Debüt
auf der Opernbühne
3
Geschäftlich
schlafen
Jordy hatte in seinem
Leben schon
ziemlich viele Nachrichten von Leuten erhalten, die nach "allerletzter
Mail" klangen. Man denke nur an das besonders
eindrucksvolle Beispiel der Kyonghi.
Am
letzten Augusttag, als die Zikaden bis zum späten Abend die
bullige
Hitze von 32 Grad mit ihrem Kettensägenton erfüllten
und Jordy von
einem Bad im arktischen Meer zwischen Eisbergen träumte, stand
auf
einmal vor seinen Augen auf dem Screen eine Mail, die nur aus wenigen
Worten bestand.
"Hast du zur Zeit eine
Freundin ?"
'Wer
will denn das von mir wissen ?' staunte der Rentner Jordy. Es war
Kyonghi, sie
war wieder da, als hätte es nie einen Zwist zwischen
ihnen
gegeben. Und die mail war nicht im SPAM-Mülleimer gelandet, weil sie sie von ihrem Handy aus geschickt hatte.
"Wozu willst du das denn wissen, geht dich einen
feuchten Kehricht an", bollerte Jordy zurück. Kyonghi
ließ nicht nicht
entmutigen.
"Ich bin seit der Trennung von Murat allein. Ich arbeite jetzt bei einer Zeitarbeitsfirma, so einem Menschenverleiher, und wohne in einer firmeneigenen Wohnung in Tokyo.
Und singe
nebenbei in einer kleinen Operngesellschaft. Da kann ich aber kein Geld
damit verdienen, im Gegenteil, ich muss sogar meine Kostüme
selbst
bezahlen. Ich
brauche jedenfalls Geld. Die Jobberei bringt mir gerade
so die Wohnungsmiete ein. Wenn du mir ein akzeptables Taschengeld
dafür bezahlst, gehe ich mit dir ins Hotel."
"Wieso gerade mit so einem alten Schnarchsack ?"
"Besser
als mit unbekannten Männern. Ich will keine Nutte werden,
brauche aber
Geld. Wenn ich's mit dir mache, fühle ich mich gut dabei, wir
kennen uns schließlich. Wir haben uns
getrennt, da brauchen wir uns nicht mehr zu belügen, dass wir
es aus
Liebe täten, aber geschäftlich mit dir zu schlafen,
das fände ich in Ordnung.
Ich brauch Geld und du hast welches. Wahrscheinlich bist du
noch
scharf auf Mädchen, oder ?"
'Geschäftlich mit mir zu schlafen',
staunte Jordy. 'Hat man sowas schon
mal gehört ? Die
Girls in Tokyo haben echt Fantasie !'
"Ich fühle mich
durchschaut. Gut, dann treffen wir uns nächste Woche, da ist
ein Feiertag."
"Ja, Feiertag ist gut. An Werktagen muss ich nämlich arbeiten."
'An
sowas sollte sich die Namiko ein Beispiel nehmen', dachte Jordy, 'so
hätte sie
mich
auch längst gekriegt. Kyonghi hat ohne Umschweife gesagt, was
sie will und so ganz nebenbei den Kern
des
Problems angeschnitten. ...uns
nicht mehr zu belügen, dass wir es aus
Liebe täten..., das ist die Ware
Liebe...'
Kyonghi
war mittlerweile ebenfalls über dreißig, gerade mal ein
Jahr
jünger als Namiko, und sah ein wenig
erwachsener aus als früher. Außerdem achtete sie
stärker auf ihr Äußeres, schminkte sich
sorgfältig
und sah dadurch auch besser aus. Und als
Jordy ihr
zum ersten Mal seit langer Zeit mal wieder unter den Rock griff, hatte
er
nicht den Eindruck, dass sie es nur widerwillig,
der
Geldscheine
wegen erduldete. Sie strahlte ihn an und sagte auf
Deutsch, mit
türkischem Akzent:
"Und jetzt wollen
wir mal wieder richtig schön ficken ..."
Das letzte Wort des Satzes
schien ihr besonders gut zu gefallen, denn es kehrte auch nach
dem Ende
des Stelldicheins in ihren Mails häufig wieder. Es war sicherlich ein
Mitbringsel von ihrem verflossenen Türken.
