SCHNARCHSACK

3

rotgrau


Aimi

Während Michiko ihn warten ließ und zwischen Sehnsucht und masochistischem Kummergenuss schwankte, dachte Jordy keineswegs daran, Trübsal zu blasen. In seinem Alter hatte er keine Zeit zu verlieren, und wenn Michiko sich zierte, als ob sie eine unberührte Jungfrau sei, dann sollte sie sich eben zieren. In der Zwischenzeit sah sich Jordy nach anderem Zeitvertreib um. Als Schnarchsack musste er doppelt so wach und geschickt sein wie früher, als er noch jünger war und in der Damenwelt recht mühelose Erfolge erzielen konnte.

Eine passable Gelegenheit war die große Party anlässlich des fünfzig- oder hundertjährigen Jubiläums irgendeiner angesehenen Institution in Japans Opernwelt, die im Festsaal eines teuren Hotels veranstaltet wurde. Da können sich die unwahrscheinlichsten Begegnungen zutragen, dachte Jordy, und folgte der Einladung auf Büttenpapier, band sich zum erstenmal im 3.Jahrtausend eine Krawatte um und machte sich auf endlose Reden gefasst, die es zu ertragen gilt, bevor das Orchester zum Sturm auf das kalte Büffet bläst. Mit einem Auge überflog er das gastronomische Angebot, mit dem andern die festlich gekleideten Damen und Herren um ihn herum, um schon einmal vorzusortieren, welchen Leuten er tunlichst aus dem Weg gehen, welchen er für irgendwelche Wohltaten Dank sagen und welche, vor allem aus den weiblichen Reihen, er unbedingt mal angraben sollte. Aber es waren zu viele Leute da, der Saal war ziemlich voll, und von den meisten Gästen sah er nur die schlohweißen oder schütter gewordenen Haare und die Rückenpartien der Smokings und Abendkleider. Auch in Japan ist die Opernwelt total vergreist. Er gab es auf und wollte sich schon seinem Glas Champagner widmen, da erfasste sein Blick am äußersten Rand des Gesichtsfelds zwei Damen, die zu ihm herüberguckten und ganz offenkundig über ihn sprachen, anstatt dem Oldie am Rednerpult Beachtung zu schenken. Jordy tat, als hätte er nichts bemerkt, und als die Sermone endlich ausgestanden waren, besorgte er sich erst mal was zu Beißen, bevor die besten Sachen alle weggefressen sind, und vergaß darüber schlohweiße Smokings und neugierige Damen. Außerdem hatte er eine hübsche Opernsängerin im Visier, deren Mail-Adresse er haben wollte und auch bekam. Dann liefen ihm einige ehemalige Student/inn/en in die Quere, mit denen er ein paar freundliche Worte wechselte. Sie alle waren im Konzertbetrieb etablierte Orchestermitglieder oder Sänger/innen geworden, was ihn ehrlich freute. Eine von ihnen, die Sopranistin Junko, die es in der Opernwelt zu Ruhm und einem Fan-Club mit eigener Website gebracht hatte, fiel ihm glatt um den Hals.

"So lange haben wir uns nicht mehr gesehen !"

Auf ihrer Visitenkarte stand noch ihr alter Familienname Koike. Noch unverheiratet ?

"Ja, ich warte noch immer, bis der Richtige kommt....!"


junko1


Allzu lange sollte sie nicht mehr warten, sie musste schon über vierzig sein, hatte sich aber trefflich gehalten und noch genauso leuchtende Augen wie früher. Nun ja, Sängerinnen sehen fast immer gut aus, dachte Jordy. Dass sie unter all ihren Verehrern noch nicht den Richtigen gefunden hatte, war ihm unbegreiflich. Sicher war sie ziemlich wählerisch....

Kurze Zeit später stand urplötzlich eine andere junge Dame vor ihm und verneigte sich lächelnd und leicht errötend. Jordy raffte sofort, dass sie eine der beiden Ladies war, die ihn vorhin so angestarrt und bewispert hatten. Und jetzt erkannte er sie auch.

"Mein Name ist...."

"....Aimi, Kanda Aimi, nicht wahr ?"

