M A D A G A S I K A R A 

August 1992

logobaobab


Zähneklapperfröstelkalt ist es früh um halb sieben am Busbahnhof von Toliara. Um den größten Teil unseres Banknotenbündels und einige weniger wichtige Gepäckstücke erleichtert (, die wir im MORAMORA zum Aufbewahren gelassen haben), schlottern wir in der Dunkelheit, die von wartenden Menschen, aber keinem busartigen Kraftwagen erfüllt ist. Im Morgengrauen erkennt man bald die Umrisse der winterlich in Decken gehüllten Malagasy, die es sich auf dem ölig-staubigen Boden zwischen Warenballen, Haustieren und unzähligen Kleinkindern unbequem gemacht haben und zum Zeitvertreib die zwei Vazaha mit ihren Rucksäcken beglotzen, wie die übernächtigt und frierend auf den verspäteten Bus warten. Die Sonne geht auf, die Schatten werden kürzer, die Kälte weicht, der Magen knurrt. Allein, es fehlt der Bus.

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Nur ein Rad musste noch gewechselt werden

Halb neun zeigt die Uhr, als er endlich vorfährt. Ähnliches hatten wir auch in Peru erlebt und hofften, jetzt werde die Busmannschaft mit ähnlicher Verve ranklotzen wie in Südamerika, aber weit gefehlt: Moramoramoramoramora! Bis die zwei lahmdösigen Helfer die Körbe mit den Truthähnen, Reissäcke und Ölkanister der Passagiere aufs Dach gehievt und festgezurrt hatten, war es halb 10, und als die Fahrgäste, nach Namensliste handverlesen, endlich alle drinsaßen, hatte ich schon Kohldampf aufs Mittagessen. Vorher muss der gute Omnibus aber erst noch 100 l Diesel eingeflößt bekommen und nach wenigen Kilometern auf guter Asphaltstraße einen technischen Halt einlegen, halb auseinandergeschraubt und dann wieder zusammengeklempnert werden, auf dass er für die restlichen 240 km halten möge.

Ranohira mit seinen 2 Kirchen und 39 Häusern längs der Chaussee von Toliara nach Fianarantsoa ist zwar Provinz-Hauptdorf und verfügt stolz über ein eigenes Postamt, hat aber weder Strom noch Wasserleitungen. Das ist in der madegassischen Provinz nichts Außergewöhnliches. Gekocht wird über dem Holzfeuer, dessen Rauch täglich 24 Stunden aus jedem Lehmhaus kokelt, Licht bringen Kerzen oder, bei wohlhabenderen Haushalten, auch Petroleumfunzeln, und Wasser holen die Frauen aus einem der vier Dorfbrunnen, Eimer und Kanister auf dem Kopf balancierend.

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Hotel- und Businessviertel im Stadtzentrum von Ranohira

Seine Attraktivität für fremdländische Besucher bezieht der Ort denn auch weniger aus seinem Charme, als vielmehr durch seine Lage am Fuß des Isalo-Gebirges, das von Madagaskar-Kennern einhellig als Nonplusultra gepriesen wird. Als wir im Abenddämmern dem Reisemobil entstiegen und erste Blicke auf die Front der Lehmhütten warfen, waren wir uns sofort einig: Lieber im Zelt übernachten. Die Reue kam rasch und war bitter; das linde Abendlüftchen legte in der Nacht dermaßen zu, dass wir samt Zelt beinahe davongeflattert wären, und die Temperaturen sanken auf ziemlich winterliche Werte.

Der Chor unserer klappernden Zähne muss weithin vernehmbar gewesen sein, denn als wir uns im Morgengrauen aus den Decken wickelten, standen schon zwei Jungs vor unserer Stofftür und wollten uns guiden. Na, den Weg in den Ort werden wir schon selber finden!

Sooo kurzfristig denkt man in Madagaskar aber nicht. Sie wollen uns wie treue Hunde tagelang durch Busch und Steppe, über Klüfte und Klippen geleiten, unseren Rödel tragen und uns alles zeigen; natürlich nicht vollkommen gratis. Man muss nämlich seine Guides entlohnen, für deren Essen und Unterkunft sorgen und dafür auch zusätzliche Zelte mieten. Dies erfordert zusätzliche Träger, für die wiederum zusätzliche Kochtöpfe, Essvorräte und anderer Krempel in die Wildnis geschleppt werden müssen, und eh man sich's versieht, bläht sich die harmlose Wanderung zu einer 20-köpfigen Expedition auf, und das ist das Allerletzte, was wir uns wünschen. Führer und Träger, nein danke! Wir haben unsere Säcke ohnehin bis auf das notwendige Minimum entschlackt, da brauchen wir doch keine Sherpas dafür, und die in Tana erworbenen Messtischblätter im Maßstab 1 : 100 000 verzeichnen jeden dicken Baum und ersetzen gefräßige Schwafelführer.

