COCKTAILS UND INSEKTENSTICHE


CUBA

(3)

In der anderen Richtung von Habana aus, zum Schwanz des cubanischen Krokodils hin, gelangt man in die Provinz Pinar del Río, deren gleichnamige Hauptstadt mit ihrer unverändert gebliebenen kompletten Kolonialstil-Altstadt um Besucher wirbt. Dass der Charme der Zeitlosigkeit kein Werk von Denkmalschützern ist, sondern eng mit Cubas Sonderweg in die Neuzeit zusammenhängt, fällt sofort ins Auge: Die einzigen modernen Gebäude der Stadt sind die Souvenir-Kitscherias am Busparkplatz mit ihren soliden Dollar-Einkünften.

Wir fühlen uns ins Sevilla zu Bizets Zeiten zurückversetzt während der Besichtigung der Zigarren-Fabrik in der Stadtmitte. Lauter Carmens basteln hier in Handarbeit die berühmten Puros de la Habana.

purospuros2

IM VEB STINKNUDELN

In einer Halle werden die Tabaksäcke mit den getrockneten Blättern geöffnet, die Blätter sortiert und ihrer zentralen Rippe beraubt, und in der nächsten Halle hocken die paffenden Mädels in ihrem Qualm wie auf Schulbänken nebeneinander und drehen die dicken Glimmstengel, bevor sie nach Größe sortiert, mit Banderole versehen und in Holzkisten abgefüllt werden wie schon zu Nick Knattertons Zeiten.

In einer dunklen Ecke, der Chef ist fern und die anderen Besucher schon auf dem Weg zur TropiCola-Bar, kommt eine der jungen Arbeiterinnen auf mich zu, zupft mich verstohlen am Ärmel und lupft dann vor meinen Augen ihr T-Shirt. Na na, bitte keinen Striptease in der Zigarrenfabrik! Ich bin zwar gern bereit, dem Mädel zu attestieren, wie gut sie gebaut ist, aber ihr zwischen den Tabaksäcken unters T-Shirt zu lugen, das würde doch zu weit gehen. Nein, nein, sie will meine Dollars auf andere Art an Land ziehen: Sie zeigt auf den Gürtel an ihrem Bauchnabel, an dem wie Patronen in einem MG-Gurt lauter aus der Produktion abgezweigte Havannas die hellbraune Haut ihrer schlanken Taille zieren.

"Drei Stück für zwei Dollars", wispert sie mir ins Ohr. Das ist billig, aber auch ihr zuliebe lasse ich mich nicht zu einem Liebhaber dieser Giftlullen bekehren; Zigarren zählen zu den stinkigsten Qualen, die sich Menschen freiwillig anzutun in der Lage sind.

che

VIEL LICHT, VIEL SCHATTEN UM CHÉ

"Amigo", begrüßt mich vor den Toren der Fabrik ein Alter, lobt meine Jugend und Schönheit, preist Alemania, sein Bier, seine Autos und seine Fußballspieler, und als er glaubt, mich weichgeklopft zu haben, rückt er mit seinem Anliegen heraus: Er zieht eine 3-Peso-Note mit dem Abbild des Genossen Che Guevara aus der Tasche und meint, das sei doch ein ideales Souvenir aus Cuba, einen US-Dollar allemal wert. Bei einem Wechselkurs von 21 Pesos ein bisschen teuer, amigo. Da könnte ich mir meinen Che ja beinahe in Öl malen lassen für den Dollar. So frage ich ihn höflich, wer denn der bärtige Herr auf der Banknote sei. Der Amigo ist so starr vor Staunen, dass er mich widerstandslos fortgehen lässt. Das ist ihm noch nicht untergekommen, dass ein Cuba-Tourist den Compañero Che Guevara nicht kennt.

In Pinar del Río kann man auch eine Rumfabrik besichtigen, aber wenn man hineinkommt, erweist sich das als Bluff: Hier ist nur eine Abfüllanlage und, wohl wichtiger, ein Rum-Shoppe mit Hochprozentigem zu Discountpreisen zu sehen. Da wir aber ohnehin eine oder zwei Botteln Rum nach Nippon exportieren wollten, holen wir uns hier den Sprit, direkt beim Erzeuger.

