VALSE TRISTE

Adagio blu

 

noten

 

Während der Sommerferien....

.... war sich Jordy durchaus nicht sicher, ob Yukari wochenlang treu auf ihn warten würde wie ein Haushund. Da ihre Beziehung aber noch recht frisch war, sagte er sich voller Zuversicht, dass sie sich wohl ebenso auf das Wiedersehen freuen werde wie er. Er kaufte allerlei Mitbringsel, um ihr eine Freude zu bereiten, und klingelte gleich nach der Rückkehr ihr Handy an. Und klingelte und klingelte, dreimal, fünfmal, keine Reaktion. Auch sein Monitor blieb ohne SMS. Was war da nur los? Warum sie nicht mal ihr Handy abnahm, wenn es angeläutet wurde, war ihm ein Rätsel. Bis der Unterricht an der Akademie anfing, gelang es ihm nicht, Kontakt mit ihr aufzunehmen.

Yukari pflegte nicht gerne über private Dinge zu sprechen. Nicht einmal ihre Anschrift kannte Jordy. Dafür hatte sie aber auch ihn nie nach seiner Adresse gefragt. Jordy wurde das Gefühl nicht los, sie habe mit Bedacht vorgesorgt, um sich jederzeit problemlos von ihm lösen zu können, ohne von Telefonanrufen verfolgt zu werden. Da Jordy nicht vorhatte, sie festzuhalten, wenn sie fortlaufen wollte, hatte er auch nie nachgefragt oder insistiert. Sollte sie ihm aber schon jetzt entwischt sein? Unmöglich, in der Klasse würde sie wieder vor ihm hocken, beruhigte er sich.

 

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Der erste Unterricht kam, aber Yukari nicht. Jordy hoffte noch, dass sie sich nur verspätet hatte, aber sie kam einfach nicht. Dafür erschien, mitten im Unterricht, auf seinem Monitor eine SMS.

"Bin noch in Nagano, komme bald wieder zurück. Kann aber heute nicht zur Schule kommen."

Was machte Yukari in Nagano? Hatte sie da Verwandtschaft? Mit einem Typ auf Reisen? Jordy war enttäuschter als er sich eingestehen mochte, obwohl sie doch genau zu der Stunde, in der sie in seinem Unterricht sitzen sollte, an ihn gedacht hatte. Er versuchte in der folgenden Woche erneut mindestens 10mal vergebens, sie anzurufen. Am Tag vor dem nächsten Unterricht eine Woche später meldete sie sich endlich wieder.

"Bin gestern Abend zurückgekommen, habe aber Fieber und kann wahrscheinlich morgen nicht zum Unterricht kommen."

Sollte Jordy das glauben? Bisher hatte sie noch keine einzige Stunde versäumt, und jetzt bummelte sie schon zwei Wochen lang.... Und er hatte sich wirklich sehr auf das Wiedersehen gefreut. Hier pfuschte ihm anscheinend schon wieder irgend ein ungerufener Co-Regisseur ins Handwerk! Jordy musste zugeben, dass er die Regie aus den Händen verloren hatte. Noch eine Woche warten.... dachte er und traute deshalb seinen Augen nicht, als er in die bewusste Klasse trat und Yukari mitten unter ihren Kommilitoninnen saß, als sei ihre Anwesenheit das Natürlichste auf der Welt.


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Nach dem Unterricht würde er sie endlich sprechen können, freute er sich, aber als er sie dran nahm, flüsterte sie, sie sei total erkältet und habe keine Stimme, und nach dem Unterricht verließ sie wie alle anderen Studenten den Raum und war danach nirgendwo aufzufinden. Jordy tapste suchend durch die Akademie und bis zum Bahnhof, aber er musste nach Hause fahren, ohne ein einziges privates Wörtlein mit ihr geredet zu haben. Verflixt, wer hatte sich das ausgedacht, wer führte hier eigentlich Regie?

Auf seinem einsamen Heimweg merkte Jordy, wie sehr er dieses Mädchen wirklich mochte. Dass Seryna ihn nach vier langen Jahren nun verlassen wollte, ging ihm weniger nahe als der Gedanke, dass Yukari, mit der er sich gerade erst angefreundet hatte, sich von ihm trennen könnte. Wäre sie ihm gleichgültiger gewesen, wäre er an diesem Abend nicht so niedergeschlagen nach Hause gefahren. Und wenn er bedachte, dass sie ihn womöglich mit Absicht auf Distanz hielt, war er nahe daran, in trübem Blues zu ertrinken. Vor den Ferien war er noch high und happy gewesen, weil ihm gleich zwei junge Mädchen zur Verfügung standen, und wenn die eine bei einer günstigen Gelegenheit verhindert war, dann konnte er sich mit der anderen vergnügen, aber auch Seryna hatte die Ferienzeit genutzt, um sich weiter von ihm zu emanzipieren und war an weiteren Treffen kaum noch interessiert. Sollten ihm nun alle beide Gespielinnen gleichzeitig abhanden gekommen sein? So hatte er sich die Inszenierung des 3.Aktes nicht vorgestellt.

