≪≪≪≪≪≪ M A D A G A S I K A R A ≫≫≫≫≫≫
(und ein wenig Mauritius, das gleich nebenan liegt)
August 1992
1
"Taxi, Taxi" tönt der Chor des eigens früh aufgestandenen, rupienhungrigen Empfangskomitees zur Morgenstund, aber wir haben weder Gold im Mund noch überzählige Rupien im Säckel und für die Taxisten nur ein überzeugendes Gähnen übrig. Was sollen wir auch früh um halb 5 in Port Louis, der Insel-Kapitale? "Le numéro que vous avez composé n'existe pas", krächzt es schnippisch aus dem öffentlichen Fernsprecher, welche Nummer ich auch komponiere. Inzwischen ist es 7 Uhr, denn wir sind mit dem frühesten Bus glücklich ins Busterminal von Curepipe gelangt, der höchsten Siedlung (900 m) der Inselrepublik. Dass mich die unbekannte Telefondame auf französisch verlacht, ist bereits das zweite Bildungsgut: In dieser Ex-Kolonie im britischen Commonwealth wird kein Englisch gesprochen, sondern Kreolisch parliert; das ist die frankophone Entsprechung zu Pidgin-English. Der Telefon-Flop war allerdings der letzte für heute, anschließend erwischten wir eine ausgesprochene Glückssträhne. Deren Anfang verbarg sich hinter einer Tür mit der Aufschrift |
RENSEIGNEMENTS |
, sah aus wie ein
beleibter Inder und las gerade Zeitung. Ich wollte mir nur
erläutern lassen, wie man die curepipischen Telefone in Gang und
die schnippische Dame mit ihren französischen Nummern zum
Schweigen bringt, aber der Info-Mann setzte beflissen seinen
Dienstapparat in Aktion. Nicht allein, dass er uns ein
Hotelzimmer reservierte; er ließ sich auch nicht davon abhalten,
uns in seinem Dienstwagen umgehend dorthin zu chauffieren. Das
nenne ich wahres Renseignement! Unterwegs frage ich, für welche
Art von "RENSEIGNEMENTS" (Auskünfte) er eigentlich zuständig sei. |
Port-Louis, die Kapitale von Mauritius
Dass die Sonne
rauslugt, während wir mit einem guten Frühstück im Bauch nach
Port Louis rumpeln, sei nur am Rande erwähnt; Fortuna hat heute
noch Größeres auf Lager. Für unser Reiseziel Madagaskar kann
man aus Tokyo Tickets nur reservieren lassen, aber nicht kaufen.
Bei Air Mauritius raunte mir der Bedienstete, der uns den Preis
von ca. 450 $ p.P. nannte, diskret zu, wenn ich es billiger haben
wolle, sollte ich es in einem Reisebüro versuchen. Wer weiß,
was für eine Rechnung er mit seinem Arbeitgeber noch offen
hatte; vielleicht hat ihn ja auch unser Anblick zu Mitleid
gerührt, denn aus Erfahrung mit ähnlichen Ländern tragen wir
beide im Hinblick auf Madagaskar nur Sachen am Leib, die
eigentlich in die Altkleidersammlung gehören und die wir nicht
nach Japan zu reimportieren gedenken. Jedenfalls schwenkten wir
kurz darauf freudig Tickets in der Hand, für die wir nur 300 $
berappen mussten, im Reisebüro an der Ecke.
