2
Der Grottengott

 karussell


Nach dem Seminar hatte Jordy auch von anderen Teilnehmerinnen Post bekommen. Junko, das Schneewittchen, schickte ihm ein Foto, das sie zusammen mit ihm zur Erinnerung aufgenommen hatte, aber ihre Diktion war so formal, dass er mit einem ebenso formalen Dankesbrief antwortete. Auch Hiroko, das Mauerblümchen, sandte ein Foto und einen sophisticated klingenden Studentinnen-Brief, der freilich mit dem Wunsch nach einem Wiedersehen endete.

Ich wohne ganz in der Nähe Ihrer Privathochschule. Bitte teilen Sie mir Tag und Uhrzeit mit, wann Sie dort arbeiten.

Das tat er wunschgemäß, denn es war ja möglich, dass sie es mit dem Treffen eilig hatte. Bei Studentinnen von anderen Unis brauchte er sich nicht so vorsichtig zurückzuhalten wie bei seinen eigenen Schützlingen, und er war gespannt auf den Tag, an dem Hiroko ihm auf seinem Heimweg auflauern würde.

mbk


Zwei, drei Wochen lang ging er also mit geschärften Sinnen von der Schule zum Bahnhof, aber es ereignete sich kein Zwischenfall. Keine Hiroko weit und breit. Die Regenzeit begann, es wurde feucht und schwül. Dann kam wieder ein Brief.

Leider passt es zeitlich nicht. Ich habe selbst Unterricht an diesem Tag und kann wegen kommender Examina keinen Kurs sausen lassen. Bis später....

Allzu stark schien ihr Wunsch nach einem Wiedersehen denn doch nicht gewesen sein. Sie war eben ein echtes Mauerblümchen, nicht sonderlich hübsch und ein bisschen tranig; wahrscheinlich konnte sie sich nicht zu mehr aufraffen als zu einem Brief pro Monat.
Jordy ließ also in der Wachsamkeit nach, denn nun stand nicht mehr zu erwarten, dass irgendwo ein junges Mädchen auf ihn wartete. Gedankenversunken trottete er dem Bahnhof zu.
"Sensei, guten Tag!"
Ein vertrauter Schrei riss ihn aus der Träumerei. Aus dem Eingang der Konzerthalle, an der sein Rückweg vorbeiführte, kam Seryna auf ihn zu gesprintet. Welch ein Zufall! --- Welch ein Zufall?? --- ZUFALL???
"Ich hatte gerade mit meiner Schwester telefoniert, da habe ich Sie gesehen. So ein Zufall!" --- So ein Zufall?? --- ZUFALL???
Die Eingangslobby der Konzerthalle hatte verglaste Wände, moderne Architektur, die gute Aussicht ermöglicht auf den Weg, der draußen vorbei zum Bahnhof führt. Kein Ort war geeigneter, um jemanden abzupassen. Jordy war sicher, dass Seryna wieder etwas ausgeheckt hatte.
"Falls Sie es nicht so eilig haben, gehen wir doch in ein Café, wie wär's?"
Ja, warum nicht? Insgeheim bewunderte Jordy Serynas mutigen, geglückten Coup. Er war zwar entschlossen, bei seinen eigenen Studentinnen nicht von sich aus aktiv zu werden und auch niemanden in Cafés oder Kinos einzuladen. Höchstens zu Deutsch-Seminaren. Aber wenn eine Studentin von sich aus meinte, dass sie damit glücklich würde, mit ihrem Prof einen Kaffee zu trinken, warum sollte er ihr den Gefallen nicht tun?


