Im 8.Semester wurde Seryna zusehends schwermütiger.
"Noch
ein paar Monate, dann ist mein Studium zu Ende. Wenn ich dran
denke, dass ich dich dann nicht mehr regelmäßig sehen kann,
wird mir schwarz vor Augen. Ich muss die Aufnahmeprüfung zum
Magisterkurs bestehen, das ist eine Überlebensfrage für mich!"
In den
Magisterkurs werden nur die Besten des Abschlussjahrgangs
aufgenommen. Schließlich erwirbt man damit die Berechtigung,
Hochschullehrer zu werden. Jordy schätzte Serynas Chancen nicht
allzu hoch ein. Als Klarinettistin schien sie zwar recht tüchtig
zu sein, denn mehrfach war sie von Dirigenten auswärtiger
Orchester, die sie spielen gehört hatten, zu Gastspielen
angeheuert worden. Aber den Zugang zum Magisterkurs erschwert
auch noch eine Fremdsprachen-Prüfung, bei der Seryna wagemutig
das Fach Deutsch gewählt hatte. Auf die Prüfung konnte und
wollte Jordy keinen Einfluss nehmen, das lag in alleiniger
Kompetenz der japanischen Kollegen. Als Seryna ihn nach der
schriftlichen Prüfung fragte, was eigentlich Campingfreunde in
einem musikhistorischen Text zu bedeuten hätten, verstand er
nicht, was sie meinte.
"Da
kam im Zusammenhang mit Goethe und Schubert das Wort Zelter vor. Im Wörterbuch hab ich nur
Zelt,
Zeltlager
und Zeltstangen gefunden. Da hab ich mir
gedacht, das muss wohl ein Camper sein."
Jordy
schwante Entsetzliches.
"Von
Goethes Freund, dem Komponisten Carl Friedrich Zelter,
hast du wirklich noch nie was gehört?"
Sie guckte
Jordy verblüfft an und wusste nicht, ob sie lachen sollte oder
weinen. Dann obsiegte die Enttäuschung, und mit Tränen in den
Augen sagte sie nur traurig:
"Na
ja, ich hab jedenfalls mein Bestes gegeben. Ich habe bei der
Prüfung immer nur gedacht, ich muss, ich muss, ich muss es
schaffen. Ich habe mich wahnsinnig angestrengt und konzentriert.
Damit ich bei dir bleiben kann. Und dann so ein blöder
Schnitzer.... Das war's wohl, Magisterkurs ade."
Sie war so
niedergeschlagen, dass sie ihm zutiefst leid tat. Er war sehr
lieb zu ihr, um sie aufzuheitern, und Seryna fand im Hotelzimmer
auch langsam ihre Fassung wieder. Schließlich konnte sie sogar
darüber lachen.
"Das
Gesicht des Profs, wenn der meine Übersetzung liest, möchte ich
sehen", scherzte sie, als sie aneinander geschmiegt von den
Leibesübungen ausruhten. Der dämliche Zelter spukte ihr aber
weiterhin durch den Kopf und riss sie immer wieder unversehens in
Abgründe von Traurigkeit.
Zehn Tage später aber war alles
vergessen. Ihr Name stand auf der Liste derjenigen, die das
Examen bestanden hatten. Sie konnte es nicht fassen. Jordy auch
nicht. Aber als er später von seinem japanischen Kollegen
hörte, dass bei anderen Prüflingen sogar Gustav Mahler zu einem
Kollegen von Picasso mutiert war und Serynas Camper zu den eher
harmlosen Streichen gehörte, wunderte es ihn nicht mehr. In
ihrem Hauptfach Klarinette hatte sie immerhin die zweitbeste
Prüfung hingelegt.
