieber selbst. Andrerseits sollte man es bei den kleinen Kindern anerkennen, dass sie nicht betteln, sondern sich ihr Trinkgeld erarbeiten wollen. Bis zu den verheißenen Chalets und exotischer Cuisine sind es immerhin ein paar hundert Meter, und an Kas Huckebeutel haben die Jungs genug zu schleppen.
Nicht übermäßig comfortable sind die Bungalowchalets im Récif, aber auffallend blitzefunkelsauber. Sogar der Sand vor der Hütte ist glatt geharkt, und zwei Bedienstete im Blaukittel mit langen Spießen in der Hand sind weder Wachsoldaten auf der Abwehr von Mosquitos noch auf der Jagd nach Tintenfischen, sondern hasten jedem zu Boden fallenden Blatt nach, spießen es auf und befördern es zum Komposthaufen. Die Lösung dieses wunderlichen Rätsels, man ahnt es wohl schon: Der Chef des Etablissements ist Schweizer. Na, wenn auch die exotische Cuisine so excellent ist wie die Reinlichkeit in und um unserem Strandhüttli, machen wir hier erst einmal ein Päusli, bevor wir weiterzockeln. Was den Helvetier von den Almen zu den Palmen gelockt hat, war nicht zu ergründen, denn er pflegte sich in seiner "hutte du chef" zu verschanzen, aber die madegassische Madame mit Chefin-Allüren, die das Personal zu nimmer erlahmendem Putzwienern scheuchte, konnte eigentlich nur als Gemahlin eines Schwyzers auf die abstruse Idee verfallen sein, den Sandstrand dreimal täglich mit dem Rechen bearbeiten zu lassen.
Le Récif, das Schweizer Logis in Madagasikara
Im
Prinzip sind alle
Strände der Welt gleichermaßen vom Meer
gesäumt, mit Rändern
aus Seetang, Muschelsplitt, Sandkrebsen, Ölschlick und
Zivilisationsmüll, den der Ozean als unzustellbar an die
Absender zurückspediert. Sogar säuberlich beharkte
Strände
werden nach einer Stunde Faulenzens ziemlich langweilig, auch
wenn die Palmen des Récif
wirklich jedem Urlaubsprospekt
zur Ehre gereichten. Vom Dösen und Postkartenschreiben
hungrig,
lechzten wir nach der angekündigten exotischen Cuisine du chef
und sehen schon Krebse in Kokossauce paddeln, träumen von
Hummersalat auf Ananas oder Muscheln mit Yams-Fritüre, die dem
Gourmet die Seezunge rausstrecken, doch als der gelbe Mond wie
ein dicker Lampion kopfüber zwischen den Palmen am nachtblauen
Südseehimmel baumelte und die Dünung silbrig
schimmernd ihre
seetangduftende Abendbrise über unsere Teller wehen
ließ, da
blubberte auf selbigen ein banaler Gulasch auf Reis, mit
reichlich Fett am Zebu-Hack, und daneben gab's nur noch ein
Tellerli Tomatensalat.
Da
nun die leiblichen
Nöte leidlich gestillt sind, will als nächstes der
unersättliche Bildungsdurst gelöscht werden. Noch
einen Tag
lang am Ufer schwitzen und Löcher ins blaue Meer zu gucken,
das
haben wir schon im Moramora
und im Bambou
nicht fertig gebracht. Heftig
werden die Sandalen geschnürt und ein nur wenig
lädiertes
T-Shirt umgehängt, denn heute ist der Tag des Herrn.
