ROMANZE
Allegro con sentimento
Passend zur Jahreszeit....
....hatte Jordy mit seiner Gesangsklasse im Mai die "Dichterliebe" durchgenommen. "Im wunderschönen Monat Mai", da ist in Heines Versen die Liebe aufgegangen. Das wurde schnell als romantisches Klischee entlarvt, mit dem der Dichter nur spielt, um es zu widerlegen; die Studenten dieser Klasse wurden nämlich schon im 3.Jahr hintereinander von Jordy mit Strauss und Heine, Schubert und Goethe, Weill und Brecht, Wedekind und Schönberg geplagt und wussten inzwischen, worauf es im Unterricht meist hinausläuft.
Auf
der Treppe zum Lehrerzimmer stieß Jordy beinahe mit einer der
jungen Sängerinnen aus dieser Klasse zusammen. Sie grinsten sich
verlegen an, sagten sich, nach dem "tschüs" am Ende
des Unterrichts, ein zweites Mal "auf Wiedersehen", und
gingen dann ihrer Wege. Jordy war ein bisschen in Eile. In einer
Stunde beginnt ein Konzert, und in Tokyo sind die Wege weit.
Außerdem hatte er noch nichts gegessen. Er packte seinen Rödel,
feuerte die Noten in den Spind, schloss ab, stürmte die Treppe
runter und stolperte beinahe über dieselbe Studentin, die schon
wieder vor seiner Nase gemächlich die Treppe hinunterging.
"Sind Sie ein großer Schumann-Liebhaber?", wollte sie wissen. Klar, sich ein drittes Mal zu verabschieden, war allzu albern, da wollte sie mal was Vernünftiges sagen, da hatte Jordy volles Verständnis dafür, denn ihm war es genauso peinlich, innerhalb von nur fünf Minuten nun schon das dritte Mal demselben Menschen über den Weg zu rennen. Auch er hatte irgendeine Floskel anbringen wollen, um die Situation zu entkrampfen.
"Nicht dass ich wüsste."
"Ach, tatsächlich? Aber deutsche Lieder mögen Sie doch wohl?"
Er wollte nicht unhöflich wirken, aber er musste diese Yukari elegant loswerden, er hatte nicht viel Zeit mit schulischem Gelaber zu vertrödeln, denn wirkliche Fragen schien sie nicht zu haben.
"Mein persönlicher Geschmack und das, was ich im Unterricht durchnehme, das sind zwei vollkommen verschiedene Dinge. Mit der "Winterreise" oder der "Dichterliebe" kann man mich erfolgreich in die Flucht jagen. Noch effektiver vertreiben mich nur noch solche ausgelutschten Ohrwürmer wie Beethovens "Neunte", die "Bilder einer Ausstellung" oder Ravels "Bolero"."
"Das hätte ich wirklich nicht gedacht", staunte sie und riss ihre hellbraunen Augen auf.
"Also dann...."
Jordy musste noch ins Sekretariat, die Stechkarte reindrücken, und dann zum Sandwich-Fritzen, um sich was zum Beißen zu holen; auf einer Bank im Park an der Ecke wollte er sich das Zeug schnell reinhauen.
Alles
erledigt, weg von der Schule, rein ging's ins Mai-Wochenende. Mit
flottem Gang durchteilte Jordy die müde heimtrottenden
Studenten-Pulks und nahm den schmalen Abkürzungsweg zwischen dem
Kishimojin-Schrein und einem Tempelfriedhof.
Aber heute war echt der Wurm drin; das chique Kostüm der
Studentin, die da vor ihm in der gleichen Richtung trabte, das
kannte er schon gut: Die vierte Begegnung in nur zehn Minuten.
Jetzt wurde es wirklich peinlich, denn es sah ja beinahe so aus,
als würde er der Yukari hinterdreinstiefeln wie ein Stalker.