 

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"Och, ich hab das Handy nicht mitgenommen auf die Reise. Tut mir leid, dass Sie so oft vergeblich angerufen haben, und jetzt konnte ich wegen meiner heiseren Stimme auch nicht telefonieren und bin nicht drangegangen, wenn's gebimmelt hat. Als Sängerin muss ich meine Stimme wirklich sorgsam behandeln", sagte sie leichthin, als er sie endlich telefonisch erreichte.

Ja, eigentlich hatte sie da ganz Recht, ihre Gründe waren so einleuchtend, dass Jordy sich wunderte, dass er nicht selbst darauf gekommen war und sie verdächtigt hatte, sich aus dem Staube machen zu wollen. Und als er andeutete, er wolle sie beim nächsten Mal nach der Schule wieder treffen, war sie ohne zu zögern einverstanden. Jordy war vollkommen beruhigt; die Mitbringsel aus Deutschland hatte er also doch nicht umsonst mitgeschleppt.

"Nur habe ich nicht allzu viel Zeit", fügte sie hinzu. Auf der Stelle waren sie alle wieder da, die finsteren Verdachtswolken.

"Sie wissen doch, dass ich jetzt abends jobbe. In dem Sushi-Restaurant, von dem ich Ihnen erzählt hatte."

Stimmt. --- Zosch, waren die dunklen Wolken wieder fortgeblasen. Von ihrem Job hatte sie erzählt, und dass sie da abends immer den Duft von Sushi in der Nase und tausend Leckereien vor Augen habe, am Ende aber nur einen Teller Reis und ein Schälchen Suppe bekomme, bevor sie heimgeht. Es gab also keinen Grund, ihr zu grollen, sie konnte wirklich nichts dafür, dass sie nicht ans Telefon gegangen und nicht zum Unterricht gekommen war, und heute auch nur ein Viertelstündchen mit ihm zusammen bis zum Bahnhof gehen konnte. Für einen Café-Besuch reichte die Zeit nicht, ja noch nicht einmal Händchen halten war möglich, so nahe an der Schule, und der erste Kuss nach den Sommerferien rückte erst recht in weite Ferne.

Yukari freute sich sehr über die Aufmerksamkeiten aus Deutschland und plauderte auf dem Weg zum Bahnhof mit ihrer wieder geheilten Glockenstimme so wie früher auch. Sie checkten ihre Termine ab und fassten ein Datum für ein baldiges Rendezvous ins Auge. Das war freilich nicht leicht, denn Yukari jobbte nicht nur abends, sondern an Wochenenden und Feiertagen auch nachmittags; und da sie ungern die Schule schwänzte, blieb ihnen wirklich kaum noch eine Möglichkeit, zusammen auszugehen oder gar im Hotel miteinander Spaß zu haben.

2


Immerhin war Jordy erleichtert, dass es offenbar doch keine Veränderung in ihrer Beziehung gegeben hatte, nur die Umstände waren wohl etwas stacheliger geworden. Aber irgend etwas in seinem Innern grummelte noch, ein ganz leiser Zweifel lebte noch fort. Um ihn zu vertreiben und sich Gewissheit zu verschaffen, dass alles unbegründet war, fragte er Yukari beim Abschied an der Sperre wie beiläufig:

"Und sind deine Gefühle für mich noch die gleichen wie vor den Sommerferien?"

 

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"Hm, ich habe mir in den letzten Wochen allerlei Gedanken gemacht über unsere Beziehung....", gab sie zurück.

Jordy stand da wie vom Schlag gerührt. Solche Floskeln waren ihm höchst geläufig. Wohin es führt, wenn seine Partnerinnen anfangen zu denken, war ihm hinlänglich bekannt, und das Ergebnis stand auch schon fest. Wer will denn schon, bei genauem Nachdenken, auf Dauer als Geliebte eines verheirateten, geilen Schnarchsacks, der nicht mal genug Zeit für eine gemeinsame Übernachtung oder eine kleine Ferienreise hat, sein junges Leben vergeuden? Anstatt seine instinktiven Zweifel zu vertreiben, hatten Yukaris Worte sie zu der Gewissheit verdichtet, dass er sich momentan schon nicht mehr im dritten Akt seiner Inszenierung befand, sondern dass der Taktstock zum Finale schon geschwungen wurde.

