SCHNARCHSACK
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Kyonghi 1
"Was für ein schönes Liebeslied ! Das habe ich dem Stück nicht angesehen !"
Was kein Wunder war, denn ihre Deutschkenntnisse reichten nicht aus, um es auch nur halbwegs korrekt zu übersetzen.
Die Tricks, mit denen man bei einem jungen Girlchen die Neugier weckt, die hatte er noch drauf. Er wusste schon, was sie ihn in der Antwort-Mail fragen würde, und sie enttäuschte ihn nicht.
"Und der andere Satz ? Wer hat Ihnen das beigebracht ?"
Da wollte er die Kyonghi haben. "Den anderen Satz sag ich dir lieber nicht, das sagt man nämlich nur seinem Schätzchen. Das hat mir eine Japanerin beigebracht, die mit einem verheirateten Koreaner eine Affäre hatte."
"Wahrscheinlich ist es sarang haeyo oder choa haeyo, hab ich Recht ?"
"Falsch geraten. Das war eigentlich nicht als Rätsel gemeint. Ich weiß nicht mal, was deine beiden Sätze bedeuten. Jedenfalls war es kein Liebesgeständnis der Japanerin an mich, denn wegen dem Herrn Kim hat sie mich schließlich sitzen lassen."
"Sarang haeyo heißt 'Ich liebe dich', und choa haeyo heißt 'Ich mag dich'. Und diese Japanerin hat Sie verlassen ! Das ist mir unbegreiflich. Womöglich war das die schöne Sängerin, in deren Konzert ich Sie vor drei Wochen gesehen habe ?"
Kyonghis
Interesse an delikaten Themen war unerschöpflich, und
die Mail-Korrespondenz voller Anzüglichkeiten riss nicht mehr
ab.
Jordy lud sie eine Woche später in die Oper ein und ging
anschließend mit ihr essen, und Kyonghi bedankte sich mit
großer Liebenswürdigkeit und einem
freizügigen Ausschnitt, der
seinen ansehnlichen Inhalt mehr schlecht als recht verbarg. Jordy
bedauerte, dass es sich bei Kyonghi um eine seiner Studentinnen
handelte; andernfalls hätte er sie auf der Stelle angebohrt
und
womöglich gleich in ein intimeres Etablissement abgeschleppt,
denn sie erweckte nicht den Eindruck, als hätte sie viel
dagegen
einzuwenden. Dann hätten sich endlich seine Investitionen in
all
die Dinners for two amortisiert. Die frustrierten alten, aber
zugeknöpften Tanten konnten ihm gestohlen bleiben angesichts
eines so knackigen, koketten jungen Dummchens. Ihm blieb nur
noch, sie so heiß zu machen, dass sie ihn von sich aus
verführte, das war die sicherste Art, eine Studentin aus
seiner
Klasse abzuschießen, ohne sich einer strafbaren Handlung
schuldig zu machen. Noch aus der S-Bahn auf der Heimfahrt tippte
sie eine nette und vielversprechende Mail an Jordy in ihr Handy.
"Ich habe ihn zwar sehr geliebt, aber jetzt ist alles aus, und es ist auch genügend Zeit verstrichen, dass ich nicht mehr so schwach wie vorher bin, ihm trotz unserer Trennung gleich wieder ins nächste Hotel zu folgen, wenn ich ihm auf dem Bahnsteig zufällig begegne. Ich halte die Sache für erledigt und will nicht mehr auf die Vergangenheit fixiert bleiben, sondern nach vorne schauen. Aber Sie sind sicher noch traurig und hängen an Ihrer untreuen Freundin ?"
"Ich bin immer darauf gefasst gewesen, dass es eines Tages zu Ende gehen würde. Schließlich hatte sie mich gewählt und nicht umgekehrt. Ohne eine Freundin ist man leider nur ein Schnarchsack, und das ist traurig, aber ich könnte mir vorstellen, auch mit einer anderen glücklich zu sein."
"Dann rate ich Ihnen, auch nach vorne zu schauen und sich jemand anders zu suchen. Die nächste Chance ist vielleicht ganz nah."
