Obwohl Jordy für
Seryna tat, was er konnte, wuchs ihre Unzufriedenheit in dem
gleichen Maße, in dem ihre Liebesglut abkühlte. Zu den Treffen
kam sie regelmäßig 15 Minuten zu spät und erschien auch immer
öfter in Jeans anstatt im Minirock. Dabei kannte sie seine
Vorlieben bestens. Aber damit wollte sie ihn ihre Frustration
spüren lassen. In Jeans machte sie jedoch nur dem marokkanischen
Freund von Tokiko den Mund wässerig, denn der stand auf üppige
Hinterteile und wollte mit juckenden Fingern allzu gerne auch mal
bei Seryna richtig hinlangen. An der schmalen, überaus
zierlichen Tokiko war in der Tat nichts Ebenbürtiges zu finden.
Man sollte es mal mit Partnertausch versuchen, ging es Jordy
durch den Kopf.
"In den Ferien
vergehen manchmal glatt zwei Wochen, ohne dass wir uns richtig
treffen können. Mushi ist schon beinahe tot", klagte Seryna
vorwurfsvoll. Dabei konnte Jordy an ihrer Mushi keinerlei
Anzeichen von Leichenstarre feststellen. Im Gegenteil, sie war
quietschlebendig, wenn immer er sie besuchte.
"Nein, nein,
diesmal ist sie wirklich mausetot. Du hast dich zwei Wochen lang
nicht um sie gekümmert. Schließlich verlangt eine Mushi von
ihrem Herrchen mehr Pflege als ein Tamagotchi."
"Na, dann lass
mich mal nach deinem Mushigotchi schauen, ich kenn mich da aus,
ich hab schon manche scheintote Mushi wieder flottgemacht."
"Nein, nein, jetzt
ist es zu spät. Übermorgen findet die Beisetzung statt. Und du
wirst gar nicht eingeladen, höchstens der Franz."
Am gleichen Abend, auf
dem Heimweg von einer Veranstaltung, lenkte Jordy seinen Wagen
nach Ichikawa. Abends führte Seryna immer ihren Potchi
spazieren. Sie hüpfte zu ihm rein, und Potchi durfte an dem
Ausflug zum nächtlichen Flussufer teilnehmen. Die Feldwege dort
kannte er noch nicht. Seine Freude währte freilich nicht lang,
denn als der Wagen auf einem stillen, dunklen Seitenweg zum
Stehen kam, begann keine aufregende Karnickel-Hatz; Potchi wurde
an einem Weidepflock festgebunden, und danach klappte Seryna den
Liegesitz runter und knöpfte sich, während Jordy noch an ihrer
Bluse fummelte, eigenhändig die Jeans auf. Und Potchi musste das
Auto bewachen, das wie auf hoher See zu schaukeln begann. Jordy
wusste ja, was dem Mädchen gefiel. Und ihm auch.
"Mein erster
Auto-Sex", schnaufte Seryna. "War ganz amüsant, das
sollten wir öfter probieren."
Jordy war
einverstanden. "Übrigens, die Beerdigung kannst du getrost
absagen. Mushi war selten lebendiger als heute."
"Ich hätte
schwören können, sie sei schon verschimmelt. Wenn ich an
Wochenenden all die glücklich turtelnden Pärchen ringsum sehe,
bin ich einfach todunglücklich und neidisch. Ich hab zwar einen
tollen Freund, aber was hab ich von dem, wenn er nie da ist? Das
Risiko, dass Mushi demnächst wirklich entschlummert, solltest du
lieber nicht eingehen. Wärst du dann nicht auch traurig?"
Das wäre Jordy in der
Tat. Aber das Risiko, dass seine Frau ihnen auf die Schliche
käme, schätzte er höher ein. Das sah auch Seryna ein, doch
wenn sie danach wieder mehr als zehn Tage lang Küssen und Kissen
entsagen musste, linderte diese Erkenntnis ihre Frustration
wenig. Sie brauchte eben ständig jemanden zum Knuddeln, eine Art
großes Gummibärchen, das sie drücken und ablutschen konnte.
