Debüt auf der Opernbühne

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Schwarz von Kopf bis Fuß

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Die vier letzten treuen Jabornik-Leser, die sich auch von der Schnarchsack-Geschichte nicht vergraulen ließen, meldeten sich bei dem Autor mit der stürmischen Bitte um weitere Fortsetzungen. Kaum zu glauben, nicht wahr ? Aber so ist es nun mal. Wenn er das geahnt hätte, dann hätte er seinen Weiber- und Serienhelden Jordy sicher nicht schon in der letzten Geschichte als vertatterten Scharchsack hingestellt. So bleibt ihm nichts anderes übrig, als dem Kerl auch noch im Rentenalter ein weiteres Abenteuer zu gönnen, und weil treue Leser das so mögen, greift er für den Anfang der Geschichte auf eine von früher bekannte Figur zurück, um die Fantasie der ebenfalls ins Alter gekommenen Leserschaft nicht zu überstrapazieren.

Also, nehmen wir an, Jordy ist inzwischen pensioniert und führt seinen Pinscher im Park spazieren, wie sich das für einen ausrangierten Lustgreis so gehört, frisst sich aus Frust einen Rettungsring an, geht in Konzerte und reist ab und zu an die Riviera, sieht fern und spielt am Computer FREECELL. Seit er keine aufreizenden jungen Studentinnen mehr vor der Nase hocken hat, sinkt allmählich auch sein Testosteronspiegel auf Rentnerwerte. Nicht dass er irgendein Zipperlein hätte außer mal einen Furunkel hier und ein paar neue Falten da, aber an Krankenhäusern und Altersheimen geht er generell mit gemischten Gefühlen vorbei und stellt sich vor, wie wenig Zeit ihm noch verbleibt, bis er so eine Anstalt auch von innen näher kennen lernen wird. Allerdings verscheucht er solche Gedanken sofort wie lästige Fliegen und konzentriert sich auf die Beine der vor ihm einherstöckelnden jungen Dame. Nicht dass so etwas noch für ihn erreichbar wäre. Aber Männer gucken halt immer so.

Ein paar sporadische Nebenjobs hat er noch, also ganz veralzheimert ist unser Jordy noch nicht. Bei einigen Verlagen und an der Oper wird seine Berufserfahrung immer wieder benötigt, das eine ist lukrativ und das andere schlecht bezahlt, aber das Lukrative ist mit Mühe und Arbeit verbunden, während das schlecht Bezahlte Spaß macht und Freikarten mit sich bringt. Und außerdem singen an der Oper nicht nur rundliche Tenöre, sondern auch junge Carmens und Paminas. Das ist doch schon mal was wert.

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Also, da muss ich mich der Ehrlichkeit halber korrigieren. Die Pamina ist nämlich auch schon leicht in die Jahre gekommen, aber ein liebes, herzensgutes Mädel, das brav bei seinen Eltern lebt und außer auf der Bühne und außer ihrem Papa keinen Mann je von Nahem erblickt hat, wobei sie vermutlich nicht viel versäumt hat. Seit sie aber gemerkt hat, dass Jordy damit keine Probleme hat, sinkt sie ihm vor und nach jeder Probe und Aufführung an die Brust und lässt sich herzen, und Jordy drückt zurück, bis sie quietscht wie das nur Sopranistinnen können. Na ja, an der Oper wird überall viel geknuddelt und gebusserlt, das gehört zur Oper wie die Mülltonne zum Hinterhof, das sollte man nicht überbewerten. Aber wir sind ja an der Oper in Tokyo, und Japaner geben einander nicht mal die Hand, sondern verbeugen sich nur. Das ist zwar hygienischer, schafft aber eine Aura, die zu durchdringen schon beinahe einen Eingriff in den Intimbereich darstellt. Da sollte es ein pensioniertes Faktotum wie der Jordy schon schätzen, wenn ihm diese holde Prinzessin in ihrem rüschigen Glitterkostüm, wenn sie vom Lampenfieber übermannt wird, zum Decrescendo in die Arme sinkt. Küsschen gibt's natürlich nicht, weil die fingerdicke Opernschminke darunter litte.