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...sogar mit Stromleitung

Ein gemütlicher, dicker Herr empfängt uns stolz in einer Hütte mit der halb abgeblätterten Aufschrift

SERVICE

DES EAUX ET FORÊTS

Mit amtlicher Miene lässt er sich unsere teuer bezahlte Lizenz zum Betreten des Nationalparks vorzeigen, auch die Pässe und Flugtickets, als wäre er der Präfekt von Südmadagaskar, bevor er mit sichtlichem Bedauern kundtut, dass er seit geraumer Zeit nicht mehr für den NP zuständig sei; wir sollten uns an den Wirt des Hotels "Les joyeux lémuriens" wenden. Mit jovialer Handbewegung sind wir entlassen, die Audienz ist beendet. Vor der offenen Tür und dem glaslosen Fenster warten unbeirrt unsere künftigen Guides und verfolgen uns aufmerksam zum genannten Hotel. Das ist ein zweistöckiges Lehmziegelhaus, eine holzgezimmerte Treppe ist außen angebracht und führt zu einer schilfüberdachten, ebenso hölzernen Veranda am Obergeschoss. Da steht ein langer Tisch und an dessen Kopfende ein mit Papieren überladener Schreibtisch, und dahinter thront ein Mensch, der wie ein nur unwesentlich schlankerer Zwillingsbruder des ersten Ex-Amtmannes aussieht, aber ohne dessen Freundlichkeit.

"Wo sind Sie denn einquartiert?", knurrt er uns an, die Nationalpark-Lizenz interessiert ihn nur am Rande. Von der Veranda aus hat man einen guten Blick über die gegenüberliegenden Bauten. An jeder zweiten Eingangstür hängen "Hotely"-Schilder, es ist kaum zu fassen.
"Da drüben etwa, wo sie doppelt so viel verlangen wie ich, he?"
Ich kann ihn beruhigen, wir sind schließlich letzte Nacht im Eigenheim beinahe erfroren. Seine Laune bessert sich nur wenig.
Für unser Trekking im Bergmassiv könnten wir noch zwei Decken gebrauchen. Ob er uns welche leiht?
"Kommt nicht in Frage. Wer garantiert mir, dass Sie die wiederbringen? Außerdem habe ich keine Decken übrig."

Nach einer kunstvollen Pause brummelt er aber verschmitzt:
"Wenn Sie Gäste meines Hauses wären, sähe das ganz anders aus. Für meine Gäste tue ich alles. Da würde ich im Dorf genügend Decken zusammenbekommen bis morgen früh."
Dem Schlitzohr blitzt der Schalk aus den Augen. Ich kapiere den Wink mit dem Zaunpfahl, und sogar Ka zieht weiteren Frostnächten im Zelt das Abenteuer eines madegassischen Dorfgasthofs vor.

morgen

Blick vom Fenster des Gasthofs von Ranohira

Die Stuben seines Hauses gleichen unseren Bauernstuben des vorigen Jahrhunderts. Gekalkte Wände, ein roh gezimmertes Bett, Bohlendecke und -fußboden, handgefertigt Stuhl, Spiegel und Tisch, zwei Kerzenständer drauf. Ein glasloses Fenster mit hölzernem Laden und dickem Riegel dran. Sieht aber alles sehr, sehr sauber aus, viel besser, als man dem Haus von außen ansehen würde. Gut, machen wir sein Spielchen mit!
"Eine Übernachtung vor dem Trekken haben wir noch in Ranohira. Wenn es für uns heute noch ein Frühstück geben sollte, würde mir Ihre Stube eventuell zusagen. Aber die Decken liegen mir wirklich am Herzen...."
"Ja doch, essen kann man bei uns immer, ich sag sofort in der Küche Bescheid! Und die Decken? Ich hab noch nie einen meiner Gäste enttäuscht!"

