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Not macht erfinderisch

tiger


Da es im Herbst früh dunkelt, brauchten sie keine übermäßige Angst zu haben, von Bekannten ertappt zu werden, wenn sie nach den Vorlesungen einen Gang in stille Winkel des weiten Parks unternahmen. Der Park grenzte an ausgedehnte Tempelgärten und Friedhofsareale, und die Seelen der verstorbenen Tokioter wurden verschwiegene Zeugen ihrer Küsse. Im erlöschenden Abendlicht, als sie sich wieder einmal auf einem Grabstein miteinander befassten und Jordys Hände mit Eifer unter Serynas Rock die Schenkel auf und ab glitten, damit sie nicht von Schnaken zerstochen wurden, packte sie wieder eine neue Masche aus ihrem Repertoire: Sie rutschte vor Jordy auf die Knie, nestelte ihm an der Hose rum und fingerte sich ihren Franz heraus, um ihre lang entbehrte Lutschpartie mit ihm zu treiben.
Solche Szenen, hatte Jordy fest geglaubt, existierten allenfalls als fantasievolle Eingebungen von Drehbuchautoren. Aber es gibt tatsächlich Mädels, die aus eigenem Antrieb im Park ihrem Typ an den Hosenschlitz gehen und im Dämmerdunkel den verblüfften, ungewaschenen Franz absuckeln.
Jordy wusste nicht, wieso, aber ein völlig unerwartetes Gefühl überkam ihn auf einmal. Voller Rührung streichelte er dem kaum ausgewachsenen Kind, das da vor ihm kniete und schleckte, mit aufrichtiger Zärtlichkeit übers lange Haar und drückte sie dann fest an sich. Wie oft hatte sie doch vor oder nach den Proben für die Oper am Theaterausgang auf Jordy gewartet und ihm mal ein Getränk, mal eine Tüte Sandwiches mitgebracht, damit er in den Pausen was zu beißen hatte. Mal war sie mit zwei Portionen Eiskrem zum Rendezvous erschienen, mal hatte sie ihn mit einer Gratiskarte für zwei Personen ins Kino gelotst und und bei jeder Tränendrüsenszene geheult wie ein Schlosshund. Dann war sie mit einer Tüte Tomaten gekommen, weil Jordy beiläufig erwähnt hatte, er müsse noch Tomaten besorgen, und ein andermal hatte sie ein schickes T-Shirt für ihn gekauft. Das gute Kind hatte wahrhaftig das Herz auf dem rechten Fleck und ihn auch wirklich lieb und konnte eben nichts dafür, dass ihm Sumikos Charme, Noblesse und Klugheit, und seiner Frau Urteilskraft, Geschmack und Lebenserfahrung abgingen. Seryna zeigte ihm ihre Zuneigung auf ihre Art, die ganz im Stil der Zeit war, und er wäre ein garstiger Egoist gewesen, wenn er daran gedacht hätte, sie langsam abzuservieren, nachdem er ihren Leib und ihre Liebe zu satter Befriedigung weidlich ausgekostet hatte.


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So begann er zwar, ihr gutes Herz zu mögen, aber er trug von sich aus nichts dazu bei, die Beziehung zu vertiefen, sondern hoffte, dass sie von selbst endlich einen tollen Typ finden und von Jordy die Nase voll bekäme und nicht nur den Mund, doch je teilnahmsloser Jordy wurde, desto heftiger glühte ihre Leidenschaft, mit der sie ihn instinktiv festhalten und an sich ketten wollte. Ein- bis zweimal pro Monat händigte sie ihm einen Liebesbrief aus, der so oder ähnlich lautete:
Wie schön, dass wir uns öfter sehen können als ich gehofft hatte! Ich weiß, wie gut Du zu mir bist und danke Dir, dass Du mich so lieb verwöhnst. Ach, Seryna ist so rettungslos in Dich verliebt, dass es beinahe weh tut. Wenn ich allein bin, stelle ich mir Dein liebes Gesicht vor. Mir wird jetzt immer mehr bewusst , dass ich Dich weit mehr als doppelt so lieb habe wie früher. Ständig denke ich daran, dass ich mir dieses Glück gut bewahren muss. Ich danke Dir aufrichtig; ich bin dankbar dafür, dass es Dich gibt, und stolz darauf, dass ich einem so wundervollen Mann begegnet bin.

