....schnurrt Franks
Oldtimer über den babypopoglatten Asphalt, nachdem er die
Querfeldein-Baustellen-Strecke am anderen Morgen hinter sich gelassen
hatte. Sri Lanka ist schließlich unglaublich flach, mit
Ausnahme
einer hügeligen bis gebirgigen Provinz weiter unten im
zentralen
Süden, und die Landstraße von Puttalam nach
Anuradhapura ist
gut ausgebaut, weitgehend schnurgerade und nicht sonderlich
frequentiert. Allmählich hätte ihm das Autofahren
sogar Spaß gemacht, wenn
nicht, quietsch, alle naslang ein Köter, just vor den
heranbrausenden Gummifüßen, gemächlich die
Straßenseite wechseln würde.
Wenn
dir Anuradhapura kein Begriff ist, guck im Internet nach oder lies
das nächste Kapitel. Das ist Franks
nächstes Ziel, aber er
hat die Rechnung ohne Eid-al-Fitr gemacht.
So
gut wie alle Hotels sind ausgebucht, und in einer Wanzenhütte
mag er nicht logieren.
Eid-al-Fitr
ist für agnostische Touristen uninteressant, keine Festmusik,
kein
Umzug,
keine Tänze, und Cocktails schon gar nicht, denn der Islam
verabscheut alles, was schön ist: Frauen, Musik,
Blumen... Also,
diese Schamanen aller Tempelkirchenmoscheesynagogen
hängen Frank
schwer zum Hals raus mit ihren seltsamen Bräuchen,
vor allem wenn sie ihm damit störend in die Quere geraten.
Das
schwitzende Vehikel, das heute schon widerspruchslos 120 km durch
flaches, palmiges Grün gerollt ist, wird
wieder angelassen
und kommt erst in Habarana wieder
zum
Stehen, 65 km weiter
östlich. Es ist nicht so, dass Habarana irgendwelche
Attraktionen
aufzuweisen hätte; es ist eine dösige, schmuddelige
Kleinstadt, die sich um die Kreuzung zweier wichtiger
Landstraßen
gruppiert, mehr nicht. Aber es
liegt in der Nähe einiger
Sehenswürdigkeiten, ist als Ausgangspunkt für
Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung
höchst
geeignet und besteht zum großen Teil aus Hotels und Guest
houses.
Wer da kein Obdach findet, auch an Eid-al-Fitr, muss schon sehr
wählerisch sein.
|
![]() |
Frage:
Ist Sri Lanka
eigentlich hinduistisch oder muslimisch oder was?
Lakshmi:
Wir
Singhalesen sind überwiegend Buddhisten. Sri
Lanka steht in Hinsicht Religion Myanmar
oder
Thailand näher
als Indien. Aber die aus Indien eingewanderten Tamilen, die
etwa ein Drittel der Bevölkerung ausmachen, sind
natürlich
überwiegend Hindus. Portugiesen, Holländer und Briten
haben
auch emsig missioniert, weshalb wir einen hohen Anteil an
Christen
in allen Volksgruppen haben. Vor allem die Colleges sind oft in
christlicher Hand. Und dann leben noch ca. 8% Moslems
hier, eingewanderte Araber und auch konvertierte Einheimische.
Alle
Menschen, gleich welcher Religion sie
angehören, praktizieren
ihren Glauben mit tiefer Frömmigkeit. Unsere Verfassung sieht
uneingeschränkte Glaubensfreiheit vor, und so stehen bei uns
Tempel, Kirchen und Moscheen gleichberechtigt
nebeneinander.
|
Dass ein
Ort ohne eigene Attraktionen eine solche Fülle von
Herbergen aufweist, war eine Überraschung. Die zweite war,
dass
fast alle Hotels von bärtigen Kaftanen mit schwarzem Schatten
gefüllt sind, wobei die schwarzen Schatten bei
näherem
Hinschauen Anzeichen von Eigenleben und zwei dunkle Augen an einem
Sehschlitz aufweisen. Abends im Restaurant beobachtete Ka
voller
Neugier, wie diese schwarzen Gespenster ihre
Nahrungsaufnahme vollziehen, indem sich der seltsame Vorhang in
Kinnhöhe
hochklappen lässt. Frank will sich
keinen Ärger mit den
Bärtigen einhandeln und guckt an die Decke und auf die
Speisekarte, aber nicht nach den schwarzen, wandelnden
Vorhangständern. Es könnte ja sein, dass da eine
leibhaftige
Frau drinsteckt, und die sind laut Aussage eines Propheten mit
einschlägiger Erfahrung wahrscheinlich giftig.
|
Es
war etwas
voreilig, Habarana als Stadt ohne Attraktionen vorzustellen.
Natürlich gibt's da den See, und einen schönen
Fußweg
auf dem Damm am Seeufer. Wer den ganzen Tag autofährt,
will gleich den See umrunden, aber zu Fuß.
Weiße Reiher auf
dem
Wasser, das von Schilf und Seerosen stellenweise fast zugewachsen ist,
und auf dem Weg eine Horde Affen und dicke Misthaufen, die eigentlich
nur einen Schluss zulassen. Bevor Frank
es ausspricht, kommt ihm schon
einer entgegen, ein asiatischer Elefant, und bald der nächste
und
hinterher noch einer. Und je zwei Mahouts (Elefantenführer)
daneben, ein Hund dahinter und eine Sippe Blondköpfe
obendrauf.
Jetzt weiß er, warum ihn auf dem Weg zum Seeufer alle Leute
mit
"elephant ride, elephant ride" ansprachen. Er glaubte schon, das sei
die übliche lokale Grußformel von Habarana, so wie
"taxitaxi"
in Colombo.
10 $ kostet so ein Ritt auf dem Jumbobuckel, pro Person. Der Elefant
bekommt dafür eine Art hölzerne Plattform aufs Kreuz
geschnallt, auf der bis zu sechs Leute Platz finden. So ein geduldiger
Dickhäuter hat sein Lebtag vermutlich nichts anderes getan als
für zehn Dollars, eine Tonne Gezweig und ein
Büschel
Bananen bleiche Dünnhäuter am Seeufer entlang zu
tragen. Und
die Dollars stecken sich die Mahouts ein.
Als
Frank und Ka
nach zehn Minuten gemütlichen Schlenderns an die Stelle kamen,
wo
die Elefanten gewendet werden, mussten sie beide lachen. Hin und
zurück zusammen allenfalls 400 Meter, und damit verdienen die
Mahouts auf einen Schlag 50 bis 60 Dollar! Aber alle Touristen, die es
aus
irgend einem Grund nach Habarana verschlagen hat, machen den Nepp
offenkundig mit.
Alle
--- außer Frank.
Er ist keinem Chauffeurguide ausgeliefert,
der sich hier seine Kommission verdient. Er war inzwischen doch
froh und dankbar, einen eigenen Wagen zu fahren; der Verkehr ist auf
dem Land erträglich, und man kann machen, was man will,
anstatt auf so einem schneckenlangsam einhertrottenden
Rüsseltier
Karussel zu fahren. Und ehrlich gesagt: Frank war mit
seiner Ka
schon in Afrika, und die afrikanischen Elefanten in
freier Wildbahn sind imposante Riesen gegen die zahmen, von Mahouts an
der Leine geführten, in Ketten gelegten, nur gut halb so
großen asiatischen Exemplare, die Frank
und Ka
deshalb nicht zu
begeisterten Entzückensschreien verleiten wie andere Besucher
aus
dem Sauerland, die sowas nur aus dem Duisburger Zoo kennen.
