Die Krokodile im Black River sind ganz lieb und fotogen. Es heißt, dass sie sich mit Volldampf davonmachen, wenn versehentlich ein Tourist ins Wasser plumpst, denn sie fressen lieber rohen Fisch oder Jerk Chicken als zähe Gruftis; außerdem haben sie mit ungekochten Zweibeinern schlechte Erfahrungen gemacht, denn die sind ihnen in der Vergangenheit schwer ans Krokoleder gegangen. Die heute präsenten rund 300 Exemplare sind die letzten Überlebenden einer einst bedeutenden Population, die nicht nur von Jägern, sondern auch von Industrie und Landwirtschaft dezimiert worden ist. Heute sind sie geschützt, denn die Jamaicaner haben gerade rechtzeitig entdeckt, dass Touristen auf Fotosafari und Ganja-Felder im Morast des Flussdeltas mehr Dollars ins Land schleusen als schießwütige Handtaschenproduzenten. So dümpeln die Alligatoren im Schatten der Mangroven oder tanken Sonnenwärme auf einem toten Baumstumpf und tun so, als seien ihnen die Motorboote voller Paparazzi völlig schnurz. Nicht weit davon
erwartet uns Treasure Beach, ein Geheimtip für Naturfreaks, denn
da kann man ungestört meilenweit den Sandstrand entlangzockeln,
ohne eine Menschenseele zu erblicken, oder textilfrei im warmen
Ozean trudeln und sich die schwarzen Nachmittagsgewitterwolken
von unten angucken, wie sie sich türmen und ballen und so tun,
als wollten sie ein Inferno auslösen. Doch es rumpelt und
pumpelt nur hinter den grünen Hügeln, und ein paar Meilen
weiter, im Treasure Beach-Dorf, herrscht eitel Sonnenschein und
Off-Season-Stille.
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Über eine lange Bambusallee führt die Piste in die Berge zu den YS Falls (sprich: Wai-Ess), den heftigsten Kaskaden auf Jamaica. Und das will was heißen, denn all das Gewitterwasser, das Tag für Tag über den Bergen niedergeht, will wieder ins Meer zurück und strömt und quillt an allen Ecken und Enden hervor. Ihren ulkigen Namen verdanken die Wasserfälle den Herren Yates und Scott, die 1655 in der Gegend Zucker anbauten und zu Werbezwecken den Kaskaden ihren Firmennamen Y&S verpassten. Auch heute sind die Fälle Bestandteil der riesigen Farm eines weißen Landlords, der zwar einerseits einen Eintrittspreis von 10 US $ p.P. verlangt, dafür andrerseits aber die Attraktion auch zu einem vorbildlich gepflegten Naturpark mit Orchideen, Rastplätzen, Spazierwegen, Spielwiesen, Baumhäusern und Papierkörben ausgebaut hat und fest entschlossen ist, die Schönheit des Fleckens zu wahren und zu mehren. Es steht dem Besucher frei, sich an jeder beliebigen Stelle in die tosenden Strudel zu stürzen, damit sich die fest angestellten einheimischen Lifeguards nicht langweilen. Der drallen Jamaicanerin in ihrem roten Lebensretter-Badeanzug, die durch die Strudel quirlt wie ein Korken auf dem Champagner, macht es sichtlich Spaß, einen prustenden Briten der Vorkriegsgeneration, der, vom Sog angezogen, samt den Kaskaden koppheister zu gehen droht, im letzten Moment rauszuangeln und ihn, an ihrem mächtigen Busen sicher verstaut, ins Trockene zu hieven. Eine andere der resoluten Helferinnen schnappt sich ein kleines Mädchen mit Schleifchen in den schwarzen Rasta-Zöpfen, nimmt es huckepack und springt dann einen gut 10 Meter hohen Wasserfall runter. |
TANTE, NOCHMAL RUNTERHOPPEN!!
Das Kind kiekst
vor Vergnügen, die Oma schmunzelt, und die Lifeguard-Tante
kraxelt zum fünften Mal die Stromschnellen rauf, um mit dem
Mädchen auf dem Buckel wieder und wieder runterzuhoppen.
Trotz
des hohen Preises und der abseitigen Lage fallen im
20-Minuten-Rhythmus immer neue Busladungen sonnenbrandiger
Fremdlinge in den Kurpark ein, weshalb wir uns auf die Reifen
machen und nach dem nächsten Roaring River Ausschau halten.
