Debüt auf der Opernbühne
1
Schwarz
von Kopf bis Fuß
Also,
nehmen wir an, Jordy ist inzwischen pensioniert und führt
seinen Pinscher im Park spazieren, wie sich das für
einen
ausrangierten Lustgreis so gehört, frisst sich aus Frust einen
Rettungsring an, geht in Konzerte und reist ab und zu an die Riviera,
sieht fern und spielt am Computer FREECELL. Seit er keine aufreizenden
jungen Studentinnen mehr vor der Nase hocken hat, sinkt
allmählich
auch sein Testosteronspiegel auf Rentnerwerte. Nicht dass er irgendein
Zipperlein hätte außer mal einen Furunkel hier und
ein paar
neue Falten da, aber an Krankenhäusern und Altersheimen geht
er
generell mit gemischten Gefühlen vorbei und stellt sich vor,
wie
wenig Zeit ihm noch verbleibt, bis er so eine Anstalt auch von
innen näher kennen lernen wird. Allerdings verscheucht er
solche
Gedanken sofort wie lästige Fliegen und konzentriert sich auf
die
Beine der vor ihm einherstöckelnden jungen Dame. Nicht dass so
etwas noch für ihn erreichbar wäre. Aber
Männer gucken
halt immer so.
Also, da muss ich mich der Ehrlichkeit halber korrigieren. Die Pamina ist nämlich auch schon
leicht in die Jahre gekommen, aber ein liebes, herzensgutes
Mädel, das brav bei seinen Eltern lebt und außer auf
der Bühne und außer ihrem Papa keinen
Mann je von Nahem erblickt hat, wobei sie vermutlich nicht viel
versäumt hat. Seit sie aber gemerkt hat, dass Jordy damit
keine Probleme hat, sinkt sie ihm vor und nach jeder Probe und
Aufführung an die Brust und lässt sich herzen, und Jordy drückt zurück, bis sie
quietscht wie das nur Sopranistinnen können. Na ja, an der Oper wird
überall viel geknuddelt und gebusserlt, das gehört
zur Oper wie die Mülltonne zum Hinterhof, das sollte man nicht
überbewerten. Aber wir sind ja an der Oper in Tokyo, und
Japaner geben einander nicht mal die Hand, sondern verbeugen sich nur.
Das ist zwar hygienischer, schafft aber eine Aura, die zu durchdringen
schon beinahe einen Eingriff in den Intimbereich darstellt. Da sollte
es ein pensioniertes Faktotum wie der Jordy schon schätzen,
wenn ihm diese holde Prinzessin in ihrem rüschigen
Glitterkostüm, wenn sie vom Lampenfieber übermannt wird, zum Decrescendo in die Arme sinkt.
Küsschen gibt's natürlich nicht, weil die fingerdicke
Opernschminke darunter litte.
Also,
weil wir gerade beim Knuddeln sind: Auch die Carmen ist, wie die
Pamina, eine Ex-Studentin von Jordy, und was die Carmen an ihm findet,
ist ihm ein bis heute ungelöstes Rätsel. Sie muss ihn
nur von
Weitem sehen, schon lässt sie Noten und Handtasche fallen,
kommt
auf ihn zugeschossen wie der Tokaido-Express und fliegt ihm ungebremst
um den Hals, auch wenn der gesamte Opernchor dabei zusieht. Sie ist ein
ebenso liebes und lediges Kind wie Pamina, und Jordy mag sie
aufrichtig, denn Jordydrücken scheint ein spezielles
Hobby von ihr zu
sein. Nun hat er also mindestens zwei unbemannte Primadonnen zur Hand,
die in seinen Armen regelmäßig den Frust ihres Daseins ohne
Boyfriend
abladen. Nur würde er diesen beiden Mädels um keinen
Preis
ihre kindliche Zuneigung mit zweifelhaften Ansinnen verderben. Er
weiß, dass für solche vom Schmutz der Welt
unbefleckten
Naturen, die es so wohl nur in Japan gibt, alles andere als ein
Verhältnis wie zu einem großen Bruder der
Zusammenbruch
einer Welt bedeuten würde, und da er kein Al Qaida Freak ist,
gedenkt er keineswegs, selbigen herbeizuführen.
So
knuddelt er von Zeit zu Zeit
seine Stars an der Oper, gibt ihnen vor der Generalprobe einen
freundschaftlichen Klaps, wie man das von Männern so erwartet,
sagt, dass er im dunklen Zuschauerraum sitzt und gut
aufpasst, und dann weiß er, dass sie im Gefühl, dass
da eine Art von Maskottchen wacht, ihren Part ohne allzu heftiges
Lampenfieber singen
und spielen. Und ansonsten knuddelt er eben seinen Hund, sammelt
Mineralien und isst irgendwas Leckeres.
Ich
glaube, mindestens
sechs Jahre sind es her, seit er zum letzten Mal die Kyonghi aus der
Schnarchsack-Episode auf der Matratze hatte, und seitdem lebte er
enthaltsam wie ein Benediktiner. Kyonghi ging in der Zwischenzeit
nach Wien und dort nur selten in und auch nicht an die Oper, sondern
geradewegs ins Studentenzimmer eines Jungtürken namens Murat, also
ganz
so, wie Jordy sich ihren weiteren Werdegang vorgestellt hatte, und dass
der sie dann, als sie dummerweise von Heiraten zu quasseln anfing, aus
dem Bett warf und sich eine Türkin angelte, die weder eimerweise
Bier
säuft noch mit weltlichen Arien seine muslimische Seele
malträtiert, hatte
Jordy ihr in seinen seltener werdenden Antworten auf ihre Berichte auch
schon lange vorher prophezeit.