"Dir
zuliebe, und ein bisschen auch für meine Klarinette ....",
schwärmte sie überglücklich. "Wie froh bin ich, meiner
Mutter bewiesen zu haben, dass mein Studium, vor allem im Fach
Deutsch, tatsächlich Erfolge bringt! Was würde ich sonst
womöglich alles zu hören bekommen! Jetzt hab ich zu Hause
einen Super-Stand, und wir beide können jedenfalls noch zwei
Jahre länger zusammen bleiben!"
Jordy
wusste nicht, ob er sich darüber freuen sollte. In stillen
Stunden überkam ihn bisweilen ein Seufzer, ohne dass er wusste,
weshalb. Und wenn er darüber nachdachte, merkte er, dass Sumiko
ihn wieder einmal im Herzen zwickte. Wie glücklich hätte er
eigentlich sein müssen mit einer so einmaligen Liebe, wie Seryna
sie ihm angedeihen ließ! Und trotzdem war er im Grunde immer
noch unglücklich verliebt in ein ganz anderes Mädchen. Gut,
dass Seryna davon nichts wusste. Ihre Seligkeit wäre ihr sonst
wohl vergällt gewesen. Aber Jordy musste sich eingestehen, dass
er ohne Seryna noch viel untröstlicher gewesen wäre.
Es heißt
ja, dass jede noch so heiße Verliebtheit nach spätestens vier
Jahren abklinge. Das gab Jordy doppelte Zuversicht. Zum einen
würde dann auch Sumiko sein Herz nicht mehr so fest im
Schwitzkasten halten wie jetzt, und zum andern dürfte auch
Serynas Glut inzwischen ihre Halbzeit erreicht haben. In zwei
Jahren, wenn sie endgültig als Klarinettenmagisterin die
Akademie absolvierte, würde die Trennung dann undramatisch
vonstatten gehen. Schließlich würde sie ihre Talente nicht nur
auf ihn vergeuden, sondern auch anderswo auf Franzschau gehen
wollen. Ihr Schwesterlein Sumiré war ihr mit gutem Beispiel
vorangegangen. Genau vier Jahre lang hatte sie mit ihrem Hiroshi
die Matratzen geplagt, während Seryna Jordy getreu über jede
ihrer Capricen auf dem Laufenden gehalten hatte; kein
Sumiré-Orgasmus war ihm entgangen, und wenn Hiroshi mal
Ladehemmung hatte, war Jordy der erste, der die Neuigkeit erfuhr.
"Nun
ja, die sind auch schon beinahe ein altes Ehepaar, da ist das
normal", kommentierte er es in dem Bewusstsein, dass Seryna
seine Auffassung stracks an Sumiré weiterreichen würde.
"Die
sind aber auch praktisch Tag und Nacht zusammen gewesen. Richtig
neidisch konnte man da werden!"
Bei Jordy
kamen keine Neidgefühle auf, wenn er daran dachte, wie
strapaziös bereits ein zweistündiges Zusammensein mit Seryna in aller
Regel war.
Jedenfalls
hatte Sumiré urplötzlich die Lust an ihrem Gefährten verloren.
Die genauere Ursache war offenbar ein cooler Typ aus Osaka, der
ihr irgendwie zugelaufen war und den sie jetzt schwärmerisch
anhimmelte. Und wuppdich hatte sie ihrem langjährigen
Bettgenossen den Laufpass erteilt. Der Gute verstand die Welt
nicht mehr. Er hatte sich auf ewig mit Sumiré verbandelt
gewähnt, und sie war einfach umgestiegen, und zwar in den
Superexpress nach Osaka, mit dem sie Wochenende für Wochenende
zu ihrer neuen Errungenschaft ins Bett rauschte und der
Eisenbahngesellschaft zu satten Einnahmen verhalf. Allerdings
musste ihr neuer Herzbube gegenwärtig einen Lehrgang
absolvieren, bei dem er keinen Damenbesuch empfangen konnte. Zwei
Monate lang musste er wie ein Mönch leben und büffeln. So lud
Jordy sie an einem Abend, an dem er frei hatte, zusammen mit
Seryna zum Essen ein, um sie ein wenig aufzuheitern.