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Noch high vom
Erfolgserlebnis, da fällt schon der Blick auf ein verwitterndes
Holzportal, über welchem in weißen, noch nicht ganz
verblichenen Lettern die Inschrift prangt:
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CENTRE
NATIONAL
DE VACCINATION |
Genau so etwas hatten wir als nächstes ausfindig machen wollen. Auf Madagaskar sollen nämlich blutgierige Schnaken hausen, die mancherlei Bazillen im Schnorchel tragen. Um uns nicht die
Malaria einzufangen, hatten wir in Tokyo wieder tausenderlei
Versuche unternommen, uns ohne Aderlass am Geldbeutel
immunisieren zu lassen. Im Vorjahr hatte man uns in der
Tropenklinik Fansidar angedreht, zu dem ehrfurchtgebietenden
Preis von 7 $ pro Pille. Das Zeugs muss eine Woche vor, einmal
wöchentlich während und vier Wochen nach der Reise geschluckt
werden; man rechne sich aus, was das bei zwei Personen und einer
fünfwöchigen Fahrt kostet. Überdies ist Fansidar hochtoxisch,
man soll es eigentlich nur als Notbremse nehmen, wenn das
Tropenfieber bereits wütet. Ich war also diesmal in die
Ausländerklinik in Tokyo gepilgert, um mir was Harmloseres
verschreiben zu lassen. |
So kam es, das wir das Nationale Impfzentrum von Mauritius betraten. Ich weiß zwar nicht genau zu sagen, was ich hinter der Eingangspforte erwartet hätte, mit Sicherheit jedoch nicht jene Art leeren Gerichtssaal mit Holzgestühl, in dem außer vier kartenkloppenden Bengels keine Menschenseele zu sehen war. Die guckten uns genauso behämmert an wie wir sie, und ich fragte, ob hier vielleicht auch geimpft werde. Zwei der dunkelhäutigen Jüngelchen verschwanden in dunklen Tiefen langer Korridore und hatten bei der Rückkehr eine rundliche Tante im Krankenschwester-Look im Gefolge. So ganz falsch waren wir hier anscheinend doch nicht. Der drallen Zeitgenossin verklarte ich mein Begehr, und sie hieß uns warten. Stille ringsumher, abgesehen von den Pokerspielern; keine Muttis mit schreienden Wickelkindern, keine Schulklassen auf Polio-Schluckimpfung, keine impfwillige Kundschaft außer uns. Etwa 20 Minuten später aber schleppte die freundliche Schwester einen Plastiksack voller Pillen aus irgendeiner Dunkelkammer heran, winkte uns zu folgen und führte uns über diverse stille, verlassene Treppen und Gänge in ein dunkles, staubiges Verlies, in dem ein dunkelhäutiger Herr mit Brille und Arztkittel hinter einem papierbeladenen Schreibtisch saß und uns neugierig musterte. Es scheint nicht häufig vorzukommen, dass ihn jemand in seiner Praxis, die mehr einem Anwaltsbüro der 20er Jahre glich, aus dem staatlichen Beamten-Dienstschlaf aufstört. Er füllte uns aus dem großen Sack sorgfältig ein gutes Pfund Pillen in mehrere kleine Beutelchen mit dem Aufdruck "Ministry of health", die großen (Chloroquinphosphat) zum wöchentlichen, die kleinen (Progranil) zum täglichen Verzehr. Wwoooouwww! Wenn das
genau so viel kosten sollte wie in Tokyo, dann brauchen wir gar
nicht erst nach Madagaskar zu fahren, dann wird die Reisekasse
schon heute leer. Die rundliche Schwester kann offensichtlich
auch Gedanken lesen; mit einem lieben Frau-Holle-Lächeln
verkündete sie, das sei eine kostenlose Dienstleistung der
öffentlichen Hand, bon voyage! --- |
Man ahnt es schon, Mauritius ist eine Reise wert. Und bildet ungemein. Eine Insel im indischen Ozean, geformt wie eine Pizza und auch kaum allzu viel größer, überzogen mit einer Mozzarella aus unregelmäßigen Hüppeln vulkanischen Ursprungs, um die sich wie ein Sugo di pomodoro Zuckerrohr-, Tee- und Obstpflanzungen verkleckern, garniert mit ulkigen Ortsnamen wie Curepipe, Flic-en-Flacq und Pamplemousse, und ringsum ein knusprig gebackener Rand von beach, spiaggia und Strand, wo 95 % aller Mauritius-Touristen, vornehmlich Italiener und Honeymoon-Paare aus Nippon, in der Wintersonne brutzeln und Tag für Tag so viele Lire und Yen für die Nobelherbergen ausgeben wie wir heute eingespart haben. |
Curepipe, Blick aufs Plateau Central
Die größte Berühmtheit der Republik ist die "blaue Mauritius", der wir allerdings nicht begegnet sind, obwohl ein Gutteil des hiesigen Zuckerrohrs als hochprozentiger Rum endet. Dank britischer Prohibitions-Gepflogenheiten schlürft man indes lieber Tee, den die indische Bevölkerungsmehrheit (76 %, ferner Chinesen, Afrikaner und Europäer), französisch sprechend, nach Darjeeling-Tradition anzubauen versteht, aber nach Briten-Tradition mit warmer Milch und löffelhäufelweise Zucker zu einem süßen Seim verpanscht. Wer vom
kalten Dauerregen von Curepipe, vom Dieselsmog von Port Louis und
dem Verkehrsstau auf der indisch-übervölkerten Insel die Nase
voll hat und ein paar Meilen in die Prärie rauswandert, um von
weitem über kreolische Wohnviertel und die malerische Lage von
Rose-Hill zu meditieren, wird unversehens von Abendglocken aus
der Siesta geläutet. Man wähnt sich aber nicht lange im
Allgäu, denn der Klöppel ist kaum ausgependelt, da beginnt vom
benachbarten Minarett der Muezzin zu jammern,
lautsprecherverstärkt. Wenigstens die Hindus und
Buddhisten halten die Raffel und haben keine akustische Plage
entwickelt, um der Umwelt auf den Geist zu gehen. Immerhin
scheinen die verschiedenen Heilslehren und Nationalitäten des
ethnischen Flickerlteppichs von Mauritius sich besser zu
vertragen als auf dem Balkan. Inder beherrschen die Kleider- und
Juwelenbranche, Chinesen die Gastronomie und Supermärkte,
Kreolen den Arbeits- und Gemüsemarkt, und Europäer Industrie
und Außenhandel. Wir aber streben schon wieder fort von diesem
Völker-Potpourri, grüßen grinsend das Taxisten-Spalier und
schiffen uns ein auf den am Plaisance-Airport bereitstehenden
Clipper mit der Aufschrift "AIR MADAGASCAR".
