M A D A G A S I K A R A 

August 1992

3

logobaobab


Kein Löwe, keine Giraffe, nichts Aufregendes, das der Rede wert wäre; mühsame Kraxelei vielmehr, mit dem Rucksack auf dem Puckel, von der Hochebene runter in die Schlucht, über einen schmalen Grat an tiefen Abgründen vorüber, dann wieder rauf auf das nächste Plateau --- und doch sind wir rundum zufrieden und glücklich, wenn wir Rast unter irgend einem strubbeligen Gewächs machen und eine saure Zitrone auslutschen, vom Höhenwind gezaust und mit grandioser Aussicht über die Isalo-Wildnis. Hier ist die Welt wie kurz nach der Schöpfung, als nur 7764 Menschen den Globus bevölkerten und das Rad, der Walkman, das Staatsexamen, der BH, die Lindenstraße und Viagra noch nicht erfunden waren.

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Um den Grat zwischen zwei Schluchten zu passieren, muss man schwindelfrei sein

Jähes Ende der Bergeinsamkeit: Vom Tal gellt Gelächter und Holzhackerlaut herauf. Da ist die tolle Lichtung mit Bergsee, die wir angepeilt hatten, besetzt von Scharen schwarzer Sherpas, die für ihre abwesenden weißen Massas Zelte auffalten und in Riesenkochtöpfen über qualmigen Holzflackerchen irgend einen zähen Brei zusammenrühren. Das ist die Mischpoke, die uns gestern mit ihren beiden Landrovers eingestäubt hatte. Sie sind von Antananarivo aus gekommen und fragen uns daher nicht so konsterniert nach unseren Guides wie all die Jungs aus Ranohira, machen aber Gesichter, als hätten wir sie damit, dass wir auch führerlos bis hierher gelangt sind, tief beleidigt; vermutlich würden sie uns an diesem Ort nur sehr widerwillig dulden. Wir haben freilich auch keine Lust, unser Zelt noch mit dazu zu knäulen, uns vom Kokel dieser Bande einräuchern zu lassen und bis Mitternacht Campinglärm zu ertragen; wir beißen uns durch das weglose Dickicht im Talesgrund noch 20 Minuten bachaufwärts und finden da eine Stelle, an der sich das Rinnsal zu einem brauchbaren Swimmingpool vertieft und verbreitert, mit Sandstrand und Vacoa-Palmen, für uns wie geschaffen, wo von anderen Leuten nichts zu hören und zu riechen ist. Ungerührt steigen wir gleich in die kühle Badewanne, mögen Seife, Pipi und Shampoo dem Abendkakao der bachabwärts lagernden Expedition die rechte exotische Würze verleihen!

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Badewanne der Natur


Am andern Morgen, als wir schlaftrunken aus dem Zelt krochen und zur gestrigen Campingstätte vorschlichen, war dort nur warme Asche und angeschmorter Müll zu erblicken; die Safari ist auf dem Rückmarsch, und wir haben das Gebirge für uns allein. Selbst wenn auch heute wieder ein Riesentross in den Berg einfallen sollte, hier kämen sie frühestens am Nachmittag an. Vosichtshalber ließen wir unser Plastik-Chalet aber an seinem gut verborgenen Ort in der Wildnis, bevor wir uns heute davon machten, ohne Rucksack und Pack. Ein halbes Stündchen ins Nachbartal, wo ein gleichartiges, lauschiges Plätzchen wartet, aber ohne Müll und Campingspuren. Der schönste je geschaute Flecken Erde, und gehört heute nur uns allein! Von herrlichen Felswänden eingerahmt, blühende Mini-Baobabs hier und da am Hang, rinnt im schattigen Tal unter raschelnden Vacoa-Palmen und blauem Himmel der klarste Bach, den man sich vorstellen kann, durch saftiges Grün, gluckst emsig zwischen blühenden Orchideen und Sumpfgräsern, teilt sich hier, verbreitert sich da, springt launisch über ein paar Felsen oder bildet eine metertiefe Badewanne, in der man noch die Sandkörner auf dem Grund zählen kann. Blaugelbe Vögel picken eifrig nach Würmern, ohne sich an uns zu stören, rubinrote und türkisblaue Libellen funkeln über das kristallhelle Wasser, das sich endlich in einem Felsbassin staut, zum Schwimmen wie geschaffen, und durch eine schmale Lücke im Felsen in eine tiefe Schlucht stürzt; wie tief, weiß ich nicht, denn der Grund lag in dunklem Schatten. Wir taten nichts den ganzen Tag als nur zu staunen und uns an der Natur zu berauschen, und hatten dennoch keine Langeweile. Adam und Eva im Paradies, für 24 Stunden.