Sumiré
war niedlicher als auf den Fotos, sehr jung und zierlich, aber ebenso vollbusig, mit
langen, hellbraun gefärbten Haaren. Ein Girl, wie man es in den
Discos in Shibuya antrifft, aber nicht an staatlichen Akademien.
Seryna nahm sich neben ihr beinahe erwachsen und ziemlich mollig
aus. Und gab mächtig an mit Jordy, um ihre Grufti-Manie vor
ihrer kleinen Schwester, die sich mit Männern weidlich
auskannte, zu rechtfertigen.
"....
und sein Profil, hinreißend, findest du nicht? Und die Haare,
so kuschelweich, das gibt's bei japanischen Männern nicht, fass mal an!"
Sumiré
fummelte ihm, mit Serynas Erlaubnis, --- Jordy wurde nicht
gefragt ---vor allen Leuten im Lokal durchs Haar, als sei er ein Koala-Bär.
"Die
Haare sind echt flauschig, aber ..... Potchis Haar ist
weicher."
Kritik an
Jordy duldete Seryna nicht.
"Du
ahnst ja gar nicht, wie toll sich sowas anfühlt. Nicht mit
der Hand, meine ich."
Seryna redete sich in Rage.
"Auf
der Haut, da kriegst du fast einen Orgasmus, wenn er dir mit dem Haar über den Po oder Bauchnabel streicht......"
Sumiré
machte ein ungläubiges Gesicht. "Das kitzelt doch
höchstens."
"Überhaupt
nicht, im Gegenteil, es ist ein echt geiles Gefühl. Du solltest
es mal probieren."
"Danke
sehr, aber dem Tomo will ich treu sein. Ich hab's ihm
versprochen. Einmal im Leben wenigstens will ich mich
zusammenreißen. Danke fürs Angebot."
Jordy saß
dabei und grinste sich eins. Wie Seryna ihn anpries und feilbot,
war höchst belustigend. Sie behauptete zwar, nicht eifersüchtig
zu sein und nichts dagegen zu haben, falls Sumiré ihn mal für
eine Nacht ausleihen wollte, aber das hatte nichts zu besagen.
Schon wenn sie nur den Namen Sumiko hörte, war es mit ihrer kühlen
Contenance vorbei. Sumiré erzählte, dass Seryna nach dem ersten
Seminar, als sie erfahren hatte, dass Jordy in ein anderes
Mädchen verliebt sei, nächtelang durchgeheult habe. Von wegen
und nicht eifersüchtig....
Die
Sommerferien verbrachte Jordy in Deutschland. Seryna drohte zwar,
sie werde vor Kummer und Sehnsucht garantiert sterben, aber als
er sie nach der Trennung wiedersah, schien sie ihm lebendiger als
je zuvor. Sie hatte in der Zwischenzeit ihren Führerschein
gemacht.
"Ich
hab 96 von 100 Punkten gekriegt bei der Prüfung. Der Fahrlehrer
hat mich zum Essen eingeladen, weil ihm mehr als 90 Punkte erst
einmal im Leben vorgekommen sind."
Sie
strahlte und schwenkte ihre Lizenz. Jordy wusste es ja, dass sie
ein Multitalent war. Spielte Orchesterpartituren direkt vom
Blatt, turnte im Bett wie eine Ballerina und würde demnächst
vermutlich mit Papas Auto vor Jordys Wohnung aufkreuzen. Warum
hatten die Musen ihr nur Fremdsprachen-Talente missgönnt?
Nicht nur
mit dem Fahrlehrer war Seryna ausgegangen während Jordys
Abwesenheit. Mit einem anderen verheirateten Mann, einem
japanischen Kollegen am Konservatorium, hatte sie sogar eine
Reise in ein Thermalbad unternommen. Dass Profs mit Studentinnen
zu zweit zur Kur fahren, ist nicht nur in Deutschland unüblich.
