COCKTAILS UND INSEKTENSTICHE
CUBA
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Mit auf Stadtrundfahrt waren auch vier lustige junge Mädels aus Guayaquil im Süden von Ecuador, die im selben Hotel wohnen wie wir. Die Empörung über den Fischsalat beim Frühstücksbuffet, der nun schon den vierten Tag hintereinander aufgefahren wird und längst keinen Hautgout mehr hat, sondern im Verlauf seines Verwesungsprozesses mittlerweile stärker stinkt als der Käse, bringt uns ins Gespräch miteinander; und der Gesprächsstoff geht uns nicht aus, denn sie haben mindestens ebenso viele Fragen über Japan und Alemania auf Lager wie wir über Ecuador. Auch dort kommt man nicht allzu leicht an Dollars heran, und selbst betuchte Leute, zu denen unsere vier Bekannten zweifellos zählen, können sich Urlaubsflüge nur zu preisgünstigen Ländern leisten, und da steht Cuba mit an erster Stelle. Touristen aus englischsprachigen Ländern sieht man auf Cuba ziemlich selten; stattdessen wimmelt es vor Spaniern, Mexicanern, Südamerikanern, Franzosen und den unvermeidlichen Deutschen, die vermutlich auch in Timbuktu, am Nordpol und auf dem Mond nach Bier, Badestrand und Bildzeitung suchen.
Das Hotelfrühstück hat auch gute Seiten: Obst scheint hier billig zu sein, denn wer die toten Fische verschmäht, kann sich stattdessen an Bergen von Ananas, Bananas und Papayas sattfressen, dazu Guayavas (bei uns heißen die abgekürzt Guavas), Pampelmusen, Wassermelonen und leckeres Gebäck probieren. Aus dem Kran mit der Aufschrift TropiCola spudelt Bitzelwasser, was mir hochwillkommen ist, doch leider versiegt der Quell bereits am Morgen des dritten Tages.
Da wir die Hotelküche voller Misstrauen als eine Art Staphylokokken-Biotop betrachten, gehen wir an täglich wechselnden Orten auswärts speisen und fahren damit sehr gut. Ich hätte nie geglaubt, dass man in Habana auf eine solche Fülle ausgezeichneter Restaurants stoßen würde, deren Preise, natürlich nur in Dollars, nur etwa 30% bis 40% dessen betragen, was man uns in Jamaica für weitaus lumpigere Gerichte abgeknöpft hat. Ein rustikales Gasthaus (El Conejito) mit Konzertflügel und Weinregalen im geräumigen Gästeraum, das auf Karnickel-Menüs spezialisiert ist? Ein Meeresziefer-Tempel, der Hummer für 17,50 $ auftischt? Ein luschiges Gartenrestaurant (Mina) mit Springbrunnen und freilaufenden Pfauen im Atrium, wo dem Gast zur Begrüßung ein Glas Guarapo aufgetischt wird? In Habana findet man das. Ach so, was Guarapo ist? Das ist Zuckerrohrsaft, mit feingehackten Eisstückchen und einem kräftigen Schuss Rum zu einem potenten Durstlöschmittel aufgepeppt. Das Zuckerrohr liegt neben einer eisernen Presse, zwei Walzen mit einer Kurbel dran, und der Kellner dreht ein Stück Zuckerrohr durch die Mangel, hält das Glas an den Ausfluss und mixt den Guarapo aus dem frisch gepressten Pflanzensaft. Zu trinken bekommt man Rum in jeder denkbaren Form; das Nationalgetränk ist der Mojito, ein Rumcocktail mit frischer Pfefferminze. Beliebt ist auch Cubanito, die cubanische Entsprechung für Bloody Mary (Tomatensaft mit Rum statt Gin oder Whiskey), und sogar Cuba libre (TropiCola mit Rum), eine Erfindung der Auslandscubaner, die ihre Heimat vom roten Joch befreien wollen, prangt hier auf den Cocktail-Listen, ohne dass die Obrigkeit einschritte, denn Cuba ist doch libre, frei von jeglicher kapitalistisch-imperialistischen Bevormundung.