s6


Seryna war aufgekratzt und redete wie ein Wasserfall; Jordy hatte Mühe, dem auf Japanisch sprudelnden Redefluss zu folgen. Offensichtlich war sie hochgestimmt, weil ihr neuster Streich gelungen war. Sie plumpste in den weichen Sessel, Jordy genau gegenüber; ihr Rock war so kurz, dass er beinahe errötete und Mühe hatte, irgendwo hinzugucken, wo man als anständiger Prof auch hingucken darf. Aber das war gar nicht so einfach mit ihren Nylons in handgreiflicher Nähe und ihren runden Augen, die ihn nicht aus dem Blick ließen. Sie hatte instinktiv alle weiblichen Techniken drauf, einen Mann auf sich begierig zu machen. Sie rührte damit zwar nicht an Jordys Herz wie Sumiko im Vorjahr, aber es war nicht zu leugnen, dass sie über anderweitige Vorzüge verfügte. Jordy vermeinte geradezu das Knirschen zu vernehmen, mit dem sein Prinzip, die Pfoten von seinen Studentinnen zu lassen, zu zerbröseln begann. Warum denn in die Ferne schweifen und auf eine schlappe Atsuko warten, wo dieses üppige Weib viel zielstrebiger vorging, ohne lange Vorankündigung das Wegelagerer-Stück inszenierte und ihm ihre Reize richtiggehend in die Sinne rieb!
Die Unterhaltung verlief in unverfänglichen Bahnen. Sie sprach darüber, dass manche Leute aus der Art, wie sich die Milch im Kaffee verteilt, die Zukunft ablesen zu können vermeinen. Vom Zukunftdeuten zum Aberglauben, vom Aberglauben zu Sternschnuppen, und von da zu Gottheiten, die bestimmte Wünsche erfüllen.
"Bei uns gibt es einen Schrein, dessen Gott oft Wünsche erfüllt. Da hab ich mir in der Neujahrsnacht was gewünscht."
"Sicherlich bessere Deutschkenntnisse."
"Wie gemein!"
Sie zog einen Schmollmund und musste doch beinahe dabei lachen, denn eine Gottheit, die ihr, hokuspokus, die deutsche Grammatik ins Hirn zaubern könnte, die hatte sie sicher schon lange gesucht.
"Im Park bei der Akademie gibt es auch einen freundlichen Gott. Falls du auf Reichtum oder eiserne Gesundheit aus sein solltest, da ist der dafür zuständig, versuch's doch da mal!"
"Reich werden kann zwar nichts schaden, aber mein Herzenswunsch ist von anderer Art", sagte sie, Jordy herausfordernd anblickend.
Er konnte sich's fast schon denken, hatte aber keine Lust auf Geständnisse. Er musste sich erst darüber klar werden, wie er darauf reagieren sollte. Mit einer seiner Studentinnen anzubandeln, das konnte ihn Kopf und Kragen, zumindest aber Ruf und Job kosten, wenn er da leichtsinnig reinschlidderte. Pass auf, wenn dir als Lehrkraft eine Schülerin nachläuft! Wenn du sie nämlich vergrätzt, kann sie im schlimmsten Fall mit gezielten Verdächtigungen und Denunziationen ziemlich unangenehm werden, in weniger schlimmen Fällen aber ausflippen und Weinkrämpfe inszenieren, das ist auch nicht sehr erfreulich. Wenn so ein Girl tatsächlich verliebt ist, meinte Jordy, sei es das Beste, sich die Kleine ins Bett zu lotsen, dann sind beide Partner zufrieden und glücklich miteinander, aber nur bis zum ersten handfesten Krach oder bis die Sache auffliegt. Jordy spielte mit dem Feuer und war alt genug, um das zu wissen, aber womöglich noch nicht alt genug, um sich auch daran zu halten, falls Seryna ihm noch länger ihren verwegen hochgerutschten Minirocksaum unter die Nase reiben sollte.



s7


Auf dem Weg zum Bahnhof grüßte ihn eine junge Blondine, die zufällig des Wegs gelaufen kam, und quackelte einen Augenblick mit ihm auf Deutsch, während Seryna, die ihm nicht von der Seite gewichen war, wartend abseits stand.
"War das Ihre Freundin?", fragte sie ihn hinterher sofort.
"Das ist meine Studio-Partnerin bei Aufnahmen für Kassetten und CDs für deutsche Lehrbücher..."
"Was, es gibt Kassetten und CDs mit Ihrer Stimme? Wenn ich so eine hätte......!"
"Wenn das dein Herzenswunsch war, da brauchst du keine Götter zu belästigen, den kann ich dir auch erfüllen. Ich habe einen Haufen Musterkassetten, die mir nichts nützen, die kannst du alle haben."
War die Freude, die sie da aufsetzte, wirklich echt? Über so einen Tinnef kann man doch nicht so jubilieren! Diese seltsame Tussi musste einen gewaltigen Knall haben, dessen Art ihm noch nicht ganz klar war: Total verknallt oder total durchgeknallt? Oder probte sie ein noch unbekanntes Bühnenstück, das hohe Schauspielkunst erfordert? Einen Moment lang war Jordy versucht, auf den Busch zu klopfen und sie direkt zu fragen, was mit ihr los war. Aber dann ließ er es sein und war wieder seriöser Prof. Dass ihr rätselhaftes Interesse an so einem Schnarchsack wie ihm eine Art von Verliebtheit sein könnte, das wollte ihm nicht in den Kopf, da war garantiert irgendwas faul an der Sache, und reinlegen lassen wollte er sich von so einem Kindskopf nicht.
Im Nachhinein bereute er sein Zögern doch. Er hätte alles klar machen sollen, denn es war der letzte Schultag des Semesters gewesen. Ab morgen begannen die Sommerferien, da würde er monatelang keine Seryna mehr sehen, und ihm auch in den Ferien, zu Hause und privat, nachzustellen, diese Dreistigkeit traute er ihr wohl zu Recht nicht zu. Jordys Frau hatte vor, ihn im Sommer ein paar Monate lang allein zu lassen, um durch Amerika zu touren; da wäre ein handfester Flirt mit der offenkundig leicht zugänglichen Seryna eine gelungene Abwechslung gewesen. Aber jetzt war sie weg, hockte in ihrem Zug und ärgerte sich wahrscheinlich genau wie er über die verpasste Chance. Dass er so zimperlich agierte, lag nur daran, dass er Lehrer war und hehre Prinzipien hatte, die freilich noch keiner ernsthaften Probe ausgesetzt waren. Aber was soll's, seinen Ärger hatte er schließlich seinem eigenen Zögern zuzuschreiben.

