ROTWEIN-MENUETT

Allegretto ubriaco

 

noten

 

Nach einer langen Woche der Vorfreude....

....nahte der Tag des ersten Rendezvous mit Yukari. Jordy wollte sich konzentrieren, denn er benötigte eine gut durchdachte Inszenierung, um den Anfang der neuen Beziehung richtig zu genießen. Natürlich ging es ihm vor allem um das, was NACH dem Dîner geschehen sollte, denn für das Abendmahl selbst konnte man getrost dem Chef de Cuisine und seinen Künsten vertrauen. In der Nacht hatte der Monsun eingesetzt, und Jordys ursprüngliches Regie-Szenario fiel buchstäblich ins Wasser. Wenn die Regenzeit einmal begonnen hat, regnet es oft einen ganzen Monat durch. Adieu, du Mondschein-Parkbank am romantisch beleuchteten Springbrunnen! Wieder ins Café gehen, ins Kino, in die Disco, in einen Jazzkeller? Er dachte daran, mit dem Auto zu kommen und das Mädchen damit nach Hause zu chauffieren, aber da sie einen Liter Rotwein anpeilte und er mittrinken wollte, verwarf er die Idee, denn es ist nicht sonderlich cool, im Beisein einer hübschen, langhaarigen Bekanntschaft den Führerschein abgenommen zu kriegen. Ein Geniestreich wäre es, sie vom Restaurant aus direkt in eines der Hotelzimmer nahebei zu lotsen, aber diese kühne Variante war erst mal nur Theorie, denn noch sagte sie "Herr Professor" zu ihm und hatte ihn noch nicht einmal geküsst. Außerdem wäre ein so schneller Durchbruch schon das Ende des schönen Anfangs gewesen, den Jordy eigentlich nach Kräften in die Länge ziehen wollte.

 

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Das Restaurant war stimmungsvoll und dämmrig. Gleich nach dem Zuprosten nahm Yukari den Gesprächsfaden vom letzten Treffen wieder auf.

"Sie haben sich also wirklich noch nie an einer Ihrer Studentinnen vergriffen?"

"Nein, und ich habe es auch für die Zukunft nicht vor."

"Wenn ich Sie aber richtig verstanden habe, heißt das nicht, dass Sie noch nie eine Affäre mit einer Studentin hatten, oder?"

Yukari war wirklich klug. Natürlich fragte sie nicht aus reiner Neugier, das stand fest. Was ginge Jordys Intimleben eine neugierige Studentin an? Aber bei Yukari lag der Fall deutlich anders, und Jordy gab seine Sünden ohne Umschweife zu. Als nächstes wollte sie wissen, ob er derzeit mit einer seiner Studentinnen liiert sei. An diesem Punkt musste Jordy die Tatsachen ein wenig verschönern und so tun, als sei er einsam und verlassen, obwohl die Klarinettistin Seryna ihn nach vier äußerst liebevollen Jahren noch nicht gänzlich entlassen hatte. Weil sie aber im März die Akademie absolviert hatte und von ihren Eltern zur baldigen Heirat gedrängt wurde, war das Ende dieser Liaison schon absehbar. Jordy hatte jedenfalls große Lust, nach der üppig gerundeten Seryna wieder einmal eine langbeinige, gertenschlanke junge Schönheit wie die Sängerin Yukari in die Arme zu schließen.

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Während des Essens sprachen sie über Oper und Ballett, über Schule und Familie, aber am meisten interessierte sich Yukari für Jordys Privatleben. Sie wollte wissen, wie alt er sei und wann er Geburtstag habe. Oh nein, Ladies first!

"Wie alt bist du denn? Wann du Geburtstag hast, das weiß ich schon."

"Wirklich? Woher denn?"

"Am 9. August, stimmt's?"

Yukari war platt vor Überraschung. Anscheinend hatte sie ganz vergessen, dass er sie im Unterricht vor zwei Wochen auf Deutsch zwecks Übung der Ordinalzahlen danach gefragt hatte, und japanische Studentinnen haben selten genug Fantasie, um ad hoc ein fiktives Datum anzugeben.

"Ach so. Und Sie?"

"Am 30. Februar."

"So werde ich von Ihnen zum Narren gehalten. Sie meinen wohl, mit mir können Sie das machen!", protestierte sie lachend und verriet dann, dass sie 20 Jahre alt sei.