Jordy hatte sie bei ihren Kommilitoninnen in der Cafeteria
vermutet. Aber so langsam, um sie nicht überholen zu müssen,
wäre er nicht einmal dann zu gehen imstande, wenn er jede Menge
Zeit gehabt hätte. Woher kommt es nur, dass Studenten am
Freitagabend schlapper sind als ihre Pauker?
"Welche Musik gefällt Ihnen denn?"
"Debussy, Poulenc, Ravel, Wagner, Strauss, Stravinsky, Piazzolla und Jazz", sagte er etwas freundlicher, denn jetzt war es sie, die ihn verfolgt hatte. Außerdem war Yukari ein wirklich ansehnliches Mädchen. Wenn er nicht so in Eile gewesen wäre, hätte er gerne die Gelegenheit genutzt, um mit ihr näher ins Gespräch zu kommen. Aber jetzt hatten sie den Sandwich-Laden erreicht. Jordy sprang rein, und Yukari ging langsam weiter in Richtung Bahnhof.
An dieser Akademie unterrichtete Jordy nur einmal in der Woche. So kam es, dass sein wirklich fein justiertes Alarmsystem erst eine Woche später anschlug, als dieselbe Yukari ihm nach dem Ende des Unterrichts erneut mehrfach begegnete. In der Vorwoche, da hatte er fest an einen misslichen Zufall geglaubt, aber heute stand sie erst mit zwei Freundinnen nahe der Glastür des Seminargebäudes, hatte ihr Handy am Ohr und quasselte mit irgendwem. Dann lungerte sie, als er aus dem Sekretariat kam und den Campus durch das Haupttor verließ, alleine in der Nähe des Ausgangs herum, als erwartete sie jemanden. Als Jordy an ihr vorüberrauschte, winkte sie ihm kurz zu und rief das übliche "tschüs, bis nächste Woche". Heute hatte Jordy schon wieder einen Termin und schlug seinen üblichen Sandwich-Parcours ein, nicht ganz so eilig wie in der vorigen Woche, aber ihm war, als ob jemand hinter ihm herstieg. Dafür hatte Jordy eine eigentümliche Witterung, wenn ihm jemand auf den Fersen war, und er ahnte auch, wer. Falls das Absatzklappern hinter ihm tatsächlich die Yukari sein sollte, dann musste sie von ihrem Studentinnen-Trott auf eine erheblich flottere Gangart umgeschaltet haben, denn obwohl er nicht mehr der Allerjüngste war, holte ihn so leicht keiner ein.
Nur nicht umschauen. Einen Rückspiegel müsste man haben. Noch 30 Meter waren es bis zum Sandwich-Onkel, da hörte er das Klackern der Absätze dicht hinter sich. Yukari war's tatsächlich, und die letzten Schritte war sie sogar gerannt gekommen.
"Gehen Sie zum Bahnhof? Gehn wir doch zusammen", sagte sie so, als hätte sie ihn zufällig eingeholt und soeben erst entdeckt, dass ihr Lehrer da vor ihr ging, aber das war völlig ausgeschlossen. Sie war auch ziemlich außer Atem.
Der Sandwich-Laden hatte zu. Wie das? Der war doch sonst um diese Zeit immer auf gewesen!
Yukari
schien es zu gefallen, dass Jordy ihr nicht entwischen konnte;
bis zum Bahnhof plapperte sie aufgekratzt und meinte dann, dass
es ein wunderlicher Zufall sei, sich zum zweiten Mal
hintereinander auf dem Heimweg begegnet zu sein. Jordy glaubte
nicht an Geister, Götter, Gurus und Zufälle. Zwei Jahre lang
hatte sie in seinen Klassen gehockt, und nicht ein einziges Mal
war sie ihm bisher außerhalb des Campus über den Weg gelaufen.