Der
Trampelpfad, der
vom Récif
wegführt, mündet nach ein
paar Gehminuten zwischen luschigem Busch auf eine weite Wiese,
die heute Schauplatz der Fußballliga Madagaskar-Ost,
mindestens
Halb- oder Dreiviertelfinale, ist. Das Spielgerät hat
entfernte
Ähnlichkeit mit einer ein wenig groß geratenen
Kartoffel, ist
aus erdigem Leder und etwa so oft geflickt wie die Reifen der
Überlandbusse, und diesem holprigen Leder-Ei wetzt eine Meute
von Dorfjugend zwischen 11 und 28 Jahren nach, und ein des Weges
kommender Hund macht auch gleich mit, bellend, fetzend und
hetzend. Was könnte man den Jungs für eine Freude
machen mit
einem gebrauchten, meinetwegen sogar platten Fußball im
telegenen Schwarzweiß-Look! Die würden die
ausgelutschte Huddel
hegen und pflegen wie einen Schatz, flicken und nähen, neu
anstreichen und noch in drei Generationen damit kicken.
Die
eine Mannschaft ist
am nackten Oberkörper von der anderen, Hemdchen tragenden
Equipe
zu unterscheiden, und Schiedsrichter ist derjenige, auf den alle
wütend eindreschen, wenn er das Spiel zu unterbrechen wagt.
Die
Mehrzahl kickt barfuß, einige haben auch Turnschuh-Oldtimer
vom
Müllplatz in Tana importiert, und die beiden Söhne
des
Dorfschulzen (?) tragen sogar Treter mit Adidas-Streifen, jeder
einen. Hier fallen Tore im wörtlichen Sinne, aber die
Holzpfähle werden flugs wieder zusammengenagelt, bis der
nächste Lattentreffer erneut die Balken auf den
Torhüter
niederregnen lässt. Das ist der wahre Thrill, wir
können uns
gar nicht losreißen von der Gaudi, bis Ka auf einmal
uuiiuuuiiiihh!! brüllt und davonsprintet, weil eine vom
Schlachtenrummel verschreckte Schlange ihre rotbraune Haut in
Richtung Eckfahne in Sicherheit bringen wollte, wo Ka
saß.
Wer fürchtet sich vor so einem verängstigten Reptil?
Mitleid
haben sollte man mit dem Vieh, das sich wahrscheinlich friedlich
irgendwo am Mittelkreis sonnte, als die afrikanische Ballhatz
losbrach. Außerdem gibt es keine Giftschlangen auf
Madagaskar,
aber harmlose dafür umso mehr.
Dorfmarkt am Sonntagvormittag
Die
Leute gucken uns
nur groß an, grüßen freundlich, die Kinder
lachen uns zu, und
niemand stimmt den sonst überall verbreiteten, vielstrophigen
Donnez-moi-Choral an. Eine sympathische Gegend; es gibt
offensichtlich nur wenige Vazaha, die hier zu Fuß durch die
Vegetation streifen und die Sitten der Leute verderben. Immerhin,
Missionare müssen schon hier gewesen sein, denn in einer
Baumgabel hängt neben einem Langhaus eine Bimmel und muss noch
viel wachsen, um eine richtige Kirchturmglocke mit tiefer Stimme
zu werden. Aber Papas mit Schuhen und weißem Hemd, an jeder
Hand
ein Tochterpüppchen mit Schleifchen in den krausen
Löckchen,
mit Rüschenbluse und Faltenröckchen, hier wird der
Sonntag noch
geheiligt! Und schon erschallt ein vielstimmiger Chor aus der
Langhütte und schlägt einen Schwarm entsetzter
Spatzen auf dem
Dach in panikartige Flucht.
Wie
an der Westküste
gibt's viele Pfade durchs Gestrüpp, aber weder bleigraue
Dornbüsche noch rostbraune Baobabs, kein Sand und keine
Dürre.
Hier ist alles erdig-weich unter den Füßen und
saftig grün
ringsumher. Da schmatzen Zebus fetten Klee, da lodern die
Flamboyant-Bäume mit ihren riesigen feuerroten
Blüten,
tratschen Frauen im Palmwedel-Schatten vor ihrer
Palmwedel-Hütte, auf Palmwedeln hockend und Palmwedel-Matten
flechtend. Richtig friedlich, sonnig und schattig zugleich, schon
wieder ein Paradies entdeckt?