Sie errötete noch heftiger.

"Sie erinnern sich noch an mich ! Und an meinen Namen !" säuselte sie erstaunt.

Einmal in zwei oder drei Jahren kommt es vor, dass in Jordys Kursen eine Studentin auftaucht, die eine ihm unerklärliche Anziehungskraft auf ihn ausübt und die er auch nach vielen Jahren nicht vergessen kann. Eine von dieser Sorte war Aimi gewesen. Als Dozent versuchte Jordy immer, sich nichts anmerken zu lassen, aber er war beinahe sicher, dass Mädchen, die auf ihn eine solche fast übersinnliche Ausstrahlung ausüben, auch deren Wirkung intuitiv erfassen, so sehr er sein Interesse auch zu kaschieren suchte. Dabei war, objektiv betrachtet, nichts sonderlich Attraktives an Aimi zu finden. Die neben ihr stehende Isari, eine bekannte Mezzosopranistin an der Oper in Tokyo und ebenfalls ehemalige Jordy-Schülerin, war dagegen ein saftiges Vollweib, sexy, hübsch und brillant, effektvoll geschminkt, flotte Frisur und reichlich mit Juwelen behängt. Aimi wirkte durch diesen Kontrast noch blasser und unscheinbarer als sonst, aber die Art, wie sie errötend die Augen in ihrem feinen, schmalen Gesicht niederschlug, wenn Jordy sie ansprach, fand er heute wieder hinreißend; Aimi hatte nichts von ihrer Zauberkraft eingebüßt.

"Ich hatte geglaubt, du seiest nach dem Studienabschluss in deine Heimat nach Kyushu zurückgekehrt und ich würde dich nie wieder sehen."

"Ich habe eine Stelle als Musiklehrerin in Tokyo gefunden und bin hier geblieben."

aimi2


"Und immer noch unverheiratet, eine alte Jungfer wie ich", mischte sich Isari keck ein. "Kennen Sie nicht einen geeigneten Mann, den Sie ihr vorstellen könnten ? Oder auch mir !"

Jordy kannte nur einen eher ungeeigneten Schnarchsack.

"Es gibt eine Menge Männer, die von weit her gelaufen kämen, wenn sie ahnten, dass die Musik- und Opernwelt in Tokyo so prachtvolle ledige Mädels aufzuweisen hat wie euch", grinste Jordy. Isari war lesbisch, das wusste er, und ihr Interesse an Männern war nur Party-Schnack, wie man es von ledigen Damen zu erwarten pflegt. Sie fand nichts dabei, solchen Erwartungen zu entsprechen. Sie kicherte kokett, und Aimi errötete schon wieder.


Aimi war das lebendige Abbild einer ledigen Musiklehrerin. Und auf dem besten Wege zum Prachtexemplar einer alten Jungfer, in der Tat. Ein rosa Kostüm, eng geschlossen, dazu weißliche Strümpfe, blasses Gesicht und schwarzes, fülliges, aber streng gebundenes Haar. Jordy fragte sich ernstlich, was ihm eigentlich an Aimi so gefiel; das Erröten alleine kann's ja wohl nicht gewesen sein. Dagegen hatte die Junko von vorhin wirklich hübsche Augen und ein niedliches Gesicht, und die Isari hatte Glamour und Humor und stöckelte mit ihrem aufreizend kreisendem Hinterteil davon, begleitet von Aimi, die aschenputtelhaft wie eine Krankenschwester oder eben Musiklehrerin neben ihr herhuschte. Jordy blickte den beiden kurz nach und wurde dann von Büffet, Getümmel und Smalltalk absorbiert.

Eine Viertelstunde später ertappte er sich dabei, wie er, einen Augenblick alleine gelassen, unwillkürlich Ausschau hielt nach einem rosa Kostüm. Da drüben stand sie, ebenfalls allein.

"Aimi, weißt du, wie lange es her ist, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben ?"

"Ja, 17 Jahre, nicht wahr ?"

"Ich habe in der Zwischenzeit manchmal an dich gedacht und mich gefragt, wo du jetzt wohl lebst und was du machst."