Ihren Zufalls-Bären ließ er sich nicht aufbinden, aber es
interessierte ihn schon, was sie mit ihm vorhatte. Dass sie ihm
das auf Anhieb verraten würde, stand freilich nicht zu erwarten.
So machte er, nicht ungern, bei ihrem Spielchen mit, zumal er der
Ansicht war, dass das Inszenieren von Anfängen eigentlich in
seine eigene Kompetenz falle.
"Uuuaaah, das ist super!" Sie jubilierte richtiggehend. Eine so deutliche Reaktion hatte Jordy nicht von ihr erwartet. Der Zufall der nächsten Woche stand, so schien es ihm, bereits heute fest.
"Mit welcher Linie fährst du denn heim?"
"Ich fahre noch nicht nach Haus. Ich gucke ein bisschen im Kaufhaus herum und gehe dann zur Akademie zurück. Ich muss noch ein bisschen üben."
Jetzt war Jordy wirklich überrascht. Das bedeutete nämlich, dass sie ihn vorhin am Ausgang tatsächlich abgepasst hatte und ihm in voller Absicht hinterhergelaufen war, obwohl sie eigentlich am Bahnhof nichts zu tun hatte.
Sollte es doch kein romantisches Klischee gewesen sein, die aufgegangene Liebe im wunderschönen Mai? Wollte Yukari seine kühlen, unromantischen Interpretationen widerlegen? Yukari, das ist gefährlich, sieh dich vor! Jordy ist eine Ladung Dynamit, und du zündelst an der Lunte.
Das war er wohl, der geliebte Anfang, kein Zweifel. Jetzt hieß es, ihn zu inszenieren. Glimmte die Lunte, tickte der Zeitzünder? Dem Regisseur blieben sieben Tage für seine Pläne. Im Worst-case-Szenario begegnete ihm Yukari nächste Woche nicht; Angst vor der eigenen Courage, oder sie verfehlten sich einfach. Er würde jedenfalls nicht herumhängen und warten, ob sie irgendwo auftaucht. Der Dreh mit den "zufälligen Begegnungen" war ihre Idee gewesen, da sollte sie sich was einfallen lassen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es beim nächsten Mal schief gehen würde, schätzte Jordy allerdings gering ein. Er stellte sich daher auf den Café-Besuch ein und dachte sich ein paar Gesprächsweichen aus, über die er von allen möglichen unverfänglichen Plauderthemen aus den Dialog auf Dinge lenken konnte, die er mit ihr erörtern wollte. Da sie offen zeigte, dass ihr an einem Treffen mit ihm gelegen war, würde ihm das keine große Mühe bereiten; auch sie würde sicher gerne auf privatere Themen umschalten wollen. Es interessierte ihn zu erfahren, wieso sie erst jetzt auf ihn abgefahren war, nachdem all sein Charme bei ihr wie bei den anderen Studentinnen zwei Jahre lang keine sichtbare Wirkung gezeigt hatte. Vielleicht war sie gerade von einem Freund verlassen worden?
Nun ja, das würde er schon noch rauskriegen.
Von ihren Kommilitoninnen hatte sich Yukari von Anfang an deutlich unterschieden. Ihr fehlte weitgehend der japanische Herdentrieb, und von Gruppierungen sonderte sie sich eher ab. Zu ihren auffallend hellbraunen, hübschen Augen hatte sie eine sehr helle Hautfarbe und hübsche Grübchen, wirkte geringfügig größer gewachsen als die anderen und hatte eine gute, schlanke Figur. Sie kleidete sich geschmackvoll, aber unauffällig, ein wenig konservativ sogar; sie trug überwiegend lange Kleider und Röcke und schien mit Bedacht die jeweils gängigen Girlie-Moden zu verschmähen. Das verlieh ihr Originalität, die ihre latente Außenseiter-Rolle unterstrich. Ihr Haar glänzte schon brünett, als das Haarefärben noch nicht so eine Massenmanie war wie heute, und sie lief auch schon strumpflos herum, als die Girls in Tokyo sich ohne Nylons unter ihren Röckchen noch fast nackt vorkamen. Jordy fand strumpflose Beine und blondiertes Haar nicht sonderlich attraktiv. In dieser Hinsicht war Yukari nicht unbedingt sein Fall, aber ansonsten war sie ein wirklich interessantes Mädel, hübsch, gut gebaut und charmant. Und eines musste man ihr lassen: Der rotbraune Farbton ihres Haares passte gut zu ihrer Augenfarbe. Selbst ihre Stimme besaß ein eigenwilliges Timbre; Jordy hatte noch keine Sängerin mit einer so seltsamen Stimme reden hören. Es klang wie eine Bronzeglocke, aber mit einem winzigen Sprung. Wie sich das wohl anhörte, wenn sie sang?
