Die
Kirschen waren verblüht, das neue Semester begann. Zwischen
verwehten, vom Regen zu braunem Matsch verklumpten Blüten und
den Müllbergen im Park, Überbleibsel alkoholseliger
Kirschblüten-Feiern, trabte Jordy zum Arbeitsbeginn der
Akademie. Garantiert würde Seryna in irgendeiner Ecke auf ihn
lauern, denn sie hatten sich beinahe eine Woche lang nicht
gesehen. Glücklicherweise war sie nicht mehr ganz so unbändig
wie früher, und in dem Brieflein, das sie ihm anlässlich ihrer
150.Nummer stolz aushändigte, hatte sie geschrieben, dass sie
sich mit ihrer riesigen Jordy-Fotosammlung tröste, wenn sie sich
längere Zeit nicht treffen konnten.
Jordys
Erleichterung war groß. Die Gluthitze der ersten Monate schien
sich bei Seryna allmählich zu legen. Dann bestand auch Hoffnung,
dass sie nicht bis in alle Ewigkeit ihre absonderliche
Grufti-Marotte pflegen, sondern sich in Zukunft doch irgendwann
noch einen smarten Jüngling anlachen würde. So gefiel sie ihm
schon viel besser, zumal sie nicht mehr laut jammerte, dass er
sie nur ein- bis zweimal im Monat anfunkte und in ein Hotelbett
dirigierte. Vielleicht hatte sie ja auch, wie ihre Schwester,
noch anderweitig Abwechslung. Jordy wollte es gar nicht wissen,
so lange er sämtliche Frustrationen bei ihr aufs Beste entsorgt
bekam. Anzeichen dafür, dass sie ihn langsam loswerden wollte,
waren allerdings nicht festzustellen; noch immer ließ sie keine
Chance auf ein Schäferstündchen ungenutzt verstreichen.
"Hast
du denn noch nichts Besseres gefunden?", fragte er sie ab
und zu, und entrüstet sperrte sie ihre großen Augen auf und gab
zurück: "Was denkst du denn von mir?"
Ungefragt
versicherte sie ihm treuherzig, dass auf ihrem Busen ein,
wenngleich unsichtbares, Besitzer-Schild "Jordy" klebe,
und dass ihre Mushi auf kein anderes Herrchen höre als als auf
ihren Franz. Nun, das freute ihn sehr. Den Franz.
Der erste
Schultag ist immer hektisch, noch bevor der Unterricht beginnt.
Bürokratie, Kopien machen, Studenten beraten....
Kurz blieb
Jordy in der allgemeinen Hektik vor dem Anschlagbrett stehen und
entzifferte japanische Schriftzeichen; gab's was Neues, das er
wissen musste?
"Sensei,
guten Tag!", ertönte eine vertraute Stimme hinter ihm. Wie
ein Heinzelmännchen aus dem Nichts erschienen stand Seryna da.
Das Timing war perfekt. Gerade eben lungerte niemand in der Nähe
herum, und Jordy hielt den Schlüssel zu seinem Zimmer in der
Hand.
"Ich
habe eine Frage zum Konjunktiv....", lächelte sie. ---
"Konjunktiv I oder Konjunktiv II?"
"Alle
beide, und noch mehr."
Er
entschlüsselte sein Seminarzimmer und ließ sie ein. Von innen
schloss er vorsichtshalber zu, denn Serynas Fragen zum Konjunktiv
verlangten erfahrungsgemäß höchste Konzentration und sollten
nicht gestört werden. Als er sich umdrehte, lächelte sie nicht
mehr.
"Was
Schlimmes ist passiert. Es ist alles rausgekommen. Meine Mutter
hat das Versteck meines Schreibtisch-Schlüssels gefunden und die
Schublade mit meinem Tagebuch, deinen Fotos und Briefen
aufgemacht und durchwühlt...."
Mehr
brachte sie nicht heraus, ihre Rede erstickte im Schluchzen.
