COCKTAILS UND INSEKTENSTICHE


JAMAICA

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Noch eine Gemeinsamkeit mit Japan fällt uns gleich nach der Ankunft auf: Gepfefferte Preise. Die nächtliche Taxifahrt vom Airport in Montego Bay bis zum 1246 m entfernten Hotel kostet 250 J$ (100 J$ = DM 5,50), das dürfte Weltrekord sein. Und der teure Zeitgenosse drängt uns noch seine Visitenkarte auf und will uns baldmöglichst rund um die Insel chauffieren. Der denkt anscheinend, im Ausland wächst das Geld auf den Bäumen.

30 Stunden sind seit dem Verlassen unserer Wohnung vergangen, früh um halb 7, und noch immer ist es der gleiche 30.Juli, als wir am Abend im Garten des heimeligen, von zwei resoluten jungen Damen geführten Hotels Ramparts Inn am Rande des kleinen Swimmingpools hocken und eine Piña Colada schlürfen. Geckos lauern an den weißgetünchten Wänden, um sich Falter zu schnappen, die um die Funzel tanzen, Glockengrillen zirpen laut und klangvoll, aus der Bar ist das Surren des riesigen Ventilators zu hören, von den Stränden tönen Fetzen von Disco-Musik herauf - wir sind in Jamaica.

Am gleichen Tag ist ein ungleich prominenterer Besucher in Montego Bay zu Gast: Überall grüßen Transparente den Herrn der Nachbarinsel, Fidel Castro, der den Yankees nun schon jahrzehntelang die Stirn bietet. Wir hocken gerade in einem Reisebüro, um unsere weiteren Schritte in der Karibik vorzubereiten, da läuft im Fernsehen die Pressekonferenz. Soeben erhebt Fidel seine Stimme zu einem eindrucksvollen Crescendo, das die Dolmetscherin getreulich imitiert. Die fünf dunkelhäutigen Damen im Büro lassen die Computertasten los und drehen sich zur Glotze um, wo Fidel sich vor einem amerikanischen Reporter, der ihm dumm gekommen war, in Rage redet und schließlich losdonnert: “Die USA sind doch nicht die Besitzer der ganzen Welt!" 
Der Rest der Rede geht unter im lautstarken Johlen und Jubeln aller anwesenden Jamaicaner. Da hat er den Yankees mal wieder Saures gegeben, der alte Fidel, und alle Underdogs in Lateinamerika sind seine treuen Fans, mit Ausnahme der Cubaner.

Unsere Routen liegen fest, die Flüge sind gebucht, aber Santa Lucia, Trinidad oder Barbados war nicht drin, weiß der Geier, warum in diesem Monat alles ausgebucht ist. Im Prinzip ist hier im Winter Saison, wenn sonnenhungrige Amerikaner auf der Suche nach Orten sind, wo sie ihre Dollars loswerden können, ohne Fremdsprachen lernen zu müssen. Zwei Wochen dürften uns für eine Insel von der Größe und Attraktivität Jamaicas genügen; danach noch je eine Woche Cuba und Panamá, dann haben wir die Karibik aus drei Winkeln beäugt und können mitreden, wenn von Krokodilen, Hemingway, Rum und Hurricanes die Rede ist.

bozyngals

DIE NÄCHSTE GENERATION DER REGGAE-BOZYNGALS

Kohlpechrabenschwarz sind sie, die Reggae Boyz, und wenn dich einer anspricht, halt deine Dollars fest, denn ihnen gilt seine Freundlichkeit. Mit lizensiertenTaxis fährt das Greenhorn nur einmal, meist am Tag der Ankunft. “Lizensiert", das klingt so offiziell. Ist es auch. Unlizensiert kommt man aber auch in die Stadt oder zum Airport, nur kostet es dann 20 J$, wenn man sich die Kalesche mit anderen Fahrgästen teilt. Das klingt schon vernünftiger. Nur darf man sich nicht als erster in einen leeren Wagen setzen, dann fährt der nämlich sofort los und behandelt dich als Ona$$i$ Junior zu lizensiertem Preis. Man muss den Bogen raushaben und sich irgendwo reinsetzen, wo nur noch ein oder zwei Plätze frei sind. Busse, Bahnen? Nicht in Montego Bay. Da gibt's gerade mal zwei Märkte, einen Craftsmarkt, einen dieser allgegenwärtigen McKentucky Huts, ein paar Banken, doppelt so viele Kirchen, drei oder vier kleine und einen großen Supermarkt, wuseliges Volk und rund um die Uhr Stau. Wenn man in einen Laden mit der Aufschrift PATTIES reinschneit, gibt's was zu knuspern: Patties (von “pastry") sind allerlei kleine Backwerke, am beliebtesten in der Form von Teigtaschen mit Beef- oder Chickenfüllung, wozu am besten ein “Policeman" passt. Das ist der Spitzname des einheimischen RED STRIPE-Biers, denn die Schupos tragen hier am Hosenbein einen roten Generalsstreifen. Am Abend, auf dem Rückweg vom Strandclub, vertreten uns zwei wahrhaftige Policemen den Weg und wollen uns partout nicht in die Stadt reinlassen.