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Also, weil wir gerade beim Knuddeln sind: Auch die Carmen ist, wie die Pamina, eine Ex-Studentin von Jordy, und was die Carmen an ihm findet, ist ihm ein bis heute ungelöstes Rätsel. Sie muss ihn nur von Weitem sehen, schon lässt sie Noten und Handtasche fallen, kommt auf ihn zugeschossen wie der Tokaido-Express und fliegt ihm ungebremst um den Hals, auch wenn der gesamte Opernchor dabei zusieht. Sie ist ein ebenso liebes und lediges Kind wie Pamina, und Jordy mag sie aufrichtig, denn Jordydrücken scheint ein spezielles Hobby von ihr zu sein. Nun hat er also mindestens zwei unbemannte Primadonnen zur Hand, die in seinen Armen regelmäßig den Frust ihres Daseins ohne Boyfriend abladen. Nur würde er diesen beiden Mädels um keinen Preis ihre kindliche Zuneigung mit zweifelhaften Ansinnen verderben. Er weiß, dass für solche vom Schmutz der Welt unbefleckten Naturen, die es so wohl nur in Japan gibt, alles andere als ein Verhältnis wie zu einem großen Bruder der Zusammenbruch einer Welt bedeuten würde, und da er kein Al Qaida Freak ist, gedenkt er keineswegs, selbigen herbeizuführen.

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So knuddelt er von Zeit zu Zeit seine Stars an der Oper, gibt ihnen vor der Generalprobe einen freundschaftlichen Klaps, wie man das von Männern so erwartet, sagt, dass er im dunklen Zuschauerraum sitzt und gut aufpasst, und dann weiß er, dass sie im Gefühl, dass da eine Art von Maskottchen wacht, ihren Part ohne allzu heftiges Lampenfieber singen und spielen. Und ansonsten knuddelt er eben seinen Hund, sammelt Mineralien und isst irgendwas Leckeres.

Ich glaube, mindestens sechs Jahre sind es her, seit er zum letzten Mal die Kyonghi aus der Schnarchsack-Episode auf der Matratze hatte, und seitdem lebte er enthaltsam wie ein Benediktiner. Kyonghi ging in der Zwischenzeit nach Wien und dort nur selten in und auch nicht an die Oper, sondern geradewegs ins Studentenzimmer eines Jungtürken namens Murat, also ganz so, wie Jordy sich ihren weiteren Werdegang vorgestellt hatte, und dass der sie dann, als sie dummerweise von Heiraten zu quasseln anfing, aus dem Bett warf und sich eine Türkin angelte, die weder eimerweise Bier säuft noch mit weltlichen Arien seine muslimische Seele malträtiert, hatte Jordy ihr in seinen seltener werdenden Antworten auf ihre Berichte auch schon lange vorher prophezeit.

 Als sie sich ausgeheult hatte und wieder in Japan war, schenkte Jordy ihr eine Freikarte für die "Zauberflöte", aber er hatte noch mehr Freikarten verteilt und dabei vorwiegend junge Damen erfreut, und die kamen, wie sich der Lauf der Dinge und die Sitzreihenfolge der Freikarten nun bisweilen fügt, bei der Aufführung alle nebeneinander zu sitzen, während Jordy hinter den Kulissen die Pamina massierte. Zwei Plätze von Kyonghi entfernt saß eine andere einstige Gesangsstudentin, die sie kannte, und als sie von ihr hörte, dass sie ihre Karte ebenfalls von Jordy erhalten hatte, knallte sie diesem wieder eine wutentbrannte Arie auf den Screen.

"Ich hatte gedacht, du hättest nur mich als deine einstige Geliebte mit einer Freikarte bedacht, und musste feststellen, dass du deine Karten an einen ganzen Rattenschwanz von Weibern verteilt hast. Für dich bin ich anscheinend nur eine von vielen, was ? Hör mal zu, der Murat, der mich da sitzen gelassen hat, ist für mich tausendmal anständiger als du, es war der größte Fehler meines Lebens, mich mit so einem Lumpen wie dir eingelassen zu haben...."