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Was sich da, eine
Stunde nach Überfliegung der Vulkaninsel La Réunion, unter uns
aufwellt und bergig dahinfaltet, ist die viertgrößte Insel der
Welt, von ihren Bewohnern, je nach Dialekt, Madagasikara oder
Malagasy (sprich "mallegasch") geheißen. Seit sich
dieser Brocken vor geraumer Zeit vom afrikanischen Kontinent
abspaltete, führt die madegassische Evolution ein Eigenleben.
Urviecher, anderswo längst ausgestorben, existieren da noch,
Lemuren und Quastenflosser, und 80% der gesamten Flora ist
endemisch, also nur auf Madagaskar vorkommend. Dank dieser
Besonderheiten gibt es auf Madagaskar weder Löwen noch
Elefanten, keine Affen, Tiger oder Giftschlangen. Nur Schnaken
--- diese Biester sind wahrhaft international. Das einzige
fleischfressende Großraubtier ist erst in den letzten
Jahrhunderten zugewandert, bewegt sich aufrecht, glaubt an
diverse Götter und kam aus Polynesien, Arabien, Afrika, Indien
und Europa. Es rottete zuerst den Aepyornis (auch "Vogel
Rock" genannt) aus, ein allzu gutmütiges und schmackhaftes,
flugfaules und langsam einherwatschelndes Federvieh, und fiel
dann über seinesgleichen her, wie aus dem Brauchtum dieser
Spezies nicht anders zu erwarten steht. Näheres lese man in
einschlägiger Fachliteratur nach.
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Wir fielen zuerst über
die Wechselstube her und erbeuteten für nur 400 DM einen
ordentlichen Packen Geldscheine. Der höchste Nennwert von 10.000
FMg (Francs Malagasy) ist indes nur 10 DM wert, und weil uns die
Banktante überwiegend mit lapprigen Papieren zu 1000 und 5000
FMg ausstaffierte, waren unsere Geldtaschen nun um ein Pfund
Altpapier schwerer geworden. Darauf haben es die Leute abgesehen,
die jeden fremdländischen Ankömmling wie auf Mauritius zu einem
Spießrutenlauf durch das Taxistenspalier nötigen, aber wir
verteidigen zäh unsere Beute, denn das auserwählte Hotel
"Le cheval blanc" ist in 15 Minuten zu Fuß vom
Flugplatz aus zu erreichen.
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Bei der ersten
Fußwanderung auf Madegassen-Gassen nahe dem Aerodrom ist trotz
wolkenlosen Himmels und angenehm milder Temperatur die
Enttäuschung groß: Ja, wo sind sie denn, die 80% endemischer
Flora? Hier sieht es aus wie anderswo auch. Gras und endemischer Müll am
Rande der Chaussee wie in Japan, Platanen und Kiefern wie im
Rhône-Tal, daneben ein paar Poinsettia-Büsche
("Weihnachtsstern"), rosa blühende Pfirsich-Bäumchen
(auf der Südhalbkugel ist derzeit Winter), dahinter Reisfelder
und Lehmhütten, aus denen uns neugierige Kinder nachglotzen. Das
soll das urige Madagaskar sein? Kein Pleistozän-Schachtelhalm,
kein Archäopteryx, keine Säbelzahntigerechsen, nur
braungedorrtes Gras, Spatzen und dieselrußige Busse an und auf
der staubigen, aber asphaltierten Chaussee.
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Auf geht's, in das etwa
26 km entfernte Antananarivo! Taxipiloten fahren für 10 000
FMg, aber wenn du am Straßenrand wartest, einen der
überquellenden Busse ranwinkst und dich mit reinquetschst,
kommst du für 350 FMg auch ans Ziel. Bevor der erste Bus kommt,
hält ein PKW.
