Debüt auf der Opernbühne
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Zwei flotte
Porträts
"Liebe Namiko, deine
Avancen sind mir eine hohe Ehre, ich bin ganz gerührt. Ich
wüsste bloß gern, was du mit so einem grauhaarigen,
verheirateten Opapa anfangen willst. Besorg dir lieber irgendwo einen
flotten, jungen Spund und lass mich mit deinen Scherzen in Ruhe."
Originalton
Jordy. Er wusste selbst nicht, was ihn zu solchen
Gehässigkeiten trieb. Schon früher hatte
Namiko ihn dazu inspiriert, die
köstlichsten Gelegenheiten in den Sand zu setzen. Vielleicht hatte ihn ja ihre Zickigkeit dazu gebracht,
ihr solch einen Tort anzutun. Er ahnte nämlich, dass sie
ihn keineswegs mit Zärtlichkeiten verwöhnen, sondern irgendetwas
anderes von
ihm wollte. Umsonst natürlich. "Kann ich nicht bei dir in
Tokyo
wohnen ?" hatte sie geschrieben. Womöglich war das ihr Ernst.
Bei
Namiko war er
grundsätzlich misstrauisch, und ihre Millionen Küsse
hatten
sein Misstrauen noch um erhöhte Wachsamkeit ergänzt. Vermutlich deshalb knallte er dem Mädchen,
das daheim saß und gespannt darauf wartete, dass er sich
freudestrahlend
bereit erklärt, ihrem Federbett zu neuem Leben zu verhelfen,
diese
ernüchternde Antwort aufs Smartphone.
Aus
der Sicht eines Schürzenjägers war das die
reinste Idiotie. Hatte er
vielleicht gehofft, dass sie ihm antworten würde "nö,
war
doch kein Scherz" ? Er hätte wissen müssen,
dass Namiko
eine Frau
ist,
die sich auch nach elf Jahren noch für eine
Schönheit ersten Ranges hält und nicht
gewöhnt ist, dass ein Mann ihren Blicken oder
Anzüglichkeiten widerstehen könnte.
Kunststück,
dass von Namiko aus daraufhin absolute Funkstille
herrschte. Und dass Jordy mit jedem Tag ohne neue Verlockungen seine
Frechheit stärker bereute. Vielleicht wollte sie ihn ja
wirklich
ins Bett einladen. Aber nein, kann nicht sein, bei seinem Alter. Oder
vielleicht doch ? Aber was willste machen, versaut ist versaut. Jordy
sollte mittlerweile eigentlich wissen, wie
die Frauen ticken. Wie schwer sie sich tun, einem Mann eine
derart deutliche Einladung zu schicken, und dann, wenn ihr Mut nicht anerkannt wird oder
gar eine Absage kommt, tödlich getroffen und für alle
Zeiten
eingeschnappt sind. Da kann sich Jordy seinen grauen Kopf zermartern
wie er will, den Lapsus bügelt er nicht mehr aus. Die Namiko
kann
er sich für alle Zeiten abschminken.
Es bedurfte etwa drei Tage der Totenstille, bis er das endlich einsah. Der
Frust nagte ihm so an der Galle, dass er, als er an einem der letzten
wirklich kalten Februartage in der Stadt ein Poster mit einem bekannten
Gesicht sah, der darauf abgebildeten Opernsängerin eine Mail
schickte.
"Hallo,
wie geht's dir ? Es ist immer noch ziemlich kalt, gib gut auf
dich acht, dass du dich nicht erkältest vor deinem Konzert,
jetzt geht auch noch die Grippe um. Ich freue mich darauf, dich bald
mal wiederzusehen."
Ayumi lebt
in Osaka. Geschieden, 17jähriger Sohn. Manchmal gibt sie
Konzerte auch in Tokyo, und Jordy hatte mit ihr an der Oper schon ein
paarmal zusammengearbeitet. Im Herbst stand die nächste
Produktion bevor, bei der sie sich wieder begegnen würden. Sie
hat einen Uniabschluss in Psychologie, ist sehr intelligent und sieht
für ihr Alter, das langsam auf die 50 zugeht, einfach blendend
aus. Wenn Jordy ihr solche kurzen Grüße schickt, freut sie sich immer,
dass jemand an sie denkt, und schickt auch eine nette Antwort.
Ansonsten wusste Jordy nur, dass sie Männer fortgeschrittenen
Alters mag und ohne Skrupel ihren jeweiligen Begleiter auch zu den
Proben mitbringt. Wenn da ein unbekannter Opa in der Ecke der
Probenbühne hockt, wispern die anderen Sänger immer:
"Die Ayumi hat wieder einen neuen Macker..."
Wie dem
auch sei, vier Tage nach Namikos Valentinstag-Einladung und drei Tage
nach seiner idiotischen Antwort bekam Jordy Nachricht von
Ayumi, postwendend, aber
nicht aus Osaka.
"Bin
gerade in Tokyo. Hast du übermorgen Abend Zeit ? Dann
amüsieren wir uns ein bisschen !"