Ihre Leistungen im Unterricht waren ordentlich; ohne sich sonderliche Mühe zu geben, gehörte sie stets zur Spitzengruppe ihrer Klasse. Jordy mochte intelligente Mädchen.
Jede Sorge war überflüssig gewesen. Yukari hatte ihren Part präzise erledigt. Jordy hätte den Hinterausgang wählen und einen Umweg um das ganze Viertel machen müssen, um ihr zu entgehen.
"Gehen Sie nach dem Unterricht immer direkt nach Hause?", erkundigte sie sich.
"Ich muss schließlich nicht mehr üben nach dem Unterricht. Aber heute gehst du auch früh nach Hause, oder?"
"Ich gehe noch nicht nach Hause."
"Also wieder ins Kaufhaus?"
Sie schaute in die Luft, ohne zu antworten.
"Eigentlich hatte ich gesagt, ich lade dich ins Café ein, wenn wir uns ZUFÄLLIG ein drittes Mal treffen sollten."
"Na, wenn das mal kein Zufall war heute....", grinste sie. Ihr Humor gefiel Jordy.
Er brauchte nur eine Gesprächsweiche einzusetzen, schnell kam sie zum Thema. Fairerweise sagte er ihr, dass er lang und glücklich verheiratet sei und es sich überdies zum Grundsatz gemacht habe, sich nicht an seinen Studentinnen zu vergreifen.
Yukari verschluckte sich fast an einem Stück Melone aus ihrem Eisbecher. Das hatte ihr anscheinend zugesetzt. Dann aber kriegte sie sich wieder ein.
"Da wäre manche Studentin sehr unglücklich, wenn sie das erfahren würde."
"Und eine davon scheinst du zu sein, was? Aber täusch dich mal nicht. Ich bin ja nun wirklich nicht eure Generation, und eines steht fest: Wenn ich in meinem Alter noch ledig herumlaufen würde, dann wäre ich entweder schwul oder hätte einen Rattenschwanz von Freundinnen. Dass ich bis jetzt auf eine von euch gewartet hätte, das hast du doch nicht ernsthaft geglaubt?"
"Ja, stimmt. Ist eigentlich ganz logisch."
Ihr schien das Vanilleeis mit Melonen nicht mehr zu schmecken. Dass Jordy sich auf ihre charmanten Avancen hin so lehrerhaft gebärden würde, hatte sie offenkundig nicht erwartet. Aber das hatte er nur gesagt, um später nicht vorgeworfen zu bekommen, er habe sie getäuscht. Wenn sie jetzt den Rückzug anträte, kämen sie beide noch sauber aus der sich anbahnenden Sache heraus, aber wenn sie sich nicht entmutigen ließe, würde Jordy sie nehmen. So bedeppert, sich ein solches Prachtgirl entgehen zu lassen, war er nun doch nicht. Gerade erst gestern hatte ihm seine bisherige Freundin mitgeteilt, dass er sich langsam nach Ersatz umsehen müsse, denn sie werde in ihrer Verwandtschaft als Heiratskandidatin gehandelt und reichen Karrieristen vorgestellt.