Leider
geht der Dammweg nicht um den gesamten See herum, sondern endet
nach weiteren 400 Metern vor einem nicht überbrückten
Seitenarm, aber hier ist es schön, wirklich schön.
Nichts zu
sehen, nur unberührte Natur. Frank
setzt sich ins Gras und riläxt, guckt den Fischen beim
Reihern,
äh pardon, den Reihern beim Fischen und hört
den
Fröschen beim
Quaken zu, glückliche 14 Minuten, bis ihn die ersten
Mosquitos geortet haben. Vermutlich erhalten sie ihre Informationen
direkt von der
NSA.
|
Dafür
hätte
kein Guide Verständnis, dass sich der alte Frank einfach ins
Gras
am Seeufer hinhockt und happy ist.
Alles, was dem Begleiter kein Bargeld
einbringt, ist sinnlos und unattraktiv. Wer so hartnäckig ist,
die Elefantensafari nicht
mitzumachen, der sollte wenigstens nach Sigiriya fahren.
|
Stimmt,
ganz recht. Sigiriya ist eine halbe Stunde Fahrt durch
grüne Wildnis, und dann ragt aus dem platten Land auf einmal
ein
Klotz aus der Landschaft, so wie Bachs Matthäus-Passion aus
der
Musikgeschichte.
Wer
diesen 370 m hohen Felsen in die platte Landwirtschaft gestellt
hat, ist unklar, frag deinen Geologen, der kennt sich damit aus. In
Australien soll ja auch so einer in der Prärie stehen. Aber
das ist nicht nur ein tumber Felsen, sondern eine alte
Kultstätte,
an der
menschliche Aktivitäten für prähistorische
Zeiten
nachweisbar sind. Im 5.vorchristlichen Jahrhundert soll König
Kassapa auf dem Felsen einen Palast errichtet haben, ziemlich luftig
und nahezu uneinnehmbar, aber ich frage mich, wie er da hochgekommen
ist.
Jedenfalls
wurde erst 1898 entdeckt, dass hinter dem
Felsbrocken mehr steckt als altes Gestein, und nachdem die Ausgrabungen
und Explorationen
begannen, hat man so viele Reste historischer Aktivitäten
gefunden, dass Sigiriya 1982 zum Weltkulturerbe erklärt
wurde. Rund um den Felsen zieht sich eine Stadtmauer hin, man sieht
Wassergräben, Wege
und künstlich angelegte Bächlein sowie Reste einer
antiken
Stadt. Und obendrauf sind tatsächlich Ruinen erhalten, aber es
bestehen Zweifel, ob es sich tatsächlich um einen Palast
handelt;
einige Gelehrte sind der Ansicht, dass es eher eine
buddhistische Meditationsstätte aus späterer Zeit
sei, und
Däniken würde vermutlich auf einen Landeplatz
für UFOs
tippen.
|
Der
Clou aber sind die Fresken, die man an
wettergeschützten Stellen des Felsens fand; die Legende
schreibt
sie König Kassapa zu, aber vermutlich stammen sie aus deutlich
späterer Zeit. Sie zeigen in erstaunlich frischen Farben junge
Frauen, die Blumen und Obst tragen, und gelten heute
als die
bedeutendsten Kunstwerke Sri Lankas aus vorbuddhistischer Zeit.
Aber
da hinzukommen ist gar nicht so einfach. Für ihre
Weltkulturerbschaft
nimmt die Regierung deftige Eintrittspreise, 30 $ kostet (für
Ausländer) die Visite. Und wenn du jetzt meinst, dass darin
schließlich der Preis
für den Sessellift oder für den Aufzug enthalten sei,
hast du
dich geirrt.
Sieh dir auf dem obigen Bildchen nur die Besucher an; die wollen alle
hoch, und das geht nicht anders als zu Fuß. Man hört
dort so
viele Sprachen wie an der chinesischen Mauer oder auf dem Pariser
Eiffelturm, die ganze Welt trifft sich in Sigiriya und schnauft die
endlosen Stufen hinauf. Frank
hat bei 877
aufgehört, die Treppen zu zählen, und da war er erst
an
der Stelle, wo du auf halber Höhe die Menschenmassen auf dem
Foto
erkennen kannst.
Bis dahin geht es zwar aufwärts, aber auf breiten
Steintreppen.
Nur ist bei Stufe Nr. 877 erst mal Schluss, weil es einen Stau gibt wie
an der
Aldikasse, nein, noch schlimmer. Also, Frank
verschnauft jetzt erst mal und
wischt sich den Schweiß ab. Weiter vorne werden alle Leute
auf
einen
schmalen
Aluminiumgang kanalisiert, der in eine metallene, aber sehr rostige
Wendeltreppe mündet, die vom Gewinn aus den Einnahmen von 30 $
pro
Person schleunigst
ersetzt werden sollte, bevor sie unter der Last der täglichen
Besucher im freien Fall die 200 m nach unten crasht. Oben angekommen,
hat ein Besucher nicht
mal einen Schwindelwurm, denn der Aufstieg vollzieht sich im
Schneckentempo, bei dem man für jeden sanften
Windstoß
dankbar ist, der Kühle zufächelt und die
Dünste der
Vorder- und Hinterleute in die grüne Landschaft
davonträgt.
Aber alles lohnt sich, denn oben ist ein Leinenvorhang, den Frank
nur zurückzuschlagen
braucht, und im Dämmerlicht sind sie da, direkt vor seiner
Nase,
er könnte sie mit der Hand berühren, die
weltberühmten Fresken von Sigiriya, die auf Geldscheinen
und
Briefmarken
Sri Lankas ebenso wenig fehlen dürfen wie auf den
Postern im Reisebüro.
|
Sind
es
Hofdamen, die dem König zu Diensten waren, oder Apsaras,
Himmelswesen, die Blumen vom Paradies bringen? Anfassen und
Fotografieren mit Blitzlicht ist strengstens verboten, es sind genauso
viele Wachleute da wie Touristen, die nur in kleinen Gruppen hinter die
Lichtschutz-Vorhänge hineingelassen werden. Und
danach geht es wieder runter, eine andere Wendeltreppe für den
Abstieg, die wesentlich neuer und stabiler aussieht.
Entlang
der Mirror wall, an der Reste antiker Graffiti zu sehen sind,
geht es zum Anstieg auf den Gipfel, denn die Fresken befinden sich erst
auf halber Höhe.
Vor
dem Gipfelsturm kann man aber eine Rast einlegen. Eine staubige
Piazza, wo Souvenirs und Getränke verkauft werden, ist voller
Leute, die Sandwiches mampfen, Schweißtücher
auswringen,
Fotos machen, Touts abwimmeln, Affen füttern oder im Schatten
pausieren. Im Zentrum des Platzes ist eine Art steinerne Sphinx zu
sehen, ohne Kopf, aber mit einer Treppe zwischen den Krallen; das ist
der Aufstieg aufs Gipfelplateau.
