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 Sinkflug   mit   Höhepunkten
sinkflug

 

Der schönste Brief von Sumiko traf noch vor dem nächsten Treffen ein, der einzige wirkliche Liebesbrief, den Jordy je von ihr bekam. Der 7. Juli ist das Tanabata-Fest, das Fest der Liebe. Der Sage zufolge treffen sich, nur in dieser einen Nacht, die Sterne "Hirtenjunge" und "Weberin", sonst durch die Milchstraße getrennt, zum lang ersehnten Schäferstündchen. Jordys Engelchen beglückte ihn mit einem schlichten, aber herzlichen Gruß aus seiner himmlischen Heimat:

Sendai, 3. Juli

Liebster Jordy, 

Vielen + herzlichen Dank fürs wunderschöne Wochenende. Wir hatten schöne Zeit zusammen, nicht wahr ? Ich lege Dir eine kleine Tanabata-Message bei. Die ist vielleicht nicht schön, aber mit Liebe geschrieben. Bis bald,

Deine Sumiko

An den Rand hatte sie mit rotem Stift ein Herzchen gemalt und chuchu geschrieben; chuchu  ist japanische Mädchensprache für Küsschen.

Die Tanabata-Botschaft lautete:

Lieber Jordy, 

Am 7. Juli ist der Tag von Tanabata. Das ist mein Lieblingstag. Wenn ich an diesen Tag denke, möchte ich "When you wish upon a star" singen. Ich wünsche Dir eine romantische Nacht am 7.! Mit tausend Küssen,

Sumiko

 

Jordy war froh, dass er Sumiko bald wiedersehen konnte, denn ohne sie waren romantische Nächte undenkbar. Am folgenden Wochenende, am Samstag, würde sie nach Tokyo kommen, bei ihrer Tante übernachten und am Sonntag ihren Unterricht nehmen. Und danach würde sie kein Eberhard, sondern ihr verliebter Jordy abholen und anschließend mit ihr gemeinsam nach Sendai fahren. Am späten Abend Ankunft, eine Übernachtung bei ihr, und am Montagmorgen musste er schon wieder zurückfahren. Natürlich war das verrückt, aber wer wollte schon an Verliebte die Elle der Vernunft anlegen !

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Für den Unsinn hatte er freilich seine Gründe. Ihr sollte in diesem Monat kein Treffen mit ihrem Burschen gelingen, das musste verhindert werden. Zudem konnte Jordy es kaum eine ganze Woche lang ohne sie aushalten, und nach einem Brief wie dem soeben erhaltenen erst recht nicht. Die tausend Küsse wollte er sich nicht entgehen lassen, sondern jeden einzelnen davon abholen. Und schließlich war er gespannt, ob sie ihr leichtsinniges Versprechen halten und mit ihm schlafen würde. Je mehr er mit ihrem rotnasigen Schlot gleichziehen konnte, desto gleichgültiger würde er ihm bleiben. Dann konnte sie ihm auch erzählen, was sie alles mit ihm vorgehabt oder getrieben hatte, ohne dass Jordy das Herz dabei still stand.

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Ziemlich spät tauchte Sumiko am verabredeten Treffpunkt auf, das Gesicht von der Sommerhitze gerötet. Es waren nur wenige Minuten bis zur Abfahrt des Zuges. Sie bekamen keinen Sitzplatz mehr.

Die Klimaanlage im Superexpress lief auf Hochtouren, es war ziemlich kühl. Noch viele andere Fahrgäste standen im Gang, so dass es nicht auffiel, wenn Jordy sich an Sumikos Körper schmiegte.

"Nein, lass mich bitte."

Sie schüttelte den Kopf und rückte von ihm ab. Sie sah erschöpft und leicht niedergeschlagen aus. War wieder was gewesen ? Hatte Eberhard nach dem Gesangsunterricht auf sie gewartet ? Hatte sie mit Mühe verhindert, dass er sie zum Bahnhof brachte ?