wafallWer weiß, wie tief das Abwasser "unseres" Pools in die Schlucht stürzt

Wir wären gern noch einen Tag geblieben, diese Täler sind attraktiver als die palmigsten Sandstrände, an denen man doch nichts anderes als das Meer vor der Nase hat, und das sieht überall gleich nass aus. Nur hat ein irdischer Garten Eden den lästigen Nachteil, dass er keinen einzigen verbotenen Apfelbaum enthält, geschweige denn einen Supermarkt oder ein Restaurant. Nur Wasser. So begeisternd das Örtchen ist, wir haben Proviant nur für fünf Tage dabei, und heute ist deren vierter. Alle Kanister mit dem guten Quellwasser gefüllt, klettern wir wieder über Stock und Stein zurück. Den mörderisch steilen Felsberg erklommen wir noch, solange er im Schatten lag. Seit vorgestern Nachmittag sind wir keinem Menschen mehr begegnet, wir waren allein auf der Welt. Schon gegen halb zwei erreichten wir unsere Übernachtungsstelle vom Hinweg, bei der Viehtränke am Fuß des Berges, und ein weiteres halbes Stündchen, und wir waren wieder zurück in der profanen Welt der lieben Mitmenschen.

Die erste Begegnung mit menschlichen Wesen war von der angenehmen Art: Drei Kinder aus dem nahen Dorf Tameantsoa auf dem Rückweg vom Wäschewaschen, zwei Mädchen, beide etwa 15 Jahre alt, und ein vielleicht 8jähriger Bub. Ungeguidete Vazaha zu Fuß, wie Waldschrate aus dem Busch hervortappend, sind vermutlich eine gewisse Attraktion, aber die Kinder starrten uns nicht nur staunend an, sondern versuchten, sich auf dem Stück gemeinsamen Weges mit uns anzufreunden. Die Kommunikation endete zwar schnell an der unüberwindlichen Sprachbarriere, aber das keckere der beiden Girls mit der Wäsche auf dem Kopf und den zierlich geflochtenen Krausezöpfchen, dessen weit geöffnete Bluse ihre jugendliche Brust mehr präsentierte als verbarg, wollte unbedingt mit Kazuko tauschen, Rucksack gegen Wäschebündel.

wascheDas kecke Wäschemädchen mit den zierlich geflochtenen Zöpfchen

Den Rucksack gab Ka nur zu gerne her und nahm das leichtere Wäschebündel auf afrikanische Weise auf den Kopf, musste es allerdings gut festhalten, denn im Kopftransport von Waren sind Afrikanerinnen eben doch wesentlich geübter. Jedenfalls hatten wir viel Spaß miteinander, das lachende madegassische Mädel mit dem Vazaha-Pack auf dem Buckel und Ka mit der Wäsche einer afrikanischen Familie aus Tameantsoa auf dem Kopf. Unter der ponchoartigen Decke, die das andere Girl um die Schultern geschlungen hatte, ragten zwei kakaofarbene Minifüßchen heraus; stolz zeigte sie uns, was sie da mit sich herumschleppte, aber ob es ihr Nachwuchs oder ein Brüderlein war, bekamen wir nicht heraus. Die Barfuß-Schönheit mit dem Rucksack lief trotz Last und Hitze flotten Schrittes an unserer Seite, und als sie zu schwitzen anfing, gaben wir ihr einen Schluck Bergwasser, und die anderen Kids süffelten auch alle mit. So waren wir allen Sprachproblemen zum Trotz ziemlich dicke Freunde geworden, als wir die Abzweigung zum Dorf erreichten. Die Lasten wurden wieder ausgetauscht, und für ihren Fleiß bekam die nette Gepäckträgerin einen Kugelschreiber und einen rosa malenden Filzstift. Als wir ihr zeigten, wie man sich damit die Fingernägel rosa malen kann, geriet sie vor Freude beinahe aus dem Häuschen. Bis uns die hohen Savannengräser die Sicht nahmen, standen die kaffeebraunen Teenies an der Weggabelung, winkten uns nach und riefen "Veloma, vazaha!" (Lebt wohl, ihr Fremden) ----  Es gibt Momente, da wächst einem Afrika ziemlich ans Herz.