Frank macht
also ein Päuschen. Schatten gibt es nur am Rand des Platzes,
wo
ein Mäuerchen vor dem Abhang schützt, der ziemlich
steil nach unten
geht und den Platz auf allen Seiten begrenzt. Da wächst der
Urwald
hoch, und einige Bäume bieten etwas Schatten. Leider sind nur
noch
nahe der Abfalltonnen einige Plätzchen frei, es lässt
sich
aber ertragen, weil der Wind vom Rücken her weht. Eine Horde
Affen, die es auf Essensreste abgesehen hat, tollt um die Besucher, die
sich mit den Tieren amüsieren, sie füttern und
fotografieren.
In Sri Lanka sind zwei Sorten Affen heimisch, die
gutmütigen,
schäferhundgroßen Grauen Languren mit ihren
schwarzen
Gesichtern und weißem Bart, und die flinken, aufdringlichen
katzengroßen Schopfmakaken
mit ihren Punkfrisuren,
die mit Nachdruck um Futter betteln
oder es sich aus der Mülltonne fitzeln.
|
Der
Monkey, der
sich an der Mülltonne direkt neben Frank
zu schaffen macht, nahm ihm womöglich übel, dass er
ihn ungefragt fotografiert hat.
Er hopst auf das Mäuerchen, an dem Frank
steht, springt von da ohne
Anlauf urplötzlich an ihm hoch und beißt ihn in den
Arm, als handle es sich um eine
teutonische Fleischwurst. Zack, ist er wieder unten, starrt Frank
mit seinen eng
beieinander liegenden braunen Augen feindselig an und reibt sich dabei
herausfordernd seinen Schniedel. So ein Vieh! Ich glaub, mich
beißt
ein Affe!
Einen
schlechten Geschmack muss Frank
dem Angreifer
attestieren, denn so ein Touristenarm
schmeckt höchstens nach Männerschweiß, und
Frank ist außerdem ungenießbar. Und seine
Fähigkeiten
hat das Viehzeug auch überschätzt. Denn als der
Makake zur
zweiten Attacke ansetzt, ist Frank
wachsam und reagiert intuitiv mit
dem Fuß. Er will sich jetzt keiner fußballerischen
Bravour
rühmen, das war kein Freistoß, sondern nur ein
Reflex, aber er
traf den Burschen volley und besorgte dem Biest, das nicht mal Zeit
fand, sich an Franks
Fuß festzukrallen, die längste
Flugreise seines Lebens, denn mindestens 25 Meter segelt der behaarte
Makacho in einem sauberen Bogen den Steilhang hinunter, bis er
aufschlägt und sich mehrfach überkugelt. Wie er
endlich Halt findet, schlagen in seiner Nähe Steine ein, und
wie
der
geölte Blitz verschwindet der fliegende Makake, gefolgt von
der
ganzen Horde, im
grünen Dickicht.
Also, Frank
schmeißt ja nicht mit Steinen auf fremde Tiere, aber er
war nun mal nicht alleine da oben auf dem Rastplatz; mindestens ein
Dutzend
Leute, Einheimische und Touristen, hatten die Auseinandersetzung
zwischen dem übel gelaunten Primaten und dem Schnorrerfrank
mit angesehen, und einige Guides
oder Touts hatten Steine in Richtung der Affen geworfen, um sie zu
vertreiben. Ka tupft ihm mit einem Papiertuch das Blut vom Arm
und
wäscht mit Trinkwasser aus der Bottel die Wunde aus. Affen
haben zwar
kein Hai-Gebiss, aber scharfe Eckzähne, und auf Franks
rechten Arm
zeugt eine Schürfwunde und ein tiefer, etwa 1 cm langer
Schlitz
vom wilden Affenzahn. Eine Ader hatte er zum Glück nicht
getroffen; die aufgeschlitzte Stelle füllt sich zwar mit Blut,
aber es tropft nicht und ist schnell gestillt.
Wer von den
Umstehenden Englisch kann, redet auf Frank
ein. "So ein Affenbiss ist gefährlich. Wer weiß, was für Bazilloviren die wilden Tiere übertragen." "So schnell wie möglich zum Arzt. Die nächste größere Klinik ist in Dambulla." "Man sollte sich wenigstens Antibiotika spritzen lassen." "Ja, vier Spritzen kriegt man da. Auch wenn ein Kind vom Hund gebissen worden ist. Vier Spritzen." "Am besten innerhalb der nächsten Tage untersuchen und behandeln lassen." |
Das
Gerede gibt Frank
zu denken. Er ist ja nicht wehleidig, und ehrlich gesagt schmerzt die
Wunde auch nicht. Er spürt sie nicht einmal. Die
Oberseite des Unterarms hat anscheinend nicht viele Nervenbahnen. Aber
das mit dem Virus am Affenzahn, da haben die Leute sicherlich Recht.
Ebola, Aids, Hepatitis, Bilharziose, wer weiß, was da jetzt
alles
den Marsch durch die Institutionen seines Körpers antritt.
Aus
der Menge tritt eine junge Frau zu ihm. Weißer Sommerhut,
weiße Bluse, darunter weißer BH, weißer
Rock. Mann, die sind
aber effektiv
hier, haben gleich eine Krankenschwester besorgt, denkt er, aber
nein, das ist eine morgenländisch aussehende Touristin mit
einer
offenkundigen Vorliebe für die Farbe Weiß, die in
fließendem, aber nicht akzentfreiem Englisch sagt, sie
habe
antiseptische Hygienetücher dabei. Aus der Handtasche kramt
sie
eine
Tüte mit einzeln verpackten, feuchten
Tüchlein hervor
und tupft vorsichtig Franks
Wunde ab. Als nächstes kommt
Jodtinktur zum Vorschein, die sie ihm fachgerecht aufpinselt, und am
Ende zaubert sie noch zwei Heftpflaster aus ihrer Wundertüte
heraus. Frank
ist
starr vor Staunen.
"Sind
Sie Ärztin?", fragt er perplex. Er hat zwar auch so ein
Notfall-Kit mit dabei, aber das ruht im Gepäck, im Auto, unten
auf
dem Parkplatz.
"Nein",
lächelt sie milde, "ich bin aber gestern gestürzt und
habe mir den Ellbogen blutig geschürft. Da habe ich heute den
kleinen Verbandkasten mitgenommen. Das ist alles."
Während Frank
sich
bedankt, bemerkt er, erst jetzt zum ersten Mal,
dass die junge Dame unter dem Sommerhut noch ein weißes
Kopftuch
trägt.
Und das Fläschchen mit der Jodtinktur war auf Arabisch
beschriftet.
Hinter ihr steht, freundlich lächelnd, ein junger Mann mit
Shorts und Dreitagebart, der einen Bub auf dem Arm trägt.
Eigentlich geht es Frank
nichts an, aber er kann die Frage nicht
unterdrücken, woher seine Wohltäterin kommt.
