FRAUENPOWER UNTERM KOPFTUCH |
INDONESIA |
(Bali und Java) |
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Die Leute in Java sind nicht weniger gesprächig als die in Bali, nur reicht meist das Englisch nicht aus für weite Ausflüge in die Linguistik. Also, wir wollen ja mit unserem Schul-Englisch nicht angeben, aber als Germane hat man doch immerhin so eine Art Heimvorteil. Wenn du einfach alle deutschen Endungen weglässt, das Genus der Substantive ignorierst ("bring mi de Lamp von de Bord bei de Bett"), dann brauchst du nur noch die Zunge zu verknoten, wenn ein r kommt, und musst auf jedes a zwei Pünkte setzen, dann ist der Weg bis zum flüssigen Lübke-Englisch gar nicht mehr weit.
Also, der Taxifahrer trägt eine Brille, es könnte sich um einen Intellektuellen handeln, von denen es im akademischen Yogya/Jogja nur so wimmelt. Und siehe da, auf Franks Menschenkenntnis ist Verlass. Der Bursche kennt nicht nur den Weg nach Borobodur, sondern auch das Geheimnis der Schreibweise von Jogja.
"Offiziell heißt die Stadt Yogyakarta, aber die Leute haben ihr den abgekürzten Spitznamen Jogja gegeben. Erst waren es die Studenten, dann die anderen Einheimischen, und heute redet ganz Java von Jogja, wenn Yogyakarta gemeint ist. Wir haben hier eine ganze Reihe von Hochschulen, Fachhochschulen und Akademien, hierher kommen Studenten aus ganz Indonesien, die politische und wissenschaftliche Elite hat entweder hier oder im Ausland studiert."
Einmal ins Reden gekommen, wird der Fahrer zum Entertainer.
"Ich stamme eigentlich aus Bali, habe aber hier studiert und eine Frau aus Jogja geheiratet. Also, Bali gefällt mir schon besser. Guck dir mal die Gegend an, hier sieht man doch kaum eine Blume, während Bali überall in Blüten steht. Aber das liegt daran, dass wir in Bali Hinduisten sind und Blumen brauchen, um sie unseren Gottheiten darzubringen. Und Java ist islamisch. Der Islam hasst alles, was schön ist. Musik, Blumen, Bilder, Frauen. Gut, wir Indonesier sind keine Fundamentalisten und vertragen uns miteinander über die Religionen hinweg, und auch die Moslems trinken Bier, weil davon im Koran nichts steht und das Gebräu sich auch als Erfrischungsgetränk definieren lässt. Und weißt du, wenn das Rindfleisch wegen BSE wieder mal teurer wird, dann strecken die Metzger auch in Java das Rinderhack mit Schweinefleisch, und die Moslems tun so, als würden sie es nicht merken."
In der Tat, Java, die Insel, auf der auch die Hauptstadt Jakarta (das frühere Batavia) liegt, ist zwar grün und luschig, aber arm an Blumen. Und am Straßenrand wandern zu dieser Morgenstunde unzählige Schulkinder zu ihrer Paukanstalt, und etwa 60% der Mädchen tragen lange Röcke und Kopftuch, aber die anderen haben kurze Faltenröckchen an und offene Zöpfe. Wie das?
"Denen ist es mit Kopftuch zu heiß. Oder dem Papa ist es egal. Oder sie gehen auf eine staatliche Schule. Manche, die eine islamische Schule besuchen, holen ihr Kopftuch auch erst am Schultor raus. Bei uns ist der Islam ziemlich locker, wir sind doch keine Araber, sondern Indonesier," spricht Herr Agus am Volant.
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Es
ist noch so
früh, dass Frank und seine Ka jetzt gleich zu den
Sehenswürdigkeiten fahren und erst am Abend zurück
nach Jogja,
zum Übernachten. Dir als gebildetem Zeitgenossen ist Borobodur sicher, und Prambanan vielleicht ein Begriff.
Also, der Islam ist erst spät bis hierher gedrungen, davor
waren
schon andere Propheten in Java.