Schon hastet er, ein Geschäftchen witternd, die Holzleiter runter. Hinter dem Haus ist ein kleiner Hof mit einem Baum in der Mitte, an dem ein armseliger, in Ranohiras Morgenfrische heftig bibbernder Lemur angekettet ist. Sollte das der letzte Überlebende der "Joyeux lémuriens" sein? Sehr joyeux sieht er jedenfalls nicht aus. Die Rückseite des Hofes, in dessen Staub und Schlamm sich auch noch Hühner und Enten suhlen, bilden ein paar niedrige Hütten, Wohnung und Küche des Lemurenwirtes und seiner Familie. Und die Klos für die Gäste: Von Latten umgatterte Löcher im Lehmboden.
Als aber das frische, noch backofenwarme Brot vor uns stand und der Kaffee duftig dampfte, reservierten wir uns das Zimmer für heute Abend; den Ausschlag gab die Hausherrin, eine abgearbeitete, hagere Frau um die 50 Jahre, mit rollendem RRRRR im gebrochenen Französisch, aber mit einem so herzlichen Lächeln und gewinnendem Blick, als seien alle Gäste ihre eigenen Kinder. Bei dieser madegassischen Madame werden wir gut aufgehoben sein.

Vor dem Haus warten noch immer "unsere Guides". Ich frage sie, wo die Post ist, obwohl ich das Gebäude längst gesehen habe. Dann tun wir so, als müssten wir noch mal ins Hotel und sehen durch die Zaunlatten, dass die gelangweilten Jungs tatsächlich in Richtung Postamt verschwinden, wo sie vermutlich den ganzen Tag auf uns warten werden. Wir verlassen das Haus nämlich umgehend in der Gegenrichtung und beginnen ohne Eskorte unseren heutigen Spaziergang in den Nationalpark.

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Zukünftige Guides ?


Die Wanderkarte ist so vorzüglich, dass wir auch unbegleitet bis zum Fuß des Berges gelangen, und von da an gibt es ohnehin nur noch einen einzigen Pfad. Das Gebirge hat man von Ranohira aus stets vor Augen, ein bisschen welliges Grasland und ein paar Reisfelder liegen dazwischen. Das Ziel für heute ist in einer behäbigen, dreistündigen Altherren-Wanderung bequem zu erreichen, denn das zerklüftete Isalo-Massiv ist kein Himalaya, sondern eher ein etwas schroffer, felsiger Odenwald. Ranohira liegt in 830 m Höhe, und wir klommen gerade mal bis 930 m, den ausgetrampelten Pfad stets vor Augen. Aber die Landschaft ist grandios: Das Massiv ist "ruiniforme", durch Erosion zu den tollsten Formen zerfressen. Da liegen Plateaus, die sehen aus, als seien sie von Khmer-Tempeln übersät, in andere Felsformationen hat der Zahn der Zeit dorische Säulen wie auf der Akropolis genagt, und die drüber wegziehenden Wolken tuschen scheckige Muster auf den Steingarten. Immer kurioser auch die Flora, jetzt wird es langsam doch madegassisch-exotisch: Weiche, grasartige Kakteen mit kleinen roten Blüten, fleischige Sukkulenten in harten Felsnischen, und dann halten wir die Luft an: Eine dicke, metallisch glänzende Granate mit glimmender Lunte liegt vor uns, fast mitten auf dem Weg! Und noch mehr, hier eine und da eine..... ----- blühende Mini-Baobabs! Fast kugelrund, in für vernünftige Pflanzen idiotischem, metallic-grauem Lack glänzend, mit ein paar Warzen und Auswüchsen wie der Planet des Petit Prince und zwei bis drei luntenartig lang gezogenen Stängeln, an deren Spitze eine leuchtendgelbe Blüte wedelt.

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Eine dicke, metallisch glänzende Granate mit glimmender Lunte liegt auf dem Weg....


Diese drolligen Gewächse halten sich nur an spinnwebdünnen Haarwurzeln fest, und wer mit dem Lachen über solche Missgeburten von Pflanzen fertig ist, kann den handballgroßen Olli ohne weiteres liften und sich nur wundern, dass diese Bonsai-Baobabs nicht bei jedem Stürmchen davonkullern wie die Köpfe der französischen Revolutionäre.

Zuletzt führt der Pfad hinab in eine Oase, wo ein gluckerndes, farngesäumtes Bächlein ein paar Meter in die Tiefe purzelt und ein paradiesisch schönes, wie von Gartenkunstmeistern angelegtes, tiefes Bassin bildet, in dem man nach Herzenslust baden kann. Tun wir aber nicht, denn ringsum geht es ziemlich hoch her. Nur vier Ausländer, aber ein gigantischer Tross von Führern und Trägern. Als wären sich zwei afrikanische Busch-Expeditionen begegnet.