“Wenn someone eure bags wegsnatcht, sind wir to blame", versichern sie uns, und weil wir die freundlichen Bierpaten nicht in blamable Lagen versetzen wollen, hocken wir uns in den Colectivo, den sie für uns anhalten, und lassen uns an das Hotelgartenpool zurückspedieren, obwohl wir uns in Montego Bay eigentlich bisher zu keiner Zeit molestiert oder gar in Gefahr gefühlt haben. Gewiss, die Jamaicaner sind wenig zurückhaltend, und Höflichkeit ist mit Sicherheit keine jamaicanische Erfindung. Aber wenn dir einer blöd kommt, sagst du ihm halt “no, mon" oder, wenn er das nicht schnallt, “fuck you, mon", dann dreht er schon ab. Frechheit lernt sich schnell.

Sonntags sind wir aber gesitteter, angesichts der schwarzen Ladies und Gentlemen, die aus der St.James Parish Church quellen, in Kostüm und Anzug, mit Stock und drolligen Bowlern auf dem krausen Haar wie vor 100 Jahren. Am Strand ziehen ähnlich gewandete Herrschaften ins Meer, von einem Pfaffen geleitet, und lassen sich in vollem Sonntagsstaat in die Dünung tauchen - Taufe? Voodoo? Jamaica ist voller Geheimnisse. Ein hoher Stacheldraht trennt den Strand in einen kostenlosen und in einen eintrittsgebührenpflichtigen Teil; der erste ist leer, der zweite gerammelt voll, und pausenlos steigen weitere Leute gebührenfrei über den kostenpflichtigen Zaun. Da geht am Abend eine Beachparty los. Wir trauen der Sache nicht, denn die schwarzen Wolken, die sich über uns auftürmen, kündigen erfahrungsgemäß ein gewaltiges Gewitter an, aber das scheint die Leute in MoBay nicht zu stören. Noch fünf Minuten, schätze ich, denn ich sehe die Regenfäden schon näher ziehen, und überdies äußert sich die Natur auch optisch und akustisch; trotzdem zeigt sich kein Mensch beeindruckt, außer uns. Und dann dreht das Unwetter einfach ab, klettert wieder die Berge rauf und verzieht sich grummelnd ins Inland, es fallen keine vier Tropfen. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus. Wahrscheinlich war das doch Voodoo, die Baderei im Sonntagsanzug vorhin. Scheint ein erfolgversprechendes Ritual zu sein.

Kaum ist der Fidel wieder bei seinen Zigarren, steigt hier die nächste Programm-Nummer. Jetzt füllt sich auch unser 10-Zimmer-Hotelchen, denn das Reggae-Sumfest steht an. Eine Woche Reggae-Festival in und um Montego Bay, live Musik in den Straßen, Beach-Parties an den Stränden, es ist was los in der Karibik. Seit Bob Marley durch seinen frühen Tod unsterblich geworden ist, gilt Reggae in der Welt als die Seele von Jamaica. In Wahrheit lieben Jamaicaner eher Ska, aber weil mit Reggae mehr Dollars anzulocken sind, rüstet MoBay zu seiner Reggae-Olympiade. Am ersten Tag Beach-Party in Rose Hall, das ist der Villen-Vorort von MoBay; für 400 J$ geht die Schranke hoch, und wer zuerst da ist, kann sich eine der Hängematten oder einen palmdachbeschatteten Tisch krallen und bis zur Nacht besetzt halten. Ein Strand wie gemalt, weißer Sand unter geschwungenen Palmen wie im Neckermann-Prospekt, und für Verpflegung sorgen ein Riesengrill und ein Bierzelt, während aus allen Lautsprechern ununterbrochen Reggae tönt, aber vom Tonband. Live wird erst nach Sonnenuntergang gefiedelt. Nun ja, dann testen wir mal das Grillangebot, das Jamaicas vier Hauptgerichte repräsentativ umfasst: Jerk pork, Jerk chicken (Schwein oder Henne steinhart gegrillt und mit mäßig scharfen Gewürzen versehen, dazu Reis), Curried goat oder Curried chicken (Ziege oder Hahn steinhart gegrillt mit mäßig scharfem Curry, dazu ebenfalls Reis), und dazu griffbereit die unvermeidliche Cola oder Red stripe-Bier. Alles andere bekommt man sogar nachgetragen: Kommt ein Typ mit Fahrrad angeschwitzt und zieht ein Wägelchen mit Icecream (was man hier meist in der originellen Schreibweise I SCREAM antrifft), Wassermelonen, Kokosnüssen, Suppe, Säften oder Ananas hinterdrein, man braucht nur auszuwählen. Das Machete liegt griffbereit, und wen es nach Kokosnuss oder Ananas gelüstet, der darf zusehen, wie flink der Bursche mit dem blinkenden Schwert der Frucht ans Holz geht, bis sie in konsumbereiter Form vorliegt.