"Ihr Grundsatz ist wirklich ehrenwert. Und sie haben ihn nie gebrochen?"
"Nie."
"Das finde ich bewundernswert. Großartig...."
Ihr enttäuschtes Gesicht drückte das genaue Gegenteil davon aus. Großartig fand sie das garantiert nicht. Er musste sie wieder aufrichten.
"Lob mich nicht zu eifrig, das ist mir peinlich. So großartig bin ich nun auch wieder nicht."
"Wie meinen Sie das?"
"Wenn zu dem Grundsatz, mich nicht an Studentinnen zu vergreifen, auch noch der Grundsatz hinzukäme, Studentinnen, die sich an mir vergreifen wollen, abblitzen zu lassen, dann wäre das erheblich ehrenwerter. Aber dazu konnte ich mich bisher noch nicht durchringen. Challenger-Typen bin ich fast wehrlos ausgeliefert...."
Ob Yukari Challenger-Qualitäten hatte? Vermutlich ja. Ihre Miene hellte sich nämlich sofort merklich auf, und als sie feststellte, dass sie mit Jordy die Schwäche für einen guten Rotwein gemeinsam hatte, fackelte sie nicht lange.
"Dann trinken wir doch demnächst mal ein Gläschen Rotwein zusammen, ja?"
"Jaja", sagte Jordy so dahin, aber damit gab sie sich nicht zufrieden. Gleich dreimal wiederholte sie ihren Wunsch, weil er ausweichend antwortete, ohne sich eine feste Zusage entlocken zu lassen. Dabei waren ihm ihre Avancen durchaus willkommen. Doch dem Genießer reizvoller Anfänge war ihr Tempo zu hoch, und die Regie wollte er auch nicht aus der Hand geben. Naturlich sollte sie es sein, die ihn lockte und verführte, denn seine Prahlerei mit dem Prinzip, keine Studentinnen zu verführen, war nicht erlogen gewesen. Aber Männer sitzen halt immer gerne am Steuer, auch beim Verführtwerden. Außerdem ist es eine alte Weisheit, dass es nichts schaden kann, wenn man sich ein wenig stachelig gibt wie eine Marone. Wenn die Kinder da einen leckeren Kern drin vermuten, dann lassen sie nicht locker, bis sie ihn herausgepuhlt haben, auch wenn sie sich die Finger dabei pieksen. Yukari indes glaubte wohl, er zögere, sich auf die prekäre Zweisamkeit mit einer seiner Studentinnen einzulassen, denn sie schlug vor:
"Wenn es Ihnen lieber ist, bringe ich noch eine oder zwei Freundinnen mit."
Einen Augenblick lang war Jordy alarmiert, aber dann beruhigte er sich, dass sie das nicht im Ernst gemeint haben konnte.
"Du traust mir wohl nicht?"
"Oh, bei Ihren festen Prinzipien habe ich doch nichts zu befürchten, oder?"
Yukari war wirklich ein kluges, schlagfertiges Kind.
"Nächste Woche passt es mir nicht, aber danach könnten wir zusammen ausgehen."
"Geschafft!", rief sie aus, als hätte sie ein Examen bestanden. Jordy konnte es sich nicht verkneifen, ihr noch einen Streich zu spielen.
"Dann bist du an der Reihe, mich einzuladen, nicht wahr?"
"Ja gut, mach ich. Ich lade Sie ein zu einem Glas Wein. Und zum Essen auch."
"Nein, nein, Essen und Wein spendiere ich dir. Aber wenn du sonst noch etwas möchtest, musst du mich einladen."
Yukari war alles andere als begriffsstutzig. Ihre Antwort war mit einem schelmischen Grinsen garniert.
"Schön, aber Sie dürfen meine Einladung nicht ausschlagen, was immer es sei..."