Die zweite Begegnung mit Malagasy in der fast menschenleeren Savanne fand in der letzten Oase vor dem langen Rückmarsch nach Ranohira statt. Dort hatten wir unser Taschen-Appartement für die Übernachtung aufgeschlagen. Gerade köchelte der Tee auf dem Reisigfeuerchen, die Sonne war am Untergehen, da tauchten auf einmal wie die Heinzelmännchen viereinhalb schwarze Gesichter zwischen den Lianen auf und ließen sich wortlos um uns nieder, als seien wir Wanderschausteller, die nun gleich eine Kobra tanzen lassen, Feuer speien oder Karnickel aus dem Zylinder zaubern. Damit konnten wir leider nicht dienen, aber Ka empfand Mitleid mit dem arg grindigen Baby, das die einheimischen Damen dabei hatten. Sie packte Desinfektionsmittel und Salbe aus der Reiseapotheke und cremte das Kind tüchtig ein. Vielleicht, so hofften wir, würden sie uns dann aus Dankbarkeit ein wenig in Ruhe lassen bei unserem letzten Abendmahl vor Ranohira. In der Tat zogen sie nach vollbrachtem Einkrem-Ritual von dannen, aber der Tee war noch nicht leergetrunken, da waren sie schon alle wieder da und hatten sogar noch Verwandtschaft im Gefolge: Ein zahnloser Methusalem und seine faltige Gattin ließen sich vor unserer Zweimann-Villa nieder, der Alte wies auf die Uroma, die auf sein Kommando entsetzlich loshustete und nicht mehr damit aufhörte, bis wir erneut das Pillenköfferchen auspackten. Da drin gibt's auch ein chinesisches Pülverchen aus Drachenschuppen, Einhornzahn, getrocknetem Hexenblut, Phönixaugen und gestampftem Galgen-Alraun, das gar nicht übel nach Zimt schmeckt und Husten, Schnupfen, Heiterkeit, Legasthenie, Bauchnabelverrostung und sämtliche sonstigen Zipperlein unfehlbar ausrotten und den Patienten nahezu unsterblich machen soll. Genau die richtige Medizin für den vorliegenden Fall, diagnostiziere ich. Brav wie eine Volksschülerin öffnete die runzlige Oma den zahnlosen Mund und ließ sich beim flackernden Lagerfeuerschein das Pülverli reinschütten, trank andächtig und vertrauensvoll Wasser aus unserer fast leeren Bottel und vergaß tatsächlich, weiterzuhusten. Wer hätte geahnt, dass wir auf unsere alten Tage noch eine verheißungsvolle Karriere als Medizinmann und -frau auf Madagaskar vor uns hätten? Ärzte ohne Grenzen....

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Grenzenlose "Ärztin" mit Patientinnen


Der Opa deutete nun unter lautem Stöhnen auf seinen Rücken und wollte auch einen Lutschbonbon - weißer Mann scheint in den abgelegenen Dörfern der afrikanischen Savanne so eine Art lieber Gott zu sein, es kommen Aussätzige und Sieche, Blinde und Lahme, um für ein Dankeschön wieder gehend und sehend zu werden. Und dann wieder weiterzusündigen wie zuvor....

