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  Vorstoß  in  höhere  Sphären 
sphaeren


Jordy bedauerte seine Studenten, denn auf absehbare Zeit war er außer Stande, sich auf irgend etwas zu konzentrieren und vernünftigen Unterricht zu halten. In seinem Kopf drehte sich alles um Sumiko und ihre Erzählung vom Abend zuvor. Zum Glück war diese Woche die letzte Unterrichtswoche vor den Sommerferien, und am Montag musste er nur zwei Examina beaufsichtigen. Da konnte er die wirren Gedanken von der Leine lassen. Wie lange würde es dauern, bis Sumiko seinen Brief erhielt, und wann käme ihre Antwort ? Es schien ihm fast unmöglich, die Warterei zu ertragen. Er wollte das Mädchen so schnell wie möglich wiedersehen, nur, wie war das am besten hinzukriegen ? Und außerdem musste er sie von ihrem Kerl loseisen. Noch immer war Jordy so matt und platt, dass er keinen vernünftigen Plan, keine Strategie zu Wege brachte. Am Abend ging er entschlossen ins nahe Telefonhäuschen, weil wegen seines Umzugs das Telefon zu Hause noch stumm war.


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"Hallo, Sumiko, ich bin's. . . Bist du gut nach Hause
gekommen ? Fühlst du dich wieder besser ?"

"Ah, Jordy, du bist's ! Wie nett, dass du mich extra anrufst ! Herzlichen Dank für den schönen Abend ! Ich glaube, ich war sehr betrunken, dass ich dich mit meinen privaten Geschichten belästigt habe. Und es war sehr lieb, wie du mich getröstet hast. Jetzt bin ich ganz munter und arbeite an einem Referat, das ich nach den Ferien halten muss....."

Erleichtert hörte er, dass sie, im Gegensatz zu ihm, anscheinend wirklich wieder auf dem Damm war. Sie hatte wohl nur jemanden benötigt, bei dem sie ihren Kummer abladen und sich ausweinen konnte, und jetzt war sie wieder ganz fit. Jordy suchte krampfhaft nach irgendeinem unverfänglichen Aufhänger, um sie zu einem neuen Treffen in nächster Zeit einzuladen, aber ihm wollte nichts Rechtes einfallen, während sie weiter von ihrem Studentenleben plauderte.

"..... und am 22. wollen wir eine Semester-Abschlussparty feiern, da freue ich mich schon drauf. Übrigens, wenn du Zeit hast, sollten wir uns wieder einmal treffen, Jordy, findest du nicht ?"

Ihm fiel beinahe der Hörer aus der Hand. Während er noch herumdruckste, sagte sie in einem Nebensatz ganz unbefangen von sich aus, was ihm nicht über die Lippen kommen wollte ! Vor allem deshalb hatte er sie überhaupt angerufen ! Es gelang ihm nur mit Mühe, einen Freudenschrei zu unterdrücken.

"Das ist eine prima Idee, vollkommen einverstanden ! Bei mir ist das Semester diese Woche zu Ende, danach bin ich mehr oder weniger frei. Und wann passt es dir ?"

"Ehrlich gesagt, so bald wie möglich wäre mir am liebsten. Ich glaube, wir haben viel zu besprechen. Ich möchte nicht erst auf den nächsten Anlass warten, sondern zu dir nach Tokyo fahren, aber diesmal fröhlicher sein und mit dir eine schöne Zeit verbringen."

"So bald wie möglich, das wäre das kommende Wochenende. Soll ich es für dich freihalten ?"

"Oh, wirklich, das ist schön ! Ja, dann komme ich am Samstag nach Tokyo ! Früh mit einem der ersten Züge, damit ich nicht gleich nach der Ankunft wieder zurückfahren muss."

"Du willst doch nicht etwa am selben Tag wieder heimfahren ? Kannst du denn nicht am Samstag kommen und am Sonntag zurückfahren ? Dann hätten wir ohne Eile einen ganzen Abend für uns."