Wie erfinderisch Cubaner sein können, müssen wir in Viñales beim Mittagessen anerkennen. Eine ganze Busladung von Devisenbesitzern, da müsste es doch mit dem Teufel zugehen, wenn sich da nicht ein paar Extra-Dollars herausholen ließen. Nach dem Nachtisch verkündet also der Oberkellner, er habe für die hochverehrten Gäste eine Lotterie vorbereitet, bei der es eine Flasche Rum und viele Trostpreise zu gewinnen gebe. Nur 1 Dollar das Los, und schon lacht die Glücksfee! Ich glaub', ich steh' im Wald. Das gibt's doch nicht. Die halten Ausländer wohl grundsätzlich für Idioten. Eine Flasche Rum kostet gerade mal 5 Dollar, und die Trostpreise sind ausnahmslos billiger Kitsch. Wenn nur 10 Leute einen Dollar einsetzen, beginnt für die Lotto-Fritzen der Reibach.

Zu unserer grenzenlosen Überraschung machen mehr als 20 Dummies, gut die Hälfte der Ausflügler, mit bei dem plumpen Versuch, ihre Geldtaschen zu melken. Gruppenreisende sind augenscheinlich in der Tat mehrheitlich Idioten. Kein Wunder, dass sie allerorts willkommen sind; reich und dumm, das sind überall auf der weiten Welt die am liebsten gesehenen Kunden. Na schön, dann sollen sie auch brav ihre Idiotensteuer blechen. Die Glücksfee lacht....sich ins Fäustchen.

matanzas

PROVÍNCIA DE MATANZAS

Auf der Fahrt über Matanzas nach Varadero, dem meistbesuchten Ferienbaderesortstrandhotelparadies von Cuba, säumen zahllose kleine Ölpumpen die Strecke, jede in einer schwarzklebrigen Pfütze stehend, und schaufeln den kostbaren Sirup eimerweise aus der Unterwelt hoch. Mit russischer Hilfe wurden da einige Lachen voll Petroleum entdeckt, und nun pumpen diese antiken Ziehbrunnen 12% des cubanischen Spritbedarfs ans Tageslicht. Wem die zartblaue See an den endlosen, weißen Sandstränden von Varadero nicht den Blick bannt, der sieht hinter den Agavenhecken landeinwärts die Raffinerien mit ihren Schloten, die das überschüssige Gas abfackeln. Sonstigen Spritbedarf kann man auch mit Rum decken, denn die berühmte cubanische Marke Habana Club wird ebenfalls nahebei destilliert.

Varadero ist im Prinzip langweilig, nichts zu sehen, nur Strandleben, keine Felsen, keine Quallen, keine Seeigel, keine Haie, noch nicht mal Schatten, es sei denn, man bringt seinen Sonnenschirm mit oder mietet sich einen, aber so lange bleiben wir gar nicht. Zwei, drei gute Runden geschwommen, was Artiges gegessen, dann einen Cocktail auf der schattigen Veranda des Restaurants, bis die Unterhaltungsband mit ihrem abgedroschenen Pauschalurlauber-Repertoire von La Paloma bis El Condor pasa uns die Ohren vollmüllt und in die Flucht schlägt. Auf dem Hinweg hatte der Busguide Matanzas noch als "das cubanische Venezia" gepriesen, auf der Rückfahrt war es schon beinahe abgesoffen; zwar hat die Erwärmung der Erdatmosphäre in den 4 Stunden noch nicht zum Abschmelzen der Polkappen geführt, aber ein halbstündiges Tropengewitter hatte eine vergleichbare Wirkung, nur dass in Matanzas kein Gondoliere "O sole mio" singt; stattdessen stehen die Gäule vor ihren antiken Fuhrwerken bis zum Bauch in der braunen Brühe und blinzeln dumm in die klickenden Kameras der Touristen.

Das letzte Abendmahl in Cuba in der Snackbar des Hotels Habana libre, wo man sich an leichten Speisen und leichten Mädchen gütlich tun kann; zwischen Pizzas, Sangüiches, Burguers, Espaguetis und Dirnen kann man wählen, aber letztere stehen nicht auf der Speisekarte, sondern zwischen den Tischreihen und sprechen jeden einzelstehenden Herrn, der mehr nach Dollars als nach Pesos aussieht, der Reihe nach an. Wir haben nur die Espaguetis getestet, die freilich mit wahren Spaghetti eigentlich nur das SPAG gemeinsam haben; wir hätten besser cubanisch essen sollen.

