COCKTAILS UND INSEKTENSTICHE
JAMAICA
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Zwei Becher voll Kaffee, das trinken wir sonst in fünf Jahren, aber heute an einem einzigen Tag, und das in der dünnen Bergluft.... Wir habens ohne Herzinfarkt überlebt, sehen uns aber gezwungen, dem Gesöff einen Abfluss zu bieten und den Mageninhalt mit etwas Quellwasser zu verdünnen, sonst werden wir volltrunken von all dem Koffein. Wir rollen ein paar hundert Meter den Berg runter, um außer Sichtweite der Häuser zu kommen und einen Platz zum Pinkeln zu finden. Wo die Straße, auf der eh nur alle halbe Stunde ein Vehikel entlangtuckert, eine Beule hat, halte ich an; ein kleines Stück Wiese verleiht der Landschaft idyllische Züge. Aus dem Quell nahebei kann man auch Wasser zapfen, wunderbar.
Türen auf, Kofferraum auf, Kanister raus, aufgefüllt, Hände gewaschen, Kofferraum zu, Türen zu, Karte rausgeholt, um zu gucken, wo es lang geht... Unser Gerödel und Türenschlagen in der ohrenbetäubenden Bergstille hat anscheinend die Nachbarschaft neugierig gemacht. Ein Typ kommt über die Wiese gestiefelt, grobes Baumwollhemd, Shorts, buschige Augenbrauen, weißes Gesicht, und fragt, ob wir eine Panne haben und Hilfe brauchen. Glücklicherweise nicht, danke vielmals. Und dann, als seien Weiße im tiefschwarzen Jamaicanerland auf gegenseitige Solidarität angewiesen, ein längeres Woher-und-Wohin-Gefrage.
“Ach was, aus Japan? Furchtbar weit bis nach Jamaica, was? Und dann tief in die Blauen Berge... Was treibt euch denn hierher?"
Naja, die gute Luft.... Und außerdem wollten wir ein bisschen Kaffee kaufen...
“Ich baue selber auch Kaffee an, schon seit über 20 Jahren."
Interessant. So ein Experte hat vielleicht Lust, uns seine Farm mal zu zeigen, mich interessiert sowas. Darauf scheint er nur gewartet zu haben. Welcher Mensch ist nicht stolz auf das Handwerk, das er betreibt? Gutgelaunt führt er uns in eine kleine Hütte mittenmang zwischen Kaffeebüschen und hält den drohend knurrenden, zähnefletschenden Köter fest, damit er uns nicht an die Waderln geht. Die Hütte könnte man auskochen und bekäme einen ordentlichen Kaffee davon, so intensiv riecht es nach Eduscho. Wo der Qualm am dichtesten ist, bewegt sich ein Schatten.
“Meine Frau Dorothy", sagt der Farmer, reicht uns die Pfote und stellt sich vor.
“My name is Alex Twyman, how do you do."
FRAU DOROTHY TCHIBO-EDUSCHO AM WERK
Mir bleibt die Spucke weg. Das ist also der jamaicanische Astérix, von dem das Guidebook seitenlang schwärmt, und wir sind ihm ahnungslos geradewegs ins Häusel geschneit! Seine Frau steht seit gut 20 Jahren in der Küche an den Kaffeerösttrommeln und röstet Bohnen tagein, tagaus. Sie tut nichts anderes. Einkaufen, Putzen, Waschen, Essenmachen oder Kinderkriegen nimmt ihr das billige einheimische Personal ab.
“Dafür hat sie garantiert den besten Riecher weltweit für das richtige Timing beim Kaffeerösten. Sie kann einer Bohne ansehen, wo sie angebaut, wie lange sie geröstet und wann sie geerntet worden ist."
Kaffeemannsgarn? Ich glaube ihm aber gern, dass die beiden im Urlaub oder sonstwo fern der Heimat nur Tee trinken, weil sie jeden anderen Kaffee als den eigenen als eine ungenießbare Zumutung empfinden.