Sie
legte Zeit und Ort des ersten Rendezvous genau fest, und wenn in
der Zwischenzeit nicht die Welt unterging, würde sie in zwei
Wochen pünktlich am verabredeten Ort erscheinen.
Ja, "sich küssen lassen", ganz recht. Schließlich hatte er seine Prinzipien. Sie musste schon aktiv werden und in seiner Inszenierung ihren Part übernehmen, und das hatte sie anscheinend kapiert. Jordy war gespannt, wohin sie ihn einladen würde.
"Bis nächste Woche!", rief sie beim Auseinandergehen, griff nach seiner Hand und drückte sie fest. Ihre Hand war eiskalt.
Yukari war aus Tokyo und wohnte fern am Stadtrand bei ihren Eltern. Und ihre Haarfarbe sei Natur, sagte sie. Nicht gefärbt. Eine "blonde" Japanerin....!
Sie beteuerte, über ihre Verabredung den Mund zu halten und vor ihren Kommilitoninnen damit nicht zu prahlen. Sie hatte ohnehin, wie sie sagte, kaum Freundinnen. Und brauchte womöglich als Ersatz einen feschen Boyfriend. Unbegreiflich, wieso sie da ausgerechnet auf Old Jordy abgefahren war. Nun gut, er hatte nichts dagegen, die hübsche Yukari war eine große Sünde wert.
Eine Woche später. Vom Fenster aus sah Jordy sie schon in der Nähe des Ausgangs stehen, nachdem die letzte Stunde zu Ende war. Er würde wohl künftig seinen Stundenplan um eine regelmäßige Yukari-Extralektion erweitern müssen. Da er seine Planungen auf den Wein-Abend eine Woche später konzentriert hatte, wollte er sich heute einfach überraschen lassen, falls sie etwas Neues ausgeheckt hatte. Aber hier schlichen sich die ersten Unbekannten in die schöne Gleichung ein: Als er den Ausgang erreichte, sah er, wie Yukari gerade, von einigen Kommilitoninnen zum Mitkommen gedrängt, den Campus verließ. Nun, das war kein großes Malheur, irgendwann unterwegs würde sie schon sagen, sie habe ihre Notenblätter in der Schule liegen gelassen, um die anderen Mädels loszuwerden.
"Herr Professor, Ihre Deklamationsklasse macht mir richtig Spaß!", tönte es da auf einmal neben Jordy. Ein junger Student aus dem Unterricht schob sich neben ihn. Alle Studenten bilden sich offenbar ein, man könne einem Lehrer keine größere Freude bereiten als mit lobenden Kommentaren über den Unterricht.
"Der Schein dafür wird in meinem Curriculum zwar nicht anerkannt, aber ich möchte trotzdem eifrig weitermachen", fuhr er mit seinen Lobreden fort und heftete sich quasselnd an Jordy. So einen Schleimer konnte er heute überhaupt nicht gebrauchen. Der mochte wohl ein strebsamer Fleißling sein, aber Jordy war als Lehrer vermutlich ein wenig atypisch: Die lässig und ein wenig genial faulenzenden Typen fand er jedenfalls interessanter und sympathischer, wahrscheinlich, weil sie ihm ähnlicher waren. Aber darauf kam es jetzt nicht an, jetzt musste er zusehen, wie er die Quasselklette am schnellsten abschüttelte. Schon hatten sie Yukari und ihre Kommilitoninnen überholt. "Tschüs, Herr Professor", hatte sie gesagt.
Da war auch schon der Sandwichladen und hatte auf. Jordy sprang rein und war den Laberkopf los. Als er aber mit seiner Vesper herauskam, waren sie alle weg. Yukari, Laberkopf und alle anderen Studiker. Schade. Vielleicht wartete sie ja irgendwo in der Nähe, aber Jordy sah sie nicht, hockte sich alleine in den Park und mampfte seine Stullen, anstatt im Café mit Yukari und Pêche Melba zu flirten.