Man
wünscht sich ja
manchmal angesichts unserer zernarbten und verpesteten
Industrielandschaft, man könnte die Zeit zurückdrehen
und in
einer Natur leben, wie sie vor Jahrtausenden mal war, so fein und
rein und grün und schön. Auf Madagaskar kann man sich
diesen
Traum wahr machen, wenn auch nicht gerade in der Giftküche von
Tana, muss aber schwer aufpassen, wenn man nicht böse erwachen
will: Da wallt man frohgemut und heiter durch die grüne Au,
bis
der Weg einen Knick macht und mittenmang in einen Tümpel
hineinführt. Der einheimische Holzsammler, der ohnehin
barfuß
geht, stapft munter pfeifend durch die Brühe, die ihm
allenfalls
bis ans Knie reicht, aber wir? In jedem stehenden Gewässer,
lehrt das Reisebuch, hausen Blutegel, lauern Hepatitis,
Bilharziose und tausend andere Tücken und Mücken, und
man muss
nur einmal ausglitschen, dann gehen Kamera und Barschaft, Pass
und Flugtickets baden. Alles schon erlebt, alles schon dagewesen,
aber zu den angenehmen Erinnerungen zählt das wahrhaftig
nicht.
Kurzum, wenn man im Paradies heimisch werden will, muss man
dafür schon seinen Touristenfummel abschreiben, wie der
Holzsammler barfuß und wertsachenlos fürbass
schreiten und im
Palmwedelhäusel hausen, von Flöhen gebissen und von
Mosquitos
ausgelutscht.
Seufz.
Wir machen
kehrt, streben aufwärts führenden Pfaden zu, aber
wenn's rauf
geht, dann geht's auf der anderen Seite wieder runter. Wir
mäandern eine geschlagene Stunde von Sumpf zu Tümpel,
ohne
vorwärts zu kommen, und enden doch immer wieder vor Seerosen
und
Sumpfdottergewächsen, zwischen denen es gluckst und quakt. So
schön kann unberührte Natur sein, voller Blumen und
Schmetterlinge, aber auch der verehrte Leser begreift gewiss,
dass ich bei all meiner Naturliebe als erstes einen Weg anlegen
würde, auf dem man trockenen Fußes vorankommt, wenn
diese
Gegend mir gehörte.
Es
gelang uns
schließlich doch, ohne Hilfe der Landstraße aus dem
Wasserlabyrinth auszubüchsen und brachen an einer schmalen,
schilfigen Stelle genau vor der Nase einiger wäschewaschender
Frauen aus dem Unterholz, die sich über ein irre gelaufenes
Zebu, einen wilden Eber oder ein (hier freilich nicht heimisches)
Rhinozeros wohl weniger gewundert hätten als über die
ulkigen
Bleichgesichter, die da am Sonntagnachmittag durchs Röhricht
getrampelt kamen. Wer wollte es ihnen übel nehmen, dass sie
sich
halb tot lachten? Hätte ich auch getan.
Es reicht mit den Irrungen auf alternativen Pfaden; wandern wir noch ein paar Meilen auf dem stillen Asphalt im kühlen Abendhauch, der von einer Sonntagsschule jenseits des Tales fröhlichen Kindergesang herüberweht. Mit gemischten Gefühlen sehen wir im Abendrot dem heutigen Dîner im Récif entgegen, denn das gestrige konnte ja auch ein Ausrutscher gewesen sein. Vielleicht hat der brave Schweizer Gardist des Küchenherdes gespart für ein währschaftes Sonntagabend-Mahl. Auf dem Rückweg dunkelte es allmählich, das letzte Stück Weges lag in tiefer Finsternis. Das heißt, nicht ganz: Es begann zu unserer Verwunderung ringsum zu blitzen und zu blinken; Glühwürmchen mit gelben Laternchen irrlichterten über Moor und Wiese, geisterten lautlos durch Dunst und Dunkel und leuchteten uns heim, so gut sie es mit ihren Glimmerlämpchen vermochten.