"Ja, an einem Tag von Sendai nach Tokyo und wieder zurück, das ist nicht besonders angenehm, aber andernfalls habe ich ein Problem. Wie du weißt, wohne ich bei meiner Tante, wenn ich in Tokyo bin. Aber ich war erst vorige Woche zum Unterricht da und kann ihr nicht gut erzählen, warum ich schon wieder komme. Du müsstest mir was besorgen, wo ich übernachten kann."

Das war der Knackpunkt.

'Sei behutsam, Jordy', sagte er sich, 'denn wenn du jetzt patzt, geht alles den Bach runter. Aber wenn du es geschickt anstellst, kannst du dich auf ein märchenhaftes Wochenende freuen....'

Er setzte alles auf eine Karte.

"Sumiko, nach all dem, was du mir gestern erzählt hast, wird dir mein Vorschlag vielleicht wie eine Zumutung vorkommen. Aber wenn du nur mir zuliebe nach Tokyo kommst, kannst du bei mir übernachten. Ich habe mehrere Zimmer, und ich verspreche dir hoch und heilig, dass dir bei mir nichts geschehen wird, was du nicht wünschst. Ich bringe es nicht fertig, dich noch trauriger zu machen. Du sollst dich wohl fühlen bei mir. Komm zu mir, dann hören wir Musik, trinken guten Wein und sprechen ungezwungen miteinander. Und du wirst garantiert keine schlechten Erinnerungen an den Abend und die Nacht haben, das verspreche ich dir, und du müsstest mir vertrauen. Ich bin nicht so wie der Eberhard, glaub mir das bitte. Hast du so viel Vertrauen ?"

Jordy hatte ganz ruhig gesprochen, aber sein wildes Herzpochen musste bis Sendai hörbar sein. Eine Weile hörte er nichts vom anderen Ende der Leitung, aber das hatte er auch nicht anders erwartet. Atemlos lauschte er, dann kam es, sehr zaghaft, zurück:

"Gut, Jordy, ich will dir vertrauen. Du musst dein Versprechen aber bitte auch wirklich halten !"

"Natürlich, liebe Sumiko, und vielen Dank für dein Vertrauen. Ich weiß, dass dir das gerade jetzt besonders schwer fällt, und werde dich bestimmt nicht enttäuschen. Wie schön, dass ich dich so bald wiedersehen kann !"

"Ich freue mich auch sehr, tschüs, Jordy !"

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Diese vertrackte Achterbahn, gleich nach dem höllischen Sturz in den Abgrund katapultierte sie ihn nun raketenhaft in den Himmel, dass ihm Hören und Sehen verging. Gestern Abend um die gleiche Zeit hatte er sich wie mit dem Holzhammer ausgeknockt gefühlt, und jetzt hopste er durch nachtschlafene Gassen wie ein gedoptes Karnickel. Die Nachtluft bitzelte wie Champagner, der fast volle Mond goss ihm
*ECSTACY* in Hirn und Herz; er torkelte high wie ein Junkie vom Wohngebiet aus in die nächtlichen Felder, wo es nach Sommergras duftete und ein Konzert aus Grillenzirpen und Fröschequaken das begeisterte Einmannpublikum berauschte. Schon wieder wusste er am andern Morgen nicht mehr, wann und wie er ins Bett gekommen war, er hatte die halbe Nacht durch geschlafwandelt und bei Mondschein getagträumt, er war durch höhere Sphären geschwebt. Als er erwachte, war es schon höchste Zeit, zur Uni zu gehen, und die Studenten, die ihm gestern noch leid taten, seine verzagte Trauermiene erdulden zu müssen, hatten heute allen Grund, sich zu wundern, wieso derselbe Mensch heute so aufgekratzt vor ihnen herumhampelte wie ein beschwipster Bajazzo.