"Du
nimmst mich ja nicht mit auf Reisen. Wie viel lieber würde ich
mal mit
dir
fahren!"
In
japanischen Herbergen schlafen Leute, die zusammen einchecken,
grundsätzlich im selben Zimmer. Es gibt eh keine Betten, die
Futon-Matratzen werden auf den Boden gebreitet. Jordy wollte gar
nicht wissen, was da in der Nacht vorgegangen war, schließlich
war er nicht mit Seryna verheiratet.
"Nichts
ist gewesen. Der hat sich benommen. Ich hätte mir auch jede
Annäherung verbeten!"
Dass
Seryna sich männliche Annäherungen verbittet, konnte sich Jordy
nicht vorstellen, und dass sie eine Weltmeisterin im Flunkern und
ziemlich stolz darauf war, das war ihm ebenfalls bekannt. Wer
weiß, was sie ihren Eltern vor der Reise erzählt hatte. Jordy
war jedenfalls längst auf alles gefasst, und da er sie sich
ohnehin nur als Frust-Therapeutin hielt, weil sie so
anschmiegsam, jung und kopulierfreudig war, ließen ihn ihre
Aventüren eigentlich recht kalt. Sie hätte ihm ruhig erzählen
können, mit wem sie wann, wo und wie ihre Nächte verbrachte.
Owohl sie
sich trotz aller Dementis wohl solcherart anderweitig Abwechslung
verschaffte, spielte sie Jordy noch immer, wenn auch mit
abnehmender Überzeugungskraft, ihre Komödie der großen,
einmaligen Verliebtheit vor. Überdies kaufte sie sich jetzt
wieder öfter, Sumirés Vorbild folgend, neue Sets von
Reizwäsche, um ihm --- oder wem sonst auch immer --- Abwechslung
zu bieten. Jordy dankte es ihr mit konstanten Leistungen zwischen
den Kissen, die ihm leicht fielen, weil er mit Seryna nicht allzu
oft zu Bett-Aerobics antrat, und nach jeder Begegnung hatte er
wieder ein paar Tage Regenerationsfrist.
Serynas
Pläne reichten indes über die Jahrtausendwende hinaus.
"Wenn
ich mit der Akademie fertig bin und nicht gleich eine gute Stelle
finde, werden meine Eltern mich zum Heiraten drängen. Dann nehme
ich irgend einen karrierewütigen Arbeitsmenschen, und wenn der
tagsüber im Büro ist, können wir beide uns in aller Ruhe
treffen, wie findest du das?"
Echt
Seryna fand Jordy das. Dass sie schon plante, ihren Mann zu
betrügen, bevor sie ihn überhaupt kennen lernte.
"Du
träumst anscheinend davon, mir noch den Hintern abzuwischen,
wenn ich 90, senil und bettlägerig bin."
"Wenn
du 90 bist, bin ich 64, das passt doch gut zusammen, oder? Aber
dann wird dir sicher was Jüngeres lieber sein."
"Jaja,
dann dürfte deine Enkeltochter genau das richtige Alter für
mich haben", grinste er. Seryna war manchmal wirklich zu
drollig. Er würde ihr mal was Feministisches zu lesen geben
müssen, damit sie endlich erwachsen wird. Es konnte doch nicht
angehen, dass sie nur damit glücklich wird, Männern zu Diensten
und zu Willen zu sein. Aber vermutlich lag ihr
Matratzen-Akrobatik mehr als Denk-Akrobatik.
Jordy hatte geglaubt,
dass nur Leute in seinem Alter zäh vor sich hinlebten, während
junge Leute von einem Thrill zum nächsten karriolten, so wie er
es von seiner eigenen Jugendzeit her kannte. Seryna indes
richtete es sich, sofern keine einschneidenden Änderungen von
außen auf sie zukamen, gemütlich ein in ihrer kleinen Welt
zwischen Fernseher, Notenständer, Franz und Klarinette, und
mampfte Gummibärchen. Drei Jahre waren vergangen, 350 Nummern
(laut Seryna-Statistik) vollbracht, längst war Jordy zum
ausdauerndsten Liebhaber in ihrem jungen Leben aufgestiegen.