"Nach Tana?"Ja doch. Aber der
europäische Anhalter-Instinkt trügt. Kaum geht die Tür der
Rostkalesche auf, kramt der Typ ein Taxi-Schild aus dem
Handschuhfach und pappt es aufs Dach. Taxi - nein danke. Sieht
man uns durch unsere Lumpen etwa die Geldbündel an, mit denen
uns die Airport-Bank eingangs genudelt hatte? Jetzt kommt aber
doch ein richtiger Omnibus daher, so komfortabel, neu und leer,
dass wir Sitzplätze kriegen. Und bald sind wir froh darüber,
denn was die Mannschaft auf der Fahrt nach Antananarivo da alles
reinpackt, nötigt uns echten Respekt ab. "Überfüllt"
ist eine neckische Verharmlosung.
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"Die Stadt der
Tausend", so die Bedeutung des Hauptstadt-Namens, gehört
schon lange der Vergangenheit an. Mittlerweise hat jeder einzelne
der einstmals 1000 Bewohner für über 1000 Nachkommen gesorgt,
und wenn der beschuhte Vazaha (weißer Mann) nicht gut aufpasst,
trampelt er unentwegt barfüßigen Mitmenschen auf die
Hinterpfoten. Ohnedies gilt es in Tana, alle Sinne wach zu
halten, sonst landet man unsanft in der deckellosen Kanalisation,
stolpert durch ein Schlagloch vom Ausmaß eines
Meteoriten-Kraters oder über das einzige Bein des blinden
Bettlers, der von Staub und Abgasen grau eingefärbt mitten in
der schwitzenden Menschensuppe hockt. Vom Busbahnhof bis ins
Zentrum der City braucht man keinen Stadtplan; man schwimme nur
mit im Strom der Leiber, und wenn der sich um Händler- und
Markt-Inseln herum zerteilt, ahnt man, dass die Araben na
Fahaleovantena (Avenue de l'indépendance) erreicht ist. Groß
gewachsene Leute können am Stirnende der Straße den Bahnhof
ausmachen sowie die Bauten, die den breiten Boulevard säumen,
aber ansonsten wird man nur durch ein endloses Labyrinth von
Marktgewühl geschoben. Von der Couchgarnitur bis zur rostigen
Pleuelstange, vom Rosinenkuchen bis zum lebenden Karnickel, vom
gebrauchten Bidet bis zum Gummi-Michelin-Männchen, auf
Zehntausenden von Quadratmetern ist alles feil, was das Land
produziert und importiert. Die jungen Frauen, die sich in einer
Nische um ältere Damen drängen, die buntbedruckte
Pappschachteln aus ihrer Markttasche ziehen, feilschen vermutlich
um Antibaby-Pillen, die in diesem Lande dringend vonnöten sind,
wo jedes weibliche Wesen zwischen 15 und 50 mindestens einen
Schnuckelbutz auf dem Rücken und einen Nuckelschmatz an der
Brust hat, und Tana kann sich, wenn das so weitergeht, demnächst
umtaufen in "Stadt der ineinander verschlungenen
Millionen".
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Endlosmarkt Tsena Zoma
In dem Malagasy-Gewimmel fallen die wenigen Vazaha auf wie ein Dromedar auf der Strandpromenade von Sylt. Da sie einhellig als wandelnde Geldspeicher betrachtet werden, heftet sich eine Schar von Geschäftemachern, Dienstleistern, Ramschkrämern und Bettelkindern an ihre Fersen, und jeder hat seine spezielle Masche für den Versuch, den Tresor zu knacken. Sie lassen nicht eher locker, bis ein anderer Vazaha aus dem Gewoge ragt. Krokodilledergürtel soll man kaufen und Halbedelsteine, Holzgeschnitztes und Handgewobenes, Exkursionen buchen, Geld zum Schwarzmarktkurs wechseln, Arbeitslose unterstützen und Bettelhände mit Almosen füllen, kaufen, zahlen, kaufen, zahlen, kaufenkaufenkaufenkaufen. Am besten chartert, wer für derlei Versuchungen anfällig ist, für den Rückflug eine Cargo-Maschine. Dabei sind wir, gleich am ersten Tag der Reise, keineswegs zum Einkaufsbummel in diesen Super-Markt geschneit, sondern müssen zu AIR MADAGASCAR, um uns in andere Teile dieser unwegsamen Insel verfrachten zu lassen. Um aber das Büro zu erreichen, standesgemäß an der innenstätische Prestige-Meile gelegen, muss man sich durch den nimmer endenden Jahrmarkt wühlen, der alle Ziele der Stadtmitte belagert wie der Grießbreiberg das Schlaraffenland. Da Antananarivo für 1000 Leute gedacht war, lag es weiland ganz idyllisch an einem klaren Bergsee im klimatisch wohltemperierten Hochland, 1500 m über der fernen See. Dann aber wucherten die Metastasen, sich unablässig mehrend, über die umliegenden Hügel und füllten Berg und Tal mit Häusern und Unrat. Heute ist es eine Stadt auf mindestens 7 steilen Hügeln, zu französischen Koloniezeiten einmal asphaltiert, wovon einzelne Placken noch zeugen. Das Zentrum, jener Boulevard de luxe im Stile der Champs-Elysées, ist vom Zoma zugewachsen, dem chaotischen Endlos-Markt. Markttag ist eigentlich freitags (auf malagasy "zoma"), aber heute ist Donnerstag. Wie wild wird es erst am Freitag werden? Ein schmaler Grünstreifen in der Mitte ist freigelassen: Stätte der öffentlichen Bedürfnisse des Marktvolks, deren Dünste dem Markt seine unnachahmliche Würze verleihen, und durch je eine enge Fahrspur zwischen den Ständen quält sich der abgasspuckende Hauptstadtstau, das Seine zum Duft der großen, weiten Welt beitragend. Von weitem und ohne