"Wirklich ? Das ist nett von Ihnen. Ich lebe die ganze Zeit in der Nähe von Tokyo. Aber ich freue mich auch sehr, Sie heute wiedergesehen zu haben."

"Hör mal, Aimi, gib mir doch bitte deine Anschrift und Mail-Adresse, damit du mir nicht wieder entwischst."

"Ich bin ein analoger Mensch", sagte sie mit einem hilflosen Lächeln, "in der Online-Welt werde ich sicher nie heimisch."

"Na ja, analoge Menschen haben auch ihre Vorzüge. Sie eignen sich beispielsweise zum Knuddeln besser als ihre virtuellen Pendants."

Aimi errötete schon wieder.

"Ich habe nicht einmal eine Visitenkarte. Aber ich schreibe Ihnen gerne meine Anschrift auf."

Die Art, wie sie Jordy ansah, ja, das war genau der Aimi-Blick von früher, dem er so verfallen war. Ein bisschen traurig, halb Verzicht und halb Verlangen lag darin. Als Aimi den Zettel fertig geschrieben hatte und ihm überreichte, ergriff Jordy kurz ihre Hand. Sie blickte ihn wie fragend an, ohne zu erröten, zog die Hand aber nicht zurück.

aimi4


"Aimi, jetzt kann ich es dir ja sagen. Früher, als du meine Studentin warst, bin ich ein bisschen verliebt in dich gewesen."

Nun errötete sie doch, durch die blasse Schminke hindurch nahm ihr Gesicht den Fartbton ihres Kostüms an. Sie senkte den Blick und brachte keine Antwort über die Lippen. Wie ein Schulmädchen. Dabei war sie doch Musiklehrerin.

Am Abend bekam Jordy eine e-mail. Von Junko. Verwundert las er:

"Lieber Jordy, was hab ich mich gefreut, dass ich dich heute wiedergesehen habe. Weißt du, dass es schon 17 Jahre her ist, seit du mir beim Ausfüllen der Anträge für ein Deutschland-Stipendium geholfen hast ? Danach hab ich in Stuttgart studiert, bin aber schon längst wieder in Japan. Wie wär's, wenn wir uns mal zu zweit treffen und in aller Ruhe über die vergangene Zeit plaudern würden ? Hast du keine Lust ? Bis bald, deine Junko."

Jordy war verblüfft, dass der Himmel ihm auf seinen Wunsch hin nicht allein die Michiko, sondern anscheinend eine ganze Auswahl von Kandidatinnen präsentieren wollte. Und alle hatten sich 17 Jahre lang Zeit gelassen und waren noch unverheiratet....

* * *

rainblu


Mit Junko war es ganz einfach; sie war eine moderne Frau, die auch über e-mail verfügte. Und außerdem war sie von selbst auf die Idee gekommen, sich mit Jordy zu verabreden. Natürlich nur zum Plaudern, aber man kann ja nie wissen. Er wollte die Opernsängerin und ihre Absichten jedenfalls mal testen, es konnte ja sein, dass sie, wenn der Richtige sich nicht so einfach finden lässt, auch mit dem Falschen vorlieb nehmen würde.
Auch von Aimi erhielt er einen netten Antwortbrief, in dem sie seinen Vorschlag eines Tête-à-tête wohlwollend aufnahm, aber weil sie nicht über e-mail verfügte und überdies in Kisarazu wohnte, eine gute Stunde Bahnfahrt von Tokyo entfernt, musste er sich bei ihr noch in Geduld fassen. Wenn er die freie Auswahl gehabt hätte, wäre ihm Aimi am liebsten gewesen, aber sie sah noch immer sehr züchtig und total unerfahren aus und würde sich, wenn er sie denn herumkriegte, wie Efeu um ihn ranken und nimmermehr von ihm ablassen, Michiko stand ihm als warnendes Beispiel vor Augen. Also, um Aimi wäre es als heimliche Geliebte zu schade, meinte Jordy und ließ die Sache langsam angehen.