"Ach, Kyonghi, du bist jung und hast gut reden. Deine nächste Chance ist sicher ganz nah, aber ich kann einem jungen Mädchen allenfalls Bruchstücke des Glücks bieten, das es verdient hätte."
"Ich habe mich entschieden, es aufs Neue zu probieren, ich bin bereit. Sie verstehen doch, was ich meine ? Alles andere hängt von Ihnen ab."
Das war's, freute sich Jordy. Jetzt macht der Schnarchsack mal Urlaub, weil demnächst erst mal Schluss ist mit abgeschlafft und ausgebrannt. Tschüs Junko, Michiko, Aimi, Sayuri und wie die ganze Hitparade der angestaubten Ladenhüter lautete. Es ist einfach nicht wahr, dass das Glück blind daherkommt. Man kann es sich durchaus angeln, wenn man sich entsprechende Mühe gibt. Ein Treffer auf zehn Versuche, das ist eine deutlich höhere Quote als beim Lotto. Nur dass man damit ausgerechnet bei der Kyonghi landet, das lässt sich nicht unbedingt vorhersehen.
* * *
Jordy vereinbarte mit Kyonghi ein Rendezvous und achtete darauf, dass es nahe dem Restaurant, in das er sie einladen wollte, auch geeignete Stundenhotels gab. Auf ihre Antwort-Mail brauchte er nicht lange zu warten.
"Wie haben Sie sich das Treffen vorgestellt ? Ich sollte vielleicht vorher sagen, dass ich sehr zart besaitet bin und Zeit brauche. Seien Sie bitte nicht allzu stürmisch, ich möchte es langsam angehen lassen und hoffe, Sie verstehen, was ich meine."
Zart
besaitet hatte die robust wirkende und ohne
Höflichkeitsfloskeln
stets Klartext redende Kyonghi mit ihrem tiefen Ausschnitt nicht
gewirkt. Naja, das Glück, man kann es sich zwar angeln, wenn
man
sich Mühe gibt. Aber bisher war es Jordy immer mehr oder
weniger
in den Schoß gefallen, und das lästige
Sich-Mühe-geben, meinte
er, habe er nach den ersten vier Kapiteln dieses Lesebuchs
endlich hinter sich. So plumpste er aus seinen rosaroten
Träumen
erst mal wieder in die graue Realität zurück wie ein
nasser
Schnarchsack; er konnte seine Enttäuschung nicht
vollständig
verbergen, woraufhin Kyonghi ihm riet, nicht zu verzweifeln und
ihr etwas Zeit zu lassen, dann würde es schon gut werden.
Wenn
er das richtig interpretierte, war es am Gescheitesten, sich erst
mal verständnisvoll zu geben, damit wenigstens das erste
Stelldichein nicht koppheister ging. Er bestellte sie an einen
Ort, der für junge Paare der Anfängerklasse und
für
Frühlingsspaziergänge geeignet ist --- kein einziges
Stundenhotel weit und breit. Als sich der Tag sonnig und mild
anließ, dankte er den Göttern und führte
Kyonghi sofort ins
nächste Hotel, zum Mittagessen natürlich.
Erstaunt las er am Abend in ihrer Mail, dass sie einen außerordentlich glücklichen Tag verbracht habe und jetzt so richtig verliebt in ihn sei. Wie war das möglich ? Wenn das stimmte, musste sie diese Gefühle aber sehr geschickt vor ihm verborgen haben ! Jordy wurde nicht recht klug aus diesem Mädchen, was aber nichts zu bedeuten hat, denn er war eben ein eindimensionaler Mann und hatte schon immer seine Schwierigkeiten mit Mädchen gehabt, die noch andere Wünsche im Kopf hatten als nur von ihm gevögelt zu werden. Weil Männer so etwas rätselhaft finden, verlieh er seiner Verwunderung in seiner nächsten Mail Ausdruck und erhielt eine sehr, sehr lange Antwort.