Immerhin hat die Woche im Hotel ausgereicht, um unsere insektenzerstochene Jamaica-Haut wieder in Schuss zu bringen. Dafür hat uns das Frühstücksbuffet auf manche harte Probe gestellt und zu Obstliebhabern werden lassen. Nur Moros y cristianos (Mohren und Christen, so heißt hier der weiße Reis mit dunklen Bohnen drin) kann man gerade noch ohne Bedenken zu sich nehmen. Aber was soll's, man ist ja nicht aus Zucker und auf Reisen allerhand gewöhnt. Cuba hat sich gelohnt, wir haben eine tolle Woche hinter uns, Carnaval und Cocktails, Habana und Hummer, Jazz und Salsa nach Herzenslust, alles preiswert und vergnüglich, und, ich will es nicht verschweigen, wir haben auch einen (einzigen) Cubaner getroffen, der mit uns ins Gespräch kam und nur plaudern wollte, ohne es auf popelige Dollars abgesehen zu haben.

"Ach, der Castro", sagte er freimütig unter einer Palme auf dem Rasen in einem Park in Habana, "der labert und labert und labert. Dem hört doch keiner zu, wir haben alle unsere eigenen Sorgen. So einen wilden Kapitalismus mit Slums, Mafia und Drogen wollen wir hier zwar wirklich nicht, aber Dollars könnten wir schon gebrauchen. Wenn es uns dafür ein bisschen besser ginge, wäre den meisten hier der Sozialismus piepeschnurz...."

Ist das die Quintessenz aus 40 Jahren Sozialismus? Spricht man so abfällig über das rumreiche Vaterland? Nicht lange, dann halten es nur noch die nördlichen Koreaner und ein paar wackere Chinesen mit jenem längst verblichenen bärtigen Guru aus Deutschland, dem alten Charlie Marx.

*

Yah mon, da sind wir wieder, in Montego Bay. Schon am Zoll kriegen wir den vertrauten Jamaica-Sound ins Ohr geblasen.

"Von Cuba?", fragt die dralle Beamtin und winkt uns lässig rüber zur Inspektion. "Taschen auf, raus mit dem Zeug", raunzt die Zöllnerin, obwohl ich unsere beiden Bottels Rum ordentlich deklariert habe, wohl wissend, dass in Jamaica eher Wasser verzollt würde als Rum. Die Zolltante wühlt sich durch Tüten voll dreckiger Wäsche und fördert das halb nasse Badezeug von Varadero zutage. Sie rödelt und polkt, macht alle Seitentaschen auf und klopft nach Hohlräumen, als hätte sie ihre Uhr in unseren Beuteln verloren. Schließlich frage ich, ob ich vielleicht bei der Suche behilflich sein könnte, schließlich weiß ich besser, wo ich was verstaut habe.

jamzoll

"Keine Zigarren?", fragt sie endlich.

"Wenn ich geahnt hätte, dass Sie eine Liebhaberin dieser Qualmbolzen sind, hätte ich Ihnen welche mitgebracht. Wir selbst wollen uns aber vorerst noch nicht vergiften, sondern hängen beharrlich am taugleichen Leben..."

Sie kann ihre Enttäuschung so schwer verbergen, dass ich sie mitleidig frage: "Disappointed?"

"No mon", lügt sie, aber dass jemand ohne einen Koffer voller Lullen aus Cuba zurückkommt, erlebt sie anscheinend nicht oft.

Es ist entschieden heißer und teurer als auf Cuba. Und um Dollars angebettelt werden wir auch in MoBay. Aber die Kids, die von uns so rotzig Smallers verlangen, als seien sie vom Finanzamt, lassen sich nicht mit Tempo-Taschentüchern abspeisen.

"Fuck you, mon!", piepsen die Steppkes und rennen dann, was sie können, damit sie nicht an den Löffeln erwischt werden und eine gewatscht kriegen. Jamaica, wie es leibt und lebt. Hemingway hatte wohl Recht, als er sich in Cuba niederließ.

 

WEITER ZURÜCK HOME