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Der roart deshalb
so, weil er sein Bett durch den Muschelkalk gebohrt hat und
zwischen kalkigen Schluchten und hohlen Klüften im Stereo-Sound
samt Echo-Effekt tost. Schon auf dem Parkplatz baut sich ein Typ
vor uns auf und verkündet, er sei unser offizieller Guide. Als
er anfängt, uns Bananenstauden und Hibiskusblüten zu
erläutern, als seien wir soeben vom Mars gekommen, verklare ich
ihm, dass wir den Weg auch ohne Guide finden, aber das hat nur
eine Änderung der Hackordnung zur Folge. Jetzt gehen wir
vorneweg und er watschelt hinterdrein, vorher war's umgekehrt. An
jeder Abzweigung, an der wir das Guidebook konsultieren, kichert
er, als wollte er sagen, das habt ihr davon, dass ihr den Führer
verschmäht, und auch vom einsetzenden Regen lässt er sich nicht
verdrießen, sondern folgt uns sogar in die Hütte, die ein
Red-Stripe-Fähnchen aushängen hat und offensichtlich als Bar
fungiert. Drinnen hockt schon eine Bande von Italienern; zwei der
mediterranen Mädels sitzen je einem Jamaicaner auf dem Schoß,
nuckeln Bier und suckeln Ganja. Die neben mir sitzende Signorina
reicht mir wohlgelaunt den Joint, während sich schwarze Hände
mit ihrem Ausschnitt befassen, aber ich muss schon wieder
bedauern: Wir sind noch immer Nichtraucher.
“So ein tumber
Blödian", sagt ihr spöttischer Blick, der letzte, dessen
sie mich würdigt, und dann drückt sie ihrem Büsten-Halter ein
Küsschen ins unrasierte Gesicht und giggelt nur kokett, als der
sich mit der anderen Hand in der Gegend ihres Rocksaums zu
schaffen macht.
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Nach dem Ende des
Schauers roart der River vermutlich besonders kräftig, doch es
war uns nicht vergönnt, den Sound zu hören, denn den Zugang zu
den Caves bildet ein verschlossenes Gitter: Um 15 Uhr macht der
River Feierabend. Wir wenden uns zum Gehen: Da steht
“unser" Guide und hält die Pfote auf. |
Negril am Westzipfel der Insel ist das Rimini von Jamaica. Die Küstenstraße ist weithin gesäumt von Hotels Chalets Lodges Restaurants Souvenirs Lounges Pools Bars und wie sich all der Chichi nennt, auf den die devisenträchtigen Besucher stehen. So eine Ansammlung von Dollars lockt natürlich sämtliche Gauner der Insel herbei, denn hier können sie wie auf einer Mops-und-Klau-Olympiade zeigen, was sie drauf haben. Unser Stoffhotel pflanzen wir deshalb vorsichtshalber auf eine entlegene Wiese voller Kröten, kriegen aber trotzdem in der Nacht Besuch. Furzend, schnaufend und schmatzend trampeln Rindviecher bei Mondschein um unser kleines Häusel, und damit sie uns keinen dicken Haufen vor die Tür scheißen, niese ich kräftig, woraufhin sie hoppladiholter davongaloppieren, diese Riesenfeiglinge. Da lob ich mir den Mut der Kröten, die sich seelenruhig plattfahren lassen, wenn man nicht aussteigt und eine jede höflich um Wegfreigabe bittet oder sie notfalls eigenhändig umplaciert, als handle es sich um Demonstranten vor Mutlangen. |
Da es
in und um Negril von Touristen nur so wimmelt, hoffen wir, in der
Post auf Personal zu stoßen, das mit Postkartenportosätzen
vertraut ist. Wir begeben uns auf den Weg zum Postamt, um unsere
Karten zu frankieren und an all diejenigen zu spedieren, die um
unser Leben bangen. Wir kommen gerade rechtzeitig, um Zeugen der
feierlichen Amtseröffnung zu werden. Ob die jeden Morgen auf die
gleiche Art zelebriert wird, vermag ich nicht zu sagen. Eine der
drei Postdamen polkt jedenfalls mit einem rostigen
Scheibenwischerarm aus der Mülltonne zwischen den Fensterritzen
und löst geschickt den innen vorgelegten Riegel. Das rostige
Gitter vor dem Fenster der außerordentlich baufälligen Hütte
läßt sich mit vereinten Kräften so weit aufbiegen, dass die
mutigste der Damen versucht, sich durch den Spalt ins Innre zu
zwängen. Ihr weiblich gerundeter Unterleib erweist sich jedoch
als unüberwindliches Hemmnis, und nun hängt sie mit dem
Oberkörper im Postamt, während ihr dralles Hinterteil in der
Morgensonne zur Straßenseite herausquillt und mit den Beinen um
Hilfe strampelt. Wir bekommen die Beamtin heil wieder heraus,
denn allmählich vergrößert sich die Schar der wartenden
Postkunden und staunenden Helfer. Eine junge Lady in der
schnieken Uniform einer Bankangestellten äußert laut und
vernehmlich die Ansicht, das gesamte Postamt gehöre auf den
Sperrmüll.