Frei sind wir auch. Auf Cuba kann man sich tatsächlich überall ungehindert bewegen, solange man nicht über Kasernenhöfe spaziert. Gegen solche Besuche sind freilich alle Militärs der Welt allergisch. Man kann sich sogar ein Auto mieten und herumfahren, wo immer man mag, und genau das haben wir auch im Sinn. Die Autovermieter kommen jedoch durch den unerwartet massenhaft ins Land flutenden Touristenstrom mit ihren Karossen nicht nach, und vergeblich sprechen wir bei allen einschlägigen Agenturen vor. Endlich treffen wir ein französisches Ehepaar, das gerade seine Karre zurückbringt, aber die Gattin, die neben uns sitzt, während ihr Mann die Formalitäten erledigt, ist so liebenswürdig, uns aufzuklären:
"Um Gottes Willen, mieten Sie hier keinen Wagen! Wir haben alle 25 km einen Plattfuß gehabt, der Tankverschluss fehlte, der Tacho war defekt und das Öl tropfte leise, aber stetig..."
Wir sagen der Dame unseren herzlichsten Dank und buchen bei Havanatours Busfahrten zu den nächsten Reisezielen.
* * *
CUBANISCHES KAMEL
An
der
Haltestelle fragt jeder Neuankömmling "¿último?"
(wer
ist der letzte?), merkt sich seinen Vordermann und sucht sich
dann einen schattigen Platz auf der nahen Wiese. Naht ein Bus,
hört man das Dieselgrollen schon von weitem, und wie von
Zauberhand gefügt bildet sich eine disziplinierte Reihe, indem
sich jeder hinter denjenigen einreiht, der sich zuvor als
"último" geoutet hatte. Man fragt am besten einen
Passanten, welcher Bus wohin fährt und wo die Haltestelle ist,
und wenn der Mensch so nett ist, dich bis zur Station zu
geleiten, drückst du ihm einen Dollar in die Pfote, da freut
er
sich ein Loch in die Mütze.
Kommt der Schaffner und will 40 Centavos pro Person kassieren. Ich geb ihm eine US-Münze zu 25 Cents, Pesos und Centavos hab ich keine. Flink lässt der Bursche die Münze in die Hosentasche gleiten, gibt uns zwei Fahrscheine und hofft, dass wir nicht merken, dass uns - auch nach offiziellem Kurs - eine Menge Wechselgeld zusteht. Aber was soll ich mit den cubanischen Alu-Centavos? Ich lasse ihm seinen Gewinn, auch wenn wir im proppevollen Bus nicht mal Aussicht auf Sitzplätze für unsere Valuta haben.
"Señores
imperialistas, ¡no les tenemos absolutamente ningun miedo! =
Ihr imperialistischen Herrschaften, vor euch haben wir absolut keinen
Bammel!"
Sprüche dieser Art zieren hier und da Straßenkreuzungen in Habana, aber von harter kommunistischer Propaganda ist auf Cuba wenig zu sehen. Castro setzt mehr auf seine wirklichen Errungenschaften als auf plumpe, leicht durchschaubare Propagandaparolen.
"50 mil niños mueren cada día de enfermedades curables - ninguno es cubano. = Fünfzigtausend Kinder sterben Tag für Tag an heilbaren Krankheiten - keines davon ist aus Cuba", sagt beispielsweise ein anderes Plakat.
Die cubanische Armut unterscheidet sich nicht sonderlich von der Armut anderer, auf kapitalistische Rezepte setzende Drittweltländer. Dort geht es nur der Oberschicht besser, die Armen leben hingegen noch elender als die Cubaner. Hier sind immerhin Bildung und ärztliche Versorgung für jedermann kostenlos, weshalb die Sterblichkeitsrate unter cubanischen Kindern wohl tatsächlich niedriger liegen dürfte als in Haïti oder Guatemala. In jedem Wohnviertel muss sich ein Arzt niederlassen und seine Praxis betreiben, und selbst im parkähnlichen Villenviertel Vedado (vedado bedeutet "verboten", denn das Viertel war einst off limits für den gemeinen Pöbel) wohnt heutzutage, wie man uns nachdrücklich versichert, "das Volk", wer immer das sein mag. Nach Proletariat sehen die Traumvillen mit ihren Schnörkeln, Balustraden und Verandas jedenfalls nicht aus. Einige der frisch renovierten Anwesen sind als Botschaftsgebäude kenntlich gemacht, an einem anderen Haus prangt ein Schild "Unión de escritores y artistas" (Verband der Schriftsteller und Künstler), und im schattigen Garten sitzen junge Leute unter Hibiskusbüschen und lauschen emsig mitschreibend der Vorlesung eines bärtigen Gelehrten.