"Mit einer 20jährigen habe ich noch nie was gehabt. Die Allerjüngste bisher war 21", rutschte es ihm heraus.

"'Was gehabt'? Was meinen Sie damit?"

"Ein bisschen mehr als Küsschen jedenfalls."

"Und wenn Sie beispielsweise mit mir vor dem 9. August 'was hätten', dann wäre ich die Jüngste in Ihrer Kollektion, nicht wahr?"

"So könnte man es sagen."

 

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Während dieser Unterhaltung hatte sie Jordys Hand ergriffen und spielte mit seinen Fingern, ohne viel zu essen. Nur am Rotwein nippte sie oft und gern. Sie fand das Thema offenbar äußerst spannend. Man sah förmlich, wie sehr sie sich auf das Gespräch konzentrierte und das Essen dabei kalt werden ließ. Auch sie hatte offenbar für den Abend schon Pläne gemacht und ging recht zielstrebig vor. Da Jordys Regie in eine ähnliche Richtung zielte, ließ er sie gewähren, aber ihr Tempo verblüffte ihn, den Liebhaber gedehnter Anfänge.

"Gehen Sie heute Abend anschließend gleich nach Hause?", fragte sie bereits, als die erste Flasche Rotwein noch halbvoll war.

"Wenn du Zeit und Lust hast, können wir hinterher noch in ein Café gehen...", murmelte Jordy vage.

"Und wenn es spät wird?"

"Den letzten Zug würde ich ungern verpassen."

"Sonst müssten wir womöglich hier übernachten", kicherte sie kokett, und es hatte den Anschein, als sei ihr diese Vorstellung durchaus nicht unangenehm. Dabei war es noch nicht einmal 19 Uhr.

"Aber in einem Café ist es hell und laut. Außerdem bin ICH hinterher an der Reihe, Sie einzuladen. Ich möchte irgendwo hingehen, wo man nur zu zweit ist und sich besser unterhalten kann."

"Bis um elf habe ich Zeit. Wenn du eine bestimmte Idee hast, gehe ich mit."

Er ahnte schon, worauf es hinauslief. Sie war offenkundig zu Geniestreichen aufgelegt.

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"Wie wär's mit einem Ort, den man rund um die Uhr aufsuchen kann?"

"Warum nicht? Du meinst gewiss einen Convenience store. Oder eine Tankstelle, nicht wahr? Habe nichts dagegen. Ist dir Shell oder Aral lieber?"

Sie lachte und flüsterte ihm dann ins Ohr:

"Nur habe ich leider gerade heute ein kleines Frauenproblem; nehmen Sie es mir bitte nicht übel."

Sie verloren keine Zeit, tranken die Gläser leer, verließen das Restaurant und plitschten durch die Regenpfützen. Yukari schlang sich an ihn, unter seinen großen Herrenschirm.

"Es ist kühl, ich friere ein bisschen", sagte sie herausfordernd, und er gab ihr die erhoffte Antwort.

"Keine Angst, ich werd dich schon warm halten."

Es schien ihr nichts auszumachen, dass sie sich hier, nahe am Kishimojin-Schrein, eigentlich genau auf dem Schulweg befanden und ihnen jederzeit Studenten oder Professoren über den Weg laufen konnten. Ohne Umwege steuerten sie geradewegs das nächstgelegene Stundenhotel an, und im Aufzug zum Doppelbett bekam Jordy ihren allerersten Kuss.

 