Wenn sie sich an Jordy schlang und mit seligem Lächeln
einnickte, hatte sie augenscheinlich ihr Paradies auf Erden
erreicht. Er war ein flauschiges Knuddeltierchen für sie, das
sie zum friedlichen Einschlafen brauchte. Er musste nur
aufpassen, dass sie die Hotelaufenthalte nicht ausschließlich
zum Schlafnachholen auf seine Kosten nutzte. Wenn sie sich gleich
nach der ersten Nummer an ihn drückte und einpennte, hatte der
Franz nämlich Langeweile. Also schob Jordy sich sachte auf ihren
weichen Körper, bis der Franz in die Mushi glitschte, und wiegte
sie dann genüsslich in sanft schaukelnde Träume. Genießerisch,
langsam. 15 bis 20 Minuten lang verging er sich lustvoll an dem
jungen Mädchen, das unter ihm so wehrlos dalag, als hätte es
ein Schlafmittel im Leib. Wenn er anschließend genügend geruht
hatte, entspannt war und sie vor dem Fortgehen noch einmal
vernaschen wollte, weckte er sie, damit sie noch ihre Wasch- und
Baderituale mit ihm zelebrieren konnte. Dafür bekam sie auch
einen blitzsauberen Franz abzulutschen, bevor Jordy sich erneut
ihre Reize zu Gemüte führte. Sie war neuerdings im Stande, den
armen Franz vollkommen zu vergessen, wenn Jordy ihn ihr nicht vor
die Nase hielt. Allerdings war sie noch immer zu jedem Unfug
bereit und ließ sich so oft durchpunzeln, wie es Jordy beliebte;
nur sie selbst war inzwischen erstaunlich schlapp geworden.
Noch ein Semester bis
zu Serynas endgültigem Abgang von der Akademie. Die Würfel
waren gefallen, sie hängte kein weiteres Jahr mehr dran. Sie
hatte nämlich ihren Wegelagerer-Trick ein weiteres Mal
erfolgreich angewendet. Bei einem Gastspiel des von ihr verehrten
canadischen Klarinettisten in Tokyo hatte sie am Bühnenausgang
gelauert, ihm einen Blumenstrauß verehrt und dem so
Überrumpelten die Zusage abgeluchst, sie als seine Schülerin
aufzunehmen. Umgehend beendete sie ihre Teilnahme an Jordys
Deutschklassen und setzte an deren Stelle Englischstunden, da ihr
bei der Begegnung am Künstlerausgang schmerzlich klar geworden
war, dass sie dem Virtuosen nur wenig mehr als hello und good-bye sagen konnte. Wäre er nach dem
Konzert nicht zufällig in Begleitung seines Dolmetschers
erschienen, wie grandios wären ihre Pläne gescheitert! Und
wenn sie ihm, in Montréal angelangt, ihren Standardsatz "ich möchte mit dir
schlafen"
nur auf Deutsch sagen könnte, wäre sie arg aufgeschmissen.
Immerhin sei er erst 38, habe aber eine Frau und zwei Kinder,
erzählte Seryna aufgeregt. Nicht dass das eine Seryna stören
würde.....
Jordys Erleichterung
war beträchtlich. Franz hingegen grummelte. Wer sollte ihn denn
künftig verwöhnen? Und er gab Jordy zu bedenken, dass er
fortan seinen Rücken selbst abschrubben müsste, mit einem
ordinären Schwamm.
'Na, reg dich ab, ein
halbes Jahr lang hab ich sie ja noch.'
Jedesmal, wenn Jordy
nach einem Treffen mit Seryna voll befriedigt, ja, fast
ausgelaugt nach Hause trabte, meinte er, ohne diese Göre
durchaus auskommen zu können. Bis Seryna ihm auf dem Campus mit
ihren aparten Röckchen und wippendem Busen wieder vor der Nase
herumtrippelte und Franz sich dann prompt mit neuen Vorwürfen
regte.