"Ich
finde,
ich habe bei unserem Zusammensein gestern alle meine Gefühle
verausgabt. Und Sie haben das offenbar nicht gemerkt ! Es ist
interessant, wie verschieden die Menschen doch empfinden. Ich
habe von klein auf meine Gefühle immer unterdrückt
und bin wohl
deshalb zu einem Menschen geworden, der das bisschen Glück,
das
er zugeteilt bekommt, nicht voll auskosten kann. Wenn ich
früher
nicht ordentlich gegrüßt habe, bin ich gleich von
meinen Eltern
geschlagen worden, und wenn ich etwas nicht essen wollte, haben
sie mich auf den Bauch geschlagen und in mein Zimmer eingesperrt.
"In Afrika verhungern die Kinder, und du rümpfst die Nase
und sagst 'das mag ich nicht'. Du weißt gar nicht, wie gut du
es
hast !"
Meine Eltern haben sich immerzu gezankt und angeschrien, und wenn
ich in der Nacht aufgewacht bin, weil sie sich so laut
angebrüllt haben, habe ich am ganzen Leib gezittert. Mein
Vater
hat alle naslang, um seine Dominanz zu zeigen, die Mutter
angeschrien: "Wenn
du deinem Gebieter nicht gehorchen willst, dann verschwinde aus
meinem Haus !" Die
Mutter hat dann geheult und sich gefügt, aber
der Vater hat seine Wut auch an uns Kindern ausgelassen, und ich
hasste ihn dermaßen, dass ich ihn glatt hätte
umbringen
können.
Solche
Geschichten werden Sie nicht interessieren, aber ich bin davon
geformt worden und muss deshalb so weit ausholen, um es zu
erklären. Die Mutter hat dann eigene Geschäfte
angefangen,
vielleicht, um sich durch das verdiente Geld nach einer Scheidung
abzusichern oder auch nur, um einfach etwas anderes zu machen.
Dazu hat sie viel Geld investiert, was sie vor der Familie geheim
gehalten hat, aber sie ist einem Betrüger auf den Leim
gegangen
und stand schließlich mit hunderttausend Dollar Schulden da.
Um
das zu vertuschen, hat sie die Sparbücher ihrer Kinder
geplündert, mit Vaters Kreditkarte heimlich Geld abgehoben,
mein
Schulgeld veruntreut, aus der Ladenkasse Geld geklaut und dem
Steuerberater gesagt, das Honorar, das sie ihm schuldete, sei ihr
gestohlen worden. Mit lauter Lügen und neuen Krediten hat sie
mit ihrer Schuldenlast gekämpft und schließlich ohne
Scham in
jeder Notlage neue Lügen und Ausreden erfunden. Am Ende ist
sie vollkommen ausgeflippt, aber das ist kein Wunder, wenn man
sich mit lauter Lügen immer tiefer in die
Schuldenhölle
verstrickt hat.
Zu der Zeit war ich auf dem Gymnasium, im Jahr vor dem Abitur,
hatte meine Haare weißblond gefärbt und mein Gesicht
geschminkt
wie eine Räuberbraut, bin nachts durch die Straßen
zigeunert
und habe mich vollkommen hängen lassen. Können Sie
jetzt
verstehen, dass ich manchmal eine ganze Schachtel Zigaretten pro
Tag geraucht habe ? Mich so gehen zu lassen, das war meine Art
von Widerstand gegen die Zustände daheim. Mir war alles egal,
und wenn ich dabei draufgegangen wäre, hätte mir das
auch
nichts ausgemacht, denn zu leben bedeutete mir nur Kummer und
Elend. Zuhause war es unerträglich, meine Mutter war
ausgeflippt, und mein Vater ließ seinen Zorn an mir aus, wenn
er
mich nur sah. Meine einzige Freude war zu singen; das hatte ich
in der Mittelschule gelernt. Seit ich mit fünf Jahren ein
Musical gesehen hatte, blieb der Wunsch, einmal ein Musical-Star
zu werden, auch dann lebendig, als ich auf der Straße gelebt
hatte. Zufällig hab ich dann im Fernsehen mal eine Oper
gesehen.