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Originalton Kyonghi, Jordy war ganz gerührt. Aber sein Bedarf an Schmähungen als Dank für Opernfreikarten war im Grunde gedeckt, weshalb er Kyonghis Adresse, Telefonnummer, Mail-Adresse und alles, was er sonst noch von ihr hatte, umweltfreundlich entsorgte und seine Mailbox dahingehend instruierte, Kyonghis Nachrichten direkt in den SPAM-Eimer zu befördern. Und da sie, als sie auf zwei weitere Wutergüsse keinerlei Antwort mehr von ihm erhielt, auch von sich aus den Kontakt einstellte, sollte ihr Name fortan in dieser Episode eigentlich nicht mehr vorkommen. Aber man kann ja nie wissen, was sich die Autoren solcher trivialen Geschichten heutzutage alles ausdenken.

In der vorigen Geschichte gab es noch einen Namen, der während der vergangenen Jahre hoffentlich nicht ganz in Vergessenheit geraten ist. Falls sich der Leser nicht mehr an die zickige Namiko erinnert, die Kleine mit ihren ständig die Farbpalette rauf und runterwechselnden Chamäleonfrisuren, der sollte in der letzten Jordy-Schmonzette noch mal nachlesen. Dass er von dieser kolorierten Sopranistin zum Narren gehalten worden war, das ist inzwischen mehr als 10 Jahre her, und obwohl die heftige Trennung keineswegs dazu angetan war, ihn in guter Erinnerung zu behalten, meldete sie sich immer mal wieder, wenn er ihr bei der Aussprache deutscher Gesangspartien helfen sollte. Natürlich kostenlos. Wenn sie was von ihm wollte, sandte sie ihm eine schwärmerische Mail mit etlichen virtuellen Küssen, und wenn es vorbei war, dankte sie -manchmal- in dürren Worten für seine Hilfe.

Sie hatte an irgendeiner der unzähligen privaten Musikschulen, die Amateuren und angehenden Studenten die Grundlagen der Gesangskunst einzutrichtern versuchen, einen Job als Gesangsinstruktorin gefunden, aber schmiss ihn bald wieder, weil die Schüler "vollkommen unmusikalisch und strohdumm" waren, fing dann aber bei einer anderen, ähnlichen Schule wieder an und schmiss erneut. Danach legte sie sich ein Repertoire von Koloraturrollen zu, und bei "Blonde" (Entführung aus dem Serail) und "Zerbinetta" (Ariadne auf Naxos) musste Jordy sie wieder coachen, und als er mit Verwunderung ihre etwas anzüglichen Blicke bemerkte, meinte er prophylaktisch, dass er ihr gegenüber keinerlei Hintergedanken hege, nur aus alter Freundschaft helfe und ihr viel Erfolg wünsche. So ging das immer weiter. Alle zwei bis drei Jahre meldete sie sich und brauchte irgendeine Hilfe, und eines Tages kam sogar eine Mail auf Deutsch, das ihr bis dahin ein Buch mit sieben Siegeln gewesen war.

"Ich lerne jetzt Deutsch, ich will in Deutschland oder Österreich vorsingen oder mich bei einer Agentur anmelden und vermarkten lassen."  

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Jordys Respekt stieg. Namiko wurde womöglich langsam erwachsen. Auch äußerlich hatte sie sich verändert. Sie färbte ihr Haar nicht mehr, sondern trug es lang und pechschwarz, und dazu kleidete sie sich von Kopf bis Fuß in Schwarz. Wenn sie vor Jordy saß und ihm vorsang, sah er von ihr nur die Hände und das Gesicht, es sah aus, als wollte sie in den Iran reisen anstatt nach Germany. Ihr Talent als Sängerin schätzte Jordy eher als gering ein. Sie hatte zwar eine kräftige Stimme und bekam mühelos nicht nur das hohe C, sondern auch das hohe Fis heraus, und zwar so laut, dass es die Fensterscheiben zum Vibrieren brachte und Jordys Trommelfell schmerzte, aber ihre Gesangslehrer hatten es offenbar frühzeitig aufgegeben, ihr die dazugehörige Technik einzubläuen. Stimmführung, Nuancen, Ausdruck, alles Fehlanzeige. Damit brauchte sie in Deutschland eigentlich gar nicht vorzusingen, und außerdem nehmen die sowieso nur Kandidaten unter dreißig, und eine Agentur würde sie erst recht nicht finden, denn in Europa müssen Sängerinnen auch ein Minimum von Talent aufweisen. Jordy fand es jammerschade, dass sie das nicht selbst bemerkte, aber er war kein Gesangslehrer und wollte sie auch nicht total entmutigen. Schließlich könnte es ja geschehen, dass ihr dort irgendein anderes Glückchen über den Weg läuft.