Einen Monat lang war
Jordy in den Sommerferien herumgereist, und nach der Rückkehr
machte Seryna ihm Sorgen. Er war zwar darauf gefasst gewesen,
dass ihre Mushi längst ins Mushiparadies eingegangen war, aber
der Zauberer Franz war mit seinen Wiederbelebungsmaßnahmen noch
stets erfolgreich gewesen. Bedenklicher war, dass Seryna nun
wirklich melancholisch und trüb wirkte. Auf ihren
Friedhofsbesuchen hatte sie sich letztes Jahr noch so fest an
Jordy geklammert, als drohe ihr von den Krähen Gefahr, hatte um
Küsschen gebettelt und sich in einer dämmrigen Ecke ihren Franz
hervorgelupft, aber jetzt trottete sie lustlos neben Jordy her,
als ginge es zum Unkrautjäten. Selbst in der beruflichen
Laufbahn war ihr der Elan abhanden gekommen; viele Kommilitonen
hatten am nationalen Musikwettbewerb teilgenommen und Ruhm und
Preise eingeheimst. Seryna hatte es erst gar nicht versucht.
Jordy fragte sich, ob er womöglich daran schuld gewesen sei.
"Ich habe weder
Lust noch Energie, so einen Concours durchzustehen. Bringt doch
nichts außer Stress und Frust. Ich habe es einfach von
vornherein aufgegeben", sagte sie trübselig, als er danach
fragte. Jordy war zwar auch ein Gegner der blöden
Wettbewerbs-Manie, aber in Japan muss man da durch, um sich einen
Namen zu machen.
"Bei deinen
Eroberungszügen auf Bettgenossen bist du doch auch nicht
zimperlich. Da könntest du bei deiner Klarinette ruhig ein
bisschen mehr professionellen Mut zeigen. Ich wäre gern stolz
auf meine Freundin", versuchte er ihr ein wenig Feuer unter
dem Hintern zu entfachen, aber ihre Tristesse wich erst im
Hotelzimmer einer besseren Laune, als Jordys Hand in ihr
Höschen schlüpfte. Nichts schien ihr mehr Freude zu bereiten
auf dieser Welt. Sie kiekste und wand sich kichernd.
"Nach so einer
langen Pause ist die Mushi ganz kitzelig!"
"Ein Zeichen
bester Gesundheit", gab Jordy zurück.
Das mit der langen
Pause nahm er ihr nicht so ohne weiteres ab, denn nach ihren
Konzerten ließ sie sich, wie er kürzlich festgestellt hatte,
mitunter von ihrem früheren Liebsten zum Essen einladen, und der
Prof Okada, der sie bei ihren Anwerbungsversuchen einst angeblich
hat abblitzen lassen, hatte sie anscheinend keineswegs vergessen
und traf sich, ebenfalls "nur zum Essen", gelegentlich
abends mit ihr. Sogar das dicke Ekel Muto war ihr offenbar nicht
zu hässlich, um sich abends von ihm aushalten zu lassen,
natürlich "nur als Begleiterin seines Augensterns
Hidemi". Dass sie nach solchen Begegnungen brav nach Hause
ging, hielt Jordy für unwahrscheinlich, obwohl sie ihm Stein und
Bein schwor, dass sonst weiter nichts laufe, denn sonst würde
sie ihm doch gar nichts davon erzählen. Offenbar gehörten alle
selbstlosen Männer von Tokyo, die jungen Mädchen ohne Anlass
und Hintergedanken ein Abendessen spendierten, zu Serynas
Bekanntenkreis. Das erinnerte Jordy an Sumiré, die sich ja
gleichfalls hinter Hiroshis Rücken Lust zu verschaffen wusste.
'Wir sind doch Schwestern' war eine von Serynas Standardfloskeln,
die auch in dieser Hinsicht ihre Berechtigung haben dürfte.
'Nun ja', dachte Jordy,
'mir soll's recht sein, was liegt mir schon groß an der Seryna?
Solange sie sich von mir noch ausziehen lässt und den Franz
willkommen heißt, nehme ich mit, was sie mir bietet, denn es ist
stets ein Vergnügen, eine saftige junge Japanerin zu vögeln,
und ansonsten soll sie tun und lassen, was sie will, mein Herz
gehört ihr ohnehin nicht.'
Sogleich bereute er
allerdings solche Gedankenspiele, denn sie war doch ein
herzensgutes Kind und hatte ihn wirklich, zumindest in den ersten
Jahren, hingebungsvoll geliebt und verwöhnt. Dass ihre Glut im
vierten Jahr abkühlte, war nur natürlich, und dass sie sich
nach etwas Besserem umsah, war ihr gutes Recht, denn kein anderer
als Jordy selbst hatte es ihr schon tausendmal nahegelegt. Seine
Motzerei war also zutiefst ungerecht.