Brille betrachtet, könnte Tana in der Nachmittagssonne als
Toscana-Städtchen durchgehen, weiße Häuschen auf braunen
Hügeln, zwischen denen Kirchtürme herausragen, aber wir stecken
mittendrin im Großstadtmulk und müssen durch einen langen
Tunnel, von vierspurigem Stau zu einer schwarzen Gifthölle für
Fußgänger verräuchert. Da kommt man Tausende von Kilometern
herbei, von Sehnsucht nach unberührter Natur und Stille der
weiten Savanne getrieben, und würgt durch Schwaden
konzentrierter, von Katalysatoren unbehelligter Auspuffquälme im
giftigsten Tunnel von Afrika! Und dann packt mich gar das blanke
Entsetzen: Wo der Brodel am dichtesten ist, wo Boden, Wand und
Luft gleichermaßen tunnelschwarz sind, hockt im öligsten Schiet
und Smeer eine barfüßige Bettlerin mit ihrem niemals fehlenden
Zubehör, hinten quäkend und vorne suckelnd....
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Von weitem betrachtet, könnte Tana beinahe als Toscana-Städtchen durchgehen....
Im Foiben
Taosarintanin' i Madagasikara (Nationales Geographisches
Institut) bekommt man ausgezeichnete Messtischblätter des
Isalo-Nationalparks, wo wir ein paar Tage trekken wollen. Die
Genehmigung zum Eintritt in denselben muss man sich im Ministère
des eaux et forêts schriftlich geben lassen. Das Ministerium
liegt laut Guidebook weit außerhalb in einem Vorort, und dahin
nehmen wir denn doch ein Taxi, allein, um nicht noch einmal durch
den Todestunnel taumeln zu müssen.
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Abenteuer auch im Ministerium: Leider samt Minister unbekannt verzogen. Noch mehr nationalparksüchtige Ausländer stehen ratlos herum, aber ein Taxi-Fritze weiß Rat, packt alle Vazaha in sein Vehikel, verdoppelt gekonnt den Preis und kutscht uns immerhin an die richtige Adresse, keine 100 Meter von den letzten Ausläufern des doch nicht endlosen Zoma-Marktgewimmels entfernt. Auch das Ministerium ist neuerdings zu der Erkenntnis gelangt, dass Touristen Madagaskar überwiegend in der Absicht aufsuchen, dort überschüssige Reichtümer loszuwerden, und verlangt nunmehr pro Person und Nationalpark pampige 20 000 FMg Eintrittsgebühr. Bis 1991 war alles kostenlos. Wer vorhat, Madagaskar zu besuchen, der tue es bald, bevor es sich herumspricht, dass Neuankömmlinge in Tana alle Sonderzahlungen leisten, die man ihnen abverlangt! Ohnehin kann man die mitgebrachten Guidebooks glatt wegschmeißen, die aufgelisteten Preise verdoppeln sich anscheinend alljährlich, und manche der angegebenen Entfernungen offenbar auch. Mit dem Vorsatz, Antananarivo nur noch aufzusuchen, wenn es unumgänglich ist, rumpeln wir in der Abendsonne durch die Schlaglöcher raus nach Ivato, wo unser Hotel in ländlicher Umgebung und guter, nach Sonnenuntergang empfindlich kühler Luft eine erfreuliche Alternative zu Tana und seiner Smogsuppe bietet. Wer trotz alledem noch Tana-hungrig ist und Großstadt-Dünste nicht missen mag, der kann beispielsweise auf den höchsten Zinken marschieren, wo die Rova steht, die Residenz der ausgestorbenen Könige von Madagaskar. Vor der Kolonisation beherrschten seit 1790 die Merina, der Stamm des Hochlandes um Antananarivo und Antsirabé, die gesamte Insel, nachdem ein König, dessen voller Name gemeinhin auf Andrianampoinimerina abgekürzt wird, die letzten aufsässigen Stämme des Südwestens bezwungen hatte. Die Merina sind nicht afrikanischer Herkunft, haben hellere Haut als die meisten anderen Stämme und durchweg glattes Haar. |
Unterhalb der Rova
erstreckt sich ein botanischer Garten, der einen Besuch durchaus
lohnt. Wenn das Zugangstor geschlossen hat, dann mach dir nichts
draus, es ist ohnehin der Hintereingang. Entweder latscht man die
zwei Kilometer rund um den Park zum entlegenen Vordereingang, der
von Tana aus gesehen hinten liegt, und trägt sich dort brav ins
Gästebuch ein (Eintritt ist frei), oder man wutscht durch eines
der vielen Löcher im Zaun. Im Park ist ein Teil der endemischen
Flora und Fauna zu sehen, Sukkulenten und Kakteen,
Galapagos-Schildkröten, Krokodile und Lemuren in vergitterten
Käfigen. Zur Ehre des Gartens sei aber gesagt, dass auf einigen
künstlichen Inseln die häufigste Lemurenart von Madagaskar, der
Lemur Catta maki mit seinem gestreiften Schwanz, frei
herumhüpft, denn die Viecher können oder wollen nicht schwimmen.