Deine Seryna


Die Tage wurden kürzer, es dunkelte immer früher. Höchstens ein- bis zweimal pro Monat konnten sie sich für einige Stunden im Hotelzimmer miteinander vergnügen. Dennoch verstand es Seryna, ihren Durst auf Zärtlichkeiten zu stillen. Jordy konnte schon beinahe sicher sein, dass sie ihm auf dem Heimweg in irgendeiner Ecke auflauerte und ihn dann in Richtung Friedhof zog. Ohnehin ist der November der richtige Monat für Friedhofsbesuche. Dort war es still und unter alten Bäumen dämmrig genug für Seryna, um pietätvoll ihren Franz an die frische Luft zu lupfen, während Jordy ihr derweil unter Rock und Pullover herumfingerte und trotz der Dunkelheit Wege fand, der hocherfreuten Mushi einen Besuch abzustatten. Es fehlte nur, dass Seryna sich in der Finsternis an einem Grabstein festhielte und ihm ihr rundes Hinterteil zudrehte, damit er sie a tergo durchziehen konnte, aber dafür war sie zu abergläubisch: Die Verstorbenen hätten ihr das krumm nehmen und ihr als Gespenster über den Weg laufen können. Beim Auseinandergehen nach einem der spätherbstlichen Grabbesuche drückte sie Jordy einen Brief in die Hand, in dem sie schrieb:

Wie geht's Franz? Seryna möchte ihn treffen, aber Mushi will ihn auch wiedersehen. Wenn ich sehnsuchtsvoll die Fotos von Dir betrachte, sagt Mushi zu mir unter Tränen: 'Seryna, wann kann ich meinen geliebten Franz wiedersehen?' Dann redet Seryna ihr freundlich zu: "Wart nur ein bisschen, am Sonntag bringt Jordy ihn für dich mit!

Die Nachricht, dass Jordy beim nächsten Ferien-Seminar wieder als Lehrkraft mitmachen würde, quittierte sie mit einem solchen Freudengeheul, dass die Grabsteine wackelten und Katzen und Krähen in Panik davonstoben.

"Da gehe ich todsicher hin, auch wenn ich da mit meinem Deutsch wieder in die Bredouille geraten und ausgelacht werden sollte wie letztes Jahr. Schließlich gehe ich da aus anderen Gründen hin. Fünf Tage lang mit dir unter einem Dach, so eine Gelegenheit kommt so bald nicht wieder!"


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Zu dumm nur, dass Serynas Eifer im Fach Deutsch nur spärliche Früchte zu zeitigen schien. Es war Jordy nicht nur unangenehm, wenn sich seine Studenten bei dem Seminar mit allzu dürftigen Kenntnissen blamierten, sondern er hatte auch die Sorge, ob Seryna geschickt genug war, mit ihrer Anhänglichkeit kein Aufsehen zu erregen.
Dass ihm Sumiko kürzlich telefonisch mitgeteilt hatte, auch sie würde gern wieder an dem Seminar teilnehmen, das erzählte er Seryna lieber nicht, zumal Sumikos Kommen noch gar nicht feststand. Sicher war nur, dass ihr finsterer Verführer Eberhard wieder mit dabei sein würde. Das wäre ein Ding, wie es auch Molière nicht besser zu einer Komödie hätte aufschürzen können, wenn Sumiko und Seryna, Eberhard und Jordy gleichzeitig beim Seminar aufkreuzen würden! Alle Fäden, die da zusammenliefen, kannte nur Jordy; die anderen kannten nur wenig mehr als ihren eigenen Part. So könnte es zu dramatischen Szenen kommen, wenn etwa Sumiko sich arglos zu Jordy setzen und aus alter Freundschaft zu plaudern begänne. Dann müsste sie gewärtigen, dass ein eifersüchtiger Eberhard sie von Jordy abzudrängen suchte und eine neidische Seryna ihr zornig ins Gesicht spränge. Wenn Jordy Sumiko nicht von Herzen lieb gehabt hätte, dann hätte er das Spektakel gern schüren und lustvoll genießen wollen. So ein hübsches Dramolett sollte am besten für den bunten Abend inszeniert werden, das wäre eine Gaudi! Und um die Verwirrung perfekt zu machen, sollte man als Statisten zu Camouflage-Zwecken noch den Ishii, der wie ein Schatten an Seryna haftet, und die Nadine, die allgemein Jordy zugeordnet wurde, mit hinzubitten....
Aber das hebe ich mir auf fürs nächste Mal, das gibt eine Story für sich. Nur hätte sie wohl, anders als bei Molière, kein Happy-End. Jordy liebte seine Sumiko, und Seryna liebte ihn. Sumiko liebte keinen, und niemand mag den Eberhard. Kurzum, es fehlt ein Pärchen, das sich am Ende kriegt, sonst wäre es ein Märchen, nur gibt's das leider nicht.

