Ein Kilometer, 15
Minuten zu Fuß, sagt Ka und nickt. Das
liegt innerhalb ihres Toleranzbereichs. Frank sollte dazu sagen, dass
dieser Wegweiser der einzige mit englischer Beschriftung ist,
während es an dem Berghang, in dessen unterem Bereich noch
viele
Wohnhäuser standen, von Fußwegen und Abzweigungen
nur so
wimmelt. Etliche Fehlversuche enden vor bellenden Hunden und
wäschetrocknenden Matronen; die Rüden weisen die Besucher ab,
die Matronen versuchen, ihnen per internationaler
Gebärdensprache
den Weg zum Heil zu weisen. Wo Frank hinwollte, brauchte er keiner zu
sagen, das war sonnenklar. Irgendwann fand er heraus, dass bestimmte
Sinhala-Kringel auf Schildern, die er für Werbetafeln
hielt, offenbar auf das hinwiesen, was er suchte, den Buddha
on the rocks. Er kam auch hin, aber das war gut anderthalb Stunden
später, denn der Weg war steil und beschwerlich.
Hinter dem Buddha
entspringt ein kühler Quell, der jedem Pilger sehr
willkommen ist, und den Makaken auch, die darauf warten, dass Frank
jetzt hier ein Picknick veranstaltet. Den Gefallen tut er ihnen
nicht, aber die Schulklasse mit Lehrerin, die auf Schulausflug genau
zu Füßen des Buddhas ihre Curries auspacken.
Wuppdich, da
war Frank die Äffchen los. Es dauert nicht lang, da kommen
drei
Schüler aus der Klasse auf Frank und Ka zu und bieten ihnen ihre noch
ungeöffneten Lunchpakete an. Ist das nun der Einfluss des auf die Sünder
herabäugenden barmherzigen Buddhas, dass sich die lankesische
Schuljugend für das Wohlergeben fremder Oldtimer
verantwortlich
fühlt, oder hat ihnen das die Lehrerin gesagt? Frank
findet
es furchtbar lieb, aber weil er von Sena morgens mit Pfannkuchen und
Curry und Obst genudelt worden war, kriegt er selbst bei gutem
Willen bis zum Abendmahl nichts mehr runter. Ganz herzlichen Dank, ihr
Jungs.
Wenn Frank daran denkt, wie manche Fremde, die auf Barmherzigkeit ihrer
Mitmenschen angewiesen sind, in Deutschland behandelt werden,
schämt er sich zutiefst vor all
den vielen unbekannten Menschen, die ihn hier in fernen Landen mit
Wohltaten überhäufen.
Runter ging es schneller, nachdem Frank an dem Quell die letzten
Schweißperlen durch Süßwasser ersetzt
hatte. Vor
allem Ka hat einen Affenzahn drauf, denn sie sehnt sich nach dem
Aircon ihrer Blechkutsche, in der freilich auf dem schattenlosen
Parkplatz das Benzin im Tank beinahe kochte.
Die Fahrt führt noch eine Weile durch sehr schöne Landschaft auf
der
Suche nach einem weiteren Tempel, der sich aber nicht zeigen will. Stattdessen fand sich ein Tuktuk, das aus unerfindlichen
Gründen
mit allen drei Rädern nach oben in einem Wasserreisfeld lag;
Driver
und
drei Fahrgäste standen drum herum und sahen belämmert
dabei zu, wie das Ding baden
ging. Das Erstaunliche daran ist, dass es erst der zweite Unfall war,
den Frank zu Gesicht bekamen; bei der extrem abenteuerlichen lankesischen
Fahrweise würde es in Deutschland alle zwei
Minuten scheppern. Hier ist das mehr ein Sport, und falls du
dich
nicht in den Straßengraben verdrückst, wenn im
Gegenverkehr
zwei Amok fahrenden Busse ein Wettrennen veranstalten, rammen sie dich
eben, im Bewusstsein ihrer überlegenen Masse, voll aus dem
Weg. Frank fährt extrem defensiv und lässt alle Kavalkaden, die noch kurz
vor der unübersichtlichen Kurve unbedingt überholen
wollen,
vorbei. Frag deinen Psychologen, warum am Steuer bei diesem Machosport
der längst ausgestorben geglaubte Neandertaler noch aus uns
herauslugt.