"Mr. Livingstone, I suppose?", bin ich versucht zu zitieren, aber die Malagasy kommen mir zuvor.
"Sans guide?", fragen sie fassungslos.
"Na und?", sage ich. Die Gesichter, mit denen sie uns nachblicken, besagen deutlich: So eine Frechheit gehört verboten, auf eigene Faust hier herumzustromern, ohne uns ordentlich Knete zu zahlen.....!

Auf dem Rückweg begegnen uns noch vier weitere Safaris, bepackt, als gehe es auf Rhinozerusjagd, und jedesmal fragen die Malagasy entgeistert: "Sans guide?"
Als uns auch noch zwei Deutsche, die hinter einem laut furzenden Gepäckträger dreinlatschen und im Mutterlaut ihre Kommentare dazu abgeben, fragen, wieso wir denn so ganz alleine da herumliefen, kann ich nicht an mich halten.

"Passt nur gut auf, dass die Lemuren euch nicht beißen! Und dass ihr euch nicht gar verlauft in diesem wilden Urwald! Welche Achttausender wollt ihr denn mit eurem trompetenden Sherpa erklimmen?"
Ich gestehe ihnen aber mildernde Umstände zu, denn sie waren alle von Toliara oder Tana aus in Package-Touren samt Chauffeur und Lakaien in Landrovern hergekutscht worden, vorgebuchtes Komfort-Abenteuer.

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Ohne Safaris und furzende Sherpas ist der Isalo-NP paradiesisch


Der lange Tisch auf der petroleum-befunzelten Veranda der "Fröhlichen Lemuren" füllt sich langsam mit Vazaha-Volk. Sechs Italiener, je ein britisches und ein französisches Pärchen, ein Australier und wir beide. Keiner von denen ist auf de-luxe-Safari. Sonst würden sie nicht beim Lemurenwirt nächtigen. Der Australier mit seiner Rum-Bottel (das Zeug verdünnt er vorsichtig mit Cola, die hier fast doppelt so viel kostet wie die gleiche Menge Rum) turnt schon seit drei Wochen allein durch die Isalo-Felsen, und die andern kichern ebenfalls über die emsigen Guides. Die Mutti-Madame verwöhnt uns mit eigenhändig gewürzter Suppe und hervorragender Hausmacher-Kost und schleppt dann eine Wanne voll heißen Wassers von der Feuerstelle her, damit wir uns bei Kerzenlicht hinter einem Lattenzaun säubern können vorm Schlafengehen. Trotz des äußerst schlichten Komforts ist auch Ka, die an Herbergen normalerweise andere Ansprüche zu stellen pflegt, mit der freundlichen Hausmutter hochzufrieden - die Betten sind frisch bezogen, neue Kerzen und Streichhölzer liegen bereit. Aufrichtigen Respekt der fleißigen Madegassin!

Afrika geht mit den Hühnern zu Bett und ist bereits beim ersten Hahnenschrei wach. So konnten wir trotz des frühen Aufbruchs den schon auf uns lauernden "Guides", die wir am Vortag ins Bockshorn gejagt hatten, nicht entgehen. Kurz vor dem Verlassen des Ortes holten sie uns ein, einen dritten Typ mit sich führend.
"Je suis le directeur du service des eaux et forêts", sagte der in strengem Ton. "Es ist verboten und völlig ausgeschlossen, dass jemand ohne kundigen Führer den Nationalpark betritt."
Jetzt galt es, geistesgegenwärtig zu sein. Wir hatten zum Glück nach eingehendem Studium der Karten gestern beschlossen, nicht den direkten Fußweg, sondern die einige hundert Meter längere, dafür aber für Allrad-Vehikel befahrbare Piste zu wählen, denn um unser Trekking-Ziel zu erreichen, ist erst ein etwa 35 km weiter Weg, also eine gute Tageswanderung, zu bewältigen, bevor man endlich in den Berg einsteigt. Auf der Piste haben wir theoretisch ein Fünkchen Hoffnung, dass irgendwas Motorisiertes angetuckert kommt und uns mitleidig aufliest. Nun führt der Weg bis zum Beginn dieser Piste zufällig genau in die Gegenrichtung, also fort vom Bergmassiv. Ich erwiderte also gelassen:
"Wie kommen Sie auf die Idee, dass wir zum Nationalpark wollen? Wir sind auf dem Weg nach Andriamanero, wo wir zu einer Hochzeit eingeladen sind. Zum Isalo-Park geht es doch in die andere Richtung, oder?"