Es funkelt in der Dämmerung
Ja,
und das frugale
Abendessen? Ich darf es vorweg nehmen, "cuisine
exotique", das galt nicht den Touristen, sondern offenbar
den Einheimischen. Für die ist ein biederer Goulaschreis
gewisslich arg exotisch, nicht minder das Poulet mit weißen
Bohnen oder der fette Schweinebraten mit Erbsen. Wo sonst kann
man schon auf Madagaskar Walliser Hausmacherkost genießen?
Wir
sind wahrscheinlich allzu waldschratige Alternativ-Reisende, dass
wir unbedingt den Aal und den Oktopus, die Austern, Shrimps und
all die Flossen und Kiemen verkosten wollen, unter denen sich die
Stände auf den Märkten biegen. Wer Eintopf unter
Palmen mampfen
mag, dem sei das
Récif wärmstens
empfohlen; uns indes
ist solche Feinkost zu exotisch, und außerdem wollen wir
endlich auf Nosy Boraha gelangen.
Erst 46 Passagiere, der Wagen ist ja noch halb leer !
Einige
clevere
Bürschlein wussten was Besseres. Sie hätten eine
Piroge, damit
würden sie uns rüberbringen, ja sogar um das Kap
schippern. Von
da aus sind es dann nur noch 17 km zu Fuß bis zu der
Landzunge,
wo die großen Übersee-Pirogen liegen, die zur Insel
übersetzen. Um 6 Uhr seien wir garantiert auf Nosy Boraha.
Klingt verheißungsvoll und verlockend. Wie lange dauert denn
die
Fahrt bis zum désembarque, dem Ausgangspunkt des langen
Marsches? Die Story von dem "um 6 Uhr auf Nosy Boraha" riecht
mir nämlich arg faul. Allein die Überfahrt mit dem
Segelkahn
soll mindestens 3 Stunden dauern, und 17 km Marsch mit Gepäck
über Stock und Stein, das haut einfach nicht hin, so viel
Mathematik hat mir der Pauker am Gymnasium mit großer,
weitgehend leider vergeblicher Anstrengung doch in den harten
Schädel zwängen können.
"Bis
zum
désembarque? Zwei Stunden ungefähr...."
Ich
weiß Bescheid.
Entweder wollen uns die Kerlchen vergackeiern oder uns bis 6 Uhr
MORGENS als Pirogenpilotenpiraten, Führer, Träger,
Sherpas und
Lakaien auf verschlungenen Pfaden und krummen Umwegen ausmelken.
Der wagemutige Laster sucht gerade die Sandpiste am andern Ufer,
das er zu meinem grenzenlosen Erstaunen heil erreicht hat, zu
erklimmen. Von da aus sind es bis Manompana, dem Pirogenhafen,
nur 12 km; und da sollen wir die grinsenden Schlitzohren mit
ihrer Piroschka anheuern, um dann noch 17 km durch die Botanik zu
trappeln? Nachdem ich dann noch hörte, was das freundliche
Anerbieten denn kosten solle, frage ich mich, ob wir vielleicht
mit Abgesandten des Entwicklungshilfe-Ministeriums verwechselt
worden sind, die überflüssige Millionen aus
Steuergeldern an
frierende Afrikanerlein verteilen möchten.
Palmige Ostküste mit Blick auf Nosy Boraha
Als
die Fähre wieder
da war, tat sie einen gurgelnden Laut, und der Stottermotor
verstummte. Der Schiffer rödelte sein wertvolles
Stück im
Uferschilf fest und hub sich von dannen, zum Mittagessen. Da
stehste da und machst ein langes Gesicht. Wegen zwei
Fußgängern
fährt der sowieso nicht, tröstete uns ein Mensch aus
der Crew
des rückfahrtbereiten Taxi-Bé. Es ist schon fast 13
Uhr, die
Sonne brennt aufs Gehirn, das Gepäck drückt auf die
Schultern,
die Fähre pausiert, und die 12 km drüben ohne
Aussicht auf
Fortkommen, da sämtlicher Verkehr in unserer Richtung vom
Wohlwollen des Fährmanns abhängt, der sich vermutlich
gerade
zum Mittagsschlaf aufs Ohr legt....
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