Junko hingegen saß schon kurze Zeit später mit ihm beim Dîner und genoss es offenkundig, von einem Mann ausgeführt zu werden, aber weder Jordys liebes Lächeln noch der gute Wein waren imstande, ihre Seriosität und Wachsamkeit einzulullen; sie bestand sogar darauf, ihren Anteil selbst zu bezahlen, um ihm nichts schuldig bleiben zu müssen, aus dem er irgendwelche Ansprüche herleiten könnte.

Auch Aimi kam schließlich zu einem Treffen. Sie hatte sich wahrscheinlich deshalb so blassbleich geschminkt, damit es nicht auffiel, wenn sie dauernd himbeerrot wurde, aber das Erröten störte Jordy weniger als ihre weißlich aufgetragene Unscheinbarkeit. Sie trug Jeans und eine züchtige Bluse und war ziemlich aufgeregt. Schmal, schlank und hoch gewachsen, sie sah eigentlich ganz flott aus und würde unter der Hand eines erfahrenen Couturiers, der ihr die schönen langen Haare löste und anmutig aufpeppte, zu einem richtigen Juwel erblühen. Wohin soll man aber um halb vier nachmittags mit so einer Lady gehen ? Bleibt nur ein Café, und wenn das daumennagelgroße Stück Kuchen, das man in Tokyo zum Preis einer ganzen österreichischen Torte erhält, im hohlen Zahn verschwunden ist, kann man nur noch im kalt werdenden Kaffee rühren und zählen, wie oft Aimi in nur 30 Minuten errötet. Dabei sprach Jordy über ganz unverfängliche Dinge, bei denen außer Aimi kein Mensch erröten würde, und als er endlich erneut andeutete, wie sehr er früher und auch heute noch von Aimis Charme eingenommen sei, blickte sie auf die Uhr, erwähnte, dass sie anderntags wieder unterrichten und sich noch vor dem Abendessen auf die Rückfahrt begeben müsse.

aimi1


Wie viele ledige Damen hatte Jordy in den letzten Monaten eigentlich zum Essen begleitet ? Er kam sich vor wie ein Miet-Kavalier für reife Ladies, denn keine einzige machte Anstalten, Jordy hinterher noch als Dessert oder Betthupferl zum Mittagsschläfchen zu begleiten. Er war in dieser Zeit total frustriert und zweifelte, ob er überhaupt Talent zum Umgang mit alten Jungfern habe. Die jungen Mädchen, die hatte er bisher alle ohne große Mühen zu Bett gebracht, die waren ja mehrheitlich sogar von sich aus zu ihm unter die Decke geschlüpft. Aber diese alten Tanten, die zu einem ollen Schnarchsack wie Jordy so herrlich passen sollten, die waren echt spröde und taugten allenfalls dazu, sich an ihnen die Zähne auszubeißen. Wahrscheinlich waren sie vo
r allem deswegen bis heute noch ledig geblieben.

In seinen Briefen an Michiko hatte Jordy stets seine Mail-Adresse angegeben, in der Hoffnung, Michiko, die doch in einem Büro arbeitete, würde sich mal online melden, aber sie wollte offenbar vermeiden, von ihrem Arbeitsplatz-PC aus private Mails zu senden und zu empfangen. Aber nach Ablauf eines halben Jahres seit seinem letzten Brief fand er auf einmal eine Mail von ihr auf seinem Screen, und zwar, wie er aus der Konfiguration ersah, von einem Handy aus gesandt. In ihrer seltsamen Art machte sie keine Bemerkung dazu, wieso sie jetzt auf einmal mit e-mails loslegte, aber es stand zu vermuten, dass sie sich vor allem um Jordys willen ein Handy zugelegt hatte. Ein bis zwei Mails pro Woche gingen nun hin und her, aber ohne erotische Botschaften. Michiko deutete nur an, dass Tokyo allzu weit entfernt sei und sie frühestens im Herbst wieder kommen könne. Als wären sie beide Teens, denen Zeit nichts gilt. So aber verstrichen die Wochen und Monate, und beide wurden nur immer älter. Jordy wunderte sich, dass seine Frustration sich ein wenig gelegt hatte; genügte ihm die Vorstellung, dass er doch noch irgendwann einmal die Michiko zu vernaschen bekäme ? Er drängte sie nicht zur Eile und schrieb nicht einmal, dass er sich auf ihr nächstes Kommen freue. Wenn sie kommen will, soll sie kommen, und wenn nicht, dann soll sie's eben bleiben lassen. Er rechnete zwar damit, dass sie sich früher oder später, bei ihrem nächsten Depressionsschub oder Einsamkeits-Anfall, wieder in seine Arme werfen würde, aber da nicht zu erwarten stand, dass sie von sich aus den Wunsch äußerte, mit ihm wieder einmal intim zu werden, rückte die Kurierung seiner sexuellen Nöte trotz Michiko, Junko und Aimi wieder in ziemliche Ferne, und Jordy war eben ein Schnarchsack, zu abgeschlafft, um ernstlich etwas dagegen zu unternehmen. Aber er hatte noch ein kleines Eisen im Feuer.