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NICHT DAS POSTAMT VON NEGRIL, ABER VERMUTLICH EIN MEISTERWERK DESSELBEN ARCHITEKTEN
Irgendein Mensch hat von der Tankstelle nebenan ein grobes Brecheisen organisiert; mit dem wird die splitternde Hintertür so sachte aus den Angeln gestemmt wie ein fauler Backenzahn von einem geschickten Dentisten, und zwischen Türmen von Postbündeln, die bis zur Decke reichen und schon recht vergilbt aussehen, schieben sich die drei Beamtinnen hinter die Schalter und beginnen Briefmarken zu verkaufen. Man hat uns nach der Rückkehr versichert, dass die Mehrzahl der in Negril aufgegebenen Karten wundersamerweise ihre Adressaten erreicht habe. Nun besteht Negril nicht nur aus Kuhkrötenwiesen und einbruchssicheren Postämtern. Die Hauptattraktion sind die malerischen, palmengesäumten, weißen Sandstrände, an denen sich glasglar die azurnen Wogen des karibischen Meeres brechen - so schwafeln jedenfalls die Reisebürokataloge. Aber wo sind sie nur, die glasklaren Palmen und der azurne Sand? Wir sehen nur Zäune, Gitter und Warnschilder: |
Nur für Hotelgäste | ||
PRIVAT! | ||
Unbefugten ist der Zutritt STRENG verboten | ||
Eintrittspreis für
zwei Stunden Strandbenutzung:
25 US $ pro Person |
Hier fühlt man sich was von willkommen! Wenn der Besitzer des Seafood-Restaurants Cosmo das Herz nicht auf dem rechten Fleck hätte, wären wir weitergefahren, ohne in Negril gebadet zu haben. Doch im Cosmo ist der ganze weite Strand für nur 30 J$ auf unbegrenzte Zeit zugänglich, und in dem Scherflein ist die Benutzung der Umkleideräume und der sehr sauberen sanitären Anlagen enthalten. Wir vertrödeln viel Zeit unter einem schattigen Baum und beschauen die obligatorischen Beachaktivitäten auf den benachbarten Hotelstränden, wo die Weißen unter sich sind und ungestört ihre Langeweile mit Wasserski, Parasailing, Bananaboat Riding und Beach Volleyball totschlagen. Bei uns hat sich unter dem selben dicken Baum noch eine jamaikanische Mischpoke niedergelassen, von der Urgroßmutter bis zur quäksenden 4.Generation, und dann plantschen sie allesamt mit Getöse ins Wasser - na und, stört uns das? Sollen wir deshalb in ein Club-Ghetto flüchten? Kein einziger Regentag hat uns die Rundfahrt um Jamaica verdorben; wer Regen liebt, muss ihn aufsuchen, nachmittags in den Bergen. An den Küsten ist es immer gleich heiß, solange sich nicht gerade eines der Berggewitter verirrt und ein paar Tropfen um sich wirft. Aber die nasse Bescherung ist meist nach einer halben Stunde wieder vorbei. Nicht
dass das alles wäre, was uns als Bilanz der Jamaica-Reise
einfällt, während wir in Reading auf der offenen Terrasse beim
Dinner sitzen und drüben auf der anderen Seite der Bucht im
Purpur der Dämmerung die Lichter von Montego Bay flimmern sehen.
Aber für ein Schlusswort ist es noch zu früh, denn morgen
verlassen wir zwar diese komische Yah-mon-Insel, kommen aber noch
ein paarmal zurück, bevor wir uns endgültig aus der Karibik
verabschieden. Wir haben verdammte Lust, noch ein paar Winkel
dieser Gegend zu inspizieren und herauszufinden, ob man überall
so flapsig und dollargierig ist wie auf Jamaica.
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