≪≪≪≪≪≪ M A D A G A S I K A R A ≫≫≫≫≫≫
August 1992
3
Um den Grat zwischen zwei Schluchten zu passieren, muss man schwindelfrei sein
Jähes Ende der Bergeinsamkeit: Vom Tal gellt Gelächter und Holzhackerlaut herauf. Da ist die tolle Lichtung mit Bergsee, die wir angepeilt hatten, besetzt von Scharen schwarzer Sherpas, die für ihre abwesenden weißen Massas Zelte auffalten und in Riesenkochtöpfen über qualmigen Holzflackerchen irgend einen zähen Brei zusammenrühren. Das ist die Mischpoke, die uns gestern mit ihren beiden Landrovers eingestäubt hatte. Sie sind von Antananarivo aus gekommen und fragen uns daher nicht so konsterniert nach unseren Guides wie all die Jungs aus Ranohira, machen aber Gesichter, als hätten wir sie damit, dass wir auch führerlos bis hierher gelangt sind, tief beleidigt; vermutlich würden sie uns an diesem Ort nur sehr widerwillig dulden. Wir haben freilich auch keine Lust, unser Zelt noch mit dazu zu knäulen, uns vom Kokel dieser Bande einräuchern zu lassen und bis Mitternacht Campinglärm zu ertragen; wir beißen uns durch das weglose Dickicht im Talesgrund noch 20 Minuten bachaufwärts und finden da eine Stelle, an der sich das Rinnsal zu einem brauchbaren Swimmingpool vertieft und verbreitert, mit Sandstrand und Vacoa-Palmen, für uns wie geschaffen, wo von anderen Leuten nichts zu hören und zu riechen ist. Ungerührt steigen wir gleich in die kühle Badewanne, mögen Seife, Pipi und Shampoo dem Abendkakao der bachabwärts lagernden Expedition die rechte exotische Würze verleihen!
Badewanne der Natur
Am
andern Morgen, als
wir schlaftrunken aus dem Zelt krochen und zur gestrigen
Campingstätte vorschlichen, war dort nur warme Asche und
angeschmorter Müll zu erblicken; die Safari ist auf dem
Rückmarsch, und wir haben das Gebirge für uns allein.
Selbst
wenn auch heute wieder ein Riesentross in den Berg einfallen
sollte, hier kämen sie frühestens am Nachmittag an.
Vosichtshalber ließen wir unser Plastik-Chalet aber an seinem
gut verborgenen Ort in der Wildnis, bevor wir uns heute davon
machten, ohne Rucksack und Pack. Ein halbes Stündchen ins
Nachbartal, wo ein gleichartiges, lauschiges Plätzchen wartet,
aber ohne Müll und Campingspuren. Der schönste je
geschaute
Flecken Erde, und gehört heute nur uns allein! Von herrlichen
Felswänden eingerahmt, blühende Mini-Baobabs hier und
da am
Hang, rinnt im schattigen Tal unter raschelnden Vacoa-Palmen und
blauem Himmel der klarste Bach, den man sich vorstellen kann,
durch saftiges Grün, gluckst emsig zwischen blühenden
Orchideen
und Sumpfgräsern, teilt sich hier, verbreitert sich da,
springt
launisch über ein paar Felsen oder bildet eine metertiefe
Badewanne, in der man noch die Sandkörner auf dem Grund
zählen
kann. Blaugelbe Vögel picken eifrig nach Würmern,
ohne sich an
uns zu stören, rubinrote und türkisblaue Libellen
funkeln über
das kristallhelle Wasser, das sich endlich in einem Felsbassin
staut, zum Schwimmen wie geschaffen, und durch eine schmale
Lücke im Felsen in eine tiefe Schlucht stürzt; wie
tief, weiß
ich nicht, denn der Grund lag in dunklem Schatten. Wir taten
nichts den ganzen Tag als nur zu staunen und uns an der Natur zu
berauschen, und hatten dennoch keine Langeweile. Adam und Eva im
Paradies, für 24 Stunden.
Wer weiß, wie tief das Abwasser "unseres" Pools in die Schlucht stürzt
Wir wären gern noch einen Tag geblieben, diese Täler sind attraktiver als die palmigsten Sandstrände, an denen man doch nichts anderes als das Meer vor der Nase hat, und das sieht überall gleich nass aus. Nur hat ein irdischer Garten Eden den lästigen Nachteil, dass er keinen einzigen verbotenen Apfelbaum enthält, geschweige denn einen Supermarkt oder ein Restaurant. Nur Wasser. So begeisternd das Örtchen ist, wir haben Proviant nur für fünf Tage dabei, und heute ist deren vierter. Alle Kanister mit dem guten Quellwasser gefüllt, klettern wir wieder über Stock und Stein zurück. Den mörderisch steilen Felsberg erklommen wir noch, solange er im Schatten lag. Seit vorgestern Nachmittag sind wir keinem Menschen mehr begegnet, wir waren allein auf der Welt. Schon gegen halb zwei erreichten wir unsere Übernachtungsstelle vom Hinweg, bei der Viehtränke am Fuß des Berges, und ein weiteres halbes Stündchen, und wir waren wieder zurück in der profanen Welt der lieben Mitmenschen.