tsunami


Vor rund einem Jahr hatte Jordy zum ersten Mal sein Engelchen geküsst. Es war ein ebenso regnerischer Tag gewesen wie heute. Die Regenzeit in diesem Jahr machte ihrem Namen alle Ehre, stimmte ihn aber doppelt trübsinnig: Engelchen entflogen und Seryna verpasst!

Das Semester war zu Ende, aber Jordy hatte einmal pro Woche noch im Seminar zu tun. Eine Doktorandin betreuen, in der Bibliothek recherchieren, Bürokram erledigen. Dass die Doktorandin aber auch ausgerechnet heute, da es wie aus Knopflöchern schüttete, seinen Rat brauchte! Ein gutes Stündchen, dann war die Sache erledigt; er ging rüber zur Bibliothek.
 
"Sensei, guten Tag!", schallte es da überfallartig durch die fast menschenleeren Flure. Kaum zu glauben, aber Seryna stand in einer Ecke und war am Telefonieren. Der Mensch am andern Ende der Leitung wird einen gehörigen Schrecken bekommen haben, als sie plötzlich losbrüllte wie von der Wespe gebissen. Nur noch wenige Studenten verirrten sich durch die ferienhaften akademischen Hallen, und ausgerechnet Seryna lief Jordy da über den Weg! Innerlich freute er sich, sie nun zufällig doch noch einmal erwischt zu haben, ließ sich aber nichts anmerken, nickte nur freundlich und ging zur Bibliothek. Falls Serynas tägliche Modenschau ihm gegolten haben sollte, konnte er davon ausgehen, dass auch sie nicht damit gerechnet hatte, ihn anzutreffen, denn heute trug sie Jeans und T-Shirt. Aber er war ziemlich sicher, dass sie sich die heutige Chance nicht entgehen ließe. Zur Probe ging er nach einer halben Stunde zurück zum Seminarraum. Wie erwartet, lungerte sie noch in der Nähe herum und kam gleich auf ihn zugeschossen.
"Geben Sie heute Unterricht? Ich habe nicht erwartet, Sie hier zu treffen. Ich sollte heute noch eine Gesangsstunde haben, aber mein Lehrer ist einfach nicht gekommen."
"Gesang? Ich dachte, du bist Klarinettistin?"
"Na ja, singen ist mehr ein Hobby. Aber ich nehme regelmäßig Stunden, die auch im Curriculum anerkannt werden. Wie lange bleiben Sie denn noch hier?"
Eigentlich ging sie das einen feuchten Kehricht an, aber Jordy musste sich jetzt entscheiden. Wenn er ihr nämlich erzählte, dass ihm ihre Aufdringlichkeit schwer auf den Keks gehe, könnte er sich ihrer für immer entledigen. Wenn er ihr aber freundlich antwortete, bekäme er dafür in den Sommerferien womöglich allerhand Spaß. Ihre großen Mädchenaugen und ihre wohlgerundete Brust, die sich unter dem T-Shirt gefällig abzeichnete, nahmen ihm die Wahl ab. Er machte einen kleinen Test mit ihr:
"Ich habe bis etwa drei Uhr noch zu tun. Und du bist heute ganz umsonst gekommen?"
"Ja, eigentlich wollte ich jetzt wieder heimfahren...."
Genau das hatte Jordy hören wollen. Jetzt würde er nämlich bald sehen, ob sie wirklich hinter ihm her war oder sich nur einen Gag erlauben wollte. Sie müsste nämlich jetzt knapp zwei Stunden auf ihn warten, zu lang für einen Gag, für Verliebte aber nur ein Augenblick, da es vor den Sommerferien wirklich die allerallerletzte Chance war. Er wollte eine Stunde lang in der Bibliothek arbeiten und dann wieder zum Seminarraum gehen. Wenn sie dann nicht zu sehen wäre, bliebe er wie geplant bis um drei und klappte dann pünktlich die Buchdeckel zu. Er war gespannt, ob sie einfach heimginge oder ihm wieder irgendwo auflauerte.
Der Test funktionierte prächtig. Schon als er nach einer Stunde zum Seminarraum ging, sah er sie in der Lobby hocken und mit einigen Kommilitonen schwätzen. Sie war also entschlossen zu warten. Knapp 10 Minuten später, als er wieder auf dem Weg zur Bibliothek war, saß sie alleine da.