"Ich bin nur müde. Nach dem Unterricht bin ich immer ziemlich fertig. Und dazu ist es heiß gewesen heute. Und jetzt im Zug stehen zu müssen. . ."


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Nein, nein, da stimmte was nicht, für so etwas hatte Jordy ein untrügliches Sensorium. Wenn ein Mädchen verliebt ist, dann ist Müdigkeit erst recht ein guter Grund, dem Liebsten an die Brust zu sinken. Er beobachtete sie von schräg hinten. Sie war nicht müde, oder jedenfalls nicht nur müde. Sie starrte Löcher in die Luft und mied den Blickkontakt mit ihm. Es wäre ihr augenscheinlich lieber gewesen, allein nach Hause zu fahren, Jordy war ein lästiges Anhängsel. Er überlegte, ob er gleich nach der Ankunft mit dem Gegenzug heimfahren sollte. Vermutlich würde er das aber nicht fertig bringen.

Nur die letzten 20 Minuten bekamen sie Sitzplätze. Sumiko blieb wortkarg, sie erzählte nicht mal wie sonst, was sie in der Woche gemacht hatte und wie der Unterricht gewesen war. Sie tat ihm leid, aber da er die Ursache ihrer Unlust nicht kannte, wusste er auch nicht, wie er sie aufmuntern könnte. Er wollte sie zum Essen einladen, aber sie lehnte ab.

"Ich habe ein bisschen was im Kühlschrank, das gegessen werden muss."

Ihm kam der Verdacht, sie könnte sich fürchten vor der Nacht, wenn er sie an ihre Zusage erinnern sollte, mit ihm zu schlafen. Er beschloss, sie nicht darauf anzusprechen und auch nichts in dieser Richtung zu unternehmen, sofern sie nicht selbst damit anfing. Die Chancen dafür standen jedoch schlecht.

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Ein kühler Herbstwind wehte, während Jordy am andern Morgen den Fluss entlang ging, langsam zum Bahnhof von Takasago zurück. Traurigkeit umschlang ihn wie ein trüber Schleier. Die atemberaubende Fahrt mit der herzbrecherischen Achterbahn ging deutlich ihrem Ende zu, die Fahrtrichtung wies nach unten, mit nur noch seltenen Schüben nach oben.


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Sie hatten's gemacht in der Nacht. Nach dem Bad war sie, nur mit einem leichten Bademantel angetan, zu ihm gekommen und hatte sich dann freigemacht. Er hatte sie nur wie üblich geherzt und liebkost, und sie war dann eingeschlafen. Stürmische Böen vom nahen Meer rüttelten an den Fenstern, irgendwo klapperte ein Laden. Ob er, wie immer ohne zu schlafen mit allen Sinnen in ihre Schönheit versenkt, sie versehentlich geweckt hatte, oder ob es der heftige Sturm war, wusste er nicht, aber auf einmal war sie wach und sagte:

"Was ist denn los mit dir ?"

"Mit mir, wieso ?"

"Willst du nicht, oder was ? Ich dachte, du wolltest mit mir schlafen. Meine Periode ist vorbei, auf was wartest du noch ?"

"Auf deine Heiterkeit. Du siehst heute so deprimiert aus und hast mich so lieblos behandelt, dass ich zweifle, ob du mit der Verfasserin des Tanabata-Briefes identisch bist. Du denkst wohl, ich bin nur gekommen, damit ich den Sex mit dir nicht verpasse ? Mir ist viel wichtiger, dass du mich magst, und wenn dir nicht danach zu Mute ist, werde ich dich nicht belästigen."

"Ach Jordy, du bist so lieb zu mir. Ich war heute nur todmüde, glaub's mir bitte. Ich möchte wirklich, dass du mit mir schläfst, vielleicht gefällt es mir ja sogar, wenn du der Partner bist. Versuchen können wir's ja mal."