* * *

rotract

 

Also das mit der Hiroko, das ist wieder eine Geschichte, die vor etlichen Jahren angefangen hatte. Nein, nicht vor 17 Jahren, so lange ist es nicht her. Die Hiroko hatte einmal an einem Ferienseminar, an dem auch Jordy unterrichtete, teilgenommen und war dabei nicht weiter aufgefallen, denn sie war Mauerblümchen von Beruf. So ähnlich wie die Aimi und die Michiko auch, nur professioneller. Unauffällig bis zum Ende, und Jordy nahm erstmals Notiz von ihr, als sie zu ihm kam und ein Abschiedsfoto mit ihm knipsen lassen wollte.

Bei Fotos kann man ja...., dachte sie vermutlich, denn sie klammerte sich derart an ihn, als ob sie ungestützt glatt umfallen müsste, und hinterher hatte sie Jordy einen Abzug und zwei nette Briefe geschickt, aber als er auf ihren zaghaften Wunsch nach einem Wiedersehen positiv reagierte, hatte der Mut sie sofort wieder verlassen, typisch Mauerblümchen eben. Und das war's eigentlich gewesen.

Nur, acht Jahre später fand die Geschichte eine unerwartete Fortsetzung. Zufällig begegnete sie Jordy nämlich in einem kleinen Park, eingehängt bei einem gut aussehenden jungen Mann und offensichtlich ganz happy. Sie nickte Jordy freundlich zu und grüßte ihn lächelnd, und ehe Jordy es raffte, woher er diese smarte junge Dame eigentlich kannte, war sie schon an ihm vorübergerauscht. Als es ihm endlich einfiel, staunte er, wie gut sie ausgesehen hatte; was es doch ausmacht, wenn ein Mauerblümchen von einem flotten Mann zum Blühen gebracht wird !

Er schrieb an ihre alte Adresse eine freundliche Karte, dass ihn die unerwartete Begegnung sehr gefreut habe und dass ihm leider erst zu spät eingefallen sei, dass sie es war. Er fragte, was sie denn jetzt so mache und ob sie verheiratet sei, sie habe so glücklich ausgesehen. Es dauerte vier Monate, bis er eine Antwort erhielt.

"Vielen Dank für Ihre nette Nachricht. Es freut mich sehr, dass Sie mich noch nicht vergessen haben. Nein, glücklich verheiratet bin ich leider nicht und kann Ihnen auch nicht zu der fraglichen Zeit am genannten Ort begegnet sein, weil ich ganztags in einem Verlag für medizinische Publikationen arbeite....."

Was, was, was ? Dann war das also doch nicht die Hiroko gewesen ???? Peinlich, peinlich !!!! Dann muss seine Karte ja wie plumpe Anmache ausgesehen haben ! Jordy schrieb sofort eine Antwort, in der er das Missverständnis aufklärte und sich entschuldigte.