"Yukari, du bist frei in deinen Entscheidungen. Ich halte dich nicht fest", brachte er schließlich hervor, aber sie wusste anscheinend nicht recht, was er damit meinte. Jordy hatte womöglich schon das Endergebnis ihrer Grübeleien vorweg genommen, zu dem sie selbst noch gar nicht gelangt war. Sonst hätte sie es ihn schon wissen lassen, anstatt mit ihm einen Termin für das nächste Treffen zu vereinbaren. Aber Jordy hatte genug Erfahrung mit jungen Mädchen, und gerade die etwas sphinxhaften Typen wie Yukari waren ihm durchaus geläufig.

Sein Heimweg heute war noch trostloser als vor einer Woche. Gestern erst hatte er ein intimes Treffen mit Seryna gehabt, bei dem er überdeutlich gespürt hatte, dass es das allerletzte gewesen war. Das Ende war glasklar abzusehen, aber er hatte sich im Vertrauen auf Yukaris Zuneigung getröstet. Nun aber befiel ihn eine richtige Depression, denn ihm wurde bewusst, dass er seinen Lebens- und vor allem Liebeszenit überschritten hatte und der Weg abwärts führte. Er war vielleicht nie richtig erwachsen geworden, denn noch immer fand er sein Leben vor allem dann lebenswert, wenn es ihm gelang, ein hübsches Girl abzuschießen, bevor er altershalber außer Konkurrenz gerate, und nach jedem Abschied bekam er einen tiefen Jahresring mehr auf den Buckel, was seine Chancen auf neue Aventüren stetig weiter verringerte. Wie es danach weiter gehen sollte, was dann noch seinem restlichen Leben Inhalt und ihm selbst noch Freude bringen konnte, hatte er sich schon oft überlegt ---- und war zu keinem eindeutigen Ergebnis gekommen. Im Gegenteil, am Altwerden schreckte ihn weniger die Furcht vor Krankheit oder Gebrechlichkeit, sondern vielmehr die Aussicht auf eine endlose und unheilbare Frustrationsfolter.


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Dass es mit all seinen Liebschaften nun quasi gleichzeitig zu Ende gehen wollte, schlug Jordy erheblich aufs Gemüt. Es dauerte einige Tage, bis er sich zu der Einsicht durchrang, dass bei Yukari das Ende ja noch gar nicht gekommen war. Einmal noch, da war er sicher, würde sie sich nicht verweigern, einen wonnevollen Abschied würde sie sich gewiss noch abringen lassen. War es ihm schon nicht gelungen, den spannenden Anfang nach seinem Geschmack auszudehnen, so wollte er wenigstens das Ende stilvoll gestalten. Seine Empfindungen kulminierten in einem etwas traurigen Brief, den er Yukari übergeben wollte, aber da sie in der folgenden Woche wider ihre sonstige Gewohnheit dem Unterricht fernblieb und ihm die Freude, sie wiederzusehen, verdarb, hätte er ihn beinahe fortgeworfen. Am Sonntag aber erreichte er sie wieder einmal über ihr Handy und erwähnte, dass auch er sich Gedanken gemacht und sie schriftlich festgehalten habe.

"Oh, können Sie mir das nicht gleich zufaxen?", war Yukaris Reaktion.

"Unmöglich, es ist mit dünnem Bleistift geschrieben. Aber ich könnte es per Post schicken."

"Ja, das geht auch. Ich bin schon gespannt."

"Du weißt sicher, dass ich deine Adresse nicht kenne."

"Was, wirklich nicht? Na ja, ich weiß Ihre ja auch nicht."

Bereitwillig diktierte sie Jordy ihre Anschrift. Aber als sie Jordys wollte, um ihm einen Antwortbrief zu schicken, sagte er nur:

"Die wirst du als Absenderangabe finden."

Er hatte aber nicht vor, ihr seine Anschrift zu verraten und dann womöglich Mädchenbriefe zu erhalten, die dann seine Frau aus dem Briefkasten fischen würde. So ein Risiko wegen einer vorübergehenden Geliebten einzugehen, die nur noch mit seinen Gefühlen spielte, den Absprung jedoch schon im Sinn hatte, das war ihm Yukari nicht mehr wert. Den Brief steckte er zwar in einen Umschlag und klebte auch die Marke drauf, aber dann ließ er ihn erst mal liegen, denn er verstand sich ebenfalls auf Methoden, so eine kleine Sphinx aus der Ruhe zu bringen.

 

des26

 

Wie erwartet erhielt er nach fünf Tagen eine SMS.

"Brief ist nicht eingetroffen. Ist etwas schief gelaufen?"

Sie hatte also tagtäglich die Post erwartungsvoll durchgesehen. Da sie mal wieder ihr Handy auf Anrufbeantworter umgestellt hatte, sprach er ihr aufs Band:

"Keine Angst, ich habe ihn noch nicht abgeschickt. Ich mache mir neuerdings auch allerlei Gedanken. Aber nächste Woche wird er wohl kommen."

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