Und in meiner kindischen Aufmachung bin ich hinterher in den
nächsten Schallplattenladen in die Klassik-Abteilung
marschiert und hab
mir da Opernaufnahmen angehört. Meine Gesangslehrerin hat mich
langsam wieder zur Vernunft gebracht, und bei einem anderen
Sänger habe ich dann ernsthaft Notenlesen gelernt, um mich auf
das Gesangsstudium vorzubereiten. Da war ich 18. Zwei Jahre lag
habe ich vergeblich versucht, ans Staatliche Konservatorium
aufgenommen zu werden, und mit 20 bin ich dann auf die private
Musikhochschule gegangen. Mein Vater hatte damals geschäftlich
Pleite gemacht und sich mit meiner Mutter so gestritten, dass die
Fetzen flogen und Mord und Totschlag drohten. Ihn kümmerte es
einen Dreck, dass ich Sängerin werden wollte, und die
Studiengebühr konnte und wollte er mir auch nicht bezahlen.
Geht
doch arbeiten, hat er mich und meine Mutter angeschrien. Die
Aufnahmegebühr für die Hochschule habe ich gerade so
zusammenbekommen, aber das Geld, das mir meine Mutter jeden Monat
zum Studieren bezahlen wollte, hat sie mir nie gegeben. Wie
sollte sie auch, wo sie noch immer bis zum Hals in Schulden
steckte ! Ich habe es ziemlich schwer gehabt. Mein bisschen
Bafög reichte nicht mal aus, um die Studiengebühren
zu decken,
und ich habe alle erdenklichen Jobs nebenher gemacht und bin
zeitweise vor Übermüdung krank geworden. Was hab ich
die
anderen Mädchen beneidet, die ihr Studentinnenleben voll
genießen konnten !
Mit meinem Prof bin ich auch nicht gut zurecht gekommen. Der
ahnte nichts davon, wie knapp ich finanziell bestückt bin, und
gab mir einen Packen Karten für seine Konzerte, die mehrere
hundert Dollar kosteten, mit der Auflage, sie ihm abzukaufen und
weiterzuverkaufen. Weil ich das nicht bezahlen konnte, habe ich
es abgelehnt und bin fortan ziemlich kühl von ihm behandelt
worden. Aber was blieb mir denn übrig ? Die Kommilitonen haben
aus Respekt vor seinem bekannten Namen alle mitgemacht, aber ich
blieb bei den Kommilitonen ebenso außen vor wie bei dem Prof.
Nach zwei unglücklichen Studienjahren bin ich im 3.Jahr voll
zusammengeklappt. Ich bekam keinen Ton mehr heraus, meine
Menstruation blieb drei Monate lang aus, und ich überlegte
nur,
auf welche Weise ich mich am einfachsten umbringen könnte. In
meiner äußersten Not habe ich mich einer anderen
Professorin
anvertraut, und die hat mich zur Beratungsstelle geführt. Ich
hatte ja nichts mehr zu verlieren und brauchte einfach Hilfe. Bei
der Beraterin habe ich mich ausgeheult und meine ganze Geschichte
erzählt, und die hat mich dann nicht nur getröstet,
sondern
auch Wege zu einer reduzierten Studiengebühr aufgetan und
andere
Hilfen in die Wege geleitet. Jetzt kann ich endlich in Ruhe und
ohne existentielle Sorgen studieren, und endlich fühle ich
mich
auch in Tokyo, von wo ich nach der Schule immer wie auf der
Flucht nach Funabashi zurückgefahren bin, nicht mehr so
unwohl.
Ich erzähle Ihnen das nicht, damit ich bemitleidet werde,
sondern um mir darüber klar zu werden, dass mich meine Umwelt
und meine Sorgen eben von klein auf so gemacht haben, dass ich
nicht so heiter in den Tag hineinleben kann wie die anderen
jungen Mädchen. Vor zwei Jahren noch hätte ich aus
Scham keinem
etwas davon gesagt, sondern mich für alles Schlimme selbst
verantwortlich gemacht und daran gedacht, dem Schlamassel durch
Selbstmord zu entkommen. Jetzt bin ich aber froh, dass ich noch
lebe. Das Singen macht mir Freude, und wenn ich Schokolade esse,
empfinde ich richtige Glücksgefühle :-) Auch
schöne Kleider zu
kaufen und mich hübsch zu machen gehört zu den
Freuden des
Lebens.