s8


"Wolltest du nicht heimgehen?"

"Och, ich habe in der Mensa was gegessen und dann ein paar Freundinnen getroffen", antwortete sie ausweichend. Gut, er wollte sie nicht länger quälen, da sie ganz offenkundig bis um drei Uhr auf ihn warten wollte.
"Komm mit ins Lehrerzimmer, da ist die Klimaanlage an. Du hast ja von der Hitze und Feuchtigkeit ein ganz rotes Gesicht! Ich habe auch die versprochenen CDs und Kassetten da, die kannst du dir abholen."
Sie folgte ihm unverzüglich ins Lehrerzimmer, in dem außer ihnen kein Mensch war. Jordy machte seine Fotokopien, und Seryna legte gleich die erste Kassette in ihren Walkman und fing an, Deutsch zu pauken. So eine Schauspielerin! Diesen unnatürlichen Studieneifer nahm er ihr einfach nicht ab. Aber heute wollte Jordy es wissen. Jetzt lud er sie, seine Prinzipien völlig missachtend, in ein Café. Noch bevor der Eiskaffee kam, fragte er sie direkt und in ruhigem Ton, als sei es eine Selbstverständlichkeit:
"Was magst du eigentlich so an mir? Ich bin doch nichts für junge Studentinnen."
"Ja, das weiß ich auch nicht, das kann man ja nicht begründen. So geht es eben, wenn man in jemanden verliebt ist."
"Weißt du, was das für mich bedeuten würde, mich mit dir auf eine heimliche Sache einzulassen?"
"Das habe ich mir schon lange in allen Einzelheiten ausgemalt. Ich bin da ungemein geschickt. Ich würde Sie in keiner Weise kompromittieren. Seit dem Deutsch-Seminar, als ich erfahren habe, dass Sie ein anderes Mädchen lieben, bin ich total deprimiert."
Sie wollte offensichtlich rein in eine Affäre mit Jordy, leugnete nichts, zuckte keinen Augenblick zurück und ging ihm einfach nach, unaufgefordert und ohne zu fragen wohin, als er vom Café aus nicht den Weg zum Bahnhof nahm, sondern im Nieselregen langsam zu dem Schrein am Rande des Parks ging.
"Hier vorne sitzt der Gesundheitsgott, und dahinten wohnt der Finanzgott", erzählte er ihr.
"Ja, die kenne ich auch", nickte sie und warf ein paar Groschen in den Opferkasten der reich machenden Gottheit. Wenn sie dich erhört, sind die Groschen besser angelegt als bei jeder Bank.
"Dahinten haust noch ein dritter Gott, kennst du den auch?"
"Nein, wo denn?"
"Komm, ich zeig ihn dir. Was für Wünsche der erfüllt, weiß ich nicht, aber du kannst ihn ja mal testen."
Hinter einem Nebengebäude gab es einen überdachten Gang, von Lampions funzelig erleuchtet, der um die Ecke in eine Felsnische führte. In dieser Grotte residierte der dritte Gott, und dort standen Jordy und Seryna zu zweit im Dämmerdunkel, allen Blicken entzogen. Jordy wusste freilich genau, was für Wünsche der Grottengott erfüllte, wenn man nur das Seine dazu beitrug.
Noch immer erschien ihm eine Beziehung mit Seryna vollkommen unrealistisch, und was sie an ihm so attraktiv fand, war ihm erst recht unbegreiflich. Aber spätestens seit dem ersten Cafébesuch hatte er an ihren Reizen Gefallen gefunden. Ihre Miniröckchen und elegant bestrumpften Knie, ihre gute Figur und ihre gefällig geformte Brust lockten seine Sinne. Das alles sollte er sich entgehen lassen, obwohl er demnächst als Strohwitwer monatelang alleine hocken würde? Nein, heute wollte er sie sich holen, die ohnehin willige Seryna.