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Nur mit Mühe konnte er am Abend dem Bedürfnis widerstehen, schon wieder in Sendai anzurufen. Ohnehin musste er sich noch einmal melden, um Ort und Zeit des Stelldicheins zu verabreden. Am Donnerstag lag der ersehnte Brief im Kasten:

Lieber, lieber Jordy, 

Ich habe heute Deinen sehr freundlichen Brief bekommen. Herzlichen Dank.... Heute hatte ich mit meinen Freunden, die zusammen im Magisterkurs Musik studieren, in der Stadt eine Party. Aber vor der Party habe ich Deinen sympathischen Brief gelesen und ich habe meinem Freund ( ? ) einen Brief geschrieben. Ich sage "ade" in meinem Brief. Aber ich habe ihn noch nicht geschickt. Warum musste ich weinen ? frage ich mich. Aber ich bekomme keine Antwort. Als ich mit meinen Freunden Bier getrunken habe, habe ich ein bisschen gelacht. Aber das war kein inniges Lachen. Natürlich war Sex sehr traurig für mich. Unglücklicherweise war das nicht schön wie ein Traum. Aber ich glaube, wenn nur Sex schlecht gewesen wäre, wollte ich ihm keinen Ade-Brief schreiben. Heute kann ich nicht so viel schreiben, deshalb wollte ich am Abend Dich anrufen --- aber kein Erfolg. Bitte rufe mich wieder an ! Ich will warten. Treffen wir uns am Samstag !

Bis bald,

Sumiko

War das zu fassen ? Wie lange war es her, dass Jordy in so himmlischen Freuden geschwelgt hatte ? Das war ein Brief ganz nach seinen Wünschen ! Natürlich wollte er Sumiko gleich am Abend anrufen, wenn sie von der Uni zurück käme.

Es klingelte.

"Eilpost, ein Telegramm !"

Aus Sendai.

Bitte schnell anrufen, ich warte. Sumiko.


Da hatte er es ja wohl geschafft, sie von ihrem Burschen abzubringen. Und was für einen Märchenschatz hatte er sich da aufgetan ! Jordy war jungen Mädchen durchaus nicht total entwöhnt, dass er sich so für Sumiko begeisterte; nein, dieses Mädel war schlichtweg sein Ideal, und er war verliebt wie kaum je zuvor in seinem Leben.

'Wenn die Sache mit dem Sex unser einziges Problem wäre, hätte ich ihm keinen Abschiedsbrief geschrieben', hatte sie in ihrem Brief angedeutet.

"Sie war also schon längst auf dem Absprung gewesen, sonst hätte sie sich auf und nach dem Seminar auch nicht so emsig mit mir befasst. Das hat ihr Kerl sicher gespürt und sich gedacht, wenn er sie jetzt nicht in sein Bett lotst, kriegt er sie nie mehr. So ein Fiesling", murmelte Jordy. "Und jetzt bin ich ihr offenbar schon so ans Herz gewachsen, dass sie dem Treffen am Wochenende entgegenfiebert, brieflich und sogar per Telegramm um einen Anruf bittet, trotz ihres schmalen Taschengeldes keinen Augenblick zögert, für ein paar Gläschen Wein mit mir mit dem teuren Superexpress nach Tokyo zu rattern, und sich darauf einlässt, bei mir zu übernachten. Das kann nicht nur Sympathie sein, da steckt ein stärkerer Antrieb dahinter...!'