"Und
dein Vater hat dich verwalkt?", war, blöd genug, Jordys
erste Reaktion.
"Nein,
der ist ziemlich gefasst geblieben. Aber meine Mist-Alte hat ein
Riesentheater gemacht. Zwischen uns herrscht jetzt kalter
Krieg."
"Wann
ist das denn passiert?"
"Vorgestern.
--- Und jetzt ist alles aus zwischen uns, nicht wahr?"
Sie warf
sich in seine Arme und heulte sich aus. Er antwortete nicht, denn
diese Frage musste nicht heute entschieden werden. Jordy war
nicht sonderlich berührt von dieser Geschichte; die Eltern
würden ihrem Kind nicht auf ewig grollen, und scheiden lassen
können sie sich auch nicht von der Tochter. Anders als auf
Sizilien würden sie auch keinen Krach schlagen in der Schule
oder gar bei Jordy zu Hause vorstellig werden. In Japan wird
stets die Mutter für alle Schandtaten ihrer Sprösslinge
verantwortlich gemacht; wahrscheinlich war Serynas Mutter auch
deshalb so fuchsteufelswild. Trotzdem würden die Eltern wohl
bestrebt sein, die Sache zu vertuschen. Als größter Erfolg
würde gewertet, wenn sie Seryna geräuschlos von Jordy abbringen
könnten.
"Ich
habe alles zugegeben und gesagt, dass ich dich verführt habe. -
'Du hast anscheinend auch nicht das leiseste Moralgefühl!', hat
die Alte geschrien. Aber mir ist das alles egal, mit der bin ich
fertig."
"Hör
mal, Seryna, so lange du in deinem Elternhaus die Füße unter
den Tisch streckst und dein Studium vom Papa finanziert bekommst,
solltest du alles tun, damit bei euch wieder Frieden einkehrt. Dass
deine Eltern so sauer sind, zeigt dir doch, wie gern sie dich haben.
Überleg dir mal, wenn du eine Tochter hättest und spitz
bekämst, dass sie sich von einem alten, verheirateten Onkel
vernaschen lässt, würdest du ihr sicher auch die Leviten
lesen. Und wenn deine Eltern dich von der Akademie nehmen und einen
biederen
Toyota-Prokuristen heiraten lassen, kannst du deinen Traum von
einer Musiker-Karriere begraben."
"Mich
von der Akademie zu nehmen, das trauen sie sich nicht, das wäre
ein riesiger Gesichtsverlust und nach außen auch nicht plausibel
zu begründen. Ach, was soll ich nur ohne dich anfangen?"
Schon
wieder schluchzte sie los. Jordy äußerte sich nicht zu ihrer
Beziehung. In Japan fährt man am besten, wenn man sich nicht
festlegt und Probleme ungelöst lässt oder aussitzt, bis
irgendwann Gras darüber wächst. Wenn Seryna zu der Einsicht
gelangte, dass eine Trennung besser sei, dann würde er sich
wahrhaftig nicht widersetzen, und wenn sie zuhause klar kommen
und trotzdem weitermachen wollte, dann sollte sie eben
weitermachen. Jordy wollte sich einfach ansehen, wohin die Dinge
trieben. Er tröstete sie, so gut er konnte, und in einer Serie
tränensalziger Küsse ertränkte sie ihr letztes Schluchzen.
Die Chose
entwickelte sich mehr oder weniger erwartungsgemäß. Eine Woche
später war Seryna wieder obenauf und guter Dinge. Regelmäßig,
als wäre nichts geschehen, signalisierte sie ihm mit ihrem rosa
Schleifchen im Haar, dass sie einen Friedhofsbesuch vorhabe, und
erwartete Jordy an ihrem Stammgrab.
"Na,
wie steht's bei dir zu Hause?"