Das kecke Wäschemädchen mit den zierlich geflochtenen Zöpfchen
Den Rucksack gab Ka nur zu gerne her und nahm das leichtere Wäschebündel auf afrikanische Weise auf den Kopf, musste es allerdings gut festhalten, denn im Kopftransport von Waren sind Afrikanerinnen eben doch wesentlich geübter. Jedenfalls hatten wir viel Spaß miteinander, das lachende madegassische Mädel mit dem Vazaha-Pack auf dem Buckel und Ka mit der Wäsche einer afrikanischen Familie aus Tameantsoa auf dem Kopf. Unter der ponchoartigen Decke, die das andere Girl um die Schultern geschlungen hatte, ragten zwei kakaofarbene Minifüßchen heraus; stolz zeigte sie uns, was sie da mit sich herumschleppte, aber ob es ihr Nachwuchs oder ein Brüderlein war, bekamen wir nicht heraus. Die Barfuß-Schönheit mit dem Rucksack lief trotz Last und Hitze flotten Schrittes an unserer Seite, und als sie zu schwitzen anfing, gaben wir ihr einen Schluck Bergwasser, und die anderen Kids süffelten auch alle mit. So waren wir allen Sprachproblemen zum Trotz ziemlich dicke Freunde geworden, als wir die Abzweigung zum Dorf erreichten. Die Lasten wurden wieder ausgetauscht, und für ihren Fleiß bekam die nette Gepäckträgerin einen Kugelschreiber und einen rosa malenden Filzstift. Als wir ihr zeigten, wie man sich damit die Fingernägel rosa malen kann, geriet sie vor Freude beinahe aus dem Häuschen. Bis uns die hohen Savannengräser die Sicht nahmen, standen die kaffeebraunen Teenies an der Weggabelung, winkten uns nach und riefen "Veloma, vazaha!" (Lebt wohl, ihr Fremden) ---- Es gibt Momente, da wächst einem Afrika ziemlich ans Herz.
Grenzenlose "Ärztin" mit Patientinnen
Der
Opa deutete nun
unter lautem Stöhnen auf seinen Rücken und wollte
auch einen
Lutschbonbon - weißer Mann scheint in den abgelegenen
Dörfern
der afrikanischen Savanne so eine Art lieber Gott zu sein, es
kommen Aussätzige und Sieche, Blinde und Lahme, um
für ein
Dankeschön wieder gehend und sehend zu werden. Und dann wieder
weiterzusündigen wie zuvor....
Die letzten Vorräte köcheln zum Mittagsmahl in der Savanne
Bis
es so weit war,
schien der Vollmond; unter Sternenhimmel krochen wir nach
Ranohira rein. Der Lemurenwirt war froh, seine Wolldecken und
zahlenden Gäste wieder zu haben, seine Gattin tischte einen
besonders dicken Topf voll Nudelsuppe auf, und ich schüttete
eisgekühltes Bier in mich rein wie ein Altbayer. Wie sehen aus
wie gebrannte Mandeln, haben erste Blasen an den
Füßen, sind
dreckig wie die Luft von Antananarivo, fressen und saufen wie
Zuchtstiere und schnarchen um 9 Uhr schon im Tiefschlaf, ohne was
von dem Tohuwabohu zu hören, den die Dorfjugend an Wochenenden
bis zum Morgengrauen veranstaltet.
Wem das Gras über den Kopf wächst
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"Pousse-pousse, Monsieur, pousse-pousse!"
Lass dich mal poussieren.... - Pousse-Bahnhof in Toliara
In unguter Erinnerung
an die Summe, die uns die Moramora-Leute für den
Transfer
berechnet hatten, obwohl sie ohnehin täglich zweimal oder mehr
nach Toliara rattern, um Wasser zu holen und Einkäufe zu
erledigen, suchten wir uns ein anderes Transportmittel. Sollense
doch leer durch die Sanddünen mahlen, wir stehen an der
Buschtaxi-Station und warten, ob sich in unserer Richtung was
bewegt. Man muss sich freilich vor Augen halten, dass selbst auf
Magistralen wie der Nationalstraße Nr. 2/3 von Antananarivo
nach
Toliara so wenig Verkehr ist, dass die Straße, in Ranohira
beispielsweise, als Marktplatz, Spielplatz, Tanzdiele und
Versammlungsort dient. Wenn da einmal, beide Richtungen
zusammengenommen, 30 Automobile am Tag vorüberkommen, ist das
viel. Es gibt Gebiete, wo Autos trotz Asphaltstraße so selten
sind, dass alle Leute ausnahmslos in den Graben springen und das
Vehikel streng mustern, das da frech einhergeknattert kommt. So
herrscht auch an der Buschpisten-Abfahrtsstelle von Toliara nicht
gerade ein hektisches Kommen und Gehen. An Pousse-pousses,
Marktgewusel und Kindergeplärr hingegen mangelt es weniger,
denn
viele Einheimische mit Säcken und Päcken warten
geduldig, bis
innerhalb der nächsten Stunden vielleicht ein wagemutiger
Wüstenkreuzer auftaucht.