Die Burschen standen starr vor Verblüffung. Wir ließen sie stehen und latschten einfach weiter, weg von Berg und Ort, und als ich mich nach 10 Minuten Weges wieder umsah, standen sie noch immer am nämlichen Ort und äugten uns argwöhnisch nach, machten jedoch keine Anstalten, uns zu folgen. Wir scherten uns nicht mehr drum, bogen später ab in die Richtung zum Isalo und tippelten uns bis zur Mittagszeit die Sohlen heiß. Zum Glück war es leicht bewölkt. Wellige, rotbraune, fast baumlose Savanne, so weit das Auge reicht. Mir ist es ein Rätsel, woher die Leute das Holz für ihre Kokelei nehmen, von den Balken für Treppen, Veranda, Möbel usw. ganz zu schweigen. In der Gegend von Ranohira haben wir jedenfalls bisher an baumartigen Gewächsen nicht mehr als 17 verkrüppelte Knorzen erblickt. Ein dunkler Streifen am Horizont entpuppte sich auch nicht als schattiges Wäldchen, sondern als Zebu-Herde. Bei der Begegnung hatte der Hirte alle Mühe, sein Rindvieh auf Kurs zu halten, denn die Hornochsen sind offenbar genauso neugierig wie die nackerten Dorfkinder.

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Zebu-Herde im Grasmeer der baumlosen Savanne


Obwohl es im hiesigen Winter nachts empfindlich kalt werden kann, brennt tagsüber die Sonne doch gewaltig auf die Wanderköpfe; als die Hitze schier unerträglich wurde und unsere Mittagsrast fällig war, brummelte auf einmal von der bisher vollkommen menschenleeren, einsamen Staubpiste her Motorengeräusch, und zwei bis zum Dach bepackte Allrad-Jeeps, aus denen Blonde und Blondinen lugten, holperten an uns vorüber. Ein Dutzend Führer, Träger, Dolmetscher, Fahrer und Steppenköche, die auf dem Dach hockend durchgeschüttelt wurden, winkten uns zu, und dann wurde der Spuk von einer mächtigen Staubfahne wieder verschluckt.

Seufzend tippelten wir weiter. Einsamkeit und Stille hatten wir uns gewünscht, spitzen aber jetzt doch die Öhrchen sehnsuchtsvoll nach Dieselgeboller, ob nicht noch ein womöglich leeres Safarimobil durch die Savanne gepflügt käme; der Stadtmensch kann eben nicht aus seiner Haut! 
Wie bestellt brummelte es ein Viertelstündchen später aufs Neue; Rush-hour auf dem Steppenpfad? Ein Allrad-Gefährt mit nur drei einheimischen Insassen an Bord packte uns und unsere Huckepäcke mit ein. Leider kann ich kein malagasy und nickte deshalb zustimmend, als ich aus den Worten des Fahrers den Ortsnamen Andriamanero herauszuhören glaubte, den ich heute morgen selbst zu meiner dreisten Lüge missbraucht hatte. Von da sind es bis zu unserem Tagesziel nur noch 8 km. Beschwingt stiegen wir in der Ortsmitte dieses Lehmhüttenweilers aus und gaben dem Piloten der Knochenmühle ein Trinkgeld im Glauben, er sei hier am Ziel angelangt. Umso verblüffter glotzten wir der Staubwolke hinterdrein, als er ohne uns in der selben Richtung weiterfuhr, der Saftkopp. Und wir? Was sollen wir in Andriamanero? Eine Hochzeit wurde leider nicht gefeiert unsretwegen. Mit dem Missgeschick hadernd schultern wir unseren Rödel und stapfen in der Nachmittagssonne, von pudelnackten Schokoladenbabys und barfüßigen Steppkes bestaunt, den frischen Reifenspuren hinterdrein.

Moramora, immer mit der Ruhe! Es ist halb zwei, nur noch 8 km liegen vor uns, ist doch schon mal gold. Der Weg führt einen schmalen Fluss entlang in eine schattige Oase. Das Gewässer muss durchwatet werden, dann kämpfen wir uns durch knöcheltiefen, brennend heißen Sand, noch immer dem entfleuchten Luftverpester hinterhertrauernd, japsen durch schattenlose Ebene am nächsten Dorf Tameantsoa vorbei, wo uns ein altes Ehepaar auf dem harten Acker, die Hacken fallen lassend, nachstarrt, als seien wir geradewegs vom Mars herbeimarschiert. Zu Fuß kommen Ausländer hier anscheinend nicht öfter entlang als der Halleysche Komet.