"Wir
reden nicht mehr drüber. Meine Alte bringt das Thema nicht mehr
zur Sprache, und ich sowieso nicht. Ich habe gesagt, wir hätten
Schluss gemacht. Und alle Fotos und Briefe habe ich in meinen
Spind an der Akademie gebracht. Falls die Mutter danach fragen
sollte, habe ich Sumiré instruiert zu sagen, ich hätte alles
weggeworfen. Den Schreibtisch-Schlüssel habe ich jetzt besser
versteckt."
"Du
hast deine Mutter ziemlich unterschätzt. Ich würde dir raten,
den Schlüssel überhaupt nicht mehr zu verstecken, sondern alles
offen zu lassen. Das beruhigt jeden Verdacht viel
wirksamer."
"Ich
glaube, du hast Recht. Ich habe sowieso nichts mehr in der
Schublade, was sie nicht sehen sollte."
Es
beruhigte Jordy, dass er seine wenigen Briefe nie mit Absender
und Datum versehen hatte; auch vom Inhalt her brauchte er sich
keine Vorwürfe zu machen, denn er hatte niemals heiße
Ergüsse
verzapft, sondern sich allenfalls für ihre Hingabe bedankt und
ihr geraten, sich langsam einen geeigneteren Macker zu suchen.
Aber die idiotischen Fotos! Da kannte die gesamte Familie jetzt
jeden einzelnen von Jordys Leberflecken von all den Bildern in halb-
und ganz nackter Umarmung mit Seryna in der Kissenlandschaft des
Stundenhotels. So ein Ärger! Und in ihrer Einfalt hatte sie auch
immer brav das Datum mit eingeblendet.
"Ich
weiß nicht, ob meine Mutter darauf geachtet hat."
"Mach
dir nichts vor! Die hat garantiert alles mehrfach gelesen und
eingehend studiert. Waren da auch deine Nacktfotos mit dabei?"
"Zum
Glück nicht, die hatte ich schon vorher entsorgt. Ich bin nur an
Fotos von dir interessiert. Aber wer mein Partner ist, das weiß
sie nun leider genau. Und auch, dass ich mit dir geschlafen
habe."
"Wie
hat sie denn darauf reagiert?"
"Natürlich
hysterisch. Aber ich habe ihr glatt ins Gesicht gesagt, sie soll
sich nicht ins Hemd pinkeln deswegen. Schließlich habe ich schon
länger Erfahrung."
"Das
hast du ihr gesagt?"
"Klar
doch, es hat mich doch schon immer gewurmt, als naives Kind
angesehen zu werden. Da hat sie mich angebrüllt, ich hätte sie
nach Strich und Faden hintergangen. Wieso hintergangen?, wollte
ich wissen. Nach intimen Erfahrungen hat mich noch niemand
gefragt, und dass ich verpflichtet sei, ihr ungefragt alles
haarklein zu beichten, das finde ich auch nicht. Das ist
schließlich meine Privatangelegenheit. Und dann habe ich ihr mal
meine Meinung gesagt. Dass sie nämlich nur Ärger hat von ihrer
dämlichen Schnüffelei. Was waren wir bis dahin doch für eine glückliche
Familie! Hätte sie ihre Nase aus meinen
Angelegenheiten rausgehalten, wäre sie jetzt garantiert froher.
Man muss nicht unbedingt alles wissen, was einen nichts angeht.
Unwissen ist oft viel angenehmer. Ich denke nicht daran, mit dir
Schluss zu machen, sondern werde die Alte nur wesentlich
geschickter hinters Licht führen als bisher. Die einzige, die an
der Sache leiden wird, ist sie. Das hat sie nun davon."