"Aus Algerien".....Da
staunst du, was? Hier laufen die paar lankesischen Moslems rum
wie Ayatollahs und sehen aus, als wären
die Männer bissig, die Frauen infiziert und die
Taliban
gleich um
die Ecke, und da kommt ein Ehepaar aus einem richtig islamischen Land
und versorgt den Gottlosen, anstatt ihn den Kopf abzuschneiden, und der
Mann
sieht lächelnd zu, wie seine Frau einen Ungläubigen
befingert
und verarztet. Na ja, dem Aussehen nach war das junge Paar sehr
gebildet und gehörte zur aufgeklärten, wohlhabenden
Oberschicht, in der man sich auch mal eine Flasche Wein gönnt
und
die Bomben bastelnden Islamisten als ungebildete Idioten verachtet, die
ihr Lebtag nur ein einziges Buch lesen und es trotzdem nicht
richtig kapieren.
|
Frank fühlt
sich jedenfalls
perfekt
desinfiziert, immunisiert, saniert und restauriert und will wegen des
wilden Affenzahns nicht
mit
wildem Affenzahn
in Klinik
zur Panik, nein, in Panik zur Klinik nach Dambulla rasen, sondern
klettert erst mal dem Felsen aufs
Dach. In der Felswand sind Spuren von eingehauenen Stufen zu erkennen,
aber King Kassapa muss ein wendiger Urahn aller Freeclimber gewesen
sein, wenn
er da hochgekommen ist. Wahrscheinlich hat er doch ein UFO benutzt.
Für irdische Gäste gibt es glücklicherweise
eine
metallene Treppe, und oben dann endlich, endlich frische Luft und
kühle Brise, einige Ruinen und eine super Aussicht
über
das weite, flache Land. Man erkennt, wie sonderbar es in der Tat
ist, dass da solch ein Felsen mitten in der Pampa wächst, als
sei
er vom Himmel gefallen. Der Buddha, der in einiger Entfernung vor sich
hinmeditiert, ist eine Ergänzung der Sigiriya-Anlage aus
späterer, buddhistischer Zeit.
|
Weil
in dem teuren
Eintrittspreis auch Zutritt zum Museum enthalten ist, will Frank es
sich unbedingt ansehen, denn es könnte sein, dass es dort
Aircon
und WC
gibt. Jetzt lach nicht, der Frank ist eben ein Banause.
Beides
gab es in dem Museum. Der Besuch lohnt sich aber auch aus einem
anderen Grund, denn das neu errichtete Haus ist ein Werk des
Architekten Chandana Ellepola, der es als Kunstwerk in die
Landschaft integriert hat. Etliche der Räume sind nach oben,
seitlich, oder nach unten offen. Das Haus enthält
verschlungene
Wege, einige führen um lebende
Bäume, die zum Dach
hinaus
oder einem Glasdach entgegenwachsen. Vögel fliegen durch die
Hallen, durch das Erdgeschoss fließt ein leibhaftiger Fluss,
Seerosen wachsen neben den Treppen; man ist zugleich drinnen als auch
draußen, ein ganz faszinierender
Bau, der eigentlich nur zwei richtig geschlossene Räume
aufweist,
ansonsten aber mit der Umgebung zu leben, zu verschmelzen scheint, wie
es nur in Gebieten mit ewigem Sommer möglich ist. Er
gilt sicher zu Recht als das architektonisch aufregendste Museum in
ganz Südasien.
|
Nach
Dambulla wäre Frank
auch ohne Affenzahn gekommen, es stand
ohnedies auf seinem Programm. Da steckt nämlich ein
anderer,
natürlich nicht so hoher, aber sehr großer und flach
geründeter Fels im Boden und macht Sigiriya Konkurrenz. Nein,
keine Sphinx und keine Macken oder Makaken. Aber klettern muss
man auch, doch
nur einen Pilgerpfad hinauf, der hinter dem Stadttempel von Dambulla
beginnt. Wer sich nicht vorher sein Ticket besorgt, muss, wenn er
schweißgebadet oben am Ziel ankommt, wieder runterhampeln zum
Temple
office, denn nur dort werden die Spendenbillets verkauft. Oben gibt's
keine. Du weißt ja, Tempel sind kostenlos, aber eine Spende
ist
Pflicht, ohne die kommt man nur bis zu dem riesigen goldenen Buddha,
der schon von weitem die Touristen herbeiwinkt, hey, hier geht's lang!
Auch die als rotbetuchte Mönche bemalten Gipsfigüren
sind
kostenlos zu besichtigen, aber solchem Beton zuliebe kommt vermutlich
niemand nach Dambulla.
|
Die
eigentliche
Attraktion ist der Fels, der stellenweise hohl ist wie Franks
Backenzähne, und diese
Höhlen, fünf Stück an der Zahl, sind alle
bewohnt. Nicht
von Neandertalern,
du Dödi, und auch nicht von armen
Tagelöhnern wie die von Guadix oder
Matera, sondern von stummen Himmelswesen, die dort im ewigen Dunkel um
Sonnenschein beten. Oder um die Erlösung vom Blitzgewitter der
Touristen, die in ganzen Busladungen eintreffen und gottlos schwitzen
und blitzen.
Die Höhlen erinnern ein wenig an den Potala in Lhasa,
sind voll mit reich gezierten Ornamenten und Deckengemälden
und in
Fülle bestückt mit liegend meditierenden, sitzend
meditierenden und
stehend meditierenden Buddhas jeglichen Kalibers. Höhle Nr.4
ist
überdies auch noch angefüllt von
einer Gruppe chinesischer Pilger in weißer
Pilgertracht. Die
Frauen knien und beten fromm, die Männer schwenken, trotz
Pilger-Outfits, professionelle Stative und gewaltige Kameras, mit denen
sie fast jeden der Tausende von Höhlenbodhisattvas
für die
daheim gebliebenen Kollegen ablichten, ebenso gottlos blitzend wie wir
armen Heidenkinder.
Diese
heilige Höhlengesellschaft stammt aus grauer Vorzeit, als
der Buddhismus noch neu war in Sri Lanka. In den
wettergeschützten
Höhlen hat sich aber alles bestens erhalten, ebenso wie die
prachtvolle Deckenbemalung, weshalb auch diese Stätte
in Dambulla zum Weltkulturerbe ernannt worden ist. Zwei
heritage sites an
einem
Tag, der Frank ist noch ziemlich gut drauf und fast unschlagbar, trotz
Dambullenhitze und Affenzahn.
|
A
propos Affenzahn. Frank
wollte ja mal sehen, ob das Hospital in Dambulla einladend aussieht. Nach
kurzer Suche fand er den Bau und staunte, weil er von
Menschenmassen beinahe überquoll, als ob dort gerade zum
Sommerschlussverkauf bei Karstadt geblasen würde;
Sigiriya oder Höhlenbuddhas sind nichts dagegen.