Wie
bitte ? Jordy konnte es kaum fassen.
Er
googelte die beiden Frauen im Internet, lud sich deren Porträts runter und stellte die Bilder nebeneinander.
Beide sind
wirklich hübsch, aber das Spiel endete schließlich
doch 3:1 für Ayumi. Und wenn man nicht allein auf das Aussehen
achtet, dann stand es sogar 5:1, denn Ayumi hat Talent und singt
fehlerfrei die Titelrolle in der dreiaktigen Version von "Lulu", während bisher noch
niemand mutig genug war, Namiko auf eine öffentliche
Bühne zu lassen. Außerdem ist Ayumi lieb, offen, erwachsen
und klug, während Namiko zickig und unberechenbar ist.
Somit
schlug Jordys Wetter heftig um: Das Namiko-Tief wich umgehend einem
starken Ayumi-Hoch. Es wusste kaum, wie ihm geschah, eine derart
turbulente Woche nach fünfeinhalb verpennten Jahren. Dabei
hatte ihn kein Mephisto in einen smarten Jüngling verwandelt,
und trotzdem sah er jetzt vor sich zwei Porträts, von denen jeder
halbwegs normale Mann längere Zeit nicht loskäme. Als er noch
jünger und ansehnlich war, hatte Jordy jedenfalls selten
Tändeleien mit auch nur annähernd so gut aussehenden
Damen gehabt. Sind wirklich Runzeln und Falten dafür
erforderlich, um von der bildhübschen Ayumi "dann
amüsieren wir uns ein bisschen" gesagt zu bekommen ?
Frühestens
im Herbst hatte er mit einem Wiedersehen gerechnet,
und jetzt hatte seine Frust-Mail bewirkt, dass er nur zwei Tage voller
Vorfreude später in der Lobby des Gekijo-Theaters auf und ab
ging. Ayumi kam nur acht Minuten zu spät, das ist für
eine Opernsängerin eine beachtliche Leistung. Und
stürmte auf Jordy mit ausgebreiteten Armen los, Bussi rechts,
Bussi links. Eine wirklich schöne Frau, obwohl sie kaum
geschminkt war, nur ein bisschen Foundation und Eyeshadow.
Natürlich
rechnete Jordy nicht damit, so ein Prachtweib direkt
in ihr Hotelzimmer begleiten zu dürfen, so gut kannten sie
sich schließlich nicht, und außerdem musste er erst
mal Punkte sammeln. Er wusste, dass sie ihn vor allem deshalb
brauchte, um in der fremden Stadt Tokyo am Abend nicht allein essen gehen zu
müssen. Er ließ sich nicht lumpen, sie unterhielten
sich sehr gut, und sie
erzählte, dass sie im Spätsommer in Tokyo ein
Solokonzert
geben würde, Pflichtübung für ihren Fanclub.
"Ich schicke dir dann eine Freikarte..."
"Nicht
dass mich deine Fans dann in der Luft zerreißen..." scherzte
Jordy.
"Ach,
das sind mehrheitlich ältere Leute", gab Ayumi
zurück.
"Genau wie ich..." grinste Jordy.
Sie lächelte etwas
hintergründig.
"Ich stehe auf ältere Herren, besonders auf Deutsche."
Ihr fließendes Deutsch ist ziemlich perfekt. Sie hatte
längere Zeit in Wien gelebt und gesungen. Und war unter anderen auch mit einem Wiener
verheiratet gewesen, bis vor zehn Jahren. Jordy war jedenfalls nicht
ihr erster deutschsprachiger Bekannter.
Am Ende, an der Sperre der U-Bahn, als sie ihn wieder feste drückte, testete er ihre Vorliebe für
ältere Deutsche
und küsste sie diesmal richtig, zwei, dreimal. Sie
hatte
offenkundig nichts dawider. Aber mitnehmen auf ihr Zimmer wollte sie
ihn nicht.
Immerhin.
Jordy war ihr so dankbar. Ohne Ayumi hätte er noch immer
seinen Namiko-Frust. So aber war er, ganz im Gegenteil, ziemlich
aufgekratzt.
Das wird ein interessanter Herbst, murmelte er auf der
Rückfahrt vor sich hin, bis die anderen Fahrgäste in
der vollen Bahn ihn fragend anstarrten. Dabei war es noch nicht mal
Frühling, aber Ayumi hatte in ihm schon was zum
Blühen gebracht. Die Oper im Herbst, das ist ein atonales
zeitgenössisches Werk, laut und schrill und endlos lang, mit
nur sechs Solisten, und Jordy hatte die Arbeit, die da auf ihn zu kam, als
eher lästige Pflichtübung betrachtet und sich mehr
auf die Wagner-Oper gefreut, die sich daran anschließen
sollte. Aber jetzt sah er alles in ganz neuem Licht. Da siehst du mal,
wie man sich doch irren kann. Jordy war beinahe zum Freund atonaler
Musik avanciert.