Ihr Vater
hatte die richtige Idee, wie man den Haussegen wieder gerade
hängt. Schon lange hatten sich seine beiden Töchter einen Hund
zum Knuddeln gewünscht. Keine drei Wochen gegenseitigen
Anschweigens zwischen Seryna und ihrer Mutter, da winselte ein
reinrassiges Knäuel Hundebaby auf dem Schoß der liebesdurstigen
Schwestern, wohl als Trost und Belohnung für Seryna, die nunmehr
so tat, als sähe sie ihren Deutschlehrer nur noch im Unterricht
und habe Küssen und Intimitäten entsagt. Ob ihr die Mutter das
abnahm, ist fraglich; sie sollte ihre Tochter besser kennen. Aber
Japaner verfügen unter anderen auch über das Talent,
unangenehme Tatsachen durch Totschweigen und Ignorieren aus der
Welt zu schaffen. Der Hausfrieden dürfte auch der Mutter nicht
unwichtig sein, zumal sie durch ihr Donnerwetter gezeigt hatte,
dass sie Serynas Abwege missbilligte. Damit hatte sie ihrer
Mutterpflicht genügt und sich ihrer Verantwortung entledigt.
Seryna war
wieder happy und meinte, von dem Störfall gar profitiert zu
haben. Franz UND Hund, da hatten sich drei Wochen kalter Krieg
reichlich ausgezahlt, fand sie.
Jordy fand das nicht ganz so
ulkig wie sie. Wenn sie sich nicht besser in Acht nahm, könnte
das nämlich böse enden. Auch hatte er Skrupel, jener
unbescholtenen Familie, die ihm nichts getan hatte, dreist neue
Torts anzutun.
'Was waren wir doch für eine glückliche
Familie', hatte Seryna gesagt, und 'die einzige, die daran leiden
wird, ist meine Mutter'. Warum sollte Jordy diese Familie wie ein
böser Kobold piesaken? Er wollte sich vorerst zurückhalten.
Ein halbes Stündchen Friedhof-Turteln, das sollte sie zwar
bekommen, wenn sie ihn allzu heftig anbettelte, aber Mushi hatte
einstweilen Pause, und die Managerin ihres üblichen Hotels
dürfte sich wundern, wo ihre Stammkunden, der Ausländer mit
seiner drallbusigen Tussi, wohl neuerdings abgeblieben waren.
"Du,
hör mal, Mushi hat Sehnsucht nach Franz. Sie würde gern mit ihm
zusammen Geburtstag feiern", fing Seryna schon sehr bald
wieder an.
"Jetzt,
mitten im Semester, kann ich mich nicht nach Belieben mit dir ins
Bett legen, Seryna. Du bist doch inzwischen viel geduldiger
geworden, nicht wahr?"
Sie zog
einen Schmollmund. Sie schien wirklich recht frustriert zu sein.
Zwischen den Grabsteinen machte sie ihre Brust frei, um nicht
immer nur auf den Mund geküsst zu werden, und dann fingerte sie
sich ihren Franz in den Mund, obwohl in dieser Jahreszeit die
Sonne noch lange schien und etliche Hunde hier Gassi gingen, die
meist auch noch ein Herrchen oder Frauchen an der Leine hatten.
Pager-Messages genügten Seryna als Frustschutzmittel nicht,
zumal sie ihre Fotosammlung als Trost vor dem Schlafengehen nicht
länger zur Hand hatte.
"Aber
dafür hast du doch dein Hundekind zum Schmusen!"
"Ich
wollte es Jordy oder Franz nennen, aber alle waren dagegen.
Außerdem ist es ein Weibchen. Ob ich dem das Fell kraule oder
dir den Schopf, das ist denn doch ein kleiner Unterschied. Das eine
kann das andere nicht ersetzen. Du wirst doch irgendwann mal zwei
Stündchen Zeit haben für mich?"
Jordy
redete sich raus. Nicht dass er keine Lust gehabt hätte. An
manchen Tagen hätte er eine zärtliche Seryna gut gebrauchen
können, und auch Franz sehnte sich mitunter spürbar nach ihr.
Aber er musste ihr einfach beibringen, dass ihr Leichtsinn
missliche Folgen hatte. Mit Ausnahme ihrer Kenntnisse in der
Matratzologie hatte sie kaum Lebenserfahrung und unterschätzte
ihre Mutter vollkommen. Selbst wenn die sich nichts anmerken
ließ, überwachte sie vermutlich doch argwöhnisch Serynas
Ausgehzeiten auf Plausibilität. Und wenn Seryna flugs genauso
unbekümmert und selbstsicher weitermachte wie bisher, wäre der
nächste Störfall nur eine Frage der Zeit.