Beim Auseinandergehen
überreichte sie ihm ein Briefchen, das sie in der franzlosen
Zeit verfasst hatte.
Liebster Jordy,
Es ist lange
her, seit ich Dir das letzte Mal geschrieben habe. Leider
können wir uns in der letzten Zeit nur noch selten
treffen, aber wir sind immer noch zusammen. Was mache ich
nur in Zukunft, wo ich Dich so von Herzen liebe ? Den
ganzen Sommer über allein gelassen, habe ich mir viele
Gedanken gemacht. Wir können nie wie andere Pärchen
gemeinsam unser Glück genießen, und wenn es mir mal
schlecht geht oder wenn ich mich einsam fühle, bist Du
nicht bei mir. Und wenn ich mir das liebe Gesicht von
Deiner Frau vorstelle, fühle ich, dass ich ein
hundsgemeiner, schlechter Mensch bin. Das schmerzt mich
sehr und macht mich ganz traurig. Vielleicht sollten wir
uns trennen. So kann es wirklich nicht weitergehen. Der
lange Sommermonat ohne Dich war unerträglich. Ehrlich.
Der Sommer ist eine schöne Jahreszeit, in der überall
glückliche Pärchen herumlaufen. Und ich, was mache ich? Aber als Du mich vom Flughafen aus angerufen hast, war
ich überglücklich. Nachdem ich den Hörer aufgelegt
hatte, habe ich ein bisschen geweint. Ach, warum bin ich
nur so schrecklich in Dich verliebt?
|
Das hätte Jordy auch
gerne gewusst. Ein Rätsel war ihm das. Dass sie eine Trennung
erwog, registrierte er halb erleichtert und halb bekümmert. Das
Band, mit dem sie ihn umschlang, lockerte sich also. Nur Franz,
der Dummerjan, war alarmiert und bestand darauf, sie nicht eher
sausen zu lassen, als bis für gleich- oder höherwertigen Ersatz
gesorgt wäre.
Aus praktischen
Erwägungen heraus regte Jordys Frau an, dass er sich auch einen
Pager zulege, so wie Seryna ihn früher hatte. Erwartungsgemäß
nutzte sie das neue Kommunikationsmittel jedoch so gut wie nie.
Seryna hingegen funkte ihm nun beinahe täglich ihre frohen
Botschaften in die Hosentasche. Jordy hatte den Ton abgeschaltet,
damit ihr erotischer Rundfunk keinen Verdacht erregte, und
bestaunte die reiche Fantasie, die sie an den Tag legte.
"Bett frisch
gelüftet, kommst du?" --- "Gute Nacht, Franz. Deine
Mushi." --- "Neue Dessous gekauft. Zieh sie mir aus!" --- "Gummibärchen vom Aussterben bedroht,
Paarungsversuche misslungen!" --- "Möchte mit dir
zusammen Mittagsschlaf halten." --- "Mushi ist
todkrank, Retter gesucht!" --- "Allein im Bett, wer
wärmt mir den Popo?" etc. waren repräsentative Beispiele
ihrer Pager-Lyrik.
Am Neujahrstag war
Jordy der erste, an den sie dachte, noch vor den Profs Okada,
Muto und wie sie alle hießen. Um Punkt Null Uhr erschien
nämlich ihre Neujahrsbotschaft auf seinem Pager: "Ein
frohes neues Jahr! Bitte hab mich auch in diesem Jahr lieb! Ich
möchte noch enger mit dir zusammen sein. Ich erwarte dich in
meinem Bett, komm schnell...!"