Für
die Einheimischen scheint eine Klinik die wahre Attraktion zu
sein, aber die Besichtigung verschob Frank
auf später. Seine mit Jod
behandelte Wunde spürte er überhaupt nicht, das ist
ein gutes
Zeichen, vielleicht genügen ja das per Spendenbillet erworbene
himmlische Wohlwollen und eine Ayurveda-Kur. Das nur lose
haftende Pflaster, das er ständig
festhalten musste, damit es nicht im Windzug davonflattert und einen
Buddha molestiert, ersetzte er am Abend im Hotel durch ein Exemplar
made in Japan, das wiederum dermaßen fest klebt,
dass man
beim Ablösen, sofern man es nicht mit höchster
Sorgfalt tut, gleich Haut
und Haare mit abreißt. Für die Erfindung des
perfekten
Mittelmaßes gibt's den Nobelpreis.
|
Weil
die Rede gerade von UNESCO-Wundern war, nahm Frank
anderntags
Kurs auf Polonnaruwa,
das ist nämlich das nächste. Sieht aber
nicht
so aus.
Eine abgasdieselrußige graue Stadt, in der wie
überall sonst
auch die Sri Wielas und Busse die Straßen beherrschen und das
Autofahren in ein Abenteuer verwandeln. Statt am Historischen Museum,
wo die Tickets verkauft werden, kommt Frank
am Gemüsemarkt raus.
Entweder ist die Karte falsch oder er hat sich verfahren. Beim Wenden
fiel ihm das Gebäude ins Auge, vor dem er gerade das
heftige Hupkonzert auslöste. An der Mauer neben dem
Eingang steht groß AJWARD HOSPITAL
angeschrieben. Frank
muss
zugeben, sein Unterarm mit dem Heftpflaster ist heute ein
wenig geschwollen, deutlich gerötet und schmerzt auch
leicht. Sein
singhalesischer Wortschatz ist zu beschränkt, um zu wissen, ob
Ajward
womöglich mit "Affenbiss" übersetzt werden kann; dann
wäre das
idealerweise ein Affenbiss-Hospital, aber diese Wahrscheinlichkeit ist
eher nicht allzu hoch.
Vielleicht ist es ja auch eine schlichte Halsnasenohren-Putzanstalt.
Aber er
lässt das Auto stehen und geht einfach mal rein. Gleich
läuft ihm
eine dunkelhäutige Krankenschwester über den Weg und
bleibt
stehen. Touristen werden hier nicht reingelassen, sagt ihr
Gesichtsausdruck, aber er fuchtelt mit seinem pinkschwelligen Arm,
zeigt ihr seine Heftpflaster und sagt "wild
monkey bite", das scheint sie zu kapieren. Sie führt ihn in
eine fensterlose Zelle, an der außen "Dermatology"
angeschrieben steht, mit Pritsche, nackter 40 Watt-Glühbirne,
Schreibtisch mit Telefon, und an der Wand ein anatomisches Poster, das
in Singhalesisch beschriftet ist. Dermatologie.....
Eine
knappe Viertelstunde später
kommt ein älterer Herr im Arztkittel, an dem ein Namensschild
prangt: "Dr. Ajward". Aha, hier kocht der Chef selbst. Und die
Möglichkeit, dass Ajward "Affenbiss" bedeuten könnte,
tendiert gegen
Null.
|
Der
Doktor sieht sich kurz Franks
Arm an und bemalt dann einen Zettel
mit krakeligen Glyphen. Nur "bitten by monkey" ist halbwegs
zu entziffern. Dann sagt er in holprigen Worten, dass dies eine
kleine Privatklinik sei, in der solche Fälle nicht behandelt
werden können. Er habe eine Überweisung an
das General
Hospital geschrieben, das an derselben Straße liegt, 500 m
weiter
in Richtung Gemüsemarkt. Klar, den kennt der Frank. Zehn
Minuten später fährt er im
General Hospital vor, stellt das Auto auf irgendeinen freien Platz und
spaziert auf das Hauptgebäude zu in der Hoffnung, dass ihm
wieder
eine Krankenschwester oder sonst ein Weißkittel in die Quere
kommt. Er hat ja keine Ahnung, wie hier die Riten zur
Patientenaufnahme vollzogen werden. Und wie erhofft schießt
gleich eine üppige Dame mit weißem Häubchen
auf ihn, den
offenkundigen Fremdkörper, zu und fragt vermutlich, was er
hier
will, aber auf Sinhala. Wortlos drückt Frank
ihr den zuvor erhaltenen Zettel in die Hand. Den
schaut sie etwas ratlos an, führt ihn aber in ein Office, wo
ein bebrillter Mensch vor einem Laptop sitzt. Aha, die Intelligenzija
kommt zum Zuge. Der kann etwas
Englisch, rafft, was mit Frank
los ist und engagiert wieder
eine Schwester,
die ihn in einen benachbarten Gebäudeflügel geleitet;
Ka tappst
immer brav hinterher. Jetzt hat Frank
Audienz bei einer jungen
Ärztin, auch sie mit Brille, die ausgezeichnet Englisch
spricht.
Die Ärztin, nicht die Brille. Die Dame erklärt, was
man
mit Frank
vorhat.
"In
Sri Lanka gibt es Tollwut. Bei Bissen von wilden Tieren müssen
Sie mit Antibiotika behandelt und gegen Tetanus und Tollwut geimpft
werden. Gegen Tollwut bekommen Sie zwei Spritzen, eine
aktive mit
Antikörpern und eine passive Impfung mit
abgetöteten Erregern.
Vielleicht sind Sie schon gegen Tetanus geimpft worden vor der
Reise?"
"Klar,
in der Grundschule habe ich eine Tetanus-Impfung bekommen."Die dunkelhäutige Ärztin kann ein charmantes Lachen nicht unterdrücken. "Eine
Tetanus-Impfung schützt nur etwa zehn Jahre lang. Sie
werden heute also auch gegen Tetanus geimpft. Vier Spritzen insgesamt.
Ich lasse Sie zum behandelnden Arzt bringen."
Die
Leute auf dem Rastplatz oben am Sigiriya-Felsen hatten offenbar Recht,
vier Spritzen.Frank hat
etwas Skrupel, direkt von Arzt zu Arzt geführt zu werden,
während vor allen Räumen, in allen Gängen
Massen von
Einheimischen
hocken
und warten.
"Die
warten auf etwas Anderes. Machen Sie sich deshalb keine Gedanken."Wenn nicht auf ihre Behandlung, auf was warten sie sonst? Wahrscheinlich auf Godot. Als
nächstes
kommt Frank
also
in einen Raum, in dem drei
Krankenbetten, drei Doktoren, drei Krankenschwestern,
drei
Patienten
und drei Ventilatoren aktiv sind. Vor dem Eintritt
in die gute Dreierstube, deren Tür immer weit offen steht,
müssen
die Patienten die Schuhe ausziehen; nur das Personal trägt
Schlappen. Auch hier wartet viel Volk vor der Türe, aber
langsam
kriegt Frank
mit, dass das Angehörige sind, die bange mitverfolgen,
wie ihre Kinder, Brüder oder Omas malträtiert, mit
Spritzen gespießt oder mit Messern zerlegt
werden und
ob sie das auch überleben.