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"Bonjour, je m'appelle Catta Maki !"
Da
kommt
ein oberschlauer Gärtner in blauem Kittel herbeigeschlendert. Der
hat gut aufgepasst und gesehen, dass wir nicht durch den
offiziellen Zugang gekommen sind. Er wolle unser Eintrittsbillet
kontrollieren, keckert der Kerl und weiß genau, dass wir keins
haben. Ja, dann sollen wir ihm ein Trinkgeld geben, 500 FMg seien
angemessen, damit er ein Auge zudrücke. Ich biete ihm an,
stattdessen mit ihm zusammen zum Eingang zu gehen und ein Billet
zu lösen, was er natürlich ablehnte, weil die Botanik noch
immer kostenlos zu besichtigen ist. Als ich mich nicht als naiv
genug erwies, um mir mit seinem Dreh Geld aus dem Beutel zupfen
zu lassen, zog er grummelnd davon.
Nicht dass mir 500 FMg (50 Pfennig)
zu teuer sind, aber für blöd angesehen zu werden wurmt mich.
Wanderer, kommst du nach Mad,
so hüte dein Geld wie der Lindwurm das Rheingold!
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Die
Infrastruktur von Madagaskar gleicht der chinesischen Mauer. Da
war mal was Großes geplant, wurde (zu Kolonialzeiten) mit
Schwung in Angriff genommen, aber nie vollendet, und rottet nun
in bröselnden Überresten vor sich hin. Straßen in unserem
Sinne gibt es zwar sporadisch, aber gut asphaltiert und ausgebaut
sind in der Regel nur belanglose Nebenstraßen. Die wichtigsten
Verbindungswege zwischen den großen Städten sind im
günstigsten Fall Allwetter-Schotterpisten, im weniger günstigen
Fall nur in der trockenen Jahreszeit mit Allrad-Antrieb
passierbar, und enden im ungünstigsten Fall am Fuße eines
Berges, der per pedes in zwei bis acht Tagesmärschen zu
bewältigen ist, bevor die Straße auf der anderen Seite
weitergeht.
Auf diesem anmutigen Wegenetz spielt sich der
größte Teil des Verkehrs zu Fuß ab, denn die Malagasy sind es
gewöhnt, weite Strecken barfuß zurückzulegen. Man reitet kein
Pferd und keinen Esel; nur wenn große Lasten transportiert
werden müssen, wird ein Fuhrwerk beladen, das zwei Zebus mit
einer Geschwindigkeit von zwei Stundenkilometern vorwärtsbewegen.
Etwas schneller kommt man mit Lastwagen voran. Die Fahrer packen
auf Ladefläche, Dach und Fracht jeden, der gewillt ist, sich
einstäuben und durchrappeln zu lassen und dafür noch, je nach
Distanz, ein paar lapprige Scheine herzugeben. Das Abenteuer kann
aber jäh enden, wenn einer der zu durchfahrenden Flüsse
Hochwasser oder die betagte Fähre Motorschaden hat, ohne Sprit
oder gar abgesoffen ist. Man muss auf buchstäblich ALLES gefasst
sein.
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Auf Passagiertransport spezialisiert sind mehrere Arten von
Taxis. Überlandbusse heißen Taxi-Brousse (Busch-Taxi),
Mittelstrecken-Vehikel in Formaten zwischen VW-Bus und Renault R
4 nennt man Taxi Bé (Groß-Taxi), und was der reiche weiße
Massa zu nehmen hat, sind herkömmliche PKWs aller Roststadien
auf mehrfach geflickten, alle 20 km dennoch
pfchchchchchhh-platten Gummifüßen. Aber wir sind noch nicht am
Ende. In den meisten Provinzstädten bewegt sich der Herr (oder
die Dame) von Welt und Geld im 0,1-PS-getriebenen Pousse-pousse,
jenem bei uns unter der Bezeichnung "Rikscha" bekannten
Gefährt.