Habe ich jetzt Ihre Frage beantwortet, warum ich auch dann meine
Gefühle unterdrücke, wenn ich glücklich bin
? Ich weiß auch
nicht, warum das so ist, aber es hängt sicher mit meiner
Vergangenheit zusammen. Ich will nicht alles auf meine Eltern
schieben. Vielleicht war ich selber ja auch zu schwach. Ich habe
aber gelernt, dass auch Erwachsene bei weitem nicht unfehlbar
sind, und auch dann, wenn sie schon eigene Kinder haben, noch
lernen müssen. Seltsamerweise kann ich trotz allem meinen
Eltern
nicht böse sein. Meine Mutter wäscht mir immer noch
die
Klamotten und setzt mir was zu essen vor. Mein Vater ist
inzwischen stolz auf mein Gesangsstudium, obwohl er doch vorher
so erbittert dagegen gewesen ist. Er hat sich heimlich das Video
von meinem Liedexamen angeschaut und dann anerkennend gesagt:
"Du bist
wirklich eine professionelle Sängerin geworden ! Sieh zu, dass
du damit deinen Lebensunterhalt bestreiten kannst !"
Das
Vergangene ist damit natürlich nicht verschwunden, und es hat
keinen Zweck, es vergessen zu wollen. Schließlich hat es mich
zu
dem gemacht, was ich jetzt bin. Das vergisst sich nicht so
einfach. Aber ich bin entschlossen, nach vorne zu schauen und
meinen eigenen Weg zu gehen."
* * *
Eine
bewegte Vergangenheit für ihre 23 Jahre hatte die Kyonghi !
Und
wenn man sich so eine als Freundin anlacht, sollte man darauf
gefasst sein, dass es auch bewegt weitergeht. Schnarchsack,
schnall dich an !
Zunächst lief alles wunschgemäß, verliebte e-mails gingen hin und her, und ein neues Treffen wurde vereinbart. Drei Tage vor dem Rendezvous kam allerdings wieder eine etwas merkwürdige Mail von Kyonghi.
"Mir
fällt es nicht leicht, es anzusprechen, aber ich sag es dir
trotzdem. In dem Restaurant eines Bekannten habe ich am
Jahresende einen jungen Kerl kennen gelernt, der mir offen
Avancen gemacht hat. Obwohl er vom Gesicht her gar nicht mein Typ
ist, so ein bisschen vierschrötig, hat er mich doch so
beeindruckt, dass es mich selbst gewundert hat. Allerdings hatte
er es auf die Madoka, die Tochter des Chefs, genauso deutlich
abgesehen; anscheinend war er nicht gerade wählerisch. Weil er
mich ein wenig verliebt gemacht hatte, hab ich mich dann mit ihm
getroffen, aber da war er dann kühl und abwartend, weil er
sich
bei anderen Mädels auch noch Chancen ausrechnete. Das fand ich
nicht gerade erheiternd, hab es mir kurz überlegt und dann die
Sache auf sich beruhen lassen. Und dann hat es ja schon bald mit
dir angefangen. Aber gestern hab ich ihn zufällig
wiedergetroffen, und er zeigte mir sehr auffällig sein
Interesse; wir haben zwar nicht miteinander gesprochen, aber beim
Fortgehen hat er sich nach mir rumgedreht und "tschüs"
gesagt. Eine Freundin, die neben mir stand, hat gesagt: "Der
steht gewaltig auf dich !", aber ich hab nur geantwortet
"he ? der ist bei mir schon unten durch, und außerdem ist
es jetzt zu spät". Aber innerlich bin ich ins Schwanken
geraten, ich schwanke, ich schwanke.... ich bin ganz
traurig."
Damit
hatte Jordy nicht gerechnet, da wollen wir mal ehrlich sein.