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Irgend etwas scheint doch wahr zu sein an dem romantischen Klischee, dass der Lenz die Leute liebesdurstig mache. Jordy hatte seine letzten drei Mädchen, Yukari eingeschlossen, ausnahmslos im Frühling erobert, im Monsun den ersten Kuss abgekriegt und die Girls noch vor dem Ende der Regenzeit zu Bett gebracht. Sumiko war 22, als sie sich das erste Mal umarmten, während der Regen an die Fensterscheiben trommelte. Seryna war 21, als sie sich unter einem Dach, auf das der Niederschlag prasselte, schwitzend umschlangen und atemlos abküssten. Und jetzt war er mit der erst 20jährigen Yukari vor dem heftig pladdernden Dauerregen in ein Hotelbett geflüchtet. Und jedesmal war er ein paar Jahre älter, und die Mädchen waren ein Jahr jünger als beim vorangehenden Abenteuer. Wenn es in Zukunft im gleichen Rhythmus weiterginge, würde er nach seiner Pensionierung nur noch mit 15jährigen Teenies schlafen, bei heftigem Regenwetter vermutlich. Dass seine grauen Haare eine derart erotische Ausstrahlung besitzen, das hätte er sich nicht träumen lassen, und dass Yukari so smart war, einen Mann, der ihr gefiel, vom Weinglas weg direkt ins Doppelbett zu dirigieren, das sah man ihr wirklich nicht an. Normalerweise liegen meist einige Wochen zwischen Küssen und Kissen; Yukari hingegen fand erst an der Schwelle zum Schlafzimmer Zeit, an Jordy herumzulutschen. Seit sein Alarmsystem erstmals reagiert hatte, waren gerade erst drei Wochen vergangen, und vor vier Stunden hatte Yukari noch im Klassenzimmer vor ihm gesessen und über Keuschheit im 19.Jahrhundert diskutiert. Und jetzt lag sie mit ihm zusammen auf dem Hotelbett und kannte keine Zurückhaltung mehr. Jordy hätte sich ohrfeigen mögen, dass er so viel Wein gesoffen hatte. Ihm war wie im Traum zumute. Keine Ahnung, wo die Bluse geblieben war, die Yukari soeben noch angehabt hatte, und wie seine Hände auf einmal an ihre blanke Haut gelangt waren. Er bemerkte freilich, dass er deutlich mehr zu fassen bekam, als ihren schicken Kostümen je anzusehen war. In seinem angesäuselten Zustand hätte er nicht sagen können, ob Yukari seinen Gürtel aufgenestelt hatte oder er selbst, und weshalb ihr BH inzwischen wundersamerweise neben dem Kopfkissen lag, wo er doch eigentlich nicht hingehörte. Alles war ihm ein Rätsel. Sogar ihren Rock musste irgend jemand entwendet haben: Jordy konnte sich zumindest nicht entsinnen, dabei selbst Hand angelegt zu haben.

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Da ihm jedoch nichts mehr zu tun blieb, sagte er:

"Auf geht's, stell dich unter die Dusche, und dann machen wir's."

"WAS machen wir?", grinste sie, sich dumm stellend, zog sich vollends aus und verschwand im Bad.

Jordy war kurz vorm Einschlafen, als sie feuchtkalt erfrischt zu ihm unter die Decke gekrabbelt kam. Er nahm seine Dusche mehr zum Wachwerden als zum Waschen und wollte sich dann, trotz ihres kleinen Frauenproblems, zärtlich mit ihr befassen, aber schon wieder spielte ihm der Rotwein einen Streich. Wenn Yukari nicht so jung und attraktiv gewesen wäre, hätte es böse schiefgehen können, denn der Alkohol kann zu einem üblen Saboteur leiblicher Begierden werden. Die Lunte hatte Yukari gezündet, aber Dynamit explodierte heute nicht: Den Orgasmus musste er simulieren. Es ist in seinem Alter ratsam, Wein und Sex sorgsam voneinander zu trennen.

 

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Jordy wollte Yukaris Liebe und Schönheit so bald wie möglich ohne Dusel im Kopf auskosten. Sie gefiel ihm bei jedem Treffen mehr. Er erinnerte sich an ihre Gestalt, als sie langsam vor ihm hergegangen war. Eine Traumfigur, schlank und hochgewachsen, und doch überaus weiblich geformt. Diese Kinder mit den verlockenden Frauenkörpern, die ihm auf dem Campus ständig vor den Augen herumtänzelten, machten ihn tagtäglich begierig darauf, eine dieser lebenden Versuchungen einmal auspacken und verkosten zu dürfen. Bei Yukari kamen noch weitere Vorzüge hinzu. Ihre Schlagfertigkeit, jeden Scherz umgehend zu parieren, zeigte ebenso wie ihre guten Leistungen in der Schule, dass sie keineswegs auf den Kopf gefallen war. Attraktiv waren auch ihre großen braunen, ein wenig melancholischen Augen, die jedoch blitzschnell auf ein schelmisches Lachen umschalten konnten, und die ausgeprägten Grübchen in dem schmalen, von sehr glatt lang herabfallendem Haar umrahmten Gesicht. Es gibt nicht Vieles, was Jordy so fesselte wie hübsche Grübchen. Ihre ausdrucksvollen Züge kamen besonders gut zur Geltung, wenn sie sich ihr Haar wie eine Ballerina hochband. Sie erzählte ihm, dass sie tatsächlich auch Ballett tanzte. Leicht wie eine Puppe fühlte sich ihre ranke Figur an beim Umarmen, jung und zart ihre weiche Haut. Nach vier Jahren Seryna war es ein besonderer Genuss, diese schmale Hüfte zu umfassen, und Yukaris leidenschaftliche Küsse machten Appetit auf mehr. Auf so ein Supergirl musste Jordy gut aufpassen, um ihre Vorzüge weidlich auszukosten, bevor sie ihm wieder entlief.