Eigentlich war es das Guidebook für Jamaica, das uns zu dem Trip nach Cuba animiert hatte; dass der Autor, ein eingefleischter Jamaica-Fan, freimütig zugibt, dass Cuba "garantiert zehnmal so amüsant und interessant ist wie Jamaica", hat uns überrascht. Mit sozialistischer Mangelwirtschaft und schlappem Service hatten wir schon in anderen Ländern unliebsame Bekanntschaft geschlossen und beäugten Cuba deshalb eher misstrauisch als interessiert auf der Landkarte. Inzwischen sind aber sogar wir Gruftis dermaßen in den Sog von Habana geraten, dass wir wie die Einheimischen am Nachmittag Siesta halten, um das Nachtleben in vollen Zügen genießen zu können. Im Salón rojo ist Cabaret, fängt um 22 Uhr an und endet um 4 Uhr früh. Cabaret heißt Disco bis um halb eins, und dann beginnt eine heiße cubanische Show auf der Bühne, halb Moulin rouge, halb Varieté, mit viel Salsa und gut gebauten Señoritas, und das für 5 $ Eintritt, dazu ein Getränk für 2,50 $, aber da kann man die ganze Nacht lang dran nuckeln, wenn man geizig ist, ohne dass man zum Nachfüllen gedrängt wird. Und beim Verlassen des Etablissements in den frühen Morgenstunden sind die Straßen belebt, die Cafés überfüllt, die Busse fahren ebenso wie am Tage - muss denn hier keiner am Morgen ins Büro, produzieren die Fabriken ihre Traktoren denn ohne fleißige Arbeiter?
Gut angelegt sind 5 $ Eintritt auch in dem Jazzkeller LA ZORRA Y EL CUERVO, wo man beinahe vergisst, dass man in Cuba ist. Die Bude ist genauso verqualmt und bekifft wie die entsprechenden Szenecafés in Kreuzberg, die Besucher sind ebenso jung und zahlreich wie in Schwabing, nur dass hier die Umgangssprache Spanisch ist. Im Scheinwerferlicht in einer Ecke eine kleine Bühne, und lässige Jungs, ihrem Aussehen und Alter nach wohl Studenten, greifen sich ihre Gerätschaft und fetzen cubanischen Jazz runter, bis sie schweißgebadet sind und ihr Horn einem Kollegen weiterreichen, der seinen Cocktail stehen lässt, auf die Bühne hüpft und gleich das nächste Solo bläst. Der Pianist, ein bleiches Jüngelchen mit dicker Stadtneurotiker-Brille, spielt seinen Part einhändig; den Kopf hat er dabei nach rückwärts gedreht und flirtet während des Spielens mit der Señorita vom Nachbartisch. Ihm folgt ein schwarzer Pianist, der den Kasten derart durchquirlt, dass wir meinen, gleich müsste der Deckel wegfliegen. Just da kommt ein anderer beleibter Schwarzer zur Tür herein. Beifall brandet auf. Der Pianist macht dem offenbar prominenten Neuankömmling ehrerbietig Platz, und der hockt sich vorsichtig, damit der Hocker nicht bricht, an die Klimperkiste, fasst den Flügel mit seinen Pranken, als sei er eine Ziehharmonika, und holt nicht nur virtuos, nein, geradezu akrobatisch, so unfassbare Sequenzen aus dem Ding, dass Chopin und Liszt, hätten sie das gehört, bleich aus dem Lokal geschlichen wären und den Beruf gewechselt hätten. Wie besoffen von dem musikalischen Schmaus, mehr als vom Alkohol, fragen wir uns auf dem Rückweg ins Hotel gegen 4 Uhr morgens in der Menschenmenge erneut, wann die Bewohner von Habana eigentlich schlafen gehen.