Die nächsten drei Stunden stehen wir in der Plantage und lauschen einer agrarwissenschaftlichen Vorlesung über den Kaffeeanbau. Wer wissen möchte, warum das Blue-Mountain-Produkt so viel besser ist als brasilianischer oder columbianischer Kaffee, der sende mir eine e-mail, dann erklär ich's ihm gern. Unterdessen pflücken wir Kaffeefrüchte vom Strauch und mampfen das Obst (süßlich-wässeriges Fruchtfleisch), zerkauen geröstete Bohnen und nicken andächtig, als wir erfahren, welch einmaliges Aroma wir soeben genießen durften, und merken erst nach zweieinhalb Stunden, dass hier nicht nur exquisiter Kaffee gedeiht, sondern dass zwischen den Kaffeestauden auch eine besonders aggressive Art von Stechmücken sowie Flöhe, Zecken und blutsaugende Milben ihr Habitat haben. Vielleicht verschmähen die Tierchen koffeinhaltige Farmerwaden, denn Alex, einmal in Schwung, holt gerade aus zu einem Abriss der Historie des Kaffeebaus, während wir beginnen, unsere Beine zu verkratzen und um uns zu schlagen, um unser letztes Blut zu verteidigen und nicht der Anämie zu erliegen.
KAFFEEPROFESSOR TWYMAN BEI EINER VORLESUNG
Die Rettung brachte die Andeutung, dass wir gern ein paar Pfunde seines Superkaffees mitnehmen würden; Geld verdienen macht dem guten Alex offenkundig ebenso viel Spaß wie Dozieren. In zwei Meilen Entfernung klebt eine ganz ordentliche hölzerne Villa am Hang, mit verglaster Wand zum Tal hin und einer bombigen Aussicht über halb Jamaica, und in der Örtlichkeit, die ein normaler Mensch als Garage ansehen würde, lagern Tonnen von Kaffeebohnen. Dreimal so teuer wie an der Kreuzung bei den dunkelhäutigen Kollegen sind Mr.Twymans Kredenzen, aber was ist das schon angesichts der Gewissheit, vom besten Kaffee der Welt den ALLERbesten erstanden zu haben? Zum Schluss kriegen wir noch ein Kilo gratis obendrein.
“Meine Frau ist nicht zufrieden damit. Sie sagt, die Mischung sei missglückt. Mir schmeckt der, ich finde nichts dran auszusetzen, aber wenn meine Frau nicht einwilligt, kann ich davon keine Bohne verkaufen. Sie würde sich eher scheiden lassen als Abstriche bei ihren Qualitätsvorstellungen hinzunehmen...", sagt Alex achselzuckend. Ob irgend jemand außer Dorothy Twyman einen Unterschied herausschmeckt?
Alex hat
übrigens, wie er uns zum Abschied triumphierend mitteilt, seine
Lizenz bekommen. Er hatte zwar keinen Obélix, um die Beamten zu
verprügeln, aber seinem Dickschädel ist ein ähnliches Ergebnis
zu verdanken...
* * *
Ich kann keinen Kaffee mehr riechen. In allen T-Shirts steckt der Röstqualm, und wenn man das Gepäck aufmacht, rieseln braune Bohnen heraus. Das Auto duftet nach einer Tchibo-Stube; sogar beim Zähneputzen oder Haarewaschen hat man Kaffee auf der Zunge. Ich erwäge beinahe, zum Ausgleich eine Knoblauchfarm zu besichtigen, lasse den dummen Gedanken aber rechtzeitig wieder fallen und kehre den Kaffeebergen den Auspuff zu. Kingston wird weiträumig umfahren, Abendessen gibt's auch in Spanish Town. Klingt nach Sevilla, sieht aber extrem jamaicanisch aus; genau gesagt ist es der dickste Abfallhaufen im Slumgürtel um Kingston, das mieseste Kaff der ganzen Insel. Wir rumpeln dreimal um die Kirche, durch Pfützen, Stau, Gewimmel, Müll und Schlaglöcher, um eine nicht allzu finstere Schänke zu finden, und enden dann entnervt vor dem einzigen Gebäude, das nicht von dimmen Funzeln oder kartenspielenden Säufern beherrscht wird, sondern hellen Neonschein, große Fenster und einen uniformierten Wachmann aufweist: Eine Fried-Chicken-Filiale. Angesichts zwielichtiger Gestalten, die um den Bau herumlungern, schließen wir unsere Kaffeemühle, im Schein der hell erleuchteten Fenster geparkt, besonders sorgfältig ab und haben der Karre kaum den Rücken gedreht, als ein Typ um die Ecke geschossen kommt, verfolgt von zwei Revolvermännern, die vor unserer Nase den Flüchtenden schnappen, in die Gosse treten und ihm dann Handschellen anlegen. High noon abends um 8 in Spanish Town. Ob die Pistoleros Sheriffs in Zivil sind oder Al Capones Enkel, macht für uns keinen Unterschied: Wir mampfen eilig unsere Gummibroiler, vom Fenster aus stets das Vehikel im Auge behaltend, und suchen dann schleunigst das Weite.