Obwohl er immer gemeint hatte, als Schnarchsack stets auf das
Schlimmste gefasst zu sein. Aber so kurz nach dem ersten Kuss zu
schwanken wie ein Telegrafenmast im Taifun, das hatte er der
Kyonghi nicht zugetraut. Aber er hatte ihr Vieles nicht zugetraut
und noch mehrfach Gelegenheit, sich zu wundern.
In seiner Antwort gab er sich kühl und gefasst.
"Du bist jung und hübsch, da gucken die Jungs schon nach dir. Das kommt vor, das kann jeden Tag passieren. Uns zwei verbindet nur ein halber Tag Knutschen und ein bisschen Mail-Korrespondenz, und wenn du einen Besseren findest, will ich dich nicht festhalten. Ich glaube dir zwar, dass du momentan mich bevorzugst und dich auf das Treffen freust, aber so lange wir noch nicht miteinander geschlafen haben, betrachte ich dich als ungebunden, und wenn du mir morgen sagst, wir machen Schluss, dann kann ich es leicht nehmen, ohne all den überflüssigen Kummer, den ich bei einem Mädchen hätte, mit dem ich intimer verbunden bin. Aber Kummer habe ich genug gehabt, mir reicht's vorerst. Immerhin freut es mich, dass jemand an mich denkt, in der Bahn, beim Friseur, beim Einschlafen...."
Kyonghi reagierte prompt und saftig.
"Ich
öffne mein Herz nicht so leicht fremden Leuten. Es gibt nicht
viele, die sich die Mühe machen, mich verstehen zu wollen. Und
dir hätte ich auch nichts gesagt, wenn ich nicht sicher
gewesen
wäre, dass du dafür Verständnis hast. Es ist
schließlich
nichts, auf das ich stolz sein könnte. Aber du hast mir
geschrieben, dass du mich deswegen nicht weniger lieb hättest,
und ich empfinde für dich das Gleiche. Ich möchte
dich nicht
verlieren. Ich nehme jetzt all meinen Mut zusammen und sag's
offen heraus: Erproben wir unsere Liebe ! Ich bin bereit für
den
nächsten Schritt. Nur e-mail, das reicht mir nicht mehr."
Jordy war
nicht so abgebrüht, dass er sich jetzt die Hände
gerieben
hätte. Im Gegenteil, ihm schlug das Herz wie einem
Pennäler,
der zum ersten Mal seinem Lieschen die Bluse aufknöpft.
Wahrscheinlich war das der Grund für die idiotische,
lehrerhafte
Antwort, die er Kyonghi schickte.
"Danke sehr für dein Vertrauen. Ich hoffe, du hast dir gut überlegt, was dann auf dich zukommt. In den Sommerferien muss ich dich einen Monat lang alleine lassen, weil ich dann mit meiner Frau nach Deutschland fahre, und auch sonst können wir uns nicht so oft treffen wie du es dir wünschen wirst. Wenn du dich einsam fühlst, ist dein Freund nicht da, und wenn du krank bist, kann er dich nicht besuchen. Es gehört viel Mut dazu, sich mit einem verheirateten Mann einzulassen, und womöglich verpasst du mit deiner Wahl die Chance auf ein größeres Glück und handelst dir dafür nur ein paar Scherben kleiner Glückchen ein. Wenn du es aber trotzdem nicht bereust, dann will ich dich glücklich machen, so gut ich es kann, und deinen Liebeshunger stillen, wenn immer wir zusammen sein können."