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Auch in Nippon beginnt es im Dezember zu weihnachten. In jedem Geschäft, das man betritt, vom Pfandverleiher bis zum Sargschreiner, wird man von penetrantem Jingle-bells-Gedudel in die Flucht getrieben. Sogar die Kinder in den Wohnstuben der Reihenhaus-Vorstadtsiedlungen klimpern beim täglichen Klavierunterricht nichts anderes mehr als diesen schalen Ohrwurm. Vornehmlich dort, wo es nach Umsatz riecht, in Kaufhäusern, Spielhallen oder Rotlicht-Revieren, wird man pausenlos von Jingles angebellt, der japanischen Jahresendprofit-Hymne.
Auch Neujahr ist längst durchkommerzialisiert. Hatten früher alle Geschäfte drei Tage lang geschlossen, damit auch die Angestellten den Schrein oder Tempel besuchen konnten, klingeln heute vielfach schon am heiligen Neujahrstag die Supermarkt- und Kaufhaus-Kassen. Nix mehr Zen, nur noch Yen.
Seryna brachte die Vorweihnachtszeit Kummer, bedeutete sie doch franzlose Ferienzeit. Aber damit nicht genug; in irgendeiner Lotterie hatte sie zwei Freikarten für eine Christmas-Gala-Fête im Disneyland gewonnen und träumte davon, Jordy dahin zu schleppen. Ihm schauderte allein bei dem Gedanken daran; nie wurde ihm ihr Altersunterschied schmerzhafter bewusst. In ihrem kindlichen Gemüt konnte sich Seryna überhaupt nicht vorstellen, dass irgendjemand von McDisneys Plastikwelt nicht total begeistert sein könnte.
"Nur für horrende Summen sind die Karten für diese Feier auf dem Schwarzmarkt zu kriegen!", schwärmte sie, aber es half nichts, Jordy konnte -und wollte- sie nicht in ihre Traumfabrik begleiten. Ihr einziger Trost war, dass Sumiré ihr gut 200 Euro für die Karten angeboten hatte. Und so ging Sumiré mit ihrem Hiroshi zur Gala, und Seryna blieb daheim und schluchzte vor Neid und Leid.
Trotzdem überreichte sie Jordy ein Geschenk zum Nikolaustag, in duftend parfümiertes Geschenkpapier gewickelt: Eine Musikkassette. Noch war er halb gerührt von ihrer lieben Aufmerksamkeit, da sträubten sich ihm schon die Nackenhaare vor Entsetzen angesichts des Inhaltsverzeichnisses: Weihnachtskitsch aus aller Welt, Tannenbells und Jinglebaum, verschmalzt von einer Art Mantovani-Band, genau wie es aus allen Supermärkten dröhnte. Ach, Seryna hatte nicht die Bohne von gutem Geschmack und merkte nicht einmal, wie wenig sie zueinander passten. Das Vierteljahrhundert, das zwischen ihnen lag, schon wieder knirschte es Jordy durch die Seele.
Beim letzten Treffen vor den Ferien hatte sie ihm wieder etwas mitgebracht. Zwischen den Grabsteinen packte sie strahlend ein größeres Päckchen aus ihrer Tasche und überreichte es ihm mit liebevollem Lächeln. Zum Vorschein kam ein sehr hübscher Pullover in Jordys Lieblingsfarbe, wirklich ein wunderbares Geschenk, über das sich jeder Freund und jeder Verlobte riesig freuen würde. Allerlei Etiketten baumelten dran: 100 % wool, made in China etc.
"Alles 100 % made by Seryna. Habe ich für dich gestrickt. Eigentlich wollte den mein Vater haben, aber natürlich ist er für dich. Schau, ich habe sogar innen ein passendes Etikett eingenäht, und oben im Kragen auch, damit du keine Schwierigkeiten kriegst, es zu Hause zu erklären. Du kannst sagen, du hättest den Pulli im Kaufhaus X oder im Kaufhaus Y gekauft, ich habe auch die entsprechenden Tragetaschen besorgt und mitgebracht, damit alles richtig zusammenpasst und keinen Verdacht erregt."
Seryna strahlte vor Stolz auf ihre Raffinesse. Wenn sie solche Ingeniosität nur in der Schule entfalten würde! Jordy hätte sich gerne gefreut über diese wundervolle Liebesgabe, aber sie schien vollkommen zu ignorieren, dass er niemals ihr alleiniger Herzbube werden konnte.
"Seryna, herzlichen Dank, du bist wirklich allzu gut zu mir. Ich freue mich wirklich sehr über das schöne Geschenk. Es wäre nur gewiss schöner, wenn ich dein richtiger Freund wäre. Dann würde deine unglaubliche Liebe garantiert besser belohnt, denn kein Mann kann von solcher Hingabe ungerührt bleiben. Aber für mich ist deine Liebe zu gut. Dein schönes Geschenk freut mich zwar sehr, aber ich möchte nicht unnötig mit solcher Raffinesse meine Frau verhöhnen. Es genügt doch schon, dass ich sie mit dir hintergehe, da will ich ihr nicht noch allerlei raffinierte Lügen zusätzlich auftischen. Weil du dir so viel Mühe damit gegeben hast, nehme ich dein Geschenk diesmal dankend an, möchte dich aber bitten, mir künftig nichts zu schenken außer deiner Liebe; die allein ist schon mehr als genug für jemanden wie mich."
Da tropften schon wieder heiße Tränen auf den Marmorstein der Gruft der Familie Kikuchi. Es tat Jordy wirklich leid, dem Mädchen als Dank für eine Leidenschaft, wie er sie bisher niemals erfahren hatte, weiteres Herzeleid zufügen zu müssen, aber er musste ihr abgewöhnen, ihn ständig mit Gaben und Geschenken zu überhäufen.