Das
Zimmer liegt wie viele gleichartige Behandlungsräume unter
einem breiten Vordach des eingeschossigen Gebäudes, dessen
Flügel sich um einen hübschen Teich gruppieren. In
dem Teich
blühen wundervolle Seerosen, die schönen violetten
Nationalblumen von Sri Lanka.
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Du
würdest dich
vielleicht nur mit größtem Misstrauen in einem Land
der
Dritten Welt der ärztlichen Heilkunst anvertrauen, aber ich
sag
dir, üble Kurpfuscher gibt es überall,
womöglich auch in
Lüdenscheid. Es
hängt vom Engagement des jeweiligen Arztes ab, wie er dich
kuriert, die Ausbildung ist schließlich weltweit Standard,
und
gerade in armen Ländern gehören junge Leute, die sich
ein
Medizinstudium leisten können, zur gebildeten Elite; insofern
hat Frank
wenig Bedenken. Auch Ka ist es zufrieden; sie hatte ihn
eigentlich schon gestern gleich nach dem Affenzahn zur Visite
eines Hospitals gedrängt, aber die Höhlenbuddhas fand
Frank
attraktiver als
angejahrte Krankenschwestern.
Er
nahm sich jedenfalls vor, darauf zu achten, ob ein
Minimum an Hygiene beachtet wird, und kann nur sagen,
dass es daran nichts auszusetzen gibt. Alle Spritzen sind original
verpackte Einwegnadeln, das Ärztetrio erläutert
genau, was
sie mit ihm vorhaben, jeder wäscht
sich, wie die Schwestern, alle naslang mit Seife die Hände und
desinfiziert die
Haut
vor jedem Einstich
wie auch sonst überall auf der Welt. Auch die drei Schwestern
sind kaum
anders als die in Lüdenscheid, eine grantige, ruppige Alte mit
Haaren
auf den Zähnen, eine dralle Beauty mit riesigen Puppenaugen
und
ein schmales, schüchternes, bebrilltes Engelchen, das
garantiert kein Blut sehen
kann.
"Haben
Sie irgendwelche Allergien? Schon mal Probleme mit Spritzen gehabt?",
fragt einer der jungen Ärzte. Nö, der Frank ist eigentlich ziemlich wetterfest. "Wir
müssen trotzdem vorher einen Verträglichkeitstest
machen. Wir setzen Ihnen dafür eine Kanüle an, durch
die wir
im
Notfall eine Infusion einleiten können. Dann bekommen Sie ein
Testserum injiziert, das ist noch keine Arznei. Aber Sie
müssen
anschließend zwanzig Minuten warten, um die Reaktion zu
sehen."
Der
erste Piekser auf dem linken Handrücken. Die Kanüle
wird
eingeführt und mit Klebeband fixiert. Der zweite Piekser auf
der Innenseite des linken Unterarms. Das Testserum. Sofort bildet sich
ein kreisrunder Pickel, den der Arzt mit Kugelschreiber
markiert. Und dann zwanzig Minuten Warten.
Die
anderen Patienten sind ein junger Arbeiter, der vielleicht auf
einen Dorn oder Nagel oder eine Viper getreten ist. Er kann kaum
laufen. Dann eine
ältere Frau, die auf einem Stuhl apathisch vor sich
hindämmert, und ein Steppke, vier oder fünf Jahre
alt, auf
dem Arm seiner Mutter. Die kann gut Englisch und erzählt, dass
das
Kind von einer Katze an der Hand gekratzt worden sei und die Wunde sich
entzündet habe. Als sie hört, dass Frank
einem
Affenzahn-Attentat zum Opfer gefallen bin, scherzt sie: "Da werden Sie
ja eine schöne Erinnerung an Ihre Reise nach Sri Lanka
behalten!"
Sie
ist um ihren Bengel nicht zu beneiden. Seit er, genau wie Frank,
die ersten zwei
Piekser abbekommen hat, brüllt er wie am Spieß, wenn
sich
auch nur ein weißer Kittel nähert; er scheint fest
davon
überzeugt, hier geschlachtet zu werden. Die Mama geht
durch die
offene Tür kurz hinaus, aber es gelingt ihr nicht mehr, mit
dem
Kind hereinzukommen, es wehrt sich mit Händen und
Füßen, kreischt und strampelt.
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Eine
keuchende,
stöhnende alte Frau wird hereingeführt und gleich auf
eine
der drei Liegen gebettet. Hinter dem halb zugezogenen Vorhang wird sie
eilig
behandelt, offenbar erfolgreich. Das Wimmern hört auf.
Über
dem Bett zeigt ein Monitor ihre Herzfrequenz an. Dann kommt wieder eine
Mama mit einem entzückenden Mädchen, acht oder neun
Jahre
alt. Es hat wie ich einen bepflasterten Arm, aber bei ihr ist es der
linke. Sie strahlt und lächelt alle Leute an, trotz Verletzung
ein
sonniges, gut gelauntes Kind. Aber schon beim Einführen der
Kanüle beginnt es, zum Erbarmen lauthals zu weinen; dabei tut
es
kaum weh. Und als das Mädel losschreit, als würde es
gefoltert, sieht Frank,
dass sie nur ihr Testserum gespritzt bekommt,
gleiche Behandlung wie alle, und in der Reihenfolge der Ankunft im
Behandlungszimmer.
Die
apathische Frau hat offenbar schon alles hinter sich. Denn nach der
ersten Spritze muss man zwei volle Stunden da bleiben, zur
Überwachung und Nachbehandlung im Falle von Komplikationen.
Die
zwanzig Minuten sind um. Der Testpickel hat sich weder gerötet
noch vergrößert, Frank
ist
reif zur Behandlung, aber erst
kommt der Arbeiter dran. Er stöhnt hörbar auf der
Pritsche
hinter seinem Vorhang, die Spritze scheint schmerzhaft zu sein. Und
dann ist Frank
dran und weiß auch, warum der Kerl so gestöhnt
hat. Das Serum wird nämlich in nächster Nähe
der
Wunde in den rötlich geschwollenen Arm gespritzt und brennt
wie
Feuer. Frank
guckt zur Decke und versucht zu zählen, wie viele
Rotorblätter der Miefquirl hat, aber die Drehung ist zu
schnell,
er kommt mit den Augen nicht mit. Dann überlegt er sich, in
welcher Farbe er die Decke streichen würde, wenn er hier
renovieren müsste, aber es hilft nichts, die Spritze ist immer
noch nicht leer. Er weiß sich keine andere Ablenkung und
schließt die Augen, um sich aufs Gehör zu
konzentrieren. Das
kleine Mädchen kichert wieder, war wohl nicht so schlimm. Das
Pulsmessgerät der Frau auf der Nachbarliege piept bei jedem
Herzschlag mit. Piep, piep, piep, klingt es eintönig. Seinen
eigenen Herzschlag spürt Frank
nicht, die höllische Spritze
raubt ihm die Konzentration. Endlich ist sie draußen. Aber es
geht gleich weiter, die aktive Tollwut-Impfung vermutlich. Wird in den
rechten Oberschenkel gespritzt. Jassassass, das schmerzt auch ganz
ordentlich, aber nicht so stark wie das Antibiotikum vorher. Dann
ist Frank
vorerst entlassen, muss noch zwei Stunden warten, bis er die
restlichen Impfungen bekommt. Nur aus dem Raum gehen ist nicht
gestattet. Aber die sind nicht so streng. Frank
kann raus zu Ka, die
irgendeinen Krimi liest, nachdem sie auf der Sitzbank einen
Platz ergattert hat. Frank
fingert sich aus seiner Tasche, die Ka
hütet, die Wasserbottel und nimmt erst mal einen
tüchtigen
Schluck, auf die Gefahr hin, dass die Wirkung der Spritzen
verwässert wird.