"Ach,
Orchesterproben kann ich dauernd erfinden, ist doch ein
Kinderspiel. Letzte Woche hat mich die Alte gefragt, ob ich dich
noch manchmal treffe. Da habe ich losgeschluchzt und eine halbe
Stunde lang geheult. Damit sie so schnell nicht wieder damit
anfängt."
Seryna war
wirklich eine beachtliche Schauspielerin.
Irgendwie
war der Wurm drin. Kurze Zeit später meldete sie sich schon
wieder zur Sprechstunde an, diesmal mit Fragen zum Passiv. Jordy
schwante nichts Gutes.
"Die
Spinde in unserer Abteilung sind aufgebrochen worden. Und mein
Deutsch-Wörterbuch ist auch geklaut worden."
Zwei
Passivsätze, in der Tat. Ein geklautes Wörterbuch, welche
Katastrophe! Wegen so einer Lappalie meldet sich doch eine
Seryna nicht zur Audienz an! Jordy witterte Fataleres: In dem
leergeräumten Spind waren schließlich auch die heißen Fotos
dringewesen, von der Studentin, im Bett und in den Armen eines
Profs der Akademie! Da hatten sie den Salat! Diese
vermaledeiten Fotos würden Jordy noch an den Galgen bringen!
"Nein,
die sind alle noch da. Der Dieb hat nur nach Bargeld
gesucht." --- "Und nach Deutsch-Wörterbüchern?"
"Idiotisch,
was? Und wer lässt schon Geld im Schließfach an der Akademie?" --- "Und wo hast du die Fotos jetzt?"
"In
Sumirés Schreibtisch. Die hat sich da hinter den Schubladen ein
Geheimfach eingebaut, in dem sie ihr Fortbildungsmaterial
versteckt."
"Fortbildungsmaterial? Wieso muss sie
das verstecken?"
"Im
Klartext gesagt: Sie hat da Pornohefte und spielt mit ihrem
Hiroshi die anregendsten Szenen und Stellungen nach."
Wo war
Jordy da nur hineingeraten? Hatte er Seryna schon für eine
durchtriebene Kissen-Expertin gehalten, gegen ihr kleines
Schwesterlein, soeben dem Gymnasium entronnen, war sie eine
harmlose Anfängerin.
Ein paar
Tage später war auch das Wörterbuch wieder da. Serynas Name
stand drin und manches Geheimzeichen, Anmerkungen beim Stichwort MUSCHI und Zusätze bei FRANZ, das war anscheinend
unverkäuflich.
"Am
besten wäre es, alle Fotos und Briefe im Müllsack zu begraben.
Deine Mutter hat garantiert Röntgen-Augen und auch Sumirés
Geheimnisse längst aufgedeckt."
"Die
Fotos und Briefe! In den Müll??? Eher ziehe ich von zu Hause
aus. Nein, Sumiré hat die Alte nicht im Verdacht, das ist ganz
sicher."
"Dich
hat sie ja auch nicht im Verdacht gehabt. Tu den Rümpel weg, sag
ich dir. Es reicht doch, dass du mich noch hast."
"Dich
habe ich beinahe auch nicht mehr. Weißt du, dass wir jetzt schon
über einen Monat lang nicht mehr miteinander geschlafen haben?
Und da soll ich auch noch die Fotos und Briefe wegschmeißen?"
Nichts zu
machen. Immerhin schaffte sie ihre Sammlung wieder in das
Schließfach, dessen Schloss ausgewechselt worden war. Und fuhr
täglich mit Jordy bis fast zu seinem Haus, um sich in der Bahn,
die zur Hauptverkehrszeit so herrlich vollgepfropft ist, nach
Herzenslust an ihn quetschen zu können. Dabei raunte sie ihm auf
Deutsch ins Öhrli:
"Mushi
sehnt sich nach Franz. Gib mir noch ein Küsschen!"