Seine Annahme, sie nach spätestens drei Monaten an einen
schnieken Nachfolger weiterreichen zu können, hatte sich als
gewaltiger Irrtum entpuppt: Seryna schmiedete Pläne für ihr
Zehnjahresjubiläum mit Jordy. Nun setzte er seine Hoffnungen auf
den Tag, an dem sie die Akademie verlassen würde, denn sie erwog
wieder ernsthaft, ihr Studium anschließend ins Ausland zu
verlegen, aber schon im ersten Jahr im Magisterkurs dachte sie
daran, noch ein drittes Jahr dranzuhängen; dann würde sie auch
die Magisterarbeit, vor der ihr graute, noch ein wenig vor sich
herschieben können.
"Schließlich bin
ich keine Gelehrte, sondern Bühnenkünstlerin. Dass auch
Künstler kluge Aufsätze verfassen sollen, halte ich für eine
Zumutung. Es reicht doch, gut Klarinette zu spielen",
entrüstete sie sich immer mehr, je näher der Zeitpunkt
heranrückte, an dem sie die Bibliothek nicht nur zu Rendezvous-,
sondern auch zu Studienzwecken aufsuchen müsste.
Jordy konnte ihr da
nicht beipflichten. Den Magisterkurs hatte sie sich schließlich
selber eingebrockt.
"Je schneller du
dich dransetzt, desto eher hast du's hinter dir."
"Und dann bin ich
Magisterin und dich los, nicht wahr? Und du freust dich wohl
schon drauf?"
Das war gewiss nicht
der Fall, aber tieftraurig würde Jordy wohl auch
nicht gerade sein.
"Deine Eltern
zahlen deine teuren Studiengebühren doch nicht, damit du dich so
lang wie möglich mit deinem Deutschlehrer amüsieren kannst.
Bald bist du 25 und noch immer Studentin, und wenn du in Canada
noch weiterstudierst, wann willst du eigentlich Musikerin werden?"
Darauf angesprochen zu
werden mochte Seryna nicht. Das hörte sie zu Hause vermutlich
auch. Aber das hatte sie davon, dass sie sich Lehrer ins Bett
holte. Die müssen halt immer erst mal dozieren, bevor sie
sündigen.
Jordy ließ ab von dem
Thema, das ihr die Laune verdarb. Vorerst war sie ja noch
Studentin.
Peinlich genau hielt
sie sich an das japanische Brauchtums-Manual: Zu Weihnachten und
zu Neujahr, zum Geburtstag und zum Valentinstag bekam Jordy
zuverlässig, was man so von japanischen Freundinnen bekommt, und
zwischendurch ab und zu auch mal ein Liebesbriefchen, in dem aber
selten etwas Neues oder Aufregendes stand. Und wenn Seryna sich
was Besonderes ausdachte, bekam er wieder eine Gänsehaut: Er
entfaltete das veilchenduftende Papier und fand auf DIN A 4
Format 23 rote Herzen aufgemalt, mit jedem ihrer zahlreichen
Lippenstifte eines, samt Lippenstift-Fettrand. Trotz ihres
langsam abkühlenden Jordy-Fiebers dachte Seryna nicht daran, ihn
entwischen zu lassen, denn immer jemanden zum Kuscheln zur Hand
zu haben, war ganz bequem. Sie hatte sich mit ihrer Stellung als
Mätresse eines alternden Ausländers arrangiert und unternahm
wenig, sich etwas Geeigneteres aufzutun. Allenfalls zwischendurch
mochte sie sich mit kleinen Intermezzi Kurzweil verschaffen,
achtete aber darauf, Jordy nicht zu vergrätzen, obwohl diese
Vorsicht wirklich unnötig gewesen wäre. Was juckte es ihn, von
wem sie sich sonst noch begatten ließ? Bedauerlich war nur,
dass ihr einstiger Ideenreichtum von der Bequemlichkeit
eingelullt worden war, denn ihre Bettkapriolen waren durchaus
spannend und amüsant gewesen. Nur im Bad war noch keine Routine
eingekehrt; manchmal hatte Jordy sogar den Verdacht, dass sie nur
noch mit ihm ins Bett stieg, um hinterher ein neues Badegewürz
auszuprobieren.