Als
er wieder drin ist, ist die Pulsfrau gerade am Kotzen, eine der
Schwestern kommt eben noch rechtzeitig mit der Tüte.
Alle drei
Ärzte, zwei Krankenschwestern und die Mutter versuchen mit
vereinten
Kräften, den kreischenden Buben zu bändigen, damit er
seine Medizin gespritzt bekommen kann, aber in Todesverzweiflung
schafft er es trotzdem, die Hand fortzuziehen, das restliche
Antibiotikum ejakuliert aus der fortgerissenen Spritze in die Luft. Frank kann
es nicht mit
anhören, wie das arme Schulmädchen
herzzerreißend heult, als es seine
Höllenfeuerspritze bekommt, und setzt sich so lange zu Ka.
Seine
Mama ist nicht zu sehen, ihr scheint das Kind ziemlich egal zu sein,
sie sitzt vielleicht in der Kantine
und trinkt sich eins. Das Kind erinnert Frank
an eines der Brautmädchen von Negombo,
das sah so ähnlich aus, so ein liebes, offenes,
lächelndes
Gesicht. Er versucht, danach ein wenig mit ihr zu scherzen, zeigt ihr
seinen Arm,
dessen Rötung sich wirklich nicht übersehen
lässt, und seine
zwei Heftpflaster, unter die keiner der Ärzte geschaut hat.
Langsam trocknen die Tränen. Dann legt sich das
Mädchen zu der
apathischen Frau, die inzwischen auf der dritten Pritsche eingeschlafen
ist, und weil Schlaf wohl ansteckend, auf jeden Fall aber heilsam ist
und alle Schmerzen vergessen lässt, fallen dem
Mäuschen auch
bald die Augen zu.
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Knapp
zwei Stunden später. Der Eingang verdunkelt sich, drei
Männer kommen gleichzeitig durch die schmale Tür
herein.
Ein vierter bleibt vor der Türe stehen. Der mittlere ist an
den
Händen gefesselt, die zwei, die ihn flankieren, haben Pistolen
im
Gürtel, der Muskelmann vor der Tür trägt
Polizeiuniform.
Der Patient kommt anscheinend direkt aus dem Kittchen. Was
die Ärzte mit dem Knacki machen, erfährt Frank
nicht mehr, denn der
bekommt soeben die letzten beiden Impfungen, links und rechts in die
Oberarme, tut nicht weh, normale Impfungen. Er kriegt noch die
ungenutzte
Kanüle gezogen und einen Wisch in die Hand gedrückt;
eine
Schwester begleitet ihn zur Kasse im 9.Stock. Etwa 2500 Rupees, meinte
der Arzt, weil Sie nicht versichert sind, aber es kostete am Ende doch
9750
Rp, ca 60 €, aber was solls, dafür ist Frank
jetzt gegen alle
Affenzähne und Bakterien gefeit. In Deutschland kostet allein
die Tollwutimpfung 270 €.
Als
er ging, war der Kreischbubi noch immer nicht verarztet, sein
Widerstand war zu groß. Die apathische Frau war verschwunden,
die
andere gerade wieder am Kotzen. Das kleine Mädchen schlief
noch,
und der Knacki wurde auf der mittleren Pritsche festgebunden. Zum
Abschied bekam Frank
eine Karte voller Sinhala-Kringel. Auf der
Rückseite war sie aber auf Englisch bedruckt.
"Nicht
verlieren, das ist Ihr Impfdokument. Das müssen Sie bei der
nächsten Behandlung wieder vorlegen. Kommen Sie in drei Tagen
wieder, die Tollwut-Impfung muss noch dreimal aufgefrischt werden."
"Wie
bitte? In drei Tagen? Da bin ich nicht mehr hier in Polonnaruwa.""Macht nichts, das ist im ganzen Land gültig, jede Klinik kann die Behandlung fortsetzen." Das hätte Frank nicht gedacht. Er glaubte, er sei auskuriert. Whaaaow. Aber
mit der Tollwut ist nicht zu spaßen. Wenn sie zum Ausbruch
kommt, endet sie beim Menschen zu hundert Prozent tödlich. Und
wenn sich so ein Makake ohne tieferen Grund auf Frank
stürzt,
obwohl der doch wirklich ziemlich giftig sein kann, ist die Gefahr
einer
Tollwutinfektion nicht ganz von der Hand zu weisen. Später
las Frank
aber im Internet, dass die Schopfmakaken generell als
übellaunisch
und aggressiv gelten. Er wäre besser einem friedlichen
Languren
begegnet.
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Die
Besichtigung eines lankesischen Hospitals war zwar nicht
uninteressant, aber zum Weltkulturerbe zählte es nach Franks
Wissensstand nicht.
Das fand er im Anschluss an seine Verarztung. Leider war es schon
nach 15 Uhr geworden, als er über die Ruinenfelder der
einstigen
Kapitale des Inselreichs schlenderte; das ist die Tageszeit, in der die
Sonne
am hitzigsten brennt, und die Steine, die man nur barfuß
betreten
darf, braten die Fußsohlen, wenn
man
versehentlich kurz den Schatten verlässt, wie
die Kochplatte des Elektroherds, man muss nur noch Zwiebeln, Knoblauch
und einen
Schuss Rotwein dran geben. Die historischen
Stätten sind leider ziemlich ruiniert; die Inder haben bei der
Eroberung mit den buddhistischen Tempeln kurzen Prozess gemacht. Es
stehen zwar noch, wie im alten Rom, vereinzelte Statuen, aber die
Säulen tragen keine Holzdächer mehr, die sind
abgebrannt. Und
was an Schätzen drin gewesen ist, wurde nach Indien
überführt oder steht jetzt im Museum. Trotzdem
hielt Frank
es
in der Hitze fast zwei Stunden aus, obwohl sein antibiotisierter Arm
angeschwollen war à la Popeye und sich kaum noch bewegen
ließ, und sein Oberschenkel steif war und
schmerzte wie nach einer Prellung; er humpelte von Ruine zu Ruine. Er
explorierte sogar noch entlegene Stätten, zu denen sich kaum
Touristen
verirren, und scheuchte einige Radfahrer und einen ziemlich
großen
Iguana mit seinem Vehikel, das er ungern verließ, weil es
nämlich Aircon hat.