So kam es, dass Jordy seinen längst eingemotteten Zauberstab
wieder flottmachen und noch im Rentenalter einem
Mädchen den
Wunsch erfüllte, "mal wieder richtig schön gefickt" zu werden. Allen
Befürchtungen zum
Trotz stellten sich weder Herzinfarkt noch Hüftschmerzen ein,
der
einzige Nebeneffekt war ein kleines bisschen Muskelkater, aber das
passiert ja auch in anderen Sportarten, wenn man sie eine Weile
vernachlässigt hat.
Beim
zweiten Treffen zwischen den Kissen fummelte Kyonghi an ihrem
brandneuen
Smartphone herum und zeigte Jordy während einer
Verschnaufpause
ein
Foto, zusammen
mit einer Freundin, beide im Sommerkimono. Jordy traute seinen Augen
nicht.
"Die kenne ich, eine frühere Studentin von mir, die Orie
Yazaki. Wie kommst du denn mit dem Mädchen zusammen ?"
"Sie ist seit ihrem Abschluss an deiner Hochschule in der selben
Operngesellschaft gelandet wie ich, wir sind gut befreundet. Ich dachte mir,
dass du sie kennen könntest."
"Ja, in der Tat. In die Orie war ich als Prof schon ganz vernarrt, ein
ganz liebes Mädel, findest du nicht ? Sag ihr mal einen
schönen Gruß von mir !"
"Bist du denn wahnsinnig ? Dann fragt sie mich, woher ich dich kenne
und wo wir uns getroffen hätten..."
"Um Ausreden bist du doch selten verlegen.
Schließlich habt ihr beide, wenn auch an verschiedenen
Musikhochschulen, denselben Deklamationslehrer gehabt."
"Nee, das ist mir zu gefährlich. Vor der Orie erwähne
ich
dich mit keiner Silbe. Wenn es da um uns Gerüchte geben
sollte, bin ich
als
Sängerin geliefert..."
"Ist Orie noch mit ihrem Kensuke zusammen ?"
"Kensuke ?"
"Der Kontertenor, mit dem sie in ihrer Studentenzeit gegangen ist."
"Ach der. Nein, die haben sich getrennt. Der war ihr zu brav, er hat
sich nie getraut, sie auch mal oral zu stimulieren. Ich glaube, jetzt
hat Orie keinen Freund."
"Dann erzähl ihr mal, wie gut ich auf diesem Gebiet bin.
Ich
würde Orie ziemlich happy machen, meinst du nicht
auch ?"
Kyonghi
war von dieser Wendung des Gesprächs nicht sehr
amüsiert.
Dass Jordy Orie kannte, damit hatte sie gerechnet, aber nicht damit,
dass
Jordy diese schlanke Mezzosopranistin mit
dem verlangend-entsagenden Blick in ihren
schönen Augen schon seit ihrer Studienzeit
ziemlich attraktiv fand und auch bei ihr auf einige Sympathie
gestoßen war.
Kyonghi
bildete sich
offenkundig nur ein, mit Jordy "geschäftlich" zu schlafen, in
Wirklichkeit war sie schon wieder genauso eifersüchtig wie
vorher.
"Wenn du dich an die Orie ranmachst, war das heute unser letztes
Treffen !" zischte sie erbost.
"Dann musst du dich nach einer anderen Geldquelle umsehen, was ?"
Das
war ihr schwächster Punkt. Es ist wirklich kaum zu fassen, wie
ungalant Jordy mit Mädchen umging, die gerade eben noch mit
ihm
geschlafen hatten. Aber wenn sie dafür bezahlt werden wollen,
meinte er, müssten sie auch seine Bosheiten in Kauf nehmen.
"Ich
bin noch nicht so alt und unansehnlich, dass ich um
männliche
Zuwendung betteln müsste", gab sie schnippisch
zurück. Jordy musste ihr insgeheim beipflichten, Kyonghi sah
wirklich besser aus als vor einigen Jahren, als sie noch ziemlich
kindisch
wirkte. Lange würde es sicher nicht dauern, bis sie sich von
einem
neuen Verehrer entkleiden ließe, aber
noch vor einer halben Stunde, im Café, hatte sie Jordy
beklommen
dargelegt, dass sie eigentlich mit 27
heiraten
wollte, es
dann aber mit Murat nicht geklappt hat, und danach zwei weitere
Versuche
mit koreanischen Partnern ebenfalls schiefgelaufen seien. Im Moment
gebe es in
ihrer Umgebung kaum noch ledige Jungs, und wenn sie nicht innerhalb der
nächsten zwei Jahre unter die Haube käme,
wäre sie
langsam zu alt, um gesunden Nachwuchs in die Welt zu setzen.