Weitere vier Monate später saß er mit ihr in einem italienischen Restaurant beim Mittagessen und machte mit ihr einen langen Spaziergang. Sie sah tatsächlich bedeutend besser aus als zu ihrer Studentenzeit, und Jordy fand sie auch recht appetitlich und überhaupt nicht mehr mauerblümchenhaft. Aber weil sie wusste und mehrfach darauf anspielte, dass er ja doch verheiratet sei, wahrte sie sorgsam Distanz, obwohl es ihr durchaus angenehm war, mit einem graumelierten Herrn zu soupieren und danach an der Flusspromenade die Kirschblüten zu bewundern.


ril2


Tja, Jordy, und nun hast du die Namiko, die Michiko, die Junko, die Aimi und die Hiroko zum Essen ausgeführt und nichts dabei erreicht als Völlegefühle. Und jetzt hast du keinen Joker mehr in der Tasche, du alter Schnarchsack.

Doch, sagte Jordy, ich geb's noch nicht auf. Ich bin doch nicht die Michiko; ich denke nicht daran, einfach Trübsal zu blasen, so lange sich am Unterleib noch was regt. Wenn die Kirschblüten wieder vermatschen, fängt eine neue Runde an, bei den knackfrischen Studentinnen hab ich sicher mehr Glück als bei den angewelkten Tantchen. Schließlich sind nicht alle Mädels so zickig wie die Namiko, sondern appetitanregend wie zum Beispiel die Ayame mit ihren großen Augen.

In der Tat, große Mandelaugen und einen perfekten Busen. Wenn Ayame den Seminarraum betrat und ihren Mantel ablegte, benötigte sie in ihren hautengen Jeans und mit hinreißend geformtem Oberkörper keine zwei Sekunden, um Michiko aus Jordys Kopf zu blasen und in ihr verstaubtes Abstellkämmerlein zurückzuspedieren. 

Jordy war erstaunlich erfolgreich bei der schönen Ayame. In der Gesangsausbildung natürlich, keine Missverständnisse bitte. Er machte in seinen Kursen keine Studentinnen an, und Ayame vertraute ihm vollkommen. Es dauerte nicht lange, da erschien sie regelmäßig in der Mittagspause in seinem Zimmer, brachte ihre Noten mit und ließ sich die Stücke erläutern, und als Jordy ihr auf ihre Anfrage, wie man sich deutschen Wortschatz dauerhaft aneignen könne, riet, doch mal probehalber auf Deutsch Tagebuch zu führen, tat sie dies mit einer verblüffenden Ausdauer und wurde Stammgast in seinem Zimmer, um ihre Aufzeichnungen, zwei bis drei Sätze pro Tag, korrigieren zu lassen. Aber aus dem, was ihr Tagebuch ihm offenbarte, merkte Jordy, dass Ayame trotz ihrer traumhaften Figur ein vollkommen naives, kindliches Geschöpf war, von Papa und Mama wohl behütet, das an Jungs und Sex auch nicht im Traum zu denken wagte. Ihre Oma und ihre Teddybären, das war ihre rosarote, heile Welt, mit Freundinnen ins Disneyland oder zum Kuchen essen zu gehen oder sich einen neuen Mantel zu kaufen, das waren ihre Glücksmomente. Kein Wunder, dass sie Jordy so erstaunt anschaute mit ihren schönen, großen Augen, wenn er ihr schonend beibrachte, warum sich das Heidenröslein sträubte, als der Knabe es brechen wollte, und was der böse Angler der Forelle mit seiner Rute anzutun gedachte. Und weil er darauf achten musste, das arme Kind nicht zu schockieren, deutete er ihr die Hintergründe dieser Lyrik nur an und war sich nicht einmal ganz sicher, ob Ayame wirklich begriff, um was es in diesen eigentlich nicht ganz jugendfreien Liedern geht, denn sonst heißt es am Ende, er würde Studentinnen, die zu ihm in sein Zimmer kommen, mit anzüglichen Reden behelligen. Wahrscheinlich begriff sie es nicht, denn sie schrieb auch während der Ferien unverdrossen ihr Bonbonkuchen-Tagebuch weiter und wandte sich im Herbst, als Michiko nach Tokyo kam, der "Winterreise" zu. Jordy verzichtete darauf, ihr auch noch dieses Werk voller Schnarchsack-Verzweiflung zu erläutern, denn dann wäre sie vollends verunsichert gewesen und hätte nicht mehr gewusst, was sie sonst noch singen könnte.