Einige
der Tempel mit ihren riesigen Dagobas werden gerade mit
UNESCO-Hilfe restauriert, andere sind schon wieder in Betrieb und von
Pilgern besucht, aber dem
Frank
hatten die Spritzen doch ziemlich
zugesetzt. Jetzt braucht er eher eine Ayurveda-Kur. Auch Ka meinte
nach zwei Stunden
Besichtigung, dass sie genug von heißen Ruinen habe und sich
auf
ein kaltes Bier und klimatisiertes Hotelzimmer freue, und so flitzten
beide bald mit einem Affenzahn wieder von Polonnaruwa zurück
nach
Habarana, ohne
sämtliche ruinierten Überreste historischer Pracht zu
Ende
gesehen zu
haben.
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Es
kann natürlich vorkommen, dass ein
Besucher trotz Affenhitze und -zahn nach weiteren Überresten
von Kultur suchen möchte, beispielsweise am nächsten
Morgen.
Einem solchen kultursüchtigen Zeitgenossen empfiehlt Frank
einen Ausflug nach
Medirigiriya; da gibt es in etwa das Gleiche wie in Polonnaruwa,
allerdings eine Nummer kleiner und auf engerem Raum verteilt. Es kann
auch ein Anlass für einen Ausflug ins Grüne sein, auf
holprigen, aber
asphaltierten Nebenstraßen. In Polonnaruwa waren wieder
etliche Touts mit Plastikelefanten, Postkarten und Elfenbeintand
übers Gelände gestrichen und hatten sich auf jeden
nach Dollars
aussehenden Besucher gestürzt, und einer hatte was wirklich
Brauchbares im
Angebot. Nach einigem Feilschen hatte Frank
ihm für 500 Rp eine Sri
Lanka Road Map abgekauft, und jetzt traut er sich mit der guten
Straßenkarte auch über die Dörfer. Die
Chaussee
führt durch wirklich idyllische Landschaft, lange Zeit an
einem
Fluss entlang, in dem pudelnackte Kinder plantschen und Matronen in
ihrem Sari bis zur Hüfte im Wasser stehen und Wäsche
waschen.
Dazu Hunde und Rinder, die im Fluss Abkühlung
suchen, Männer, die sich den Kopf waschen, Reiher und
Eisvögel, die sich ihre Snacks fischen, hier am und
im Fluss
pulsiert das Landleben.
Eigentlich
ist der Weg auch abseits der Hauptstraßen gut
ausgeschildert, aber Dodos wie Frank erkennen auf den Schildern nur
lustige
Kringel. An der Kreuzung nach rechts? Geradeaus? Nach links? Und
kein Schupo steht da, den man fragen könnte. Auch in Lakshmis
kleinem Srilanka-Lexikon findet Frank
keine Antwort. Aber auf der genialen
Straßenkarte! Die 500 Rupien sind gut angelegt.
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Er
fährt natürlich nach links und kommt 14 km
später auch
richtig in Medirigiriya raus, wunderbar. Sicher steht da auch irgendwo
angeschrieben, wo es zum Mandalagiri Vihara geht, aber Frank
ist
nun mal
ein Analphabet und hält vor der Polizeistation, um Auskunft zu
erbitten. Das Revier döst im Schatten alter
Mangobäume vor sich
hin, Mannomann, und wenn Frank
ein TTT wäre, ein Tamil Tiger Terrorist,
dann ständen die Bullen hier übel auf dem Schlauch,
denn bis
er auf ein Lebewesen stößt, hat er das halbe
Polizeirevier
durchquert und hätte denen einen Knallfrosch platzieren oder
das
Haus leerklauen können.
Der
junge Uniformierte, dem er die Karte unter die Nase hält und
nach
dem Mandalasowieso fragt, kann kein Englisch, keinen Ton. Er holt einen
Kollegen. Der sagt nach kurzem, nein, längerem
Überlegen "wait a minute". Als er
wiederkam, hatte er einen beleibten Vorgesetzten im Schlepptau. Der
hörte sich wohlwollend Franks
Frage an, nickte professionell und
meldete sich wortlos im Vorzimmer des Behördenchefs an. Hey
Mann, Frank
will doch nur wissen, ob das Mandaladingsbums noch weiter westlich oder
östlich von hier zu finden ist, das muss doch ganz in der
Nähe sein.
Aber
gut, er hüllt sich in asiatische Geduld, bis der
Chef zur Audienz bereit ist. Er mustert Frank
streng und schweigsam,
während dieser langsam und deutlich nach dem ruinierten
Heiligtum
fragt. Es ist doch ganz bekannt, es war schon auf den Briefmarken
abgebildet, als die Insel noch Ceylon hieß. Der braune
Bobbyboss
schweigt noch
immer, denkt aber offenbar angestrengt nach; sucht er nach einem Grund,
um Frank
zu verhaften?
"Wankill-Mieter"
bringt er schließlich heraus, die Schweißtropfen
stehen ihm auf der Stirne. Danke,
danke, die Polizei, dein Freund und Helfer! One kilometer
also. Frank
müsste nur wissen, in welcher Richtung. Er stellt sich ans
Fenster, von dem aus die Straße zu sehen ist und das Auto, in
dem
Ka schwitzt, weil Motor und Aircon abgestellt sind, und verlegt sich
mit seinem Popeye-Arm auf die internationale Taubstummen-Sprache.
Wie ein Verkehrspolizist an einer ampellosen Kreuzung. Ja, nach links,
zeigt
der Inspektor mit beiden Händen, erleichtert, dass Frank
das schwere
Englisch-Examen nicht fortzusetzen
gedenkt.
Also,
auf dem Land bist du mit Englisch aufgeschmissen. Sogar die
Polizei dieser einstigen britischen Kolonie ist damit
überfordert.
Aber nach dem Wankill-Mieter taucht tatsächlich was Antikes
aus
dem Urwald auf, davor ein freies Feld, auf dem ich den Wagen abstelle.
Ein
paar Kiddies und ein Hund spielen in der Nähe, sonst keine
Menschen- oder Hundeseele. Kein Tickethäuschen, kein
Zaun. Frank
spaziert zu
dem Mandalagiri Vihara und zu dem Bodhibaum, unter dem ein kleiner
vergoldeter Buddha hockt und erleuchtet dreinblickt, von Gebetsfahnen
umweht. Es ist viel
schöner als in Polonnaruwa, weniger Hitze, keine Touristen und
doch eine sehr hübsche und fotogene Tempelruine inmitten der
ländlichen Idylle.
Ihm
taten nur die armen Polizisten aufrichtig leid, denen er heute gewaltigen Stress
bereitet hatte. |
Als
er zum Auto zurückkam, standen die
Kinder, die vorher in der Nähe gespielt hatten, wie die
Heinzelmännchen alle da. Der älteste Frechdachs
streckt die
Pfote aus und ruft "parking fee 25 rupees". Der Hund wedelt mit dem
Schwanz. Frank
muss fast lachen
über die Spalier stehenden Steppkes. Einem Erwachsenen
hätte er was gehustet,
von wegen parking fee mitten in der freien Prärie, aber die
Kids sind
so drollig, dass er dem Jungen genau den gewünschten Betrag in
die Pfote zählte. Dabei musste er nämlich an die
Polizisten
von vorhin denken. Er
fand, die Kiddies sollten
unbedingt
die Erfahrung machen, dass sich
die Mühe, Englisch zu lernen, im Leben auch wirklich
und wortwörtlich auszahlt.
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