"Weshalb musstest du mir so etwas schreiben ? Ich wollte mit dir zusammen sein und habe extra die Augen zugemacht und alles getan, um das eine Thema zu verdrängen, warum sprichst du es da an ? Weil du mich lieb hast, habe ich eingewilligt, weil ich weiß, dass du mich umarmen möchtest, habe ich JA gesagt. Aber wenn du mir so knallhart unter die Nase reiben musst, wie gut du dich mit deiner Frau verstehst, ist mir das einfach unerträglich, bei aller Liebe. Ich hätte unsere Probleme schon von selbst begriffen, und alles hätte gut gehen können. Weißt du, auch für eine Frau ist es etwas anderes, wenn sie mit ihrem Partner einmal intim geworden ist. Dann wird sie leicht eifersüchtig und will ihn ganz für sich haben. Ich habe mich mit dem Sex so geziert, weil ich weiß, wie sehr ich dich dann begehren werde, und du kannst diesem Begehren nicht entsprechen, nicht wahr ? Ich tadele dich nicht dafür, aber ich finde, dann ist eine ideelle Liebe für uns am besten. Wir sollten es ohne Intimitäten belassen, uns nur von Herzen verstehen und menschlich mögen, dann kann man sich auch ohne körperliche Liebe einen geistigen Ruheplatz schaffen. Vielleicht suche ich mir dann einen anderen Partner nur fürs Bett, das wäre vielleicht das Ideale."
In diesem Fall wäre Jordy lieber der andere Partner nur fürs Bett gewesen. Seine blöde Mail war echt kontraproduktiv gewesen. Wie konnte er sich da seiner Erfahrungen mit jungen Mädchen rühmen ? Er hätte wissen müssen, dass es nichts Verlogeneres gibt als eine Liebesbeziehung, und dass in solchen Fällen Aufrichtigkeit ein grober Fehler ist. Ein anfängerhafter Schnarchsack-Schnitzer nach dem andern. . . . Erst hatte er Namiko gekränkt und die Affäre gegen die Wand gefahren, und nun hatte er auch noch Kyonghi vergrätzt. Er musste als Prof wohl irgendeinen penetranten pädagogischen oder seelsorgerischen Zug haben, dass er bei jungen Mädchen nur als Deponie für Seelenmüll und Herzenstrümmer herhalten durfte. Er wollte aber erst mal versuchen, ob sich das Malheur nicht noch kitten ließe.
"Ich glaube, wir sind jetzt an einem Scheidepunkt angelangt. Du hast die Wahl, entweder wir gehen weiter, oder wir machen Schluss. Aber ich bin nicht der liebe Onkel, den du dir wünschst, der mit dir nur gemeinsam essen geht und dich im Bett einem jüngeren Macker überlässt. Wenn man sich mag, ist es nur natürlich, es auch körperlich auszudrücken. Ich kann dich nicht weiterhin treffen und küssen. Wenn ich dich küsse, will ich dich auch umarmen, und wenn ich dich umarme, will ich dich auch im Bett haben. Ich entschuldige mich für meine Mail, die dir weh getan hat, aber deine Antwort hat mir auch weh getan, und wenn das dein Ernst war, dann machen wir lieber gleich Schluss, bevor es noch mehr weh tut."
Am Abend versuchte Jordy noch zweimal, ihr Handy anzuklingeln, aber sie hatte es abgeschaltet, und eine Mail kam auch nicht mehr. Das hatte er fein hingekriegt, das Girl, das er schon so gut wie im Bett hatte, doch noch zu verbaseln ! Und jetzt ist die Geschichte, die eigentlich schon so gut wie gelaufen war, wieder völlig offen, und keiner weiß, wie das noch enden wird.
Am wahrscheinlichsten ist, dass sie noch am selben Abend zu ihrem Vierschröti gerannt ist und sich dem an den Hals geworfen hat, dachte Jordy. Bestenfalls wird sie noch ein bisschen weiterschwanken und womöglich seekrank davon werden. Am unwahrscheinlichsten war die Möglichkeit, dass sie Jordy so sehr mochte, dass sie den Tort schluckte. Aber genau dies schrieb sie am nächsten Tag in ihrer Mail; sie wolle vorerst mit ihm zusammen bleiben, erbitte sich aber Bedenkzeit, da sie der Ansicht sei, dass eine intimere Beziehung garantiert nicht gutgehen werde. Also musste Jordy wieder mal die Trickkiste aufmachen. Wenn ein Mädchen auf Aufrichtigkeit allergisch reagiert, bekommt sie eben Lügen aufgetischt. Weil sie in Kürze eine Gesangsprüfung hatte und besser nicht deprimiert sein sollte, schrieb er ihr also einen derart bewegenden Liebesbrief, dass auch 500jährige Tannenbäume davon zum Harzen gerührt würden. Dazu flunkerte er, er habe ihn als Antwort auf ihre Einladung zum nächsten Schritt schon vorher geschrieben und nur deshalb nicht abgeschickt, weil er ihn für den Morgen des Rendezvous aufheben wollte. Aber nun würde er ihn als Muntermacher für das Examen schicken. Dass er sie damit wieder rumkriegen wollte, das schrieb er ihr nicht, und dass das Lügen zur Liebe gehört wie das Shampoo zum Haarewaschen, ist schließlich ohnedies allgemein bekannt.
