Wen die Heilsarmee in Belfast gerettet hat |
So, halt dich fest, denn jetzt beginnt der wahre Stress. Pflasterstein-Schlachten und Tränengas-Kanonaden, das trägt man in unserem Alter mit Fassung, aber eine dritte Begegnung mit Kicher-Heather und Luder-Greta, das tut man sich nur im Notfall an. Frank, das haste davon, wenn du nicht alleine reist, sondern mit einem Freund vom Typ Ingo. Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen. |
Nur drei Stunden dauerte es, da standen wir vor der Haustür eines der typischen Reihenhäuser in Maghera, an der von Heather genannten Adresse, und die Leute, die auf Ingos Klingeln hin verwundert öffneten, waren, wie seinerzeit in Kilconnel, von unserer Ankunft völlig überrascht. Ich sage dir jetzt mal ganz ehrlich, dass mir das gewaltig stinkt. Da lädt uns diese Göre mit süßlichem Kichern hierhin und dorthin ein, gibt uns Anschriften und Termine und flunkert, alles sei klar und wir seien hochwillkommen, und dann hechelt Ingo, der jedes Wort aus weiblichem Mund als Offenbarung und Einladung zu paradiesischen Freuden nimmt, mit mir im Schlepptau wie auf einer Tramper-Rallye von Treff zu Treff, und jedesmal fallen wir unrasiert mit unserem Zigeuner-Rödel ahnungslosen Leuten ins Haus und jagen ihnen tödliche Schrecken ein. |
"Die jungen Damen sind im Moment leider nicht zu Hause", erfuhren wir, nachdem die Hausherrin ihre Fassung wiedergewonnen hatte, und ich war darüber, ehrlich gestanden, ziemlich erleichtert. Nach unseren Kilconnel-Erfahrungen glaubte ich nämlich, dass auch Ingo ernüchtert sei, nur schöne Grüße abliefern und dann weiterreisen würde, aber ich hätte meinen Partner besser kennen sollen. Er fing an, die Lady zu belabern, bis sie uns hereinbat, Tee und Gebäck servierte und sich höflich nach unseren Nordirland-Aventüren erkundigte. Die alle wiederzugeben, hätte der Tag nicht ausgereicht, und so machten wir uns auf zu einem Gang durch das Städtchen, nachdem wir ausdrücklich zum Abendessen eingeladen worden waren. |
Als alle um die Tafel saßen, klärte Heather ihre Verwandtschaft, die aus Onkel, Tante, ihren soeben eingetroffenen Eltern und einem dicklichen, jungen Cousin bestand, endlich darüber auf, wie und wo sie Ingo kennen gelernt hatte, und fügte hinzu, seine Intentionen kühn missinterpretierend, dass wir anderntags gleich weiterreisen würden. Ingo war sichtlich enttäuscht, aber für mich stand schon längst fest, dass dies mein letztes Abendmahl in Maghera sein würde, trotz der wirklich freundlichen Aufnahme, die uns angesichts der Umstände zuteil geworden war. Aber ich kam mir echt albern vor, diesem nicht mal sonderlich attraktiven Teenager samt spöttisch grienender Gefährtin nachzulaufen und immer wieder an der Nase herumgeführt zu werden. Dass Ingo nicht merkte, wie wenig sich Heather für seine Vorzüge interessierte, war mir ein Rätsel. Wenn sie die Tage bis zum nächsten Treffen mit ihrem Liebsten zählen und ihm im Dunkel hinter der Haustüre um den Hals fallen und ihn dann von oben bis unten ablutschen würde, dann wollte ich ihn gerne als dummer August begleiten und mich ersatzweise am Anblick der schwarzgelockten Greta mit ihrer erotisch geschwungenen Nase erfreuen, selbst auf die Gefahr hin, dass sie mir wieder ein Loch in die Stirne guckte, aber deren Desinteresse an uns chaplinesken Strolchen war derart manifest, dass es nicht einmal der Zärtlichkeiten und demonstrativen Maniküre bedurfte, die sie nach dem Essen, als alle vor der Glotze hockten und sich "Dracula's daughter" reinzogen, dem pickeligen Schnösel von Cousin angedeihen ließ, um uns zu zeigen, dass wir ihr selbst als Gesprächspartner nicht gut genug waren. Die Dracula-Töchter im Fernsehen waren nichts gegen die beiden Exemplare vor unserer Nase, und ich hatte große Lust, möglichst bald von ihnen befreit zu werden. Ingo hingegen hatte noch längst nicht aufgegeben und versuchte, nachdem sich Eltern und Onkeltanten zur Nachtruhe begeben hatten, mit endlosen politischen Diskursen bei der überforderten Heather Sympathien zu wecken und, wahrscheinlich, auch Zeit zu gewinnen, denn die Aussicht auf eine Nacht im Zelt konnte für meinen schlafsacklosen Kompagnon nicht allzu verlockend sein. |
