FINALE
Presto furioso
Zum Unterricht ....
....erschien
Yukari wieder einmal, arbeitete gut mit und sah Jordy lächelnd
an. Sie war chic gekleidet, Ohrringe, Halskette, Rock und Nylons,
genau so, wie Jordy es liebte, als ginge sie anschließend mit
ihm zum Rendezvous. Und als Jordy die Schule verließ, traf es
sich, dass er ihr just am Ausgang begegnete, auch sie offenkundig
auf dem Heimweg. Eine Situation wie vor wenigen Monaten, mit dem
Unterschied, dass es heute ein wirklicher Zufall war. Sie
verneigte sich höflich, als sie ihn bemerkte, sagte "auf
Wiedersehen" und schlug die Gegenrichtung ein, während
Jordy langsam und unendlich traurig zum Bahnhof trottete.
Eigentlich hatte er den Glauben an ein Wiederaufleben ihrer Beziehung noch nicht aufgegeben, denn sie hatte sich ja willig gezeigt, zu einem weiteren Treffen zu erscheinen. Zugleich hatte er aber auch die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass sie es sich doch noch anders überlegen würde, und versucht, sich innerlich auf den nahen Abschied einzustellen. Dennoch schmerzte ihn diese Begebenheit wieder unerwartet heftig. Der anschließende Liederabend, zu dem er eingeladen war, brachte ihm keinen Trost. Ihm war vielmehr richtiggehend zum Heulen zumute, wenn er sich Verse wie die aus der "Zeitlose" (Strauss) anhören musste.
"Die letzte Blume, / die letzte Liebe, / sind beide wunderschön, / doch tödlich."
Er konnte von Glück reden, dass der Sänger katastrophal schlecht war und mit seinem stümperhaften Krächzen jede Sentimentalität, die aufzuwallen drohte, zuverlässig zerschredderte. Andernfalls hätte Jordy bestimmt ein ganzes Päckchen Papiertücher verbraucht.
Bis zu dem Tag, für den sie ein letztes Treffen ins Auge gefasst hatten, blieb nicht mehr viel Zeit. Jordy versuchte noch einige Male, Yukari über ihr Handy zu erreichen, um Ort und Zeit festzulegen, aber sie hatte es ständig auf Anrufbeantworter umgestellt. Tagelang. Er konnte sie einfach nicht erreichen und wusste auch, warum. Schließlich zeigen die Handys auf ihrem Display an, woher der Anruf kommt. Da ist es leicht, bei unerwünschten Anrufern einfach auf Anrufbeantworter umzustellen, wenn man mit jemandem nicht sprechen mag. Jordy machte sich keine Illusionen mehr, sprach ihr aber trotzdem noch eine Nachricht aufs Band. Ihre einzige Reaktion indes war eine kurze SMS:
"Danke
für Ihren Anruf. Den Brief habe ich auch erhalten."
Nun gut, wenn das Finale also doch anstand, wollte Jordy sich vor seinem Part nicht drücken. Die Paukenschläge würde er dazu schon beitragen. Bis zu dem Termin, der für das Abschiednehmen vorgesehen war, blieb noch eine Woche, und noch immer hatte er keine Zusage von Yukari. Dennoch wollte er noch einen letzten Versuch unternehmen und klingelte wieder ihr Handy an, ohne sie an die Strippe zu kriegen.
Daraufhin zog er den Schlussstrich entschlossen selbst. Er unternahm keinen einzigen weiteren Versuch mehr, mit Yukari Kontakt aufzunehmen. Wahrscheinlich hatte sie sich längst einen neuen Darling geangelt, und Jordy würde sich vor den beiden nur lächerlich machen, wenn er jetzt noch betteln oder ihr hinterherschluchzen würde.
Drei Tage vor dem geplanten Rendezvous erhielt er eine längere Botschaft auf sein Display. Aber kein Wort von "ich freue mich auf das Treffen" oder dergleichen. Stattdessen ein diplomatisch formuliertes Adieu.
"Ich mag Sie noch immer sehr, aber ich darf mich nicht gehen lassen. Ich muss geradlinig leben."
Was immer das heißen mag. Mit anderen Worten, sie hatte genug davon, einem verheirateten ältlichen Ausländer als Spielzeug zu dienen. Als Erzieher musste Jordy ihr beipflichten, selbst wenn ihre Begründung nur vorgeschoben sein mochte. Er war zwar traurig und enttäuscht, aber er ließ sie laufen. Er reagierte nicht auf ihre Botschaft, klingelte ihr Handy nicht mehr an und änderte seine SMS-Adresse. Aus einem versiegten Brunnen lässt sich kein Wasser mehr schöpfen, da ist es am Besten, man verschließt ihn mit einem festen Deckel.
Yukari
ließ sich nicht wieder blicken, weder im Unterricht noch auf dem
Schulweg. Sie vermied es womöglich sogar, den Campus an dem
einzigen Tag zu betreten, an dem Jordy dort unterrichtete, denn
er sah sie nicht mehr, obwohl das akademische Jahr noch längst
nicht zu Ende war. Vielleicht glaubte sie ja, er sei ihr böse
oder würde sie zur Rede stellen, aber der Fall war ja klar.
Jordy wusste, dass eine Oper nach dem letzten Vorhang zu Ende
ist. Den Schein für die Kurse dieses seltsamen Jahres würde er
ihr schon geben, auch wenn sie nun so ostentativ seinen
Unterricht schwänzte. Dabei wäre das gar nicht nötig gewesen.
Er verstand es durchaus, die Contenance zu wahren, sie genau wie
alle anderen Studenten zu behandeln, ohne sie im Unterricht
bloßzustellen oder zu piesaken. Yukari war doch ein adrettes,
perfektes, anschmiegsames Mädchen gewesen, das ihrem Lehrer
manche höchst vergnügliche Stunde bereitet hatte, wie hätte er
ihr dafür auch nur im Geringsten grollen können?
Nur eines wurmte ihn noch lange: Nach dem verpatzten Anfang war ihm nun auch das Finale missraten und von einem unbekannten Regie-Rivalen in prestissimo zu Ende dirigiert worden. Jordy begann es einzusehen: Er war reif für die Pensionierung, ein Rentner der Vita Sexualis, raus aus dem Rennen um alle die kurzen Röckchen und wippenden Brüstchen, die ihn wohl auf ewig weiter verlocken und verulken würden.