Der erste
Heilsbringer kam vom Stamm der Buddhisten, und dem verdankt
Indonesien das Weltkulturerbe Borobodur. Das ist
nämlich
ein buddhistisches Mandala, ein Meditationsbild des
buddhistischen Kosmos, das die irdische, die dämonische und
die
paradiesische Welt des Nirwana darstellt. Nur dass dieses Bild
nicht auf Papier gemalt, sondern dreidimensional in die
Landschaft gestellt wurde und als Tempelberg aus Lavastein einen
Hügel bedeckt.
Innerhalb der
Umzäunung hat man schon mehr Ruhe. Welchen Beziehungen oder
Ausnahmevorschriften es die wenigen Händler und Dienstleister
zu
verdanken haben, die den Besuchern auch im Tempelbezirk ihre
Korkenzieher mit Phallusgriff, bunte Ansichtskarten und andere
Kulturgüter unter die Nase halten dürfen, ist nicht
bekannt,
aber immerhin sind dort die Besucher in der Mehrzahl. Zu denen
zählen auch Schulklassen aus ganz Indonesien, und wenn du
meinst, dass sich die Schulkinder für ihr Nationalheiligtum
interessieren, bist du mit Schulkindern reichlich unerfahren.
Frank weiß
kaum, wie ihm geschieht, schon ist er in einen Pulk kichernder
Kids eingekeilt und blinzelt in klickende Objektive, als wäre
er
der Großwesir von Vitzliputzli auf Staatsbesuch. Da siehste
mal, wie
verschieden die Kulturen doch sein können! Also, wenn du mal
von jungen Mädchen umschwärmt werden willst, die auf
graue
Schläfen, Bart, Brille und Sonnenbrand stehen, dann mach dich
auf die Socken nach Borobodur, da wirst du wie ein Filmstar
behandelt, während dir daheim in Fulda die Teenies mit Blicken
begegnen, die man nur mit "hey du Scharchsack, verpiss
dich" übersetzen kann. Jetzt sagst du mir wahrscheinlich,
dass es doch in Borobodur an Touristen sicher keinen Mangel gibt,
da müssen die doch an Langnasen gewöhnt sein, wieso
stürzen
die sich da gerade auf den Frank Eschersheimer? Also, erstens
ist der Frank wirklich ein stattlicher, attraktiver Mann, das
weißt du ja längst. Wenn nicht, click dich auf die
Homepage
zurück und bewundere sein Konterfei. Und zweitens kommen die
meisten Schulkinder eben nicht aus Borobodur oder aus Jogja,
sondern aus irgendeinem Winkel in den Bergen oder von einer der
vielen entlegenen Inseln, wo nicht einmal Adam, Eva, Columbus
und Hans-Dietrich
Genscher hingelangt sind. Und unser Frank,
der schleicht eben nicht in einer abgeschirmten
Studiosus-Kulturreise-Gruppe, sondern als Einzelreisender
über
das Gelände, und Ka, die daneben steht, wird von jedermann
als seine Dolmetscherin betrachtet. Für die Kinder in Java ist
eine Erscheinung wie Frank in etwa so, wie wenn du daheim
beim Karstadt mal auf den Herrenlokus gehst und auf einmal kommt
der Ratzinger-Papst rein. Oder so ähnlich. Ich
glaub, ich hab
heute einen schlechten Tag, an dem mir kein besserer Vergleich
einfällt, nimm mir's bitte nicht krumm.
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Am
Nachmittag langt der kulturgierige Frank schon in Prambanan an,
wo ein weiteres UNESCO-Weltkulturerbe in der Landschaft steht,
und das verdankt seine Existenz dem zweiten Heilsbringer vom
Stamm der Hinduisten. In dem weitläufigen Tempelkomplex im
indischen Stil aus dem späten 9.Jh. werden alle
Hindu-Götter
verehrt, von Shiva über Brahma, Vishnu, Lakshmi und Ganesha
bis
hin zu Hanuman und den göttlichen Verkehrsmitteln Nandi
(Ochse)
und Garuda (Vogel). Die Relieffriese zeigen Szenen aus dem
indischen Ramayana-Epos, und wenn du dann glaubst, auf diesem
absolut händlerfreien Gelände deine müden
Beine bei einer
halben Stunde Pause im Schatten vergessen zu können, hast du
dich schon wieder getäuscht.