Die Zapata-Halbinsel bildet das rechte Hinterbein des "Krokodils", wie die Cubaner ihre langgestreckte Insel nennen, und ist über die schnurgerade und leere, sechs- bis achtspurige Autobahn in knapp zwei Stunden flotter Fahrt zu erreichen. Flotte Fahrt - das gilt nur für unseren brandneuen Daimler-Bus von Havanatours. Hier und da schleichen Oldtimer mit 30 bis 50 Sachen über den Asphalt, und fast ebenso viele Wagen, wie auf der Piste rollen, stehen schnaufend am Rand derselben, während die Insassen ölverschmiert mit Schraubenschlüsseln, Hämmern, Ölkanistern, Zangen und Luftpumpen ihrem rollenden Methusalem wieder auf die Pneus zu helfen suchen. An Ein- und Ausfahrten stehen "damas amarillas", die "gelben Damen" mit warngelben Leibchen um die Brust, die alle nicht-privaten Fahrzeuge anhalten und auf freie Plätze kontrollieren dürfen. Wie uns ein Cubaner erklärt, müssen alle Dienstfahrzeuge dem Volke dienen, indem sie Leute, die selbst nicht motorisiert sind, mitfahren lassen. Ob Postauto, Militärjeep oder Ambulanz, alle sind den "damas amarillas" untertan.
Bis
Guamá
schweift der Blick über Obst- und, natürlich,
Zuckerrohrplantagen, doch Cuba ist nur der
drittgrößte
Rohrzuckerproduzent der Welt, nach Indien und Pakistan. An der Bahía
de los
cochinos,
der berühmten Schweinebucht in der Provinz Matanzas, sieht man
weder Invasoren noch sonstige Schweine, nur ein Denkmal für
die
Genossen, die bei dem dilettantischen Überfall der Gringos ums
Leben gekommen sind. Nahebei werden Krokodile gezüchtet, aber
die Viecher sind allesamt in einem weitläufig
eingezäunten
Naturpark eingeschlossen und werden wohl erst rausgelassen, wenn
der nächste Invasionsversuch stattfindet.
AN DER SCHWEINEBUCHT FÜHLEN SICH NICHT NUR KROKODILE SAUWOHL
Die
Iguanas sind
erstaunlich dankbar für die trockenen Brotreste vom
Frühstücksbuffet, und sogar junge, nur armlange
Krokodile
vergessen ihre sozialistische Lethargie für einen Kanten
altbackenes Weißbrot. Über Kanäle tuckern
wir per Boot durch
die Sümpfe zu einer hübschen insularen
Parklandschaft, in der
Chalets für Hochzeitsreisende aus aller Welt leerstehen, weil
die Russen jetzt allesamt in Paris und St. Moritz honeymoonen.
Runde Brücken wie in Japan führen von Inselchen zu
Inselchen;
Wiesen, Blumenbeete und blühende Bäume werden von
Kolibris
umschwirrt, und neben echten Schmetterlingen trifft man auch auf
solche, die nur ihrem Namen nach Mariposas
sind: So nennt man jene
allerorts weißblühenden Orchideen, Cubas
Nationalblumen.
Auf
der letzten
Insel steht ein Schilfhüttendorf, eine rekonstruierte Siedlung
der Taína, der Ureinwohner Cubas, die jedoch die
columbianischen
Visiten nur um wenige Jahrzehnte überlebt haben. Mit
Verwunderung vernehmen wir daher, dass deren Rituale zur
Begrüßung von Touristen bis heute
überliefert sein sollen. In
der Hütte des Kaziken wird das Misstrauen bestätigt:
Das
wichtigste Gerät beim Taína-Ritual ist
nämlich der Teller, mit
dem die Dollar-Spenden eingesammelt werden.
DIE LETZTE DER TAÍNAS ??? - SIEHT UNSRER KA ZIEMLICH ÄHNLICH...