Wir wollen unseren restlichen Urlaub nicht im Müllgürtel von Toliara verbringen und nehmen daher, ohne lang zu wählen, das erstbeste Gefährt, das in unsere Richtung rollt: Ein Lastwagen mit überdachter, leerer Ladefläche. Längs der Küste wird viel Baumwolle angebaut, und der Camion hatte wohl gerade eine Watte-Ladung in die Stadt gebracht; die Flocken, die dem Gefährt auch nach der Entladung in Fülle anhafteten, hatten in kürzester Zeit alle auf dem Deck aufsässigen Fahrgäste in Hemd und Haaren. Wegen des Fahrpreises gab es allerdings nach 2 km Holperfahrt offenbar ernstliche Differenzen zwischen dem kassierenden Kopiloten und zwei älteren Herren. Mitten in der Wüste machte der Wagen Halt; der Fahrer stellte den Motor ab, und dann kam ein deftiges afrikanisches Palaver in Gang, dass die Baumwollflocken nur so flogen. Ich hätte gern ein bisschen Malagasy verstanden, denn das Wortgefecht war für die Mitreisenden eine Riesengaudi, sie folgten gespannt jeder Wendung, als handle es sich um die Übertragung eines Meisterschafts-Endspiels. Nach 20 Minuten war der Fall ausdiskutiert, der Camionist brachte die Maschine in Gang und rumpelte mit Karacho, dass die Leute an Bord umherkullerten wie reife Wassermelonen, durch die dürre Vegetation. Die Strecke, die das brave Moramobil in zwei Stunden bewältigt, durchpflügte unsere Donnerwalze in nur 50 Minuten, Schlaglöcher und Felskanten souverän ignorierend. Ein Eisenrohr, das die Plane stützte, brach bei der Wotansjagd ab und krachte zwischen die krampfhaft Halt suchenden Opfer des wie gedopt pesenden Camion-Schinders, glücklicherweise ohne jemanden zu erschlagen, und im Handumdrehn und für nur 5000 FMg standen wir wieder einmal vor dem vertrauten Schild mit der Inschrift:
↢ MORA
MORA |
So stapft der deutsche Wandervogel schon gleich wieder durchs Gehölz, vom grünen Filoa-Hain und den Wellensittich-Schwärmen gelockt, die in den hohen Bäumen ein kreischendes Vogel-Palaver halten. Von Bambou freilich keine Spur, die Unterkunft hätte sich besser "Le Kaktüs" genannt. Aus dem Wiesengrund führt ein Pfad durch knöcheltiefen, rotbraunen Sand in einen wahren Kakteenwald, und die mit Flechten und Lianen überwachsenen Stachelgewächse ragen baumhoch in den blauen Himmel.
Kakteenwald bei Ifaty
Dazwischen
struppt
allerlei graubraunes Trockengewächs in allen
Größen und
Formen, ab und zu ein seltsamer Baum mit silbrigen Blättchen,
und dann eine Riesenrunkelrübe, die sich beim
Näherkommen als
echter madegassischer Baobab entpuppt. Je weiter man in die
Wildnis vordringt, desto unwirklicher wird die Vegetation. Sind
wir in Michael Endes Fantásien gelangt? Oder gar auf einen
anderen Planeten? Keine einzige Pflanze, die wir schon einmal
gesehen hätten, lauter irre und bizarre Gewächse,
über die man
nur den Kopf schütteln kann. Da staunt der Fachmann, der Laie
aber wundert sich über so eine Sciencefiction-Landschaft. Hier ist sie also, die berühmte endemische Vegetation....
Als Gott die Bäume erschuf, musste er zuerst ein bisschen üben. Alle missratenen Exemplare stellte er auf Madagaskar ab. Dort sind sie als Baobab bekannt, stehen bis zum heutigen Tag im unzugänglichsten Stacheldickicht und schämen sich ihrer traurigen Gestalt. Rübenhaft aufgedunsene, meterdicke Stämme, oft wie Ginsengwurzeln zu Zwillingen verwachsen, und rührend kurze, mickrige Zweige, an denen braune Bommelfrüchte baumeln.
Runkelrüben-Baobabs und Landschaft eines fremden Planeten
Die Wildnis ringsum
präsentiert sich in allen Grau- und Brauntönen; leben
diese
Stachelbüsche überhaupt, oder sind sie verdorrt?
Dazwischen
die rötlich erdigen oder bleigrauen Stämme der
Baobabs, die wie
Wachttürme längst verfallener Burgen wuchtig im Sande
stecken
--- nur Grün ist hier etwa so rar wie Lila im deutschen
Tannenwald. Da gehste und guckst und staunst, links ein uriger
Riesenkaktus, rechts ein lachhafter Super-Baobab, und schon steht
die Sonne tief und wir stecken in den stacheligen Tiefen des
afrikanischen Trockendschungels und müssen langsam zusehen,
dass
wir aus dem Sandlabyrinth wieder herausfinden.