So, jetzt weißt du, was das "Pousse-pousse" aus dem Titel dieser tollen Story bedeutet. Ist womöglich gar kein Kisuaheli... |
Pousse-pousse vor dem "SUPER-HOTEL", wenn man dem Schild an dem Rostpalast trauen darf
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Am Airport von Toliara im Südwesten der Insel stürzen sich nur die wilden Taxisten auf den verdutzten Rucksack-Vazaha (= Fremdling), der tüchtig strampeln muss, um nicht brachial in eine der bereitstehenden Schrottkaleschen bugsiert zu werden. Wir wollten uns ein 26 km von der Stadt entferntes Strand-Bungalow-Hotel nahe dem Weiler Ifaty angucken, das den verheißungsvollen Namen MORAMORA (etwa: "immer mit der Ruhe, lass dir Zeit, mach mal Pause, nimm's leicht" etc.) trägt, und finden einen Typ in einem Kombi mit der Aufschrift MORAMORA. Ist ja dufte, von dem lassen wir uns gleich hinbefördern! Und jetzt weißt du auch, was Moramora bedeutet, ist gar nicht so schwer. Das mit dem Hinbefördern ist allerdings auf Madagaskar nicht so einfach. Gegen halb 9 waren wir gelandet, und als wir MORAMORA erblickten, war es halb 3 am Nachmittag. Das Haus trägt seinen Namen also nicht ohne Grund. Zum Glück hatten auch wir in Toliara allerhand zu besorgen, zum Beispiel das Taxi-Brousse-Ticket für die Fahrt nach Ranohira morgen früh. Diese Busch-Raketen, Schrecken der Chaussee, starten laut Fahrplan zwischen 5 und 6:30 in der Frühe, und Platzkarten hat man am Vortag zu bongen. In Toliara, einem verschlafenen Kleinstädtchen mit großem Markt und vielleicht 17 Geschäften im Zentrum, kann ein Bleichgesicht keinen Schritt tun, ohne von Taxitaxi-Rufen und Pousse-pousse-Aufforderungen begleitet zu werden. Dass Touristen, die so schwer an ihrem Geld zu tragen haben, auch nur einen Schritt auf eigenen Füßen tun, muss unbegreiflich sein. |
Die madegassische Westküste an der Straße von Moçambique ist "afrikanisch", sowohl das Klima als auch die Menschen. Schwarze, krausgelockte Jungs ziehen geduldig ihr leeres Pousse-pousse neben uns her, fest überzeugt, dass wir früher oder später doch noch einsteigen. Den Kerlchen kann man zehnmal sagen, dass man keinen Chauffeur benötigt, sie machen trotzdem ein langes Gesicht, wenn man nach dem Casse-croûte im indisch geführten Café Maharaja in den wie verabredet herzubrausenden MORAMORA-Kleinbus steigt und rikschalos von dannen zischt. Die Fahrt in die Erholungsstätte ist Rallye Dakar-Timbuktu. Eine Piste ist zwar erkennbar, mahlt aber durch Dünen und Staub, durch Krater und Senken, über Geröll und Kaktusstacheln, und dass auf dem Weg nach Ifaty ein gestrandetes Motorrad-Pärchen aus Frankreich gerettet werden muss, überrascht niemanden. "Auf diesen Pisten sind schon viele Europäer stecken geblieben und verdurstet. In Tana mieten sie sich einen motzig ausschauenden Feuerstuhl, aber wenn der Sand schluckt oder in einen Kaktus rumpelt, bleibt nur noch Altmetall," so der kundige Kommentar der MORAMORA-Crew. Eine dekadent aussehende, mit Goldschmuck behängte und kriegerisch geschminkte Madegassin auf Heimaturlaub, mit einem französischen Soldaten verheiratet und in Karlsruhe stationiert, fügt mit rauchiger Stimme in grabesschaurigem Deutsch hinzu: "Auch einer meiner besten Freunde ist mit dem Motorrad auf Madagaskar verschollen...." Gruselgruselgrusel. Es ist aber zu heiß in
den frühen Nachmittagsstunden, um mir kalt den Rücken
runterzulaufen, und viel zu lebendig: Alle naslang ein Dorf
voller kecker, nackter Kiddies, die dem durch den Staub mahlenden
Vazaha-Transporter johlend hinterherrennen, linkerhand das Meer,
salzige Seen und grüne Wiesen, und dann ein Schild, das in
Richtung Meeresküste weist und das Ende der sandigen Rallye
verheißt:
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↢ MORA MORA |
Sieht einladend aus, in
einem grünen Hain schattenspendender, hoher Filoa-Bäume, da
lungern auch andere Touristen auf Wiese und Strand rum, da
quackelt es auf Nederlands, Italiano und Français.