s9

Er stand einen Schritt schräg hinter ihr, während sie sich vor dem Grottengott verneigte und um seinen Beistand flehte, und als sie damit fertig war und sich zu Jordy umdrehte, nahm er sie einfach in die Arme. Hatte sie das schon kommen sehen? Sie reagierte keineswegs überrascht. Oder doch? Fünf, acht, zehn Sekunden stand sie völlig reglos, wie erstarrt, bevor sie die Umarmung erwiderte, erst zaghaft, aber dann auf einmal mit einer solchen Leidenschaft, dass ihm fast die Puste wegblieb. Sie quetschte Jordy wie eine Ziehharmonika und saugte ihn beim Küssen so gierig aus, als sei sie am Verdursten gewesen. Bei diesem Regenwetter verirrte sich kein Mensch in das Heiligtum, und sie waren derart hitzig ineinander verkrallt, dass es dem Sankt Grottius die Sprache verschlagen haben muss; er enthielt sich jedenfalls jeglichen Kommentars. Jordys Hände waren längst unter Serynas T-Shirt angelangt, aber nur am Rücken, auf der schweißnassen Haut, denn ihre Vorderseite war wie mit seinem Bauch verwachsen. Wer weiß, wie lange sie ihn so auspresste, aber es dämmerte schon, als sie den Ort verließen. Seryna nahm die selbe Bahn wie Jordy, das bedeutete für sie einen Umweg und einmal mehr umsteigen, machte ihr aber nichts aus, wenn sie dafür länger mit ihm zusammen sein konnte. Sagte sie. Sie schien total verliebt zu sein. Oder tat zumindest so.
Jordy begriff das Mädchen nicht. Jung und blühend, hübsch und attraktiv, kess und chic, sie hätte doch unter den Jungs nach Belieben auswählen können, und nun hing sie am Bauchspeck eines angealterten, angefalteten, verheirateten Ausländers.
"Jedem Tierchen sein Pläsierchen", sagte sie nur, als Jordy sich offen über ihre seltsame Vorliebe wunderte. Dass er verheiratet war, wusste sie doch hoffentlich? Nicht dass sie sich irgendwelchen Illusionen hingab.
"Jaja, seit dem Seminar weiß ich doch Bescheid. Die Kommilitoninnen haben der Nadine ja alle Würmer aus der Nase gezogen."
"Und dir gleich weitererzählt?" - "Klar doch."
Dass sie Jordy mochte, fand sie jedenfalls überhaupt nicht komisch.
"Mir ist vielmehr schleierhaft, wie Ihre Freundin vom letzten Jahr einfach Schluss machen konnte."
"Ja, damit ist es vorbei. Ich habe sie seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen, die Sache ist leider zu Ende."
"Das ist sicher schade. Mich könnte es freuen, aber Sie haben sie anscheinend ziemlich geliebt."
"Ja, das war mein Fehler. Es war eine allzu einseitige Zuneigung. Ich verliebe mich so schnell nicht wieder, das bringt nur Kummer."
"Und jetzt bin ich einseitig verliebt, nicht wahr? Aber das bereue ich nicht, und wenn ich nachher noch so viel Kummer habe. Heute hatte ich gedacht, so ein Mist, bei dem Regen extra in die Akademie gefahren, und dann kommt der Lehrer einfach nicht. Aber es hat sich trotzdem gelohnt, dass ich gekommen bin, das ist ein sagenhafter Glückstag heute! Das hat sich echt gelohnt...! Und ich hatte schon geglaubt, ich sehe Sie bis zum Herbst nicht wieder --- wie sollte ich nur die Sommerferien überstehen?"
"Na, bisher hast du ja auch ohne mich überlebt. Hör mal, Seryna, sei so gut und lass das Sie bleiben. Wir sind doch nicht in der Schule."
"Ach, das ist Gewohnheit. Was soll ich denn sonst sagen?"
"Lass dir was einfallen. Ich habe jedenfalls keine Lust, eine Studentin zu küssen, die dauernd Herr Professor zu mir sagt. Sonst kriegst du am Ende noch Noten für deine Kusstechniken."
"Ich bin zuversichtlich, in dem Fach auch ein Oberstufen-Examen zu bestehen. Aber ich übe auch gern noch ein bisschen. Wann können wir uns wieder treffen?"
Nächsten Dienstag.


weiter home