Ihre
Fortschritte in der deutschen Sprache waren bemerkenswert.
Weil Jordy
im Juni Geburtstag hatte und Seryna die Vorstellung plagte, das
Ereignis könnte ohne Zweisamkeit verstreichen, nahm er sie
wieder mal auf ein Weilchen ins Stundenhotel und ließ den Franz
von der Leine. Aber wenn er geglaubt hatte, Seryna sei damit
ebenso befriedigt wie Franz, so war das ein Irrtum.
"Siehst
du, wenn wir ab und zu mal ins Hotel gehen, ist doch gar nichts
dabei. So lange ich keine neuen Fotos mehr mache, wie sollten
meine Eltern da etwas erfahren? Die glauben mir schon, dass ich
mit dir Schluss gemacht habe. Ich gehe kaum noch aus, mache
fleißig Hausaufgaben und übe Klarinette. Ich bin das folgsamste
Kind weit und breit. Wir können uns also ruhig öfter
treffen."
Tja, es
war alles wieder wie zuvor, als hätte es nie einen Störfall
gegeben. Nur wussten ihre Eltern jetzt, was Seryna heimlich
trieb, und hatten ihre Missbilligung geäußert. Seryna hatte
selbige zur Kenntnis genommen und reuig den Kopf gesenkt. Ebenso
gut hätte sie ihre Eltern von Anfang an einweihen können, aber
dann wäre sie schwerlich mit Potchi, dem Köterchen, belohnt
worden. Jedenfalls galt die Affäre als bereinigt, für Seryna
Auftakt zu einer neuen Runde von Heimlichkeiten. Verdrängt,
vertuscht, unter den Teppich gekehrt. Alles nur halb so schlimm,
das Leben ging da capo weiter, als wäre nichts gewesen. Bei
Seryna wie bei Tschernobyl. Wunderbar.
"Sieh
mal den Typ da, wär der nichts für dich?", fragte Jordy,
als Seryna wieder einmal auf der Heimfahrt im Zug an ihm klebte
wie ein nasser Kaugummi. Gegenüber stand ein Pärchen. Der
Bursche schien einer Modezeitschrift für die moderne Jugend
entsprungen, labberige Hosen mit breiten Trägern, klobige
Stiefel, grellgelb gefärbte Haare und eine Disco-Mieze im Arm.
"So
einer? Nee, nicht mein Fall", wehrte sie ab, "wie
kommst du denn auf so eine Idee?"
"Ist
doch ein ganz cooler Typ, mit dem du dich auf jeder Party sehen
lassen könntest."
"Sieht
aber nicht aus, als hätte er viel Grips im Oberstübchen."
--- "Du stellst ja hohe Ansprüche."
"Ja
doch, was bei mir fehlt, das soll wenigstens mein Partner haben.
Wenn sich zweie von meiner Sorte zusammentun, werden sie nicht
weit kommen. Ich finde nur intelligente Männer attraktiv. Genau
wie Sumiré, die auch keine große Leuchte ist."
Jordy
musste laut auflachen angesichts dieser offenherzigen
Selbsterkenntnis. Daher rührte also die Vorliebe für
Lehrpersonal bei den beiden Schmuseschwestern! Nun ja, die
wirklich Dummen sind diejenigen, die sich für wer weiß wie klug
halten. Aber falls Seryna glaubte, dass wirklich intelligente
Männer, die ihr gefallen würden, auf sie fliegen, dürfte sie
sich verrechnet haben. Allenfalls Leute von Jordys Sorte können,
wenn sie ihre Verführungskünste ausspielt, zufällig an ihr
hängen bleiben, aber auch nur, so lange sie jung und sexy ist
und sich mit Begeisterung pimpern lässt.