So, irgendwann muss man aber doch noch nach Kandy, denn das
zu
bestaunende Weltkulturerbe ist nicht die Perahera, sondern der Tempel
mit Namen Sri Dalada Maligawa, in dem ein Zahn des Buddhas verwahrt
wird. Wie der es nach Kandy schaffte, das ist wieder eine andere
Geschichte. Wahrscheinlich ist ein antiker Zahnarzt bestochen
worden. Dem Frank ist
jedenfalls kein Buddha mit Zahnlücke
aufgefallen bisher. Ein bekannter Palästinenser soll
einmal gesagt haben, dass dem Glauben nichts unmöglich sei. Dem gibt es
nichts hinzuzufügen.
Rund um den Zahntempel
zeugen immer noch Berge von Müll von
dem
verflossenen Fest. Überall werden Tribünen abgebaut
und
Stände zerlegt, nur diejenigen mit den Opfergaben und
Blumenarrangements sind noch aktiv und werden wohl nie geschlossen,
denn ob Feste oder Lose, hier ist immer ein Pilgergedränge.
Die Spende, die Frank an
der Kasse für ausländische
Besucher
entrichtet, wird in ein notizbücheldickes Ticket umgewechselt.
Ein
Postkarten-Set?
Mann, Frank, du lebst wohl hinterm Mond? Da ist eine DVD
drin
mit dem Titel "Welcome To The Sacred Temple Of The Tooth Relic", die
dir nach einer Werbung des Board Of Tourism alles über Kandy,
Tempel und heilige Zähne erzählt, wahlweise in nahezu
allen
Sprachen des Globus. Wozu brauchen wir da noch Guides?
Ka&Frank sind zur rechten Stunde gekommen, denn dreimal täglich
wird
der heilige Gral enthüllt, in dem angeblich der Zahn vor sich
hinmodert. Schon ist der Tempel rammelvoll, aber man wird von einem
schwachen Sog ins Obergeschoss gezogen, in dem kaum noch ein Flecken
unbesetzt ist. Der Sog, so stellt sich heraus, entsteht durch die
Frommen, die vor dem Zahnschrein Blumen ablegen wollen. Die lange Tafel
ist beinahe meterhoch von Blumen überhäuft,
denn der
Spenderstrom reißt wohl nur nachts ab, und hinter der Tafel
stehen fünf oder sechs Leute mit Harken, die kaum mitkommen,
die
vor wenigen Minuten erst abgelegten Blüten in gigantische
Müllsäcke zu schaufeln. Aus der Halle im Erdgeschoss
ertönt ein Laut, als ob Dudelsackpfeifer da ans Werk gingen,
es
ist die Ouvertüre zur Enthüllung von Sankt
Backenzahn, auf
kurzen
Flöten von zwei Burschen in Festtracht geblasen.
Keine
Angst, die Dentisten, nein, die Flötisten blasen auch in einer Stunde noch, wenn der Zahn wieder im
Kiefer steckt. Frank bleibt erst mal oben, wo soeben eine Schar
von
Bonzen aus einem Nebengemach ins Allerheiligste schreitet. Eine kurze
Zeit später geht ein entzücktes Raunen und
ergriffenes
Seufzen aus tausend Kehlen durch die Halle, denn der Tabernakel wird
geöffnet. Nein, da siehst du keinen Zahn wie beim Flötisten, nein, ich meine natürlich Dentisten,
sondern eine goldene Minidagoba, und da drinnen ruht, vielleicht, des
Buddhas Weisheitszahn, vielleicht aber auch nur ein kariöser
Affenzahn. Oder ein Nichts, das die zahnmedizinische Spiritualität symbolisiert.
Mache Leute sinken auf die Knie, wo der
verfügbare Platz es zulässt, andere trippeln mit
gefalteten
Händen in einen schmalen Gang, der rund um die Reliquie
herumführt. Auch Ka, die aus Unachtsamkeit zu nahe am
Gral
stand, wird mit durch den Gang gequirlt. Die Frau hinter ihr, die
vermutlich schon seit 6 Uhr früh anstand, hatte Ka
angefaucht,
die sich neugierig zwischen die weiß gekleideten Pilger
drängelte, aber ein Tempeldiener ging gleich dazwischen und
erzählte der Dame irgendetwas, vermutlich, dass wir
für unsere
Eintrittsbillets, pardon, Spendenquittungen, mindestens das 7fache
berappen, woraufhin die Pilgerin ein
liebenswürdiges Lächeln aufsetzte und Ka mit in
die
heilige Runde schob. Danach geht es wieder die knarzende Holztreppe
hinunter ins Erdgeschoss, wo die Jungs noch immer ihre
Dudelsacktöne pfeifen.