Aber das waren alles
nur noch Worte, in der Praxis stellte er kurz vor ihrem 25.Geburtstag wieder einige Macken bei ihr fest. Vielleicht hatte
sie sich ja auch anderweitig übernommen, dass sie im Bett so
ungewohnt matt war. Da sie in Kürze ihre Studien abschließen
wollte, bestellte Jordy sie zum Abschluss-Examen in ein
verschwiegenes Hotel und war sich ziemlich sicher, dass sie
mindestens mit
Magna
cum laude
bestehen
würde, aber weit gefehlt: Die mündliche Prüfung ließ sich
zwar ganz ordentlich an, der Prüfer Franz hatte aber schon weit
bessere Leistungen bei ihr erlebt. Bevor er ihr die Note
"befriedigt" erteilen konnte, war sie schon außer
Puste und beendete den Test mit einem mäßigen
"ausreichend". Ähnlich ging es mit dem praktischen
Teil des Examens; schon im zweiten Durchgang gab Mushi nach
kurzer Zeit auf.
"Nur in Anbetracht
deiner früheren Verdienste betrachte ich das Examen als
bestanden, aber nur mit Mühe und Not. Das hätte ich bei dir
nicht erwartet."
"Heute tut mir's
weh, ich weiß nicht, wieso. Tut mir leid, mehr geht nicht."
Sprach's, bettete sich
in Jordys Arme und schnarchte kaum eine Minute später schon.
'So haben wir ja nicht
gewettet!', grummelte Franz, 'wir bezahlen doch nicht das
Hotelzimmer, damit du von deinen nächtlichen Abenteuern
ausschlafen kannst! So toll treibst du es, dass dir die Mushi
weh tut und die Augen dir tagsüber zufallen, und ich muss
draußen bleiben wie der Potchi beim Supermarkt?'
Eine halbe Stunde
Mittagsschlaf gönnte Jordy ihr, aber dann wurde ihm das
langweilig. Er hatte sie jedenfalls nicht ausgezogen, damit sie
sich zum Pennen niederlegte. Schließlich gibt es, wenn ihre
Mushi pausieren will, noch jede Menge andere Arten von Spielchen,
von denen gerade Seryna früher mancherlei auf Lager gehabt
hatte. Ihm war klar, dass das Ende bevorstand, und er wollte es
nicht unnötig hinauszögern. Er weckte Seryna auf und verließ
das Stundenhotel lange vor der Zeit, obwohl Seryna ziemlich
enttäuscht war.
"Du, die Mushi ist
dran schuld, ich war doch wirklich guten Willens! Außerdem habe
ich in einer Woche mein Abschlusskonzert, deshalb bin ich
vielleicht heute nicht gut drauf", wollte sie ihn
besänftigen, aber selbst bei diesem kurzen Satz musste sie
dreimal gähnen. Wäre das Abschlusskonzert am nächsten Tag
gewesen, hätte Jordy ihr die Ausrede sicher abgenommen, aber
noch eine ganze Weile bis dahin, die Stücke kannte sie ja alle
schon auswendig. Er ließ Seryna nicht im Unklaren darüber, was
ihm nicht passte, und hoffte, dass sie sich bald entscheiden
würde, ob sie ihn noch gebrauchen konnte oder nicht.
"Ich bin wieder
ein bisschen erwachsener geworden", meinte Seryna, als Jordy
ihr am Telefon zum 25.Geburtstag gratulierte. "Im Sommer
sind wir vier Jahre zusammen. Das bedeutet, ein Sechstel meines
Lebens habe ich dich zum Freund gehabt. Bitte bleib auch
weiterhin bei mir, verlass mich nicht. Ich will mir auch Mühe
geben und dir und dem Franz Freude bereiten. Ich habe mir acht
neue Sets Unterwäsche gekauft, die solltest du dir nicht
entgehen lassen", lockte sie weiter.
"Für jeden Freund
ein Set? Oder ist das Berufskleidung für deinen Job nach dem
Abgang von der Akademie? Du musst doch schon mindestens 30 Sets
im Schrank haben."
Jordy wunderte sich
selbst über seinen bissigen Ton. Warum reagierte er nur so
gereizt? Musste er ihr nicht dankbar sein für ihre Einladung zu
neuen Rendezvous', obwohl ihr deutlich weniger daran gelegen war
als früher?
"Was hast du nur,
bist du mir immer noch böse? Glaub mir bitte, ich liebe dich
noch ganz genauso wie früher. Beim nächsten Treffen beweise ich
dir's."
Ihr missglücktes
Abschluss-Examen erforderte in der Tat noch allerhand
Nachbesserungen. Die Chance dazu sollte sie bekommen. Mindestens
achtmal wollte Jordy sie noch entkleiden, um ihre neuen BHs und
Höschen alle kennen zu lernen; was darin steckte, war ihm
freilich nicht mehr ganz neu.