Da auch Greta mit ihrem Dicki bald auf ihr Zimmer entschwand, baute ich das Zelt auf einer zuvor schon ausgeguckten Wiese auf, und weil für mich trotz Schlafsacks die Nacht ziemlich kühl war, möchte ich lieber nicht wissen, wie Ingo geschlottert haben muss, nachdem Heather ihn gegen ein Uhr früh endlich losgeworden war. Dass er erst in den Morgenstunden, als die Sonnenstrahlen unser Stoffhotel aufheizten, zu schnarchen anfing, konnte ich gut verstehen und machte mich alleine auf den Weg zur Ortsmitte, um uns was zu knuspern zu besorgen. Um das Dracula-Haus machte ich einen großen Bogen, lief aber trotzdem geradewegs Heathers Onkel in die Arme, der mich fassungslos fragte, wo wir denn blieben, das Frühstück sei längst fertig und man warte nur auf uns. Alle Verwandten seien ausgeschwärmt, um uns zu suchen, und dass sie uns auf der nur 200 m entfernten Wiese nicht fanden, spricht für die Tarnkunst, die wir bei der Zeltplatz-Wahl entfalten, denn wer hat schon Lust, beim Aufstehen von übellaunigen Bauern, misstrauischen Passanten oder neugierigen Kindern behelligt zu werden? |
Nach dem Frühstück verabschiedeten sich die Herren und Damen der älteren Generation samt Pickelschnösel zu einem Tagesausflug und ließen uns zu meiner Überraschung mit den Teenies alleine. Ich sollte lieber sagen "zu meiner Enttäuschung", denn Ingo schöpfte gleich neue Zuversicht und ging an seine Heidi ran wie Blücher, anstatt ans Abschiednehmen zu denken. Belustigt sah ich zu, wie eifrig die Mädchen Geschirr spülten, die Wäsche in die Waschmaschine stopften und sogar das Bügelbrett hervorholten, um sich nicht mit uns abgeben zu müssen. |
"Hör
mal, Ingo, es reicht doch langsam, findest du nicht?"
Er kam zwar mit, als ich zum Aufbruch drängte, schaffte es aber, Heather das Versprechen abzuringen, uns nach dem Ende der Hausarbeiten noch einmal bei unserem Zelt zu besuchen. Da kannst du mal meine Engelsgeduld bewundern, dass ich da nicht gesagt habe, also, dann wart mal schön auf deine Kichererbse, wir treffen uns übermorgen in Dover an der Fähre.... Aber ihn ohne Zelt und Schlafsack da stehen zu lassen, das wäre kein Zeichen von Freundschaft gewesen. Also, take it mal wieder easy. Nicht dass du jetzt denkst, ich täte mich nicht für Mädchen interessieren. Also wenn die Greta beispielsweise darauf versessen gewesen wäre, von mir ein Kind zu kriegen, da hätte ich gewiss mit mir reden lassen, aber mir bloß ein Loch in die Stirne starren zu lassen, das kann ja nicht der wahre Thrill sein. Fünf Stunden lang, von 10 bis 15 Uhr, hielt ich es aus, dann begann ich wortlos, unsere Leinen-Villa zu demontieren. Ingo packte mit an, er war offenbar um ein paar Illusionen ärmer geworden. Aber er wollte sich unbedingt anschauen, in welch langwierige Arbeit seine Tussi vertieft sein mochte, dass sie an einem Abstecher von 200 m bis zu unserem Zelt verhindert war. Hoch angesäuert berichtete er nach seiner Rückkehr kurz darauf, dass er beide Girls in eine vergnügte Konversation mit drei oder vier gleichaltrigen Burschen vertieft angetroffen habe, und zu Mittag gegessen hatten sie auch längst, ohne auch nur einen Gedanken an uns zu vergeuden. Ultimativ drohte ich, alleine weiterzureisen, wenn er auch nur eine Minute länger in der Nähe der schnippischen Dracula-Töchter zu vertrödeln gedenke, aber Ingo war endlich geheilt und trat mit mir zusammen die Heimreise an. |
On the road again, du ahnst gar nicht, wie glücklich und erleichtert ich mich fühlte. Im Nu waren wir in Larne, aber Ingo meinte, den Preis für die Fähre könnten wir uns doch sparen. Er quasselte vier oder fünf LKW-Piloten an, ob sie nicht gegen ein Trinkgeld zwei blinde Passagiere unter die Plane stopfen würden, aber die zeigten ihm alle die kalte Schulter. |
"Dann
probieren wir's doch mal mit Schiff-Trampen".