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Sie wurde sehr zärtlich und gab sich willig hin, und Jordy fühlte sich überaus wohl in diesem herrlichen Mädchen. Sie stöhnte immer heftiger, aber er merkte schnell, dass es durchaus nicht vor lauter Lust war. Er ließ von ihr ab, ohne zum Ende gekommen zu sein. Sie war ihm dankbar dafür.

"Tut mir furchtbar leid, aber es tut immer noch wahnsinnig weh. Wie lieb, dass du so rücksichtsvoll bist !"

"Ja, die Rücksichtslosigkeit von deinem 'Freund' muss ich halt jetzt ausbaden. Aber ich mag dich wirklich, Sumiko, und kann dir nicht weh tun. Vielleicht denkst du, ich bin gar kein richtiger Mann, immer voller Rücksicht, und ohne einfach meinen Willen durchzusetzen. Aber du sollst mit unserer Beziehung auch ein bisschen glücklich werden. Ich habe ohnehin mehr davon als du."

"Wieso ? Das verstehe ich nicht."

"Für mich, einen verheirateten Mann in mittleren Lebensjahren, ist schon ein Kuss von einem so wundervollen Mädchen ein Himmelsgeschenk. Mir bringt unsere Beziehung von Anfang an nur Vorteile, denn ich muss keine Verantwortung für dich tragen und habe, wenn die Geschichte mal zu Ende ist, vielleicht ein bisschen Kummer, aber auch viele schöne Erinnerungen. Und außerdem noch meine Familie. Du aber bist jung und ledig und solltest deine Liebe, dein Herz und vor allem deinen Körper demjenigen bewahren und zum Geschenk machen, der dich dafür ein Leben lang liebt und mit Verantwortung behandelt."

"Du bist ja ganz schön altmodisch. Dass du dich zu einem Mädchen ins Bett legst, um ihr moralische Vorträge zu halten, hätte ich nicht gedacht. Das kommt wohl daher, dass du Lehrer bist. Übrigens finde ich nicht, dass mir Männer, die ihren Willen ohne Rücksicht auf andere durchsetzen, mehr imponieren. Ich möchte dir gerne zeigen, dass ich deine Art mag."

radeltGegen Morgen zeigte sie es ihm noch einmal, aber auch diesmal tat es ihr so weh, dass er die Zwecklosigkeit einsah und wieder mittendrin aufhörte.

Sie versprach ihm, am nächsten Wochenende noch einmal zu ihm zu kommen, denn das war die letzte Möglichkeit, vor seiner Abreise noch eine gemeinsame Nacht zu genießen, aber schon nach dem Frühstück schien sie ihre Zusage wieder zu bereuen. Ihre Spritzigkeit vermisste er auch heute, und als er ihr Häuschen mit ihr zusammen verließ, sie auf dem Rad zur Uni und er zu Fuß zum Bahnhof, sah sie sich beim Davonradeln nicht ein einziges Mal nach ihm um, während er dastand und seinem geliebten Mädchen nachblickte, bis ihr sandfarbenes Kleid und ihr Sommerhut fern um die Ecke entschwanden.

Das venezianische Glas war nicht mehr zu retten, der Sprung vertiefte sich, und Jordy konnte es nicht verhindern. Das Wochenende war kein Erfolg gewesen, auch wenn er vielleicht ein Treffen mit Eberhard vereiteln konnte. Stand es ihm überhaupt zu, sich da einzumischen ? Vielleicht wäre es besser gewesen, sie mit ihm in den Park laufen zu lassen und sich währenddessen irgendeine Love-Story im Fernsehen reinzuziehen.

Aber selbst auf die paar trauten Stunden der vergangenen Nacht hätte er ungern verzichtet. Das Häuschen am Fluss, in dem er traumhaft schöne Stunden und unvorstellbares Glück durchlebt hatte, würde Jordy es wohl je wiedersehen ?


ANTWORT IM NÄCHSTEN KAPITEL RETTE SICH, WER KANN