Alle Jamaicaner scheinen Boyzngals im Disco-Alter zu sein, alte Leute sieht man nur selten. Und bei Beach-Partys sowieso nicht. Da hält das Reggae-Endlos-Band gegen 3 Uhr nachmittags endlich die Raffel, aber nur, damit eine aufgedrehte Tante sich das Mike schnappen und lautstark die Gäste entertainen kann. Ganz recht, denn man kann sich ja einen richtigen Sonnenbrand einfangen, wenn man den ganzen Tag nur am Strand herumhängt. Wettbewerbe im Bier-Schnellschlucken, Mister-Bierbauch-Contest und Miss Wet-T-Shirt-Wahlen, das habense wohl vom Club Aldiana abgekupfert. Abends um 8 beginnt die Karibik zu beben unter dem Dröhnen güterwagengroßer Lautsprecher; etliche Gäste springen in Panik in den lauwarmen Ozean zu den entsetzt flüchtenden Quallen, um bei Vollmond baden zu gehen, aber wir wollen den Live-Reggae der “Bare Essentials" nicht versäumen, stopfen uns zu Kügelchen gedrehte Serviettenschnipsel in die Ohren und halten es dank dieser Technik fast eine halbe Stunde lang aus.

bare essentials

LAUTE, SCHRÄGE LIVE-MUSIK, DAS BARE ESSENTIAL JAMAICAS

Reggae ist wahrlich nicht übel, verzofft rappige Tanzmusik mit unerwartet melancholischen Zwischentönen, aber diese Dezibel-Disco für Schwerhörige verkarstet auch das willigste Ohrenschmalz.

Street Jam ist für anderntags angesagt, kostenlos, aber als Whitey hat man keine Ruhe, sich hier mit Straßen-Marmelade vollzusaugen. “Taxi-taxi" scheint die Begrüßungsfloskel speziell für Weiße zu sein; vielleicht bemitleiden die schwarzen Jungs und Mädels mit ihren unendlich langen, schlanken Beinen ja die gedrungen einhertrappsenden, schwitzenden rotbleichen Fremdlinge und möchten ihnen zu bequemerem Fortkommen behilflich sein oder ihnen die Last des Tragens der schweren Dollarbündel erleichtern. Man weiß es nur nicht so genau, denn untereinander verständigen sich Jamaicaner durchaus nicht auf Englisch, sondern in Patois, einer Mischung aus Englisch, afrikanisch und Zeitgeist. Kommt der nächste an und sagt einem was auf Patois, was man nicht versteht. Ich antworte ungerührt “no mon", denn meist wollense dir sowieso nur an die Penunzen. 

“Ey rass, gimmi smallers" (He, du Arsch, haste mal ne Mark ?) zählt in Jamaica zu den höflichsten Wendungen. Glücklicherweise sind die Kerle mit ihren Rasta-Locken bei weitem nicht so ruppig wie sie aussehen und reden. Wenn man sie was fragt, sind sie durchaus hilfsbereit und bemühen sich um englische Ausdrucksweise. Und wenn mal einer patzig wird, freut er sich womöglich, wenn man genauso patzig zurückblafft - das ist halt die hiesige Lebensart, der spezifisch jamaicanische Umgangsstil. 

* * *

MoBay ist kein Kurort, an Stränden rumzuhängen nicht unsere Art. Im Uhrzeigersinn soll unser Mietwagen die Insel umrunden, das Falthotel liegt bereit. Es verfügt leider nicht über klimatisierte Zimmer, und außerdem fehlt der Schalter, um den Vollmond auszuknipsen. Und selbst der Meereswind-Ventilator hat seine Tücken: Sobald es dunkelt und die Ebbe einsetzt, schaltet er sich automatisch aus, vielleicht, weil Jamaica im Windschatten von Cuba liegt. Wenigstens die Moskitos müssen in den heißen karibischen Nächten draußen bleiben, während wir in angefeuchteten T-Shirts versuchen, inmitten des Grillenkonzerts Schlaf zu finden. Wegen der Tageshitze sind viele Leute auf dem Land schon vor Sonnenaufgang unterwegs zu ihren Feldern, aber niemand sagt was, wenn er über unser Zelt stolpert, und wenn wir am Aufstehen sind, erreicht uns allenfalls mal ein eher schüchterner Gruß.