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Ich hocke noch nicht so recht am Rand des wasserlosen Swimmingpools, um das
Reisejournal auf den neuesten Stand zu bringen, da tippt mir wer
auf die Schulter. Ich dreh mich um und blicke einem Lemuren ins
pelzige Angesicht, der sich wuppdich meinen Sombrero schnappt und
drauf rumkaut, bis ich ihm einen nahrhafteren Keks auf dem
Rucksack fitzele. Da gibt's was zu knuspern, erspähte der Rest
der Sippe und stob vehement durch Palmwedel und Bananenblätter,
stieg hungrig auf Kazukos Knie und Schoß und ließ nicht eher
locker, bis die Kekse all waren und die Lemuren sich davon
überzeugt hatten, dass die Rucksäcke im Wesentlichen nur noch
schmutzige Wäsche und heißgelaufene Stinkesocken
enthielten.
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"War das alles? Ich könnte noch ein paar Tomaten vertragen!"
Samstag abends ist im MORAMORA keine Spur von moramora, sondern RAMBOZAMBO. Eingedenk des morgigen
Buschtaxi-Frühstarts um 6:30, vor dem noch 26 km Hindernisrennen
zu bewältigen sind, wollen wir uns fürs geplante Trekking fit
machen und uns früh aufs Ohr legen. Als aber vom nahen Dorf her mit Einbruch der Dunkelheit ein Trommeln und Fiedeln zu vernehmen war, das vom Strand hergezogen kam, und im Fackellicht eine Busch-Combo mit selbstgebastelten Instrumenten einen fetzigen Malagasy-Sound hinlegte, zu dem gut gebaute Girls mit kunstvoll geflochtenem Haar herausfordernd ihre Hüften schwenkten und heiße Afro-Rhythmen sangen, ließen wir Wasch- und Flickzeug liegen. Schön, die friedlich-vergnügten Kinder! Drei Flugstunden entfernt, in Rwanda, Moçambique und anderswo, schlachten sich ebensolche Teenager gegenseitig ab. |
Tanz bis in die Morgenstunden zu Musik auf selbstgezimmerten Instrumenten
Nebendran drehten sich unter den Palmen auf armdicken Bambusspießen zwei leibhaftige Ziegen über einer roten Holzkohleglut, von unzähligen munteren Wuschelköpfen der Dorfkinder umringt --- wer wollte da Riemen flicken und bieder im Schilfhüttli pennen? Den Globetrotter beschleicht bei so etwas leicht das Gefühl, das sei eine eigens für die Touristen inszenierte Show. Dafür wirkten die Sänger, Tänzer und Musiker aber zu amateurhaft. "Nee, die machen das sowieso jede Nacht in ihrem Dorf, so wie wir daheim vorm Fernseher hocken. Die haben nicht extra für uns was einstudiert. Nur kommen sie samstags halt hierher und machen ihr Spektakel bei uns statt im Dorf, weil sie sich damit ein paar FMg verdienen können", sagt der flotte Franzose und hat wahrscheinlich Recht, denn während die Touristen zwei Stunden später der Tänze längst müde sind und mit ziegenbratengefüllten Bäuchen an der Bar hocken, singen und springen die Teenies mit unverminderter Begeisterung zuschauerlos am dunklen Sandstrand weiter, bis tief in die Nacht hinein. So eine "Disco" lass ich mir gefallen. Aufgekratzt tobt auch
die ewig hungrige Lemurenbande durchs Dachgebälk der Halle und
über das aufgetischte Büffet, Salatblätter und Tomaten
stiebitzend, während an den offenen Fenstern die kleinen
Dorfkinder mit Stielaugen dem Vazaha-Schlemmen zugucken und vom
Personal verscheucht werden, wenn sie zu nahe kommen. Lemur auf
Madagaskar müsste man sein! Immerhin, versichert der Manager
den Gästen mit schlechtem Gewissen, kriegen die Kinder alle
(üppigen) Reste und lecken alles ratzeputz leer.
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Jetzt hat sich's ausgemeckert - Ziege am Spieß im Moramora
MORAMORA ist ein Knallbonbon gewesen,
schwärmen wir übereinstimmend, bis wir die Rechnung kriegen.
Keine 24 Stunden waren wir da, müssen für den Spaß aber knapp
100 $ hinblättern, darunter 48 $ für zwei Transfers von und
nach Toliara. Und wir glaubten, das sei ein kostenloser
Kundendienst wie sonst überall auf der Welt! Wieder um eine
Erkenntnis klüger geworden. Reisen bildet wirklich ungemein.
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