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Auch damit war Serynas Kummer noch nicht am Ende. Es gibt im Reiche des Yen nämlich noch einen Weihnachtsbrauch, der vermutlich nicht auf die Bibel zurückgeht. Zu Weihnachten, so schreiben es alle Jugend- und Modemagazine vor, sollen sich junge Paare beweisen, wie lieb sie sich haben. Der Knabe, der seine Angebetete ohnehin gemäß den Vorschriften des Manuals das ganze Jahr über ausgehalten, sie mit Papas Schlitten von der Boutique zum Café und vom Shopping Centre zum Gourmet-Restaurant chauffiert und alle Kosten berappt hat, muss sie an Heiligabend zu Hummer und Kaviar einladen, zur Freude der Gastronomen, die gemeinsam mit den Hotel-Unternehmern diese Broschüren mit "Tipps für Verliebte" nicht ganz uneigennützig austüfteln. Und Nippons fantasielose Jugend hält sich folgsam an das Nachwuchskonsumenten-Manual dieser Profitgeier, bis ein veritabler neuer Brauch draus wird.
Aber damit ist der Advent noch nicht vorbei. Auch das Mädchen hat nämlich Weihnachtspflichten, die an den Kassen weitere Bells zum Jingeln bringen: Gerührt von der Großzügigkeit ihres Romeo darf Julia sich in der anschließenden Nacht nicht verweigern, wenn er sie in ein piekfeines Hotel zur gemeinsamen Übernachtung lädt, und wenn er zu schüchtern ist oder es gar verschusselt, hat sie ihn diskret darauf hinzuweisen, dass dem Heiligabend noch eine Stille Nacht folgen sollte. Und falls dieser Weihnachtsbrauch im folgenden Herbst gar Ergebnisse wie etwa die Geburt eines Christkindleins zeitigen sollte, dann profitieren auch die Vermieter von Umstandsbrautkleidern und die Betreiber der Hochzeitspaläste noch davon. Ein weiterer Konsument wird erwartet und ein Schritt gegen Japans drohende Vergreisung getan. Es hat also alles einen tieferen Sinn.
Solche Sitten waren ganz nach Serynas Geschmack. Sie hätte viel darum gegeben, mit Jordy diese spezielle Art von Christmette zu zelebrieren. Zwar hätte sie ihm nicht gerade eine makellose Tugend zu offerieren gehabt, wie es das Manual, wenn man genau hinsieht, vorschreibt, aber was hätte sie vor ihren Freundinnen damit prahlen können, wenn sie andeutete, Heiligabend bis Heiligmorgen zusammen mit ihrem Nikolaus verbracht zu haben! Doch dafür hätte sie sich schleunigst einen geeigneteren Santa Franz suchen müssen; Jordy konnte sie zu Weihnachten nur für knappe zwei Stündchen ausführen, und das Hotel, das sie da erwischt hatten, war eine schäbige, triste Absteige, die wenig nach Merry Christmas roch. Ihrem Franz musste Seryna auch gleich noch Prost Silvester und Happy Neujahr wünschen, denn die Neujahrsferien waren ausgebrochen; es musste für sie ein völlig neues, ungewohntes Gefühl sein, sich auf den Wiederbeginn des Unterrichts zu freuen.