Trotz
ihres glamourösen Aussehens zischte Seryna keineswegs durch
Bars, Clubs und Discos, sondern war erstaunlich häuslich. Sie
konnte ganze Wochenenden vor dem Fernseher hocken oder Klarinette
üben. Sie himmelte kein Jungmädchen-Idol an, keinen Rockstar
oder Baseball-Helden --- nur ihren heißgeliebten Franz.
Außerdem putzte und wusch sie gern. Doch, so abartige Menschen
gibt es auf dem Erdenrund!
"Ich
werde dich ab und zu mal nach Hause einladen, da finden
putzsüchtige Leute garantiert volle Befriedigung."
"Ja,
ich klingele an deiner Tür und sage: 'Guten Tag, ich bin Ihre
neue Putzfrau Murakami.' Dann bin ich vielleicht auch deiner Frau
willkommen."
"Hochwillkommen,
die lässt dich gar nicht mehr fort! Nur für die Art und Weise
von Entgelt, die du dir wünschst, wird sie wenig Verständnis
zeigen."
Wenigstens
schien ihr das Büffeln, trotz ihrer eher mäßigen Begabung für
Fremdsprachen, weniger Qualen zu bereiten als manchen
Kommilitonen. Seryna machte immer ihre Hausaufgaben, verfolgte
alle Deutsch-Kurse in Radio und Fernsehen und kaufte von ihrem
Taschengeld die entsprechenden Lehrbücher. Wenn sie wegen einer
Verabredung mit Franz eine Lektion versäumte, nahm sie sie
vorher auf Video auf, damit ihr nichts entgehe. Nach dem Studium
wollte sie nämlich in Canada weiterstudieren, da sind
Sprachkenntnisse gut zu gebrauchen. Dass dort freilich nur eine
Minderheit auf Deutsch ansprechbar ist, hatte Jordy ihr schon
vorsichtig angedeutet, aber da machte sie sich nicht viel draus.
"In
Deutschland bin ich doch auch zurecht gekommen, obwohl ich nicht
einen einzigen kompletten Satz auf Deutsch zuwege gebracht
habe..."
Nach vier
Jahren Deutschunterricht ...... Einen tiefen Seufzer konnte Jordy
gerade noch unterdrücken.
Immerhin
zeitigte ihr Studieneifer, langsam zwar, aber stetig, erste
Erfolge. Sie bestand die Prüfung für die unterste Stufe der
Deutsch-Qualifikation des Goethe-Instituts, was ihr vor ihren
Eltern als Beweis wichtig war, dass sie nicht nur im Bett ihres
Deutschlehrers, sondern auch in dessen Unterricht etwas leistete.
Und es stärkte ihr Selbstbewusstsein just im rechten Augenblick,
denn im 7.Semester stand ein zweiwöchiges pädagogisches
Praktikum an. Seryna als Lehrerin an einer Mittelschule! Sie
musste selber lachen bei dieser Vorstellung. Aber dass sie da
zwei Wochen lang Jordys Unterricht und legale Treffen mit ihrem
Liebsten versäumen würde, konnte sie nur schwer verwinden. Am
letzten Tag vor der "ewig langen Trennung" fing sie
Jordy noch vor dem Verlassen des Campus ab.
"Ich
habe dem Franz noch nicht ade gesagt. Hast du nicht ein
bisschen Zeit für mich?"
Seryna tat
Jordy ehrlich leid. Er wartete ab, bis die Hiwis und
Sekretärinnen Feierabend gemacht hatten, schloss dann das dunkle
Sprachlabor auf, schubste Seryna hinein und verriegelte den Saal
dann von innen. Da stand nämlich in einer kleinen Hinterkammer
zwischen Gerümpel, Strippen und Konsolen in der Ecke eine
ausrangierte, aber durchaus strapazierfähige Couch. Anders als
auf dem Friedhof stürzten sich hier auch keine blutrünstigen
Moskitos, sondern allenfalls grapschige Hände auf ihre Schenkel
unter dem knappen Röcklein, aber dafür war leider nach
Dienstschluss die Klimaanlage nicht mehr in Betrieb. Während
Seryna glücklich an ihrem Lolli schlabberte, knöpfte Jordy ihr
die Bluse auf und holte sich ihre jungen Brüste heraus. Es
dauerte nicht lange, da schlang sich ihr BH um einen Kopfhörer,
ihr Rock, dessen Reißverschluss sich von Männerhand gern
öffnen ließ, baumelte von einer UHV-Antenne herab, und ihre
Nylons drapierten kokett einen ausgemusterten Desktop-Bildschirm.