Hier ist wirklich, neben
Anuradhapura, das Zentrum des lankesischen
Buddhismus. Alleine
die Pilger zu sehen, die in allen Ecken und Nischen, vor jedem Buddha
und Bodhisattva hocken oder knien, tief in Gebete versunken, ist schon
den Status eines Weltkulturerbes wert. In einer anderen Kammer
erblickte Frank in einer mit Gittern abgeteilten Ecke die
Elefantenkostüme
der
Perahera aufgeschichtet liegen. Nur zwei Männer sind damit
beschäftigt, sie zusammenzufalten und für das
kommende Jahr
zu verstauen. An der Prozession haben knapp hundert Elefanten
teilgenommen, die
alle ihre riesigen, mehrteiligen Anzüge trugen. Frank
schätzt, dass alleine das Zusammenlegen und
ordnungsgemäße
Verstauen eine gute Woche in Anspruch nehmen dürfte.
Draußen ist auch viel los. Da gibt es Brunnen, um sich die
Füße zu waschen, was man nicht --wie Frank-- NACH,
sondern
VOR dem
Betreten des Heiligtums tut, aber der ist eben ein dummer Agnostiker,
von Buddhas Güte noch kaum gestreift. Und es stehen da Schalen,
mit
Sand gefüllt, in die man Räucherstäbchen
stecken kann,
es duftet nach Sandelholz und Aloe und allen Düften des
Orients mit Ausnahme von Curry.
Nein, Hunger hatte Frank nicht, das war jetzt nur eine Zufalls-Assoziation.
Und dann steht unter dem Bodhibaum noch ein Glashaus, in dem aber nicht
mit Steinen geworfen wird, sondern lange Reihen von
Metallgerüsten
aufgereiht sind, auf die man Fettnäpfchen stellt und per Docht
und
Feuerzeug in ein Lichtlein umfunktioniert. Neugierig steckte Frank seinen
Kopf da
hinein, zog ihn aber gleich wieder zurück nach draußen. Die Sonne, die auf
das Glasdach brennt, und die Ölfunzeln im Innern entwickeln
eine
derartige Hitze, dass man darinnen auch Pizza backen
könnte.
Da ist Frank die letzte
Halle doch sympathischer. Kühler
Marmorboden,
weiße Säulen, Halbdunkel, eine Batterie Buddhas
vorne, aber
nur wenige, aber umso frömmere Gläubige. Er lässt sich auch
eine Weile nieder, um über schattige Orte an heißen
Tagen zu
meditieren.
Wieder im Freien,
entdeckt er kurz vor dem
Ausgang eine weite, offene Halle mit einem leichten Dach aus
Holzschindeln. Sie dient trotz ihres offenkundig reichlich
antiken Alters offenbar nur dem Zweck, sich im Schatten niederzulassen
und Pause zu machen, was Frank ausgiebig tut. Da sitzen Familien mit
Muttis, die ihren Babys die Brust geben, Grundschüler, die
pausenlos futtern, Ausländer, die im Guidebook
blättern, Pilger, die vom heiligen Rundgang ins Schnaufen
gekommen sind,
und direkt neben Frank lässt sich eine Gruppe junger
Mädchen
nieder, augenscheinlich Studentinnen, die einander ihre Hausarbeiten oder
Referate vortragen, kommentieren und korrigieren; so ein
heiliger Tempel hat offenbar auch weltliche Funktionen, vom Buddhazahn
zum Affenzahn ist es nur ein kleiner Schritt.
Dass Frank sie heimlich
fotografiert, merken die
barfüßigen, langhaarigen
Mädels nicht, so fleißig sind sie in ihre Studien
vertieft.
Sena
ist aufrichtig betrübt, dass der Abschied naht. Er hatte Frank und Ka
als seine persönlichen Gäste mit großer
Herzlichkeit
verwöhnt und wie ein Wachhund auf der Couch im Wohnzimmer
geschlafen, für den Fall, dass sie nachts noch einen Wunsch
hätten. Vielleicht mied er ja auch sein Zimmerchen im
Untergeschoss, weil sich am Vorabend eine Kobra vor seinem Eingang
zusammengeringelt hatte. Auch Philipp, der gestern seinen 42.Geburtstag
begangen hatte,
drückt ihnen mit einem bedauernden Grinsen die Pfoten. Auch Frank
wäre
ehrlich
gesagt gerne noch hier geblieben, das Guest house ist perfekt und die
beiden Gastgeber sind wirklich ausgesprochen liebenswert. Und dass ihm
für vier
Nächte, viermal zwei Frühstücke und dreimal
zwei Abendessen insgesamt nur 280 $ berechnet wurden, ist kaum zu
glauben.
Als er den staubigen Feldweg hinunterbollerte, sah er im
Rückspiegel, dass sich Sena tatsächlich die Augen
auswischte.