Wenn wir noch einen Tag länger hier blieben, würde unsere ambulante Buschpraxis zu einer Wallfahrtsstätte, zu einem zweiten Lambarene, und die Leute pilgerten in Scharen herbei, um sich gratis ein Säftli oder Pülverli einflößen zu lassen! Bei den Papuas würde jeder wenigstens eine Kokosnuss mitbringen, aber hier kriegen wir nicht mal eine müde Tomate. Wir machen uns in aller Frühe aus dem Staub, bevor die nächsten Patienten vor dem Zelt stehen. Die Reiseapotheke ist ohnehin fast leer, die Salbe hat die Tante mit ihrem Schorf-Baby mitgenommen, die Hustenspezialistin hat eine Monatsration Drachenpulver gekriegt und der Alte gab sich erst zufrieden, als er ein Paket Heftpflaster ergattert hatte. Bei Sonnenaufgang tippelten wir schon durch Andriamanero, der frühe Aufbruch hat sich gelohnt: Keine Wolke am Himmel, kein Jeep unterwegs, wir mussten die über 35 km alle ablatschen, bei brütender Tageshitze in baumloser Einöde, bergauf und bergab, durch Staub und Sand. Als die Gehstrecken kürzer und die Rastzeiten länger, das Trinkwasser weniger und die Beine schwerer wurden, erschienen in weiter Ferne endlich die Kirchtürme von Ranohira. Und vor meinen Augen eine Fata Morgana: Eisgekühltes Bier im Hotel "Zu den fröhlichen Lemuren".

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Die letzten Vorräte köcheln zum Mittagsmahl in der Savanne

Bis es so weit war, schien der Vollmond; unter Sternenhimmel krochen wir nach Ranohira rein. Der Lemurenwirt war froh, seine Wolldecken und zahlenden Gäste wieder zu haben, seine Gattin tischte einen besonders dicken Topf voll Nudelsuppe auf, und ich schüttete eisgekühltes Bier in mich rein wie ein Altbayer. Wie sehen aus wie gebrannte Mandeln, haben erste Blasen an den Füßen, sind dreckig wie die Luft von Antananarivo, fressen und saufen wie Zuchtstiere und schnarchen um 9 Uhr schon im Tiefschlaf, ohne was von dem Tohuwabohu zu hören, den die Dorfjugend an Wochenenden bis zum Morgengrauen veranstaltet.


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Wem das Gras über den Kopf wächst


"Pousse-pousse, Monsieur, pousse-pousse!"

Der Bus steht noch nicht richtig am Terminal von Toliara, da raufen sich die Rikscha-Jungs schon fast um die zwei Ausländer. Na schön, lassen wir uns mal poussieren, vom Herumtippeln mit Gepäck haben wir vorerst genug. Aber der Knabe, der uns gleich bescheißen will und für die 500 m bis zum Hotel Capricorne 3000 FMg verlangt, muss sich andere Dumme suchen; ich weiß, dass 500 FMg hier der Einheitstarif sind und nehme eine andere Schubkarre. Die Pousse-pousse-Fritzen haben es besonders auf die Weißen abgesehen. Vor Banken, vor der Agentur von AIR MADAGASCAR, vor Hotels und Restaurants ballen sie sich und lauern auf Kunden. Nicht dass Einheimische die Schiebemobile nicht benutzten, aber Weiße lassen sich entweder übers Ohr hauen oder vom Anblick des schwitzenden Schiebers in seinem löcherigen Hemde erweichen und geben noch ein Aufgeld. Hinzu kommt, dass es in den Augen der Malagasy nur Geiz sein kann, wenn sich ein Ausländer, außer ums ins Bett oder aufs Klo zu gelangen, seiner eigenen Beine bedient. Ein cleverer P-P-Pilot folgt dir den ganzen Vormittag mit seinem Rollsofa, von der Bank zum Schreibwarenladen, von der Post zum Café und zum Markt, wohl wissend, dass der Fremdling in einem Weiler von der Größe Toliaras schwerlich den ganzen Tag spazieren gehen wird. Spätestens am Mittag hat auch der dickfelligste Tourist ein Einsehen und lässt sich zur Mahlzeit in sein klimatisiertes Nobelhotel chauffieren. Beim Aussteigen versucht der Pousseur, noch was rauszuholen aus dem weißen Wandergeldsack: "Monsieur, donnez-moi un petit cadeau, un pourboire...!", jammert er mit tieftraurigen Hundeaugen.