"Ich hatte gedacht, du
hättest nur mich als deine einstige Geliebte mit einer Freikarte
bedacht, und musste feststellen, dass du deine Karten an einen ganzen
Rattenschwanz von Weibern verteilt hast. Für dich bin
ich anscheinend nur eine von vielen, was ? Hör mal zu, der Murat, der mich da sitzen gelassen hat, ist
für mich tausendmal anständiger als du, es war der
größte Fehler meines Lebens, mich mit so einem
Lumpen wie dir eingelassen zu haben...."
In der vorigen Geschichte gab es noch einen Namen, der während der vergangenen Jahre hoffentlich nicht ganz in Vergessenheit geraten ist. Falls sich der Leser nicht mehr an die zickige Namiko erinnert, die Kleine mit ihren ständig die Farbpalette rauf und runterwechselnden Chamäleonfrisuren, der sollte in der letzten Jordy-Schmonzette noch mal nachlesen. Dass er von dieser kolorierten Sopranistin zum Narren gehalten worden war, das ist inzwischen mehr als 10 Jahre her, und obwohl die heftige Trennung keineswegs dazu angetan war, ihn in guter Erinnerung zu behalten, meldete sie sich immer mal wieder, wenn er ihr bei der Aussprache deutscher Gesangspartien helfen sollte. Natürlich kostenlos. Wenn sie was von ihm wollte, sandte sie ihm eine schwärmerische Mail mit etlichen virtuellen Küssen, und wenn es vorbei war, dankte sie -manchmal- in dürren Worten für seine Hilfe.
"Ich lerne jetzt Deutsch, ich will in Deutschland oder Österreich vorsingen oder mich bei einer Agentur anmelden und vermarkten lassen."
Jordys Respekt stieg. Namiko wurde womöglich langsam erwachsen. Auch äußerlich hatte sie sich verändert. Sie färbte ihr Haar nicht mehr, sondern trug es lang und pechschwarz, und dazu kleidete sie sich von Kopf bis Fuß in Schwarz. Wenn sie vor Jordy saß und ihm vorsang, sah er von ihr nur die Hände und das Gesicht, es sah aus, als wollte sie in den Iran reisen anstatt nach Germany. Ihr Talent als Sängerin schätzte Jordy eher als gering ein. Sie hatte zwar eine kräftige Stimme und bekam mühelos nicht nur das hohe C, sondern auch das hohe Fis heraus, und zwar so laut, dass es die Fensterscheiben zum Vibrieren brachte und Jordys Trommelfell schmerzte, aber ihre Gesangslehrer hatten es offenbar frühzeitig aufgegeben, ihr die dazugehörige Technik einzubläuen. Stimmführung, Nuancen, Ausdruck, alles Fehlanzeige. Damit brauchte sie in Deutschland eigentlich gar nicht vorzusingen, und außerdem nehmen die sowieso nur Kandidaten unter dreißig, und eine Agentur würde sie erst recht nicht finden, denn in Europa müssen Sängerinnen auch ein Minimum von Talent aufweisen. Jordy fand es jammerschade, dass sie das nicht selbst bemerkte, aber er war kein Gesangslehrer und wollte sie auch nicht total entmutigen. Schließlich könnte es ja geschehen, dass ihr dort irgendein anderes Glückchen über den Weg läuft.
Ein halbes Jahr später war sie aus
Deutschland zurück, vermutlich ohne Erfolg, denn Jordy erhielt im
Spätherbst nur eine Mail auf Deutsch,
dass sie wieder da sei, aber keine Antwort auf seine Frage, wie es
gewesen sei. Namiko war genauso zickig wie früher und beantwortete noch immer
nur Fragen, die ihr zupass kamen.
Aber dann, ausgerechnet
am nächsten Valentinstag, meldete sie sich aufs Neue. Jordy wollte gerade die
Elektronik auf Nachtruhe stellen und ins Bad steigen, da flimmerte auf
seiner Mailbox eine Nachricht von Namiko.
"Hallo, wie geht's ? Ich lerne jetzt Französisch. Das ist einfacher als Deutsch. Ich lerne Französisch gern, aber ich habe kaum Zeit und immer viel zu tun. Es fällt mir schwer, mich auf etwas zu konzentrieren. Ich muss bessere Prioritäten setzen. Ich möchte besser leben als jetzt. Und du ? Millionen Küsse..."
Jordy schwante Unheil. Wenn sie eine kleine Bitte hat, schickt sie "liebe Küsse", bei mittleren Anliegen konnte Jordy meist mit "tausend Küssen" rechnen. Was würde da bei Millionen Küssen wohl auf ihn zukommen ? Eingedenk der Tatsache, dass Namiko ihn noch nie auch nur flüchtig berührt hatte, spottete Jordy in seiner Antwort:
Ist ja nicht sonderlich schwer.