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Jordy war selig. Das Bahnticket würde er ihr natürlich bezahlen. Ginge es nach ihm, könnte sie jedes Wochenende angerauscht kommen. Hauptsache, er konnte ihr liebes Gesicht sehen; und dann würde es auch nicht beim Gesichtsehen bleiben. Er zweifelte nicht im geringsten daran, dass er sich am Samstag ihren ersten süßen Kuss einfangen würde, und nicht nur einen. Womöglich ginge es noch weit über Primaner-Zärtlichkeiten hinaus, nach dem, wie sie sich auf das Treffen freute und diesem hinterlistigen Eberhard gleich den Laufpass erteilt hatte. Jordys liebevoller Trostbrief musste wahrlich effektiv gewesen sein, aber der war auch aus dem allertiefsten Herzensgrund gekommen, das stand fest. In so einem Zustand schreibt man nicht alle Tage Briefe. Gut, dass er sich für Samstag Nacht nicht allzu konkret festgelegt, sondern nur versprochen hatte, dass nichts passieren werde, was sie nicht wünschte. Aber was sie alles wünschte, darauf war er sehr gespannt.

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Blitz und Donner, wo steckte nur das Notizbuch mit den Adressen und Telefonnummern ? Jordy stellte die ganze Wohnung auf den Kopf, nirgends war das Ding zu finden ! Es war langsam Zeit anzurufen, sicher saß sie schon auf heißen Kohlen und schimpfte ihn einen treulosen, unzuverlässigen Ausländer, aber irgendwo musste das Heftchen doch stecken ! Es half nichts, es war spurlos verschwunden. Natürlich hatte er noch den Brief, in dem ihre Nummer stand, aber ohne sein Büchel war Jordy ziemlich aufgeschmissen.

Als er die Telefonzelle erreichte, fielen ihm vor Überraschung beinahe die Augen aus dem Gesicht: Da lag es, friedlich und unberührt, seit Montag Abend ! Da war er anscheinend so trunken gewesen vor Seligkeit, dass er es glatt liegen gelassen hatte, und keiner hatte es mitgenommen oder fortgeworfen. So etwas gibt es nur in Japan.

"Ciao, bella, come stai ? Du wolltest sicher deinen Besuch am Wochenende absagen, dass ich so dringend anrufen sollte?"

"Aaah, du bist's. Nein, absagen will ich nicht, aber ich wollte vorher nochmal mit dir sprechen. Es ist nichts Besonderes, aber wenn ich über Nacht bleiben kann, muss ich nicht so früh hier abfahren, nicht ? Ich fahre dann so wie immer, dann bin ich um 14 Uhr in Tokyo."

"Was, so spät ?"

Er konnte seine unsinnige Enttäuschung schwer verbergen, ihm war jede Minute kostbar, die er mit ihr verbringen konnte.

"Na ja, ich schlafe halt morgens gern aus, und am Abend vorher muss ich noch einer Kommilitonin helfen. Und ich müsste am Sonntag, so leid es mir tut, auch etwa um die gleiche Zeit wieder zurückfahren, weil abends meine Englisch-Nachhilfeschülerin kommt. Das kannst du doch sicher verstehen. Ich wäre wirklich gern länger bei dir, aber ich habe auch meine Verpflichtungen. Und eigentlich wollte ich ja schon am Samstag wieder zurückfahren. So haben wir doch immerhin einen ganzen Abend, findest du nicht ?"

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Ja, Sumiko hatte ja Recht. Jordys Freude hatte einen kleinen Dämpfer bekommen, denn so lodernd wie ihr Brief klang das nicht, und diesen Anruf hatte sie demnach nicht deshalb per Telegramm bestellt, weil sie nach dem Klang seiner Stimme lechzte, sondern um ihm kund zu tun, dass sie nicht so viel Zeit für ihn hatte wie er sich das vorgestellt hatte. Warum sind die Männer nur so naiv und selbstgewiss, bei jedem Mädchenlächeln gleich zu glauben, dass die Schöne nur von ihnen träumt ? Aber es war klar, dass Sumiko sich nicht nach Belieben in Tokyo amüsieren konnte, während kein Mensch, Eltern, Bruder und Tante eingeschlossen, wusste, wo sie sich herumtreibt. War es nicht wunderbar genug, dass sie überhaupt zu Jordy kommen wollte ? Und bei ihm übernachten würde....

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WIE GEHT'S WEITER ? MIR REICHT'S