BEWARE OF CROCODILES
Tatsachlich döst nur wenige Schritte von dem Warnschild entfernt so ein Reptil in der lauen Brühe und sieht hungrig aus. Ka wirft ihm einen Kanten altes Brot vor die große Klappe, aber das Vieh guckt nicht mal hin. Kazuko würde ihm vermutlich besser munden.
“Wenn de dem ned en halwes Hähnsche naaschmeißt, rührt der sisch ned", tönt es unverhofft auf Hessisch hinter mir. Eine junge Blondine, die sich trotz der Hitze eng an einen braunhäutigen Rasta schlingt, hat offenbar gehört, wie Ka versucht hat, mit dem ungelehrigen Alligator deutsche Konversation zu treiben.
Circa 38.728 Schlaglöcher weiter liegt ein Fischerdorf namens Alligator Pond. Hier ist der erste richtige Strand auf Jamaicas Südseite, meilenlang und nahezu menschenleer, und der einzige Alligator weit und breit befindet sich im Ortsnamen. Eine verlassene, aber asphaltierte Chaussee nimmt die Parade der Strandvillen ab, die mehrheitlich verlassen und dem Verfall preisgegeben sind. Die britischen Kolonialherren haben vermutlich Hals über Kopf Jamaica verlassen, als ihre einstige “Negersklavenkolonie" unversehens unabhängig wurde. Mögen auch Bäume durch die Fensterhöhlen wachsen und Ziegen in den geplünderten Salons pennen, die Strände sind so traumhaft und die See so klar wie zu Queen Victorias Zeiten, und man lässt sich wohlig durch die lauwarme Karibik treiben, bis die Fingerkuppen schrumpelig werden.
Mandeville ist nobel. Erstens liegt es in den Bergen, fern von der glutheißen Küste, zweitens gleicht es vor lauter Rasengrün einem Golfplatz mit eingestreuten Kurortvillen, und drittens ist es merklich teurer als alle anderen Städte in Jamaica. Sonntags fällt die Noblesse noch stärker ins Auge, denn jedes dritte Gebäude ist eine Kirche. Jede Sekte hütet hier ihre Schäfchen, vorwiegend Matronen und kleine Mädchen, die in weißen Konfirmandenkleidchen zum Gottesdienst streben. Friedlich stehen die Kirchen beieinander, Baptisten und Trappisten, Adventisten und Blasphemisten, Zeugen Europas und Heurige der letzten drei Tage und wie sie alle heißen. Nur die 20- bis 30jährigen Jungs, die 80% der Bevölkerung der Insel auszumachen scheinen, machen einen Bogen um all die Tempel und Götter; sie fischen, schaffen und verkaufen Patties, Bammies und Callaloo wie an Werktagen auch. Genau das richtige für uns Heiden: Callaloo ist ein hervorragendes Gemüse, dem Spinat nicht unähnlich, und Bammies, Knödel halb aus Mehl und halb aus Kartoffeln, die andernorts “Gnocchi" oder “Kartoffelklöße" heißen, waren schon immer mein Leibgericht. Dazu eine Portion Ackee mit Plaintains (die unsüßen Kochbananen, die genau wie Salzkartoffeln zubereitet werden und auch so schmecken), und schon sind wir fit, um als Nachtisch eine Schokoladenfabrik zu besichtigen. Die Schokofritzen wollen jedoch nicht gestört werden und ihr Zeug wahrscheinlich selber fressen, weshalb wir Mandeville samt seiner hochnäsigen Noblesse vergrätzt hinter uns lassen.