Nach dem Entblättern
ihres dritten Dessous-Sets war das Schuljahr zu Ende und Seryna
keine Studentin mehr. Die Magisterarbeit hatte ihr ein Freund
geschrieben, der Musikwissenschaft studierte, und wie sie ihn
entlohnt hatte, konnte sich Jordy selber vorstellen, er brauchte
sie gar nicht zu befragen.
Seryna hatte es schon
vorausgeahnt: Das Cholesterinherz von Prof Muto war der Hidemi
leider nicht gewachsen gewesen. Seit April war der Lehrstuhl im
Fach Dirigieren verwaist, und Seryna musste zur Beerdigung gehen.
Sie rätselte, ob es eine mors in coitu war,
und bat Jordy, im Bett künftig zurückhaltender vorzugehen und
sein Herz zu schonen.
Eine Weile noch war sie
mit Aufträgen eingedeckt, der Höhepunkt war eine Konzertreise
nach Korea, aber mit ihrem Abgang von der Akademie entfernte sie
sich zunehmend vom studentischen Musikleben. Mit Aichan gründete
sie zwar ein Duo, für das sie bei Jordy einen ausländischen
Namen bestellte, und wählte aus der langen Liste, die er ihr
aushändigte, den Namen "Irrlicht". Nur ein einziges Konzert, und
dann erlosch auch das Irrlicht.
Sumiré hatte sich
trotz ihres Schuldenbergs zur Mutter machen lassen. Das war ein
doppelt freudiges Ereignis, denn Serynas strenge Mama reiste nun
als frischgebackene Oma nach Osaka, um ihrer Wochenbett-Tochter
drei Wochen lang beizustehen. Seryna nutzte die Abwesenheit ihrer
Mutter, um Jordy in ihr Bett zu lotsen, wenn ihr Lehrer-Papa in
der Schule war. Samstagmorgens um halb zehn ---eine Stunde, zu
der Seryna noch in tiefem Schlummer lag,--- öffnete Jordy das
Gartentor und schlüpfte durch die offene Hintertür ins Haus.
Potchi kannte ihn und schlug nicht an; außerdem wusste er, dass
Jordy bei jedem Besuch einen leckeren Lammknochen im Gepäck
hatte, und freute sich auf diese seltenen Besuche womöglich mehr
als Seryna.
Die Treppe hoch, und
dann ins Schlafzimmer der Tochter des Hauses, zu der Jordy unter
die Decke krabbelte. Schlaftrunken schlang sie sich an ihn,
küsste ihn matt und wäre auf der Stelle wieder eingeschlafen,
wenn er sie nur gelassen hätte. Aber sobald seine Hände unter
ihrem Nighty ihre satte Weiblichkeit zu fassen bekamen, wurde er
wild und musste sich erst mal richtig an ihr vergehen, bevor sie
weiterpennen durfte. Zwei Samstage hintereinander, dann war die
Mama wieder da, und Seryna fand kaum noch Gelegenheiten, Jordy zu
treffen.
An der Akademie war sie nicht länger, zu einem Job
konnte sie sich nicht aufraffen; sie lungerte zu Hause herum und
übte bisweilen ein bisschen, damit ihre Klarinette nicht
einrostete. Sogar den Gedanken an ein Weiterstudium in Canada
schien sie aufgegeben zu haben. Da widerfuhr ihr, was in solchen
Fällen in Japan zu geschehen pflegt.
"Du musst dir
langsam eine neue Freundin suchen", sagte sie Jordy am
Telefon.
"Hast du mich
jetzt endlich satt?" --- "Nein, aber meine Mutter
meint, ich solle lieber heiraten, als nur so zu Hause
herumzuhängen. Meine Tante hat schon einen Kandidaten parat, der
eine renommierte Uni absolviert und einen Haufen Geld hat. Mit
dem soll ich mich mal treffen, danach soll ich mich entscheiden,
ob ich ihn noch öfter treffen will."
"Das hast du
davon, dass du keinen richtigen festen Freund hast, nur so einen Schnarchi wie mich."