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Lass dich mal poussieren.... - Pousse-Bahnhof in Toliara


In unguter Erinnerung an die Summe, die uns die Moramora-Leute für den Transfer berechnet hatten, obwohl sie ohnehin täglich zweimal oder mehr nach Toliara rattern, um Wasser zu holen und Einkäufe zu erledigen, suchten wir uns ein anderes Transportmittel. Sollense doch leer durch die Sanddünen mahlen, wir stehen an der Buschtaxi-Station und warten, ob sich in unserer Richtung was bewegt. Man muss sich freilich vor Augen halten, dass selbst auf Magistralen wie der Nationalstraße Nr. 2/3 von Antananarivo nach Toliara so wenig Verkehr ist, dass die Straße, in Ranohira beispielsweise, als Marktplatz, Spielplatz, Tanzdiele und Versammlungsort dient. Wenn da einmal, beide Richtungen zusammengenommen, 30 Automobile am Tag vorüberkommen, ist das viel. Es gibt Gebiete, wo Autos trotz Asphaltstraße so selten sind, dass alle Leute ausnahmslos in den Graben springen und das Vehikel streng mustern, das da frech einhergeknattert kommt. So herrscht auch an der Buschpisten-Abfahrtsstelle von Toliara nicht gerade ein hektisches Kommen und Gehen. An Pousse-pousses, Marktgewusel und Kindergeplärr hingegen mangelt es weniger, denn viele Einheimische mit Säcken und Päcken warten geduldig, bis innerhalb der nächsten Stunden vielleicht ein wagemutiger Wüstenkreuzer auftaucht.

Wir wollen unseren restlichen Urlaub nicht im Müllgürtel von Toliara verbringen und nehmen daher, ohne lang zu wählen, das erstbeste Gefährt, das in unsere Richtung rollt: Ein Lastwagen mit überdachter, leerer Ladefläche. Längs der Küste wird viel Baumwolle angebaut, und der Camion hatte wohl gerade eine Watte-Ladung in die Stadt gebracht; die Flocken, die dem Gefährt auch nach der Entladung in Fülle anhafteten, hatten in kürzester Zeit alle auf dem Deck aufsässigen Fahrgäste in Hemd und Haaren. Wegen des Fahrpreises gab es allerdings nach 2 km Holperfahrt offenbar ernstliche Differenzen zwischen dem kassierenden Kopiloten und zwei älteren Herren. Mitten in der Wüste machte der Wagen Halt; der Fahrer stellte den Motor ab, und dann kam ein deftiges afrikanisches Palaver in Gang, dass die Baumwollflocken nur so flogen. Ich hätte gern ein bisschen Malagasy verstanden, denn das Wortgefecht war für die Mitreisenden eine Riesengaudi, sie folgten gespannt jeder Wendung, als handle es sich um die Übertragung eines Meisterschafts-Endspiels. Nach 20 Minuten war der Fall ausdiskutiert, der Camionist brachte die Maschine in Gang und rumpelte mit Karacho, dass die Leute an Bord umherkullerten wie reife Wassermelonen, durch die dürre Vegetation. Die Strecke, die das brave Moramobil in zwei Stunden bewältigt, durchpflügte unsere Donnerwalze in nur 50 Minuten, Schlaglöcher und Felskanten souverän ignorierend. Ein Eisenrohr, das die Plane stützte, brach bei der Wotansjagd ab und krachte zwischen die krampfhaft Halt suchenden Opfer des wie gedopt pesenden Camion-Schinders, glücklicherweise ohne jemanden zu erschlagen, und im Handumdrehn und für nur 5000 FMg standen wir wieder einmal vor dem vertrauten Schild mit der Inschrift:

 MORA MORA


"Le Bambou" heißt eine Strandbungalow-Anlage, keine 300 m vom Moramora entfernt, funkelnagelneu, beinahe eine Kopie des Nachbarn, aber zu weniger als dem halben Preis. Da lässt es sich wohl sein und die matten Knochen nach dem langen Marsch von Isalo ausruhen. Schließlich sind wir nicht mit dem teuren Moramora verheiratet und gehen fremd, wenn es die gleiche Leistung auch billiger gibt. Wir sind allerdings keine Strandhocker, und zum Baden ist die madegassische Westküste auch kaum geeignet: Wenn es am heißesten ist, liegt nur Schlick vor der Türe; das Meer zieht sich zur Ebbe bis zu den fernen Korallenriffs zurück, die den Strand vor Haien schützen. Vor 8 Uhr morgens und nach 4 Uhr nachmittags, wenn man reinhoppen könnte, ist die Brise aber kühl wie auf Norderney.

So stapft der deutsche Wandervogel schon gleich wieder durchs Gehölz, vom grünen Filoa-Hain und den Wellensittich-Schwärmen gelockt, die in den hohen Bäumen ein kreischendes Vogel-Palaver halten. Von Bambou freilich keine Spur, die Unterkunft hätte sich besser "Le Kaktüs" genannt. Aus dem Wiesengrund führt ein Pfad durch knöcheltiefen, rotbraunen Sand in einen wahren Kakteenwald, und die mit Flechten und Lianen überwachsenen Stachelgewächse ragen baumhoch in den blauen Himmel.

 

kaktus

Kakteenwald bei Ifaty


Dazwischen struppt allerlei graubraunes Trockengewächs in allen Größen und Formen, ab und zu ein seltsamer Baum mit silbrigen Blättchen, und dann eine Riesenrunkelrübe, die sich beim Näherkommen als echter madegassischer Baobab entpuppt. Je weiter man in die Wildnis vordringt, desto unwirklicher wird die Vegetation. Sind wir in Michael Endes Fantásien gelangt? Oder gar auf einen anderen Planeten? Keine einzige Pflanze, die wir schon einmal gesehen hätten, lauter irre und bizarre Gewächse, über die man nur den Kopf schütteln kann. Da staunt der Fachmann, der Laie aber wundert sich über so eine Sciencefiction-Landschaft. Hier ist sie also, die berühmte endemische Vegetation....

Als Gott die Bäume erschuf, musste er zuerst ein bisschen üben. Alle missratenen Exemplare stellte er auf Madagaskar ab. Dort sind sie als Baobab bekannt, stehen bis zum heutigen Tag im unzugänglichsten Stacheldickicht und schämen sich ihrer traurigen Gestalt. Rübenhaft aufgedunsene, meterdicke Stämme, oft wie Ginsengwurzeln zu Zwillingen verwachsen, und rührend kurze, mickrige Zweige, an denen braune Bommelfrüchte baumeln.

baobabfantasia

Runkelrüben-Baobabs und Landschaft eines fremden Planeten


Die Wildnis ringsum präsentiert sich in allen Grau- und Brauntönen; leben diese Stachelbüsche überhaupt, oder sind sie verdorrt? Dazwischen die rötlich erdigen oder bleigrauen Stämme der Baobabs, die wie Wachttürme längst verfallener Burgen wuchtig im Sande stecken --- nur Grün ist hier etwa so rar wie Lila im deutschen Tannenwald. Da gehste und guckst und staunst, links ein uriger Riesenkaktus, rechts ein lachhafter Super-Baobab, und schon steht die Sonne tief und wir stecken in den stacheligen Tiefen des afrikanischen Trockendschungels und müssen langsam zusehen, dass wir aus dem Sandlabyrinth wieder herausfinden.

 

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