Manchmal plantschte sie in einer öligen Brühe
--- "gut für die Haut!" ---, dann streute sie ein
Pulver rein, das aufquabbelte, das Badewasser in eine Art
Sagosuppe verwandelte und exzellent für die Haut sein sollte.
Beim nächsten Mal packte sie eine Flasche Beaujolais aus, um das
Bad pink zu färben, denn in irgend einer Zeitschrift hatte
gestanden, dass auch Rotwein gut für die Haut sei.
"Wenn ich nach
Hause komme, kriege ich gesagt, ich stinke nach Alkohol",
wehrte Jordy ab, als sie ihn ins Weinbad ziehen wollte, aber sie
hatte das Gegenmittel schon parat.
"Hinterher
schlafen wir doch nochmal miteinander", schmeichelte sie
siegessicher, " und danach gehen wir dann noch einmal ins
Bad. Dafür habe ich noch ein anderes Badeöl mitgebracht."
Sie packte drei Plastikpinguine aus.
"Die sind aus
Canada. Und lösen sich in heißem Wasser auf. Ist ganz prima
für die Haut."
Jordy überlegte, ob er
ihr erzählen solle, wie gut die deutsche Grammatik für die Haut
sei. Aber dann behielt er das Geheimnis doch für sich.
Die erwähnten
Gummibärchen hatte er ihr übrigens aus Deutschland mitgebracht,
mehrere Pfund. Sie wollte nichts anderes. Und Haribo-Goldbärchen
mussten es sein, andere Produkte verschmähte sie. Sie war so
gummisüchtig, dass sie sich für jedes einzelne Bärchen willig
flachlegte.
"Ich überlege
ernsthaft, ob ich mich nach dem Studium nicht in Deutschland bei
der Firma Haribo bewerben soll. Das wäre mein Ideal."
Man sah Seryna die
Schleckereien allmählich an. Erstaunlicherweise war jedoch ihre
Taille noch immer perfekt. Die Gummibärchen lagerten sich
überwiegend an den Oberschenkeln ab. Wenn sie in gut taillierten
Minikleidchen einhergestöckelt kam, drehten sich etliche Männer
zwar noch um nach ihr, aber als zierliche Japanerin konnte man
sie schwerlich bezeichnen. Wenn sie nackt vor dem Spiegel stand
und Jordy ihr rundes Hinterteil zudrehte, musste er an Rubens
denken, und dass sie ihre langen Haare, die das breite Gesicht
etwas schmaler gemacht hatten, nun kurz geschnitten hatte, wirkte
sich auch nicht unbedingt nur vorteilhaft aus.
Von unvergänglichem
Wert waren also nur Serynas Talente. Nachdem ihre erotischen
Fertigkeiten schon gebührend gewürdigt worden sind, gestatten
wir uns einen Blick auf ihr künstlerisches Können. Zu ihren
Konzerten bekam Jordy stets eine Freikarte. Und wenn sie was
Modernes spielte, kaufte sich Jordys Frau auch ein Ticket und kam
mit, denn ihr hing ebenso wie ihm das ewige
Beethovenmozartschubert-Allerlei, auf halbreifem Studiker-Niveau
dargeboten, schwer zum Hals raus. Aber wenn Zoff auf der Bühne
war, wenn es da zirpte, rattelte, gongte und quietschte, konnte
die klassische Musik, die andernfalls von drittklassigen
Konzertanten vollends zu Tode geleiert würde, auch richtig Spaß
machen.