"Ach was. Aber
erst will ich Ende des Monats nochmal nach Korea fahren. Da hab
ich einen Typ kennen gelernt, der mir ganz gut gefällt. Der kann
auch ein bisschen Japanisch und scheint an mir interessiert zu
sein. Die Sache hat nur einen Haken: In Korea gilt Sex vor der
Ehe noch als Schande. Wenn der merkt, dass ich nicht mehr ganz
unerfahren bin, guckt der mich sicher nicht mehr an."
"Wärst du denn
bereit, als Ehefrau nach Korea zu übersiedeln?"
"Als Ehefrau? Der
Herr Kim ist verheiratet! Aber Korea gefällt mir gut, das Essen
ist ganz toll, und die Gummibärchen könntest du mir auch per
Post schicken..."
Ihren Humor hatte sie
noch, immerhin. Den Heiratskandidaten wimmelte Seryna ab und
wandte sich wieder mit Eifer der Klarinette zu. Dass ihre Mutter
jetzt regelmäßig vom Heiraten sprach, hatte sie in Alarm
versetzt und neue Energien freigesetzt. Sie warf sich in
Aktivitäten mit verschiedenen Kammermusik-Ensembles und
profilierte sich vor allem mit zeitgenössischer Musik und
Uraufführungen neuer Werke. Ihre Heimatstadt wählte sie zur
Künstlerin des Jahres und ermöglichte ihr ein Solo-Konzert in
der Stadthalle von Ichikawa, aber den meisten Spaß machte ihr
ein Austauschprogramm mit Musikern aus Taiwan, Korea und
Hongkong. Jordy bekam viele Einladungskarten und sah Seryna oft
auf der Bühne, aber immer seltener im Bett. Mal war sie ein paar
Wochen in Korea, dann düste sie nach Taiwan, und schließlich
nahm sie noch private Englisch-Stunden, um doch noch Canada ins
Visier zu nehmen.
"Ich bin jetzt 25
und muss langsam zusehen, wie es mit mir weitergeht. Ich kann
doch nicht herumhängen, bis ich 30 bin", sagte sie auf
einmal. Sie schien tatsächlich erwachsen zu werden und konnte
auch immer besser ohne Jordy auskommen. Sie trafen sich zwar
manchmal, aber die Abstände wurden immer größer, und am
Treffpunkt erschien sie mit noch ärgerer Verspätung als bisher
schon, und ohne so glücklich zu strahlen wie früher. Jordy
hätte über diese Entwicklung froh sein sollen, merkte aber,
dass er nach vier Jahren mit Seryna doch viel stärker an ihr
hing als er gedacht hatte. Dass ihm wenig an ihr liege, das
musste er sich bloß eingeredet haben, entdeckte er nun, da die
Beziehung sich zu wenden schien. Jetzt war er es, der ungeduldig
wartete und traurig wurde, wenn wieder ein Tag ohne
Seryna-Botschaft auf seinem Pager verging. Das Ende, das er
früher mitunter herbeigesehnt hatte, war in Sichtweite und
ziemlich unwillkommen.
Wie es weiterging? Bei
Nummer 448 blieb der Zähler vorerst stehen, auch wenn Seryna
beteuerte, Jordy noch immer so heiß zu lieben wie vorher.
Ausgeschlossen, er kannte sich da aus. Er war auf alles gefasst
und formlierte schon die Dankesworte, denn Spaß hatte ihm diese
Seryna wirklich gemacht. Sie war zweifellos die kurzweiligste
Gefährtin in seinem langen Leben gewesen, und sie hatten sich so
gut wie nie miteinander gelangweilt. Allmählich geriet sie aber
in Torschlusspanik; bald wurde sie 26 und musste mit ansehen, wie
ringsumher alle ihre Freundinnen heirateten und auch die
cleversten Bürschlein nach und nach unter die Haube gerieten.
Dass für sie keiner mehr übrig bleiben und sie auf ewig als
Lustgespielin an einem verheirateten Schnarchsack hängen bleiben
könnte, der Gedanke machte ihr offenbar zu schaffen.
"Ich habe mich
kaum um Jungs gekümmert", erzählte sie treuherzig,
"ich war ganz zufrieden damit, dass ich dich hatte. Aber
langsam muss ich auch mal an mich denken."