"Yah mon", sagt der Typ, der auf dem Boden hockt und an dicken Bambusrohren herumbastelt, als ich ihn frage, ob da ein Floß draus werden soll.

"Und mit dem Floß werden Touristen dann den Fluss runtergeschippert?"
"Yah mon."

mr.yahmon

MISTER YAHMON BEIM BASTELN

Na schön, wenn er in der Tourismus-Branche tätig ist, hat er sicher nichts dagegen, wenn ich ihn beim Werkeln fotografiere. Schließlich muss man doch dokumentieren, dass man wirklich dagewesen ist und den Rum nicht beim Aldi gekauft hat.
"May I take a photo?"
"Yah mon".
Der könnte ja auch mal 'ne andere Platte auflegen. Als wir abdrehen, wird er aber munter.
"Ticketz for da rafting must be bought at da offiz over dere!"
Hat wohl Angst, dass wir nur Fotos machen und dann wieder abdampfen, ohne Knete dazulassen. Aber keine Sorge, zum Raften auf dem Maria Brae River sind wir ja eigens hergekommen.
"Yah mon", gebe ich ihm zurück, da grinst er. Klingt übrigens ziemlich deutsch, dieses "Jaa, Mann".
Sturzhelm, Schwimmweste, mit Karacho den Wildbach runterdonnern, haarscharf an spitzigem Fels entlang und dann den Wasserfall runter, so hatte ich mir das Rafting vorgestellt, aber das war dann nur eine Altherren-Paddelfahrt auf träger brauner Suppe. Und der Käptn hat neben Wissenswertem auch eine Menge Bafel auf Lager:
"Dort sind Bananenstauden, und hier wachsen Palmen".
Ach nein, wer hätte das gedacht? Ohne den klugen Kommentar hätten wir die Palmen beinahe mit Pappeln verwechselt und die Bananen mit Schnittlauch. Bananen und Banales, man bekommt's am River Maria Brae. Und dann packt der Mensch eine Kalebasse aus seinem Rucksack und schnitzelt dran herum, anstatt flott zu rudern. Zugegeben, ganz hübsche Muster graviert er da rein, aber abkaufen mag ich ihm das Ding nicht. Der ahnt ja nicht, dass wir noch rund einen Monat durch die Karibik zischen und nicht schon am dritten Tag unser Gepack mit Kalebassen vollstopfen können.
Da wir von der Rafterei nicht nass geworden sind, wollen wir am Strand das Abenteuer suchen. Dort findet es sich auch, denn alle Strände hier in der Gegend sind entweder dem Bauxit-Abbau gewidmet oder in privater Hand. Na schön, eine Hotel-Beach tut's ja auch. Kostet eine kleine Gebühr, aber dafür kann man auch die Duschen benutzen.
"60 Dollars" steht angeschrieben. Das sind drei Mark pro Nase. Ich blättere dem uniformierten Lakaien die Lappen hin, da keckert er los wie ein Astronaut mit Wespe im Helm.

"US-Dollars, Gentlemen, US-DOLLARS!!!"

Der hat wohl echt 'ne Wespe im Helm. Oder zu viel Rum gepichelt? Sehen wir aus wie Drogenbarone? Rieseln uns die Nuggets aus den Taschen? Der meint wohl, wir kommen aus Dussel-Dorf?"
"Fuck you, rass", uns siehst du nicht wieder!
Darauf muss eine
Piña Colada geleert werden, in einem demokratischen Lokal etliche Meilen entfernt von dem Keckerlakaien. Da gibt es auch guten Fisch. Und Blick auf den teuren Strand. Und weil wir inzwischen schon so gerissen sind, dass wir Palmen und Bananen auseinanderhalten können, wissen wir durchaus auch Wege zu kostenlosem Badevergnügen an einem so sauberen und menschenleeren Gestade zu finden, dass wir die Nacht über dort bleiben. Der dicke Vollmond, der über uns baumelt wie ein schwangeres Dotter, sieht uns beim nächtlichen Bad im lauwarmen Meer zu und hält redlich Wacht bis kurz vor Sonnenaufgang.

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