Jordys Frau ahnte
natürlich nichts von seinen außerschulischen Verstrickungen mit
der Virtuosin, die ihm die heutige Konzertkarte verehrt hatte.
Das Ehepaar strebte dem Saal zu, der sich, wie so oft in Tokyo,
im 8.Stock eines Geschäftshauses befand, stieg zusammen mit
anderen Leuten in den Fahrstuhl und ---- Jordy stockte der Atem:
Auge in Auge mit ihm, die Nasenspitzen berührten sich fast in
der Enge des Lifts, stand da Sumiré plötzlich vor ihm, Serynas
kleine Schwester, die er erst vor zwei Wochen zum Essen
ausgeführt hatte. Und dicht eingezwängt stand direkt neben ihm
seine Frau. Eine Hitzewelle jagte ihm durch den Kopf, PANIK, PANIK! Er könnte sagen, das sei eine
Studentin von ihm, wenn Sumiré ihn anspräche, aber was tun,
wenn sie sagte "schönen Dank auch für die Einladung zum
Essen mit Seryna, es war ein netter Abend..."? Kein einziges
noch so leise gewispertes Wörtlein würde seiner Frau entgehen.
Sumiré verzog keine
Miene. Sie guckte durch Jordy hindurch, als sei er Luft. Sie
zuckte nicht mal mit den Augenwinkeln. Jordy zweifelte einen
Augenblick sogar daran, ob sie es wirklich war.
Der Konzertsaal war
klein, und Sumiré saß nur wenige Reihen vor ihm. In der Pause,
als seine Frau mal kurz rausging, drehte Sumiré sich um,
zwinkerte Jordy zu und grinste. Er war gerettet. Das Konzert war
ein Erfolg und machte Spaß.
"Ist ja logisch,
wir sind doch Schwestern!", prahlte Seryna, als Jordy beim
nächsten Treffen Sumirés Kaltblütigkeit pries. Aber das war
wirklich Extraklasse gewesen, er konnte ihre Geistesgegenwart nur
aufrichtig bewundern.
"Die wollte
eigentlich von zu Hause ausziehen und mit ihrem Freund in Osaka
zusammenleben. Aber letzte Woche kam er zu uns und hat sich
meinen Eltern vorgestellt. Nun wird anscheinend doch nichts
draus."
"Haben deine
Eltern was gegen ihn?"
"Eigentlich nicht,
aber der hat nie genau gesagt, was sein Vater eigentlich macht;
jetzt musste er aber damit rausrücken. Sein Alter ist bei den
Yakuza, der japanischen Mafia, und Tomo selber
auch, als Azubi."
'Wo bin ich da nur
hineingeraten?', fragte sich Jordy schon wieder.
"Sumiré war
schockiert und will es sich nochmal überlegen. Auch die Eltern
haben konsterniert aus der Wäsche geguckt. Die Mutter ist strikt
dagegen, aber der Vater meint, naja, wenn es denn wahre Liebe
ist.... Aber da kann man bei Sumiré nie so sicher sein."
Vielleicht war es ja
doch wahre Liebe. Tomo versprach, sich von den Yakuza
loszukaufen, und Sumirés Ersparnisse wanderten zu diesem Zweck
samt und sonders in die Kassen der Mafia, und darüber hinaus
hatte Tomo noch einen gewaltigen Kredit aufnehmen müssen, den er
mit ehrbarer Arbeit abzutragen gedachte. Kurze Zeit später
heiratete sie ihn und zog zu ihm nach Osaka. Seryna erbte
Sumirés Zimmer, ihre Pornos und, weil Sumiré nunmehr Hausfrau
und Mutter werden wollte, auch die gewagtesten Stücke aus ihrer
Reizwäsche-Kollektion. Und als Zugabe auch noch Sumirés Handy.