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Das Gewässer muss durchwatet werden


Aus fernem Talesgrund blinkt es im tiefstehenden Sonnenlicht: Drei friedlich parkende Jeeps enthüllt der Feldstecher. Und einen Trek, der sich vom Savannenparkplatz aus auf die nahe Felswand des Isalo zubewegt. Bei unserem Nahen grüßt "unser" Chauffeur so einfältig, dass wir ihm nicht mal richtig grollen können. Um nicht zwischen den Dieselschluckern, die uns jetzt nichts mehr nutzen, übernachten zu müssen, schlagen wir uns in die Büsche, wo der schmale Saumpfad beginnt, der eigentliche Trek ins Isalo-Massiv.
Nun erfahren wir auch, weshalb "unser" Vehikel halb leer hier hergekommen ist: Eine wahre Völkerwanderung, acht Franzosen und 30 Mann schwarzes Dienstpersonal, kommt matt aus dem Berg gestiegen, und alle sehnen sich lautstark nach den wartenden Fahrzeugen. Jeder zweite der einheimischen Lakaien fragt uns mit gerunzelter Stirn: "Vous êtes sans guide?"
Langsam wird mir das zu blöde.
"Der hat Bauchgrimmen gekriegt, ein Bein gebrochen und Durchfall, und musste umkehren", gebe ich zurück, oder "der sammelt schon Holz fürs Abendessen."

Kann ja sein, denn hier sieht man erstmals eine gewisse Anzahl von Bäumen, die es, wenn sie noch Verstärkung holen, irgendwann mal zu einem Wäldchen schaffen. Wasser wäre uns freilich lieber gewesen, denn ich habe den ganzen Tag an meiner Wasserpulle genuckelt, die jetzt fast leer ist. Einer der Franzosen, den ich nach Wasser, Quell oder Bach in der Nähe frage, sagt, ja, Wasser hat's im Berg, fünf Wegstunden von hier. Wahrscheinlich hatte er seine Brille nicht dabei oder einen leichten Sonnenstich weg gehabt: Schon wenige Minuten später baumeln unsere heißgelaufenen Flossen in einem klaren Bergbächli, und noch 100 m weiter lädt eine schattige Senke voller Sumpf und Rinnsalen, den Zebu-Spuren zufolge offensichtlich die hiesige Viehtränke, dazu ein, Etappe zu machen und unser Taschenhotel hier aufzupflanzen, just am Fuß des Berges.

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Die Viehtränke ist der ideale Zeltplatz


Das Abendmenü: Auf einem japanischen Grillrost steht ein thailändischer Topf, mit chinesischer Suppe gefüllt, die über einer Glut, mit Papua-Zündhölzern entfacht, unter madegassischem Sternenhimmel blubbert, auf dass ein deutscher Fahrensmann sich den Wanst damit fülle.

Steinig und steil, trocken und heiß war der menschenleere Pfad, der anderntags zu bewältigen war, bis wir am Nachmittag das erste Ziel erreichten. Weil wir uns der Führer entledigt hatten, mussten wir, wenn es über steinigen Grund ging, bisweilen schon mal suchen, bis wir den kaum sichtbaren Pfad wiederfanden, aber die mit Wegsuche verlorene halbe Stunde ist nichts gegen den Vorteil, ohne labernde oder furzende, drängelnde oder belehrende Mitesser unterwegs zu sein. Ich würde gewiss eher auf das Trekking verzichten als noch Tagelöhner mitschleppen. Ohne Aufpasser kann man Fotos und Pausen machen, wann man will, essen, furzen und pinkeln, wo man will, selbst entdecken und untersuchen, was man will, und all das ohne einen Laut außer dem Brausen des Windes und dem Singen der Vögel. Im Isalo gibt es kein Dorf, keine Hütte, keinen Generator. Hier töffelt kein Buschtaxi, knattert kein Hubschrauber. Auf dem Plateau ein Grasmeer, im Wind sanft wogend, in dem sich der Pfad fast verliert, ringsum zerklüftete Felsen und halsbrecherische Canyons.

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Auf dem Plateau ein Grasmeer, im Wind sanft wogend

 

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