 

ayame


Ach so, vergessen wir nicht die arme Michiko. Sie kam also tatsächlich im Herbst nach Tokyo, und Jordy lief zweimal an ihr vorbei, ohne sie zu erkennen. Sie trug nämlich einen Kimono und hatte das Haar japanisch frisiert. Und das stand ihr überhaupt nicht. Mit dem hochgebundenen Haar und ihrem breiten Mund sah sie aus wie eine 65jährige Kröte. Als sie Jordy schließlich ansprach, murmelte er entschuldigend und diplomatisch, er habe sie noch nie im Kimono gesehen, was ihr Aussehen enorm verändere. Während des gemeinsamen Mittagessens, nach dem er sie fest entschlossen in ein Stundenhotel in der Nähe bugsieren wollte, eröffnete sie ihm, dass sie auf dem Weg zu einer Teezeremonie-Meisterschaft in Kyoto sei und noch am gleichen Tag weiterreisen müsse; dann schaute sie auf die Uhr und erwähnte, dass ihr Zug in einer halben Stunde gehe. Jordy guckte wie ein Schnarchsack, was ihm nicht sonderlich schwer fiel, und beschloss, in die Ernährung dieser und anderer störrischer Tanten keinen Yen mehr zu investieren.

* * *

niji


Also, das Internet und die e-mails, das ist schon eine geniale Sache und war damals noch ganz neu. Jordys frühere Freundin Seryna war noch nicht online gewesen, als er mit ihr liiert gewesen war; was hatte es immer für Mühe gekostet, sich zu verabreden und sie heimlich in ein Hotel zu lotsen ! Heutzutage schickst du deiner Tussi eine e-mail direkt aufs Handy, und noch in der S-Bahn tippt sie dir eine Antwort ein, und am Abend hast du sie im Bett. Jordy war schon länger online, die Technik war vorhanden, es fehlte leider nur die geeignete Tussi. Bevor du erfährst, an wem sich der unbelehrbare Schnarchsack Jordy jetzt die Pfoten verbrennt und die nächste Abfuhr kassiert, darf ich dich darauf aufmerksam machen, dass die Zeit nicht stehen bleibt, sondern zügig weiterläuft. Abgesehen davon, dass sich Jordys graue Haare emsig vermehrten, machte der aktuelle Stand der Technik nämlich auch vor analogen Zeitgenossen nicht Halt. In kurzer Folge flimmerte allerlei Typisches über Jordys Screen, es war recht amüsant. In alphabetischer Reihenfolge sah das etwa so aus:


Aimi: Ich habe mich jetzt dazu durchgerungen, doch noch in die virtuelle neue Welt einzusteigen, kämpfe aber noch mit den Tücken der Technik...
Ayame: Mein Tagebuch ist bis auf die letzte Seite vollgeschrieben. Darf ich es Ihnen zum Korrigieren zusenden, weil ich bis zum Beginn des neuen Semesters nicht zur Hochschule kommen kann ?
Hiroko: Mir ist gekündigt worden, der Verlag steht kurz vor der Pleite. Ich muss mir etwas Neues suchen, in meinem Alter.... Ob das wohl gut geht ?
Junko: Am 3.März singe ich die Micaela in der Oper "Carmen". Ich hinterlege an der Abendkasse für Sie eine Freikarte und würde mich freuen, wenn Sie kommen könnten. Ab Mitte März hätte ich auch Zeit für ein gemeinsames Abendessen...
Michiko: Verzeihen Sie die Belästigung, dass ich mich und meine Lebensgefährtin, das Kätzchen Mimi, vorstelle. Mimi ist leider schon etwas älter und derzeit krank....
Namiko: Mir geht es miserabel. Man beutet mich aus. Ich wollte in der Popmusik mit Crossover reüssieren, aber alle sind total gemein zu mir. Am besten werde ich Hostess in einem Nachtclub.
Seryna: Ich hab jetzt einen neuen Freund, einen Astrophysiker. Ansonsten geht's mir schlecht, vorgestern hab ich einen Motorradunfall gebaut. Seryna ist heil, aber das Bike liegt im Koma.