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Auch ein nettes Weihnachtsmärchen hatte sie auf Lager, im Stil der japanischen Kids. Von ihrer besten Freundin Tokiko erzählte sie, die im Vorjahr bei der Weihnachtsfeier nach Manual von ihrem Freund, einem Marokkaner, von hinten genommen worden war, wobei er sich, absichtlich oder im Eifer des Gefechts, in die falsche Öffnung verirrt hatte, und das will nämlich erst gelernt sein. Tokiko konnte sich am andern Tag, trotz leerer Bahn, nicht hinsetzen, so sehr habe ihr Hinterteil geschmerzt.
Beim Abschied bedankte sich Jordy artig für ein halbes Jahr hingebungsvoller Liebe.
"Was sagst du denn da?", fauchte Seryna ihn an, "ich habe mich zu bedanken! Ich bin so glücklich und dankbar, dass wir heute nicht nur kurz im Café gesessen haben, sondern dass du sogar mit mir geschlafen hast. Ich bitte dich ganz herzlich darum, mich auch im neuen Jahr nicht zu vergessen und zu verschmähen."
Also verschmähen würde er Seryna und ihren jugendlichen Mädchenkörper sicherlich nicht, der sich anscheinend nach nichts anderem sehnte, als von Jordy tüchtig gevögelt zu werden. Und ihre Berichte aus dem Alltag ihrer Kumpaninnen waren für Jordy viel interessanter, als sie auch nur entfernt ahnte. Seryna schien sich nämlich in einer Art von Wettbewerb mit Schwester und Freundinnen zu befinden, wer im Bett die spannendsten Abenteuer erlebte.
Bis zum Wiedersehen im Januar würde die Zeit recht zäh und träge fließen, meinte sie traurig. Und die hundertste Nummer hatten sie im alten Jahr auch nicht mehr geschafft.
"Na gut, dann mach ich sie dir zu deinem Geburtstag im Januar, das ist doch auch was, oder?"
Da strahlte sie wieder, diese verdrehte Liesel mit ihrer rätselhaften Schwäche für so einen verschnarchten Typen wie Jordy. Wie konnte sie einem alternden Geilhansel mit Vorliebe für kurze Röcke und handliche Rundungen nur so idiotisch verfallen sein? Aber Jordy wusste ja, dass sie keinerlei guten Geschmack hatte.

 