Namiko
schien ihr Schmollen auch zu bereuen. Oder konnte sie es nicht fassen,
dass Jordy nicht um Verzeihung bettelte, sondern ebenfalls keine
Nachricht schickte ? Jedenfalls war sie auf einmal wieder da.
"Was
machst du so den ganzen Tag ? Ich weiß nicht, bei mir ist es
so kalt, dass ich nachts nicht gut schlafen kann. Ich wache auf und
kann nicht mehr einschlafen. Außerdem ist es entsetzlich, zu
Hause bei seinen Eltern zu wohnen. Und bis nach Tokyo rein fahre ich
jedesmal eine dreiviertel Stunde. Und zurück auch. Kann ich
nicht bei dir wohnen ?"
Das war offenbar tatsächlich ihr wichtigstes Anliegen. Sie
wusste natürlich genau, dass Jordy verheiratet ist. Da sie es
normal findet, dass Männer für schöne
Mädchen alles
tun, bildete sie sich vermutlich ein, dass Jordy ihr in seiner
Nähe ein Appartement mieten würde. Dafür
würde sie
ihn ab und zu mal abends zu sich reinlassen. In der kurz darauf
folgenden Nachricht meinte sie, dass ein Wiedersehen, zum Beispiel bei einem
gemeinsamen Abendessen, sie einander sicher
näher
bringen würde.
Von
so schwachen Funken
fing
Jordy jedoch
kein Feuer, obwohl sie noch immer gut aussah. Aber was nützt eine
hübsche Frau, wenn sie dir nur ans Geld will ? Er hatte mit Namiko
schon zweimal zusammen gespeist. Sie hatte dabei
nicht mal ihren Mantel abgelegt und noch nie weniger als 25 cm Abstand
zugelassen. Die Zeiten, dass Jordy auf ein Lächeln hin
zum Sponsor armer hungriger Sängerinnen wurde, sind leider
vorbei.
Gut, Ayumi war eine Ausnahme, aber sie hat sich, anders als Namiko,
bereitwillig küssen lassen und es durchaus genossen.
Mit
so einer Frau kann man abends schon mal ausgehen.
Gegen
ein Abenteuer mit Namiko hätte Jordy, trotz Ayumi, zwar
wenig einzuwenden gehabt, aber er sah es schon kommen, dass nach einem gemeinsamen Dîner ihre Mails allmählich wieder dürrer würden, bevor
alles im
Sand verliefe. Oder dass sie mit ihm einen Deal vorhatte, ein paar
Küsschen oder am BH fummeln lassen, wenn er ihr dafür
eine
Wohnung besorgte. Aber dem zickigen Mädel eine Wohnung im
Zentrum von Tokyo
zu mieten, nur weil sie ihm Millionen Luftküsse durchs
LAN-Kabel
geschickt hatte, das kam überhaupt nicht in Frage. Falls
Namiko
einen Kerl fürs Bett brauchte, würde sie nicht von "bei
dir
wohnen" faseln, und wenn sie einen Zahlmeister für die Miete
brauchte, dann sollte sie ihm besser erst mal eine ordentliche Kaution vorab leisten. Und wenn Jordy an Ayumi dachte, ließ ihn die Chance, jetzt
die in Schieflage geratene Sache doch noch auf die Reihe zu bringen, ziemlich kalt. So zielte
er in
seiner Antwort ungerührt auf ihre schwächste
Stelle:
"Dass du
jetzt auch noch Französisch lernen willst, finde ich
toll. Du willst wohl gar Dolmetscherin werden anstatt Sängerin
?
Und dann als Nächstes Spanisch und Russisch ? Oder ist es
für
die Erfüllung deines Traumes, im Ausland zu leben ? Hast du
schon
eine Ahnung, wovon du dein Leben im Ausland finanzieren willst ? Als
Sängerin kommst du ja mit über dreißig eher nicht mehr so gut an, in dem Alter nehmen sie
höchstens noch Leute mit jahrelanger Erfahrung auf anderen
Bühnen oder Weltstars, aber für Neulinge ist es zu
spät. Na
ja, du weißt sicher, was du willst, ich kenne deine
Pläne
und Wünsche leider zu wenig, um dir mit gutem Rat helfen zu
können..."
Genau das hatte sie nicht hören wollen. Jordy
vermutete, dass man ihr in etwa das Gleiche haarklein in Deutschland
schon gesagt hatte. Prompt antwortete sie gereizt:
"Was soll
denn das ? Von Spanisch habe ich nicht gesprochen, und
Russisch ist anscheinend eine blöde Idee von dir, habe ich
noch
nie vorgehabt."
Mehr kam
nicht. Eine Woche Sendepause, dann probierte Jordy, ob er sie wirklich
los war.
"Habe eine
Einladungskarte übrig, gehst du mit mir ins Konzert ?
Wir können auch vorher in einem Café ein bisschen
plaudern..."
Er war sie
los. Er erhielt zwar eine Antwort, aber es klang nach
allerletzter Mail von Namiko.
"Sorry, kann nicht mitkommen."