Nachdem
Franz, nach Fallen der letzten Hülle, auch seine Freundin Mushi
mit aufreibenden Abschiedsritualen beglückt hatte, klebten ihnen
in dieser stickigen Schwüle die Haare am Kopf, und der Schweiß
troff nach der hitzigen Privatlektion im Sprachlabor in solchen
Kaskaden zu Boden, dass Jordy sich Sorgen machte, ob anderntags,
wenn das Labor wieder in Betrieb ging, die Überschwemmung nicht
gar einen Kurzschluss verursachen könnte.
Seryna war
außerordentlich angetan von dieser Örtlichkeit.
"Ich
wusste gar nicht, dass es im Sprachlabor so ein Séparée gibt.
Hier könnten wir uns doch öfter treffen, auch wenn wir mal nur
ein halbes Stündchen Zeit haben. Und nach Belieben zur Sache
kommen. Nach Dienstschluss ist das doch einer der sichersten Orte
in ganz Asien!"
"Dein
plötzliches Interesse am Sprachlabor wird den Dekan freuen, der
sich über mangelnde Nutzung dieser teuren Einrichtung zu
beklagen pflegt. Ich werde demnächst beantragen, dass noch eine
Dusche ins Sprachlabor eingebaut wird, was dessen Attraktivität
noch weiter erhöhen dürfte."
Gegen
diesen Vorschlag hatte Seryna nichts einzuwenden.
Jordys
Hoffnung, dass sie beim Praktikum an ihrer Mittelschule an einem
jungen, sympathischen, wenn möglich ledigen und für ihre
Ansprüche ausreichend intelligenten Lehrer hängen bliebe, ging
leider nicht in Erfüllung. Eigentlich hätten bei ihrer
Challenger-Natur und ihrem Faible fürs Lehrpersonal zwei Wochen
ausreichend sein sollen. Sogar Aichan, ihre lebenslustige
Freundin mit dem gestrengen Papa, hatte die Gelegenheit zu nutzen
gewusst, um von ihrem bisherigen, streitsüchtigen Freund auf
einen flotten Jungpädagogen umzusteigen.
Für Jordy
waren es angenehme zwei Wochen Urlaub von dem frankophilen Vampir
Seryna, aber er ahnte zugleich, dass er wohl, wenn sie nach dem
8.Semester von der Akademie abginge, bald mit sich hadern
würde, dass er ihre heiße Liebe nicht weidlicher ausgekostet
habe. Schließlich war er genau in dem Alter, in dem frustrierte
Geschlechtsgenossen einen Haufen Geld auf dem Straßenstrich
verschwenden oder bis nach Bangkok düsen, um sich an armen
Kindern armer Leute auszutoben. Von Seryna bekam er all das und
noch viel mehr in beliebiger Menge als kostenlose Zugabe zu ihrer
unbegreiflichen Vernarrtheit, und sie hatte sich offenbar damit
abgefunden, dass er ihre Leidenschaft eher lau erwiderte. Sie
freute sich schon, wenn er sie mal wieder ordentlich nahm, und
buchte auch das als erwiderte Liebe ab; in diesem Punkt war sie
sich mit Mushi und Franz ziemlich einig. Und deshalb hielt sie
auch ein Hotelzimmer für den idealen Ort einer Wiedersehensfeier
mit dem üblichen Trimmdich.
"Wenn
wir das nicht öfter machen, leide ich hinterher jedesmal an
grässlichem Muskelkater", sagte sie vorwurfsvoll. Die
Männer sind immer an allem schuld.