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"Sie spielen sowieso nur mit mir, nicht wahr? Bin ich ein schönes Spielzeug?", fragte sie unvermittelt, als sie nach der ersten heftigen gemeinsamen Leibesübung entspannt in seinen Armen lag.

Jordy war überrascht. Spielte er mit ihr? War es nicht eher umgekehrt? Ihrer Einladung war er gefolgt, denn wenn es nach seiner Regie gegangen wäre, dann würden sie jetzt womöglich noch immer im Park Händchen halten. Und ähnlich wie Sumiko und Seryna würde auch Yukari ihn, nach vier Wochen, vier Monaten oder vier Jahren, ohnehin wieder verlassen. Wer war da eigentlich wessen Spielzeug?

"Ich spiele nicht mit Mädchen. Deshalb vergreife ich mich auch nicht an meinen Studentinnen. Ich möchte dich gern besser kennen lernen, du gefällst mir gut. Du wirst mich vermutlich demnächst wieder zum Teufel jagen, sobald du etwas Neues findest, das weiß ich jetzt schon. Wie kommt es überhaupt, dass du dich nach zweieinhalb Jahren Wartezeit ausgerechnet jetzt dazu entschlossen hast, mich zu verführen?"

"ICH hätte SIE verführt? Das ist eine kühne Behauptung...", wich sie ihm aus.

"Willst du es etwa abstreiten? ICH würde mich nie an meinen Studentinnen vergreifen."

Sie musste giggeln.

"Sie haben mir immer schon gut gefallen. Ich habe mich einfach nicht getraut. Ende letzten Jahres bin ich einmal mit einer Frage zu Ihnen gekommen, erinnern Sie sich? Danach habe ich lange an Sie gedacht und war ein bisschen verliebt. Und als wir uns vor ein paar Wochen auf dem Heimweg trafen, habe ich mir einfach gemerkt, wann und auf welchem Weg Sie zum Bahnhof gehen, und danach ging alles wie von selbst...."

"Du hast anscheinend schon Routine mit der Eroberung von Männern, die dir gefallen. Der Wievielte bin ich denn?"

Yukari setzte ein sphinxhaftes Lächeln auf und schwieg. Unerfahren war sie nicht mit ihren 20 Jahren, das hatte er schon gemerkt, aber er wollte sie auch nicht zu ihrem Vorleben verhören, sondern nur einen anregenden Gesprächsstoff finden. Manche Mädchen sprechen gern über ihre Verflossenen. Von Yukari hingegen erfuhr Jordy im Laufe des Abends lediglich, dass sein direkter Vorgänger ebenfalls Lehrer war. Ansonsten schwieg sie einfach bei unliebsamen Fragen, oder sie erstickte die Unterhaltung, wenn ihr das Thema nicht zusagte, mit Küssen. Für diese nette Methode mochte Jordy ihr nicht böse sein.

 

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Eigentlich hatte Jordy sich für einen guten Regisseur gehalten, und die Inszenierung von Anfängen war sein Spezialgebiet. Aber heute war Yukari ihm überlegen gewesen. Sie hatte ihm das Drehbuch aus der Hand genommen und ihn, während er noch am Präludium bastelte, direkt in den 2.Satz befördert. Jetzt musste er höllisch aufpassen, das sie nicht beim nächsten Mal schon das Finale inszenierte, denn ihm wurde allmählich klar: Wer so ein perfektes, bildschönes Mädchen wie Yukari in die Arme und auf die Matratze bekommt, der möchte sie nur sehr ungern verlieren.

 

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