Da sieht man mal, was ein Pädagoge an einer Musikhochschule in den Ferien alles zu leisten hat. Frauenschicksale, die zu Herzen gehen. Verzagte trösten, Labermails beantworten, Mut zusprechen, Aussprachen korrigieren, plüschige Tagebücher lesen und unbemannte Primadonnen mästen.... Dabei hatte Jordy all diesen Tanten seine Mail-Adresse eigentlich nicht dazu gegeben, um als Seelsorger oder Abendessen-Spendier-Onkel aktiv zu werden.

Nur bei der Junko machte er noch einmal eine Ausnahme, denn sie hatte eine wirklich wunderbare Micaela gesungen; sie war einfach eine talentierte Opernsängerin. Es schmeichelte ihn ein wenig, dass die Primadonna ihm kurz darauf wieder eine Mail sandte und fragte, ob er nicht wieder einmal mit ihr ausgehen möchte, und außerdem mochte Jordy Frauen mit Talent und klugem Kopf. Allerdings war ihm auch nach dem gemeinsamen Mittagessen nicht recht klar, weshalb Junko unbedingt mit ihm ausgehen wollte. Bei herrlichem Wetter hatten sie anschließend einen Spaziergang um den idyllischen Teich am Tempelberg von Ueno gemacht, in dessen Mitte ein Inselchen mit einem pittoresken achteckigen Tempel liegt, verbunden mit dem Ufer durch einen schmalen Damm.


junko2


Junko sah gut aus für ihr Alter, gab sich jedoch vollkommen als erwachsene Dame, vermied alle Arten anzüglicher Reden und griff auch dort nicht nach Jordys Hand, wo es kein Mensch hätte sehen können. Sie wollte ihr Image als Lady mit Anstand wahren und wäre nur dann zu einer Liaison mit Jordy bereit gewesen, wenn er ledig, verwitwet oder geschieden wäre. Vermutlich wollte sie nur mal wieder von einem Kavalier ausgehalten werden und hatte zu diesem Zweck wohl eine erkleckliche Anzahl freundlicher und diskreter Herren auf ihrer Mailing-Liste verzeichnet. Bedauerlicherweise war auch Jordy für sie nicht der "Richtige".

Mit den anderen älteren Mädchen machte Jordy aber ziemlich kurzen Prozess. Weil sein alter PC in der Zwischenzeit den Weg alles Irdischen gegangen war, wurde mitsamt dem alten Computer auch Namikos neue, gerade erst geänderte Mail-Adresse, von der er noch kein Backup hatte, auf dem städtischen Abladeplatz für Giftmüll entsorgt, und Jordys Bedauern darüber hielt sich in Grenzen.

Aimi hingegen wirkte wie verwandelt, seit sie online war. Mauerblümchen Hiroko und die masochistische Michiko hielten meist still, wenn Jordy sie nicht von sich aus anmailte, aber die blasse Aimi kam langsam in Fahrt. Wahrscheinlich hatte sie ja keinen anderen Mail-Partner als Jordy. Jetzt, wo es gerade Frühling wird und alle Knospen springen und alle Vöglein singen, hätte sie Lust, im Ueno-Park spazieren zu gehen. Das hätte sie nicht schreiben sollen, denn Jordy fiel sofort die distinguierte Junko wieder ein; war er jetzt dazu eingeteilt, frustrierte, aber distanzierte Damen im Ueno-Park Gassi zu führen ? Irgendwie stand ihm der Sinn nicht auf platonische Spaziergänge mit der schüchternen Aimi, obwohl ihr Vorschlag für ihre Verhältnisse geradezu tollkühn anmutete, aber wenn sie dann neben ihm ging, würde sie nur wieder dauernd erröten und vor jeder Berührung zurückzucken, als sei Jordy elektrisch geladen. So tat er, als sei er zu tumb für die richtige Interpretation ihrer Absichten, wechselte das Thema und erklärte ihr, wie man Lammbraten im Backofen zubereitet. Ob sie das interessierte, das wusste er freilich nicht.


rotlilasand

zruck home weiter