"So einen schönen Liebesbrief hab ich mein Lebtag noch nicht bekommen ! Ach, Jordy, ich möchte dich sofort treffen, hast du nicht eine halbe Stunde Zeit für mich ?" las er als Antwort darauf. Kein Wort von der Prüfung, die Kyonghi eigentlich wie ein Nagel im Kopf stecken müsste. Das Doping war also ziemlich effektiv gewesen. Als Schnarchsack hat man den jungen Kerlen doch immerhin einen Haufen Tricks voraus, und es ist erstaunlich, wie wirksam sie sind.
Die Prüfung war um 12 Uhr zu Ende, und am Nachmittag dieses sonnigen, warmen Frühlingstages saß Kyonghi mit Jordy auf einer Parkbank und ließ nur durch heftige Hustenanfälle ihr Kussmarathon kurz unterbrechen.
"Mit meiner Erkältung habe ich bei der Prüfung mehr gekrächzt als gesungen. Und du bist dran schuld", hustete sie und zog die triefende Nase hoch.
"Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir letzte Woche nicht im eisigen Wind auf einer Parkbank gehockt, sondern in einem warmen, bequemen Bett gelegen. Die Verantwortung für deine Erkältung kannst du mir leider nicht in die Schuhe schieben."
Das gab
ihm am Abend Mut, ihr eine unmissverständliche Mail zu
schicken.
"Ich freue mich sehr auf morgen, habe allerdings eine kleine Programmänderung vor. Im Wetterbericht ist von kühlen Temperaturen, bewölktem Himmel und Schauerneigung die Rede gewesen. Wenn wir dann wie geplant wieder in einem Park herumlaufen und du dir eine Lungenentzündung holst, wirst du mich womöglich für deinen frühen Tod verantwortlich machen. Ich werde dich deshalb in ein warmes Bett legen und mit dir ein Mittagsschläfchen halten. Widerworte und Reklamationen sind zwecklos."
"Ich habe gerade in den letzten Wochen wieder ein paar Kilos zugenommen und mag meinen Körper vorerst nicht herzeigen. Dazu kommt die Erkältung, und außerdem habe ich etwas Bauchweh, weil meine Menstruation in Kürze beginnt. Also, mit deinem Vorschlag kann ich mich nicht anfreunden."
"Wenn ich abwarten will, bis du deine angefressenen Kilos wieder abgebaut und auch sonst keine Wehwehchen mehr hast, werde ich pensioniert. Also, keine Widerrede, verstanden ? Wir machen alle Fenster zu und Lichter aus, und dann kannst du meinetwegen in der Badewanne den Mantel und im Bett die Schuhe anbehalten und dir noch die Decke über den Kopf ziehen, damit ich keines deiner überflüssigen Pfunde zu sehen bekomme, und falls du glaubst, dass ich dich wegen zwei Kilo Übergewicht auf einmal nicht mehr mag, dann passen wir nicht zueinander."
Der kommende Tag hielt, was die Wetterfrösche versprochen hatten, und Kyonghi krächzte ziemlich verschnupft. Falls sich Jordy bei der Knutscherei gestern keine grässliche Grippe eingefangen haben sollte, dann musste er gegen sämtliche Viren immun sein.
Vor dem Eingang des Hotels blieb er kurz stehen, schaute Kyonghi an und fragte: "Oder ist dir eine Parkbank doch lieber ?"
Kyonghi
lächelte verliebt und schüttelte den Kopf: "Keine
Reklamationen...."