Der Frank sitzt
also müde auf einem Mäuerchen und meditiert wie ein
echter
Zen-Buddhist. Mit anderen Worten, der Geist ist vorübergehend
ins Nirwana entrückt, der Körper gleicht einem leeren
Schneckenhaus. Ka liest im Guidebook oder polkt in den Tiefen
ihrer Handtasche nach ihrem Labello-Stift und fördert wie
immer
allerlei zutage, was sich irgendwann einmal dort hinein verirrt
hatte und praktischerweise dort geblieben ist, etwa ein
Päckchen
Doktor Oetker's Puddingpulver, ein gebrauchtes
Fahrrad-Blitzventil und eine noch original verpackte Batterie
für die Küchenuhr, na ja, du kennst das ja. Franks
Unterbewusstsein registriert Schritte, die sich nähern, aber
die
Meditation endet erst, als sich neben ihm ein Mädchen in
Schuluniform schwungvoll auf das Mäuerchen plumpsen
lässt.
"Where do
you come from?"
Das
war Stereo. Er guckte sich um und sah, dass er sogar eingerahmt
war, links das dicke Schulmädchen und rechts eine kleine
Nonne.
Na ja, "Nonne" ist vielleicht der falsche Ausdruck.
Also, von der Kleinen zu seiner Rechten sah man nur das Gesicht
und die Hände, der Rest war islamisch kaschiert. Und links
neben
der linken saß noch eine und grinste genauso wie die beiden
andern. Als sie erfuhren, dass Frank deutschen Mutterlauts ist,
ging ein großes Hallihallo an.
Also, du weißt
ja, dass Frank in Tokyo an einer Akademie japanische
Studenten unter anderem mit Deutsch traktiert. Aber jetzt guckste dir diese
javanischen Gören an, die schnattern nach nur einem Jahr
Deutschunterricht alle japanischen Studenten, die jahrelang
vergebens die Geheimnisse des Konjunktivs zu ergründen
versucht
haben, in Grund und Boden!
Die Dicke hockt
sich vor Frank auf den Boden und packt ihr Deutschbuch aus. Und
ihr Heft. Eine Karte von Deutschland, Nürnberg und Hamburg
sind
vertauscht eingezeichnet, aber sonst ganz prima. Ins Heft soll er
ihr was reinschreiben, klar doch, warum nicht? Die
"Nonne" drängt die Dicke zur Seite und hält ihm ihr
Heft unter die Nase.
"Ich hab
hier ein Gedicht geschrieben. Auf Deutsch. Von mir selbst
verfasst."
Der Frank kommt
kaum raus aus dem Staunen.
MEIN TRAUM | |
Ich
bin jetzt noch Schülerin,
Aber wenn die Schulzeit zu Ende ist, Bin ich erwachsen, bin ich frei. Ich kann Studentin werden oder heiraten, Ich kann nach Deutschland reisen oder arbeiten, Ich kann träumen und den Himmel erreichen. Dann bin ich glücklich. |
Aber
wenn es nicht gut geht,
Werde ich arbeitslos. Oder ich muss zu Hause bleiben Und Kinder haben, waschen und putzen. Dann bin ich unglücklich. Ich bete, dass ich glücklich werde, Dass mein Traum sich erfüllt. |
Hättest du das
gedacht? Ein islamisch verhülltes Schulmädchen in
Java, das
hier auf dem Mäuerchen des Hindutempels neben einem
männlichen
Ungläubigen hockt und ihm ein auf Deutsch verfasstes
feministisch angehauchtes Gedicht vorliest. Frauenpower unterm
Kopftuch...! Ich will ja nicht behaupten, dass das Gedicht ein
Meisterwerk war, und der Goethe, der konnte das sicher besser,
aber der war schließlich Profi.