Ein halbes Jahr später war sie aus Deutschland zurück, vermutlich ohne Erfolg, denn Jordy erhielt im Spätherbst nur eine Mail auf Deutsch, dass sie wieder da sei, aber keine Antwort auf seine Frage, wie es gewesen sei. Namiko war genauso zickig wie früher und beantwortete noch immer nur Fragen, die ihr zupass kamen.

Aber dann, ausgerechnet am nächsten Valentinstag, meldete sie sich aufs Neue. Jordy wollte gerade die Elektronik auf Nachtruhe stellen und ins Bad steigen, da flimmerte auf seiner Mailbox eine Nachricht von Namiko.

"Hallo, wie geht's ? Ich lerne jetzt Französisch. Das ist einfacher als Deutsch. Ich lerne Französisch gern, aber ich habe kaum Zeit und immer viel zu tun. Es fällt mir schwer, mich auf etwas zu konzentrieren. Ich muss bessere Prioritäten setzen. Ich möchte besser leben als jetzt. Und du ?  Millionen Küsse..."

Jordy schwante Unheil. Wenn sie eine kleine Bitte hat, schickt sie "liebe Küsse", bei mittleren Anliegen konnte Jordy meist mit "tausend Küssen" rechnen. Was würde da bei Millionen Küssen wohl auf ihn zukommen ? Eingedenk der Tatsache, dass Namiko ihn noch nie auch nur flüchtig berührt hatte, spottete Jordy in seiner Antwort:

"... und habe die Millionen Küsse in einem Blumentopf vergraben in der Hoffnung, im Spätsommer oder Herbst dann zwei oder drei echte ernten zu können..."


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Immerhin sah Namiko, die inzwischen auf die 35 zuging, immer noch ganz flott aus, und Jordy war in den letzten Jahren als Phantom der Oper zwar immer wieder abgeknuddelt, aber weder von irgendeinem drallen Weib noch von einer Muse geküsst worden. Noch in der Nacht rückte Namiko mit ihrem wahren Anliegen heraus. Für Jordy kam es, das kann man wohl sagen, ziemlich unerwartet. Am andern Morgen, als er die Mailbox aufmachte, las er nämlich auf dem Display:
"Hallo Jordy, hast du die Millionen Küsse schon alle eingepflanzt ? Wie geht's dir so ? Ich möchte ein neues Leben anfangen. Immerzu alleine vor mich hinleben hab ich satt. Bitte steh mir bei. Deine humorvollen Mails sind ein echter Trost. Es gibt nicht viele nette Leute auf der Welt. Ich suche jemanden, der so klug, freundlich, organisiert und clever ist wie du, um mit ihm Freude und Leid zu teilen. Ich habe gehört, dass man in Frankreich solche Leute als Freund auf Zeit mieten kann. Für 3 Stunden oder für einen Abend. So ein Service, der würde mir gefallen ! Machen Deutsche sowas auch ? In letzter Zeit schlafe ich schlecht vor lauter Stress. Hier auf dem Land außerhalb von Tokyo zu leben hängt mir zum Hals raus. Kann ich nicht bei dir in Tokyo wohnen ? Im Moment ist der Platz neben mir im Bett frei... Wenn du Lust hast, miete ich dich als Freund auf Zeit, wie wär's ? Darf ich dir weitere Mails schicken ? Hältst du zu mir ? Ich warte auf deine schnelle Antwort. Bin ganz gespannt, gespannt, gespannt....                  
Namiko"


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Weißt du noch, lieber Leser, welche drei Aufgaben sich Jordy einst bei Namiko zu lösen vorgenommen hatte ? Und wie er sie verbaselt hatte ? Jetzt, 11 Jahre später, pries Namiko ihn als klug (haha !), freundlich (hihi !!), organisiert (hoho !!!) und clever (huhu !!!!), bot ihm die Lösung und einen Platz in ihrem Bett auf dem Silbertablett an, und im nächsten Kapitel erzähle ich dir, wie Jordy darauf reagierte. Oder errätst du es schon ?

Ist ja nicht sonderlich schwer.

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