"Meine goldene Jugend habe ich an dich verschwendet, und jetzt gierst
du nach der Orie, weil die gerade 25 ist."
"Nö, weil die es für mich aus Sympathie und gratis
machen würde. Aber
keine Angst, ich habe von Orie weder die Handynummer noch die
Mail-Adresse, denn wie du weißt, vergreife ich mich
grundsätzlich nicht an meinen Studentinnen."
"Höhöhö, dass ich nicht lache. Mich hast du
ja auch rumgekriegt und flachgelegt."
"Jetzt verdreh mal nicht die Tatsachen. Schließlich hast du
mich
verführt, nach allen Regeln der Kunst, und deine goldene
Jugend
musste ich mir mit fünf anderen Männern teilen..."
"Nicht fünf, sondern vierzehn. Ich finde nämlich
Leute, die nur
Händchen
halten und einander tief in die Augen gucken, echt bescheuert.
Wozu gibt
es denn unterschiedliche Geschlechter ? Doch dass man sich miteinander
vergnügt und gute Orgasmen erlebt. Wer das verpasst, ist
selber
dran schuld."
"Na, dann stell dich mal nicht so an. Wenn du beim nächsten
Mal
Orie mitbringst, wird es doppelt so vergnüglich und du
bekommst ein ansehnliches Vermittlungsgeld..."
Aber davon wollte Kyonghi nichts wissen. Jordy ließ das Thema
auf
sich beruhen, aber die schlanke Orie wäre wirklich eine
süße
Verlockung gewesen und hätte wahrscheinlich auch nichts gegen
ein
Abenteuer mit Jordy. Allerdings würde sie ihrem
Deklamationsprof solche Sachen nicht zutrauen und aus allen Wolken
fallen, wenn sie erführe, dass Jordy ihre neue Freundin
Kyonghi
alle paar Wochen in Stundenhotels mitnimmt.
Wie es das seltsame Schicksal fügte, traf Jordy wenige Tage
später Orie auf einem der Wege in dem
frühherbstlichen Park, der sich zwischen der
Musikhochschule und der nur wenige hundert Meter entfernten
Operngesellschaft erstreckt. Jordy hätte
größte Lust
gehabt, ihr
auf der Stelle zu erzählen, dass er ihr mündlich sehr
viel himmlischere Freuden bereiten könnte als ihr
früherer
Boyfriend, aber sie würde ihm wohl kaum abnehmen, dass er
Hellseher sei und ihre intimsten Sorgen alleine aus ihrem Gesicht ablesen
könne. So unterließ er es, Kyonghi zu
kompromittieren.
"Du bist immer noch so charmant wie früher und siehst sogar
noch
besser aus", säuselte er, was Orie mit einem
überrascht gegiggelten
"huffuffuffu" quittierte. Sie wusste nicht recht, was man seinem
einstigen Prof
auf so eine blöde Anmache erwidert.
"Was machst du denn jetzt so, lebst du noch in der Nähe der
Hochschule ?"
"Ich bin jetzt in einer kleinen Operngesellschaft ganz in der
Nähe und nehme Stunden bei Professor Kano."
Jordy ließ sich nicht anmerken, dass er das alles
längst
wusste, sondern tat erstaunt und ermunterte sie:
"Dann sieh zu, dass du eine gute Opernsängerin wirst und viel
Spaß dabei hast. Besuch mich mal an der Hochschule, wenn du
Zeit
hast !"
"Jaja", stammelte sie verwirrt, und Jordy ließ sie laufen, um
sie nicht noch verlegener zu machen.
Am Abend schickte er Kyonghi eine Mail und erzählte, dass er
Orie zufällig getroffen habe.