Jetzt hatte Jordy kaum noch Kommunikationsprobleme. Zumindest
konnte er sie auch in den Ferien immer erreichen, wenn er mal
freie Zeit und Lust auf ihre Rundungen hatte. Dann erzählte sie
ihrer Mama was, setzte sich in Papas Limousine, brummelte zu ihm,
packte ihn in den Fond und lieferte ihn im nächsten Stundenhotel
ab. Dort präsentierte sie ihre Hotstrings und andere Lingerie,
und wenn der sportliche Teil des Wiedersehens vorüber war,
konnte sich Jordy auf neue Gags rund um die Badewanne gefasst
machen. Zur Abwechslung spielte sie dann zum Beispiel
Soapland-Hostess und wusch ihm den Rücken, wobei sie anstelle
des Schwammes zum Einseifen ihr Mushi-Haar und statt des
Waschlappens zum Abrubbeln ihre saftigen Brüste zum Einsatz
brachte, vor Wonne dabei unablässig kichernd.
"Was die
japanischen Studentinnen alles für ihre Profs tun! In
Deutschland ist solch ein Service auch bei sehr dankbaren
Studentinnen nur selten üblich."
"Ich tu noch viel
mehr für dich", nuschelte sie mit vollem Mund, denn schon
war sie damit beschäftigt, auch den Franz zungenfertig zu
polieren. In einem altjapanischen Kompendium der Erotik wird
diese Methode zur Vorbeugung vor Geschlechtskrankheiten
ausdrücklich empfohlen, aber diese Belesenheit sah man Seryna
nun wirklich nicht an.
Im Bett kuschelte sie
sich in Jordys Arme und erzählte ihm den allerneusten Tratsch
aus der Schule.
"Der Suzuki, der
Kontrabass-Prof, ist doch schon bald sechzig, und die Kleine, die
er sich momentan hält, ist genauso alt wie ich. Und alle wissen,
dass er mit seiner Studentin schläft, und niemand regt sich
groß auf. Und dass die Sopranistin Mieko den Kompositionsprof
Higashi, der demnächst pensioniert wird, wegen ihrer
Examensarbeit über Richard Strauss intensiv konsultiert hat und
anschließend mit ihm zusammen nach Griechenland gereist ist,
lässt sich nicht allein damit erklären, dass Strauss die
"Elektra" vertont hat. Der Frau Higashi würde diese
Begründung vermutlich kaum einleuchten, wenn sie erführe, dass
ihr Alter seine Bildungsreisen in Begleitung einer 23jährigen
Sängerin unternimmt. Du hast sicher auch schon gehört, dass der
Prof Muto, dieses hässliche alte Ekel, hinter der Hidemi, der
einzigen Studentin im Männerfach Dirigieren, her ist wie ein
Stalker, sie sogar abends von der Disco abholt und nach Hause
fährt, gelb vor Eifersucht, wenn sie da mit flotten Jungs
getanzt hat. Und ihre Eltern müssen sich mit der albernen
Beziehung ihrer Tochter zu dem geilen Brillenzwerg abfinden, denn
ohne den wäre die Hidemi mit ihrem kläglichen Talent nie in die
Akademie reingekommen, und ins Fach Dirigieren erst recht nicht.
Die kann ja kaum Noten lesen! Und den Muto kann sie garantiert
genauso wenig ausstehen wie wir alle, aber jetzt hat sie ihn am
Hals und mit Sicherheit auch im Bett, so lange ihr Studium
andauert und sein verfettetes Cholesterin-Herz mitmacht. Dagegen
ist unsere Liebe doch super, und
angesichts der Bräuche in der Musikfakultät auch alles andere
als außergewöhnlich. Immerhin habe ich mir den besten Prof
ausgesucht, meinst du nicht? Und von unserer Liaison ahnt
wirklich kein Mensch was...."
Na ja, wie lange noch?
Jordy murmelte nur immer ja, ja, bis ihr die Augen zufielen. Und
hinterher jammerte sie, dass die Zeit des Treffens so schnell
vorübergegangen sei.