Wie oft hatte Jordy ihr
das schon gesagt! Er hatte keine Lust, daran schuldig zu sein,
wenn sie die Kurve ins Ehebett nicht schaffte. Nur --- was machte er dann, ohne seine begabte
Frust-Therapeutin?
Es vergingen weitere
zwei Monate, bevor sie sich noch einmal mit ihm traf. Er gab ihr
ein Essen aus und hinterher noch Kaffee, Kuchen und Eiscreme, gab
ihr einen Haufen Geschenke, die er ihr aus Deutschland
mitgebracht hatte, dazu ein Kilo Gummibärchen, alles, was sie
glücklich machte, in dem Bewusstsein, dass er sie vermutlich
kein weiteres Mal mehr treffen würde. In ihrer Freude über die
guten Gaben folgte sie ihm auch ins Hotelbettchen und ließ ihn
noch einmal die Mushi beglücken, aber allzu stürmische
Küsschen wehrte sie nun ab, ins Bad gingen sie getrennt, eine
zweite Nummer verwehrte sie ihm, da es ihr angeblich wieder weh
tat, und den Franz ignorierte sie völlig und konnte sich nicht
dazu durchringen, ihn auf die Weise zu trösten, auf die sie sich
so gut verstand. Es war sonnenklar: Jordy wurde heute noch einmal
geduldet, aber nicht mehr geliebt. Und da sie sich selbst nicht
dazu durchringen konnte, wollte sie, dass Jordy von sich aus
Schluss mit ihr machte.
Die Götter hatten ein
Einsehen, Jordy konnte es kaum fassen: Nur einen Tag, nachdem
Seryna ihm empfohlen hatte, sich eine neue Freundin zu suchen,
lauerte ihm andernorts eine schicke 20jährige auf, schleifte
ihn in ein Café und drängte ihn, mit ihr abends auf ein
Gläschen Wein auszugehen. Und hinterher steuerte sie wie
selbstverständlich mit ihm das nächstgelegene Hotelzimmer
an.... So entschloss sich Jordy, Serynas Rat zu beherzigen und
umzusteigen. Die neue Kleine gefiel ihm, und Franz fieberte schon
nach der jungen, taufrischen Mushi. Nicht dass Jordy Seryna nun
ganz fallen gelassen hätte, aber bis auf sporadische Anrufe
ließ er sie weitgehend in Ruhe, und ihr war das ganz offenkundig
recht so, denn weder beschwerte sie sich noch wunderte sie sich
über seine Zurückhaltung. So gönnte auch er sich ein bisschen
Abwechslung. Innerlich leistete er Abitte:
'Seryna, sei mir nicht
böse, aber du bist doch derzeit an Kissensport ohnehin nur noch
schwach interessiert und hast kürzlich sogar gemault, dass wir
nichts anderes miteinander täten als nur herumzuficken. Aber
zusammen verreisen können wir schließlich nicht, das siehst du
doch ein. Also bleibt uns nur, miteinander essen und schlafen zu
gehen. Und falls du doch nochmal den Franz brauchen solltest oder
die Mushi im Sterben liegt, bin ich auch weiterhin jederzeit
erreichbar. Ich möchte, wie du weißt, geliebt werden, und wenn
sich bei dir keine Liebe mehr holen lässt, mach ich den Deckel
halt zu: Aus einem versiegten Brunnen lässt sich kein Wasser
mehr schöpfen. Wir haben uns zwar noch nicht offiziell getrennt,
aber wir haben uns ja auch nie offiziell zusammengetan. Du hast
jetzt neue Freunde, und ich habe eine neue Freundin, da können
wir ohne Groll von einander ablassen und hinterher noch immer
befreundet bleiben. Somit ist es für Abschiedsreden sicher nicht
zu früh. Lass dir also, nach meinem ganz herzlichen und
aufrichtigen Dank für vier Jahre wirklich wunderbare,
großartige Liebe und höchst abwechslungsreiche, amüsante
Darbietungen, zum Schluss sagen: Nur in einem Punkt hatte ich
mich geirrt: Meine allerletzte Gespielin bist du doch nicht
gewesen, es gibt noch mehr Oldie-Fans auf dieser irren Welt.'