"Und da hast du ihr gleich von mir erzählt, was ?" antwortete
Kyonghi auf der Stelle.
"Natürlich. Ich habe ihr erzählt, dass wir dauernd
ficken, und sie zu einem Trio eingeladen."
Bevor Kyonghi explodieren und ihm einen Vulkanausbruch aufs Display
hämmern konnte, schickte er aber schnell hinterher:
"War nur ein Scherz, Kyonghi. Ich würde dich doch nicht in die
Pfanne hauen ! Orie ist genauso ahnungslos wie vorher !"
"Das will ich dir auch schwer geraten haben", knurrte sie ihn an. "Orie
ist heute von Professor Kano zusammengestaucht worden und hat sich
gerade
bei mir ausgeheult."
Ja, das konnte Jordy sich gut vorstellen. Orie war ein Sensibelchen,
ihr hübsches Gesicht sah wirklich nach Weinerlichkeit aus. Bei
dieser Vorstellung stieg in Jordy aber eine dumpfe Wut auf.
"Wenn ich dem Kano begegne, werde ich ihm die Leviten lesen, das steht
fest. Arme kleine Mädchen zum Weinen zu bringen, was ist
das
denn für eine Art !"
"Die Orie heult immer. Alle paar Tage muss sie sich ausheulen. Der Kano
ist gar nicht so übel, finde ich. Es ist doch in Ordnung, dass
er
uns die Meinung sagt, wenn was einfach nicht klappen will.
Mich würde das
gar
nicht jucken, aber die Orie ist halt eine Heulsuse."
"Also, wer sich an Orie vergreift, der kriegt's mit mir zu
tun. Der Kano ist auch ein früherer Schüler von mir,
der soll
keine kleinen Mädchen ärgern !"
"Du bist anscheinend richtig verknallt in die Orie, pass bloß
auf, ich warne dich. Lass die Finger von dem Girl ! Wenn du
so
weitermachst, kriege ich noch eine Wut auf die Orie, dann heult sie
aber jeden Tag, das garantiere ich dir !"
"Was denn, du weißt doch, dass ich keinen Kontakt zu Orie
habe. Weder Handynummer noch Mail-Adresse. Aber wenn du sie auch noch
piesakst, dann marschiere ich direkt in eure
Operngesellschaft und tröste das Kind. Wenn jemand auf die
Idee
käme, dich zu quälen, würde er es auch mit
mir zu tun
bekommen, ist doch logo !"
"Ach, welche rührende Fürsorge für deine
früheren Studentinnen !"
Jordy musste anerkennen,
dass Kyonghi sich, im Gegensatz zu
früher, ziemlich gemäßigt verhielt. Vor
acht Jahren,
als sie sich zum ersten Mal miteinander vergnügten, hatte sie
bei weit
geringfügigeren Anlässen gleich wild getobt und Jordy
tage-
und
wochenlang ignoriert. War es ihr Bedarf an finanzieller
Unterstützung oder die Erkenntnis, dass ihr alle potentiellen
Heiratskandidaten spätestens nach der zweiten oder dritten
Eruption
davonliefen ?
Allmählich
steigerte Kyonghi sich in einen Schlussverkaufswahn hinein. Wenn sie
nicht bald einen richtigen Heiratskandidaten auftäte,
würde
sie für ihr Lebtag ledig bleiben, fürchtete sie.
"Dabei
bin ich doch wirklich gut, findest du nicht ? Ich bin garantiert das
hübscheste Mädchen, mit dem du je gepennt hast, und
dass ich
im Bett keine Wünsche offen lasse, kannst du mir sicher
bestätigen."
"Soll ich dir ein Zeugnis ausstellen ?"
Das fand Kyonghi lustig.
"Das wäre ein Gag, was ? Und zur Hochzeit lade ich alle meine Expartner
mit ein und lasse sie am Ehrentisch sitzen", juxte sie.
"Und wenn dein Bräutigam auch alle seine Verflossenen
mitbringt,
wird die Hochzeit wegen der vielen Gäste unbezahlbar."
Kyonghi lachte sich halbtot. Aber am Abend kam eine ernste Mail.
"Ich muss wirklich schnell heiraten und Kinder kriegen, sonst ist es
bald zu spät. Aber es taucht einfach kein Kandidat auf..."