Nach einer
Stunde privatem Deutschunterricht tauschte Frank für das
Abschiedsfoto seinen Platz neben der fleißigen "Nonne"
mit Ka, damit die mutige Muslimin später, wenn in Java mal
die Taliban das Sagen kriegen und Borobodur und Prambanan in die
Luft sprengen, wegen so eines Fotos nicht in Teufels Küche
kommt
mit ihrem jugendlichen Leichtsinn, denn er wollte den Girls das
gemeinsame Foto natürlich schicken. Eifrig malten sie ihm die
Anschrift ihrer Schule und ihre Namen auf, und die
"Nonne" kramte aus ihrer Mappe eine richtige
Visitenkarte heraus.
Frank stutzte.
April 1987? Heute haben wir den 24. März 2005, da wird sie ja
in ein paar Tagen 18! Und er hatte diese Mädels auf
allerhöchstens 15 Jahre geschätzt....
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Zwischen
Obstbergen und Schüsseln voller gesottener
Fledermäuse bahnt
man sich den Weg zum Kraton (Sultanspalast) von Yogyakarta. Die
Gehsteige entlang der Hauptstraße Malioboro sind vermutlich
immer von Marktständen zugestellt, nicht nur heute, wo rund um
den Kraton ein Volksfest stattfindet. Ka wollte eine
Abkürzung quer durch die Markthalle nehmen, geriet aber in
deren
Tiefen in etliche Versuchungen. Noch bevor sie von eifrigen
Bazaaris in einen Schador gehüllt wurde, erreichte sie aber
den
Ausgang und tauchte wieder in die javanische Vormittagshitze ein.
Spätestens hier wäre sie sowieso zum Hedonismus
rekonvertiert und hätte den Schleier fallen lassen.
Was du vom
Kraton zu sehen kriegst, sind nur ein paar äußere
Zeremonialhallen und der dicke, obligatorische Guide, ohne den
die Besichtigung nur 4 Minuten gedauert hätte.
Schließlich
residiert da noch ein leibhaftiger Sultan mit seinen Sultaninen,
und der hat verständlicherweise keine Lust, Touristen durch
sein
Schlafzimmer schlurfen zu lassen.
"Wenn ihr
Batik kaufen wollt, geht in den staatlichen Batik-Laden. Die
Händler hier auf der Hauptstraße sind alle Mafiosi", sagt
ein anderer
Zeitgenosse ganz unvermittelt. Eigentlich kam Frank momentan
auch ohne Batik aus und hätte lieber eine Batterie
für seine
stehen gebliebene Uhr gehabt, aber das kann der freundliche
Ratgeber ja nicht wissen. Die Batterie kriegte er aber im
einzigen Kaufhaus der Stadt auch gewechselt, für knapp 2 Euro
(in Tokyo kostet das 16 Euro), und wüsste nicht, was er an
Jogja
und seinen freundlichen Bewohnern auszusetzen hätte.
Nur gilt Frank auf Reisen
weder als Strandhocker noch als
Stadtmulk-Liebhaber und spazierte deshalb am Nachmittag schon
wieder in den Bergen umher, im Kurort Kaliurang, dessen
größte
Attraktion, der Vulkan Merapi, sein Haupt auf islamische Art mit
dichten Wolken verschleiert hatte. In der Nähe schlemmt es
sich
am besten in der zweitgrößten Attraktion des Ortes,
einem
Fischrestaurant, das auf Stelzen über einen Bergbach und
Bergsee
gebaut wurde, nur aus Holzboden und Schilfdächern besteht,
also
keine Seitenwände besitzt, und so weitläufig ist,
dass er es
nicht ganz erkunden konnte. Vermutlich können hier Tausende
von
Gästen gleichzeitig tafeln.
Gegessen
wird mit den Händen, die Gräten und andere
Abfälle werden
über das Geländer ins Wasser gekippt und sogleich von
hungrigen
Hechten und Karpfen verschlungen. Da fällt mir die Anekdote
von
dem Fisch ein, der an einer im Hals stecken gebliebenen Gräte
erstickt ist, kicherkicher, aber bleiben wir beim
ursprünglichen
Thema! Also, ein Wasserhahn direkt über dem Bach ersetzt die
Serviette, und wenn du dich so richtig vollgeschlemmt hast,
staunst du über die Rechnung von circa 6 Euro für
zwei
Personen. Dagegen ist Bali, wo Frank und Ka noch am
gleichen Abend einflogen, ja richtig teuer.