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Wenn Seryna drei Wünsche frei hätte, dann wäre Jordy jetzt ledig, 20 Jahre jünger und unrettbar in sie verknallt. Manchmal ist es ganz gut, dass sowas nur im Märchen oder in Goethes 'Faust' vorkommt. Zu ihrem Leidwesen war da sogar der Grottengott machtlos und auch kein Weihnachtsmann erschienen, um ihre Wünsche zu erfüllen. Stattdessen litt sie an Entzugserscheinungen und an Gewissensbissen, denn die Pullover-Affäre hatte ihr deutlich vor Augen geführt, dass Jordy schon anderweitig vergeben war. Sumiko hatte leider aus solcher Einsicht die richtige Konsequenz gezogen. Auch Seryna zog Konsequenzen, wenn auch auf ihre eigene Art:
"Ich habe mir einen Pager angeschafft. Da kannst du mich immer erreichen, ohne bei mir zu Hause anrufen zu müssen."
Damals standen PCs erst auf wenigen Büro-Schreibtischen, das Internet war gerade erst erfunden. In dieser Jungsteinzeit der Kommunikation waren Pager die neuste Errungenschaft. Die Idee kam natürlich von Sumiré, ihrer abgebrühten kleinen Schwester. Deren Hiroshi rief nämlich nur zu offiziellen Anlässen gesittet bei ihr zu Hause an, aber wenn er sie mal wieder orgeln wollte, verabredeten sich die beiden über ihre Pager. Also, das ist so eine Art von Taschenwecker mit eigener Rufnummer, den man antelefonieren und dann einen Zahlencode eingeben kann, eine primitive Vorläufervariante der SMS-Botschaften. Dann klingelt (oder wahlweise) vibriert das Ding in der Tasche, und auf dem kleinen Monitor erscheint die Message, die mit dem Zahlencode eingegeben worden ist. Wenn ihr Vibrator loswubbelt, eilt das Mädchen mit harmloser Miene aufs Klo, zieht das Ding aus der Tasche und liest: "Morgen Treffen -- 17 Uhr -- am üblichen Ort -- Ende."
Noch lieber hätte Seryna natürlich ein Handy gehabt. Aber das Zeitalter, als die Kinder mit sowas auf die Welt kamen und das Smarty wie BH und Lippenstift zur Grundausstattung aller japanischen Mädchen zählte, begann leider erst drei Jahre später. Heutzutage hat wirklich jedes Girl so ein Ding 24 Stunden lang am Ohr kleben und brabbelt ununterbrochen rein oder klimpert mit den Fingern wie besessen auf der Tastatur rum, aber damals war das noch ein Luxus, der horrende Gebühren kostete, die Seryna von ihrem Taschengeld hätte abknapsen müssen. So begnügte sie sich mit dem billigen Pager, von dem ihre Mutter, anders als bei einem Handy, nichts mitbekam. Damals (und heute) standen (und stehen) alle Mütter, die nicht mit den neusten Kommunikationstechniken ihrer Kids vertraut sind, schwer auf dem Schlauch.


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Ihren Vibrator hatte Seryna mit Eifer vorprogrammiert, sogar an Franz hatte sie gedacht. Und das funktionierte. Jordy hatte in Tokyo zu tun und wusste, dass sie um halb eins Orchesterprobe hatte. Ungefähr zur gleichen Zeit wie sie war auch er fertig. Er ging ins Telefonhäuschen, tippte probehalber ein paar Codezahlen ein und fuhr dann zum Bahnhof XY. Wie bestellt wartete Seryna da schon auf dem Bahnsteig und fiel ihm strahlend um den Hals.
"Die Anschaffung hat sich schon gelohnt!", jubelte sie, obwohl sie nur ein Viertelstündchen zusammen im Café sitzen konnten. Am liebsten wäre es ihr gewesen, wenn Jordy sich auch so ein Spielzeug zugelegt hätte, damit er auch ihre Antwort empfangen könnte, aber er hatte nicht die geringste Lust, lauter Zeugs vor seiner Frau verstecken zu müssen; Serynas Episteln waren schon genug. Und dann würde es morgens loswubbern mit "Guten Morgen, Jordy", mittags mit "ich liebe dich", und abends mit "gute Nacht, Franz". Er konnte sich das schon lebhaft ausmalen. So ein Trödel kam ihm jedenfalls nicht in die Tasche, das stand für ihn fest.
Im Januar lagen noch zwei Wochen Unterricht vor den Examina und Semesterferien. Seryna trug ihr rosa Schleifchen im Haar, das ihrem Deutschlehrer signalisierte, dass sie ihn nach den Vorlesungen auf dem Friedhof erwartete. Ein trauerschwarzes Band bedeutete, dass sie wegen irgendwelcher Orchesterproben nicht zum Franzschlecken kommen konnte. Am Eingang zu den Grabstätten flog sie Jordy um den Hals und steuerte, ihn wie immer eng umschlingend, die Grabstätte der Familie Kikuchi an, wo nur wenige Hunde Gassi gehen, dichte Hecken Sichtschutz bieten und ein leicht abwischbares Mäuerchen aus weißem Marmor in der richtigen Höhe zum Sitzen lädt. Als der Weg eine Biegung machte, stießen sie fast mit einem entgegenkommenden, ebenso eng umschlungenen Pärchen zusammen, und durch den dicken Wintermantel hindurch spürte Jordy, wie Seryna zusammenzuckte.
"G-g-guten T-tag", stammelte sie, als die andern nickend und grinsend an ihnen vorbeigingen. Noch waren sie nicht außer Sicht, da sagte Seryna, bleich und mit weit aufgerissenen Augen:
"Das Mädchen ist aus der Kompositionsklasse im Magisterkurs. Die kennt mich gut. Ich muss sie vergattern, dass sie nichts ausplaudert von uns. So ein Mist! Heute Abend noch rufe ich sie an und drohe ihr mit Mord und Totschlag, falls sie sich unterstehen sollte, mir mein Glück zu vermasseln!"
Es gab offenbar noch mehr Leute, die den Friedhof nicht in der Absicht aufsuchten, Blümchen zu gießen. Seryna musste sich wohl bald nach anderen diskreten Örtlichkeiten umsehen, zumal die Tage allmählich wieder länger wurden. Selbst ihr Vergnügen, wenigstens in der Bahn an Jordy zu hängen wie ein Klammerbeutel, fand unversehens ein Ende.
"Das Mädchen, das eben zugestiegen ist, wohnt ganz in meiner Nähe", zischelte sie Jordy ins Ohr und rückte von ihm ab. Er verabschiedete sich höflich und stieg aus. Und zur nächsten Türe wieder ein.
So hatte Seryna ihre liebe Not. Auf offener Straße mit Jordy Händchen halten war riskant, der Friedhof unsicher, die Bahn gefährlich, und anrufen bei ihm zu Hause konnte sie auch nicht. Jordy tröstete sie ab und zu mit einer Botschaft auf ihren Pager, und damit sie nicht vor Trübsal verging, funkte er sie gelegentlich auch zu flüchtigen Treffen. Aber abfinden mochte sie sich mit dieser unbefriedigenden Lage nicht. Not macht erfinderisch, und Seryna, die ohnehin in delikaten Dingen einen erstaunlichen Einfallsreichtum an den Tag legte, frohlockte eines Tages:
"Ich habe eine Methode herausgefunden, wie ich dir auf deine Pager-Botschaften antworten kann, ohne dass ich bei dir anzurufen brauche. Da staunst du, was?"
Da staunte Jordy in der Tat. Wie sollte das denn funktionieren?
Eltern und Ehegatt/inn/en, aufgepasst! Da existiert ein Telefon-Service, bei dem man eine Nachricht auf Band spricht und für 8 Stunden speichern lässt, die jemand anders dann abhören kann. Man muss mit dem Empfänger nur eine Code-Zahl vereinbaren, die den Zugang ermöglicht, damit Unbefugte nicht mithören können. Jordy funkte beispielsweise in Serynas Pager: "Mittwoch 14 Uhr, Zeit für Treffen. Bitte um Antwort."
Zwei oder drei Stunden später wählte er das codierte Tonband an und hörte sie beschwingt zwitschern: "Prima, ich freue mich schon. Ich halte mir den Nachmittag frei. Gib mir an dem Tag per Pager die genaue Zeit und den Ort an und grüß mir den Franz von seiner Mushi! Tschühühüs, ich liebe dich!"


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Diese neue Kommunikationsmethode hatte sie übrigens von Aichan erfahren, einem typischen Exemplar dieser japanischen Unschuldslämmer mit arglosem Lächeln auf ihren runden Kindergesichtern, die unscheinbar und brav im Unterricht hocken, es aber faustdick hinter den Löffeln haben. Um ihren strengen Herrn Papa auszutricksen, der hinter jeder Erwähnung eines männlichen Namens aus dem Munde seiner Tochter eine heimliche Affäre witterte, musste Aichan alle Register weiblicher Tarn- und Camouflagekunst ziehen, und trotzdem wäre es beinahe herausgekommen, dass sie im vorigen Winter nicht, wie zu Hause verkündet, mit Kommilitoninnen zum Skilaufen, sondern mit ihrem Schatz zu zweit nach Hokkaido gefahren war. Seryna hatte sie damals geistesgegenwärtig gerettet, alle ihre Ausreden bestätigt und den argwöhnischen Vater beruhigt. Seitdem war Aichan eine ihrer engsten Verbündeten. Womöglich fing ihr Freund jetzt an, emsig Deutsch zu büffeln, weil Seryna Aichan vorschwärmte, wie prächtig sich ein Schullandheim-Deutschseminar dazu eignete, --- nein, nicht Sprachkenntnisse zu mehren, sondern --- fern aller elterlichen Aufsicht und unter einem unangreifbaren Vorwand tagelang dem Liebsten in den Armen zu liegen.
"Na, Herr Dekan, wie bin ich?", grinste Jordy stillvergnügt vor sich hin, "schon wieder zwei Studenten für das Lehrfach Deutsch motiviert!"


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