Ingo setzte offenbar seinen Frust in Tatendrang um. Recht so, für solche Abenteuer bin ich zu haben. Wenn da in den nächsten Tagen irgendein Kahn nach Hamburg oder Rotterdam ausliefe, würde ich auch mal ein paar Tage lang Deck schrubben, Kartoffeln schälen oder Kajüten streichen. Die Besatzungen der wenigen Rostkähne im Hafen von Larne teilten uns bereitwillig ihre Fahrtziele mit, aber weiter als bis nach Átha Cliath oder Corcaigh in der irischen Republik fuhr keiner, und das war sicher auch ganz gut so, denn seetüchtige Schiffe sehen meist etwas solider aus. Bis Belfast war es nicht weit, und da gibt es einen größeren Hafen, den wir im Abendlicht erreichten. Der Bobby in dem Schilderhaus am Eingang wollte uns partout nicht durchlassen, aber Ingo hat unter vielen anderen Talenten auch jenes, so einen Bobby, sogar auf englisch, derart plattzubabbeln, dass er uns nicht nur reinlässt, sondern auch noch unser Gepäck zu hüten verspricht. |
In der Tat, der Hafen in Belfast bietet eine deutlich größere Auswahl an Schiffen, und gleich der erste Pott, den wir enterten, fuhr unter deutscher Flagge und mit deutscher Besatzung. Auch der Käpt'n war gewillt, uns anzuheuern, falls wir eine Woche lang warten und mit nach Kapstadt reisen wollten. Hummel, hummel, wenn dat man kein Seemannsgarn war! Bis nach Hamburg hätte uns durchaus genügt, aber Kartoffeln schälen bis nach Südafrika....? |
Wir fragten Belgier, Italiener und Malaien, versuchten vergebens, einen sternhagel-veilchenblau bezischten Norweger aus dem Koma zu rütteln, und stießen bei den meisten der Besatzungen auf erstaunliches Wohlwollen für unser Begehren nach einem Last-minute trip; nur die Auswahl der Reiseziele, Riga, Tripolis, Singapore, Hull und Caracas, behagte uns wenig. Und jetzt? Da standen wir im Finstern, im Hafen der Kriegsmetropole Belfast, und hatten weder Kutter noch Kajüte noch Koje. Wenn Ingo seinen Miefbeutel noch hätte, wäre das kein Problem gewesen, aber die vorige Nacht hatte ihm in Erinnerung gerufen, dass Belfast nicht am Äquator liegt. Irgendwie kam jetzt der Turkey, als wir durch die stockfinsteren Gassen des verkommenen, mit Müll übersäten Hafen- und Industrieviertels taperten, beladen mit unseren Stadtstreicher-Säcken. Bei den Teenies abgeblitzt, bei den Schiffern kein Erfolg, und noch nicht mal das mollige Federbett eines irischen Arbeitslosen in Aussicht, da ließ sogar Ingo den Kopf hängen, anstatt sich auf seine Redekünste zu besinnen. |
Zwischen den öligen Pfützen parkte das Wrack eines Lieferwagens. Mit nur wenig brachialer Nachhilfe ließ sich die Fahrertür öffnen, und wir waren drauf und dran, es uns auf den Sitzpolstern bequem zu machen, da fiel der Blick auf das riesige Schlagloch direkt vor dem Wagen: Ein Hundekopf mit weit aufgerissenen Augen glotzte uns an, als seien wir dafür verantwortlich, dass ihm sein Körper abhanden gekommen war. Also, wir glauben ja nicht an Gespenster und Spuk, auch nicht in diesem englisch-irischen Winkel der Welt, aber das ist eine Scheißgegend hier, das sag ich dir. Schließlich sind wir nicht auf der Reeperbahn, sondern in Belfast, wo die IRA längst nicht mehr mit Wasserpistolen bewaffnet ist. Womöglich steckt da alles voller Minen, Granaten und Autobomben, der Krater mit dem Hundekopf in seiner blutigen Pfütze ist der beste Beweis dafür, und wenn wir uns hier in dem idiotischen Lieferwagen niederlassen, geht der womöglich hoch in der Nacht, und wir gucken dann morgen früh genauso scheel aus der Wäsche wie der halbe Köter und vermissen unseren Unterleib. Dann ist Schluss mit lustig und take it easy. |
Der Wartesaal für die Fähre ist längst zu, der letzte Dampfer ist uns entschwommen. Da fällt der Blick der hundekadavermüden Tramps auf ein Haus, über dessen Eingang der Schriftzug SALVATION ARMY prangt. Und da war tatsächlich noch jemand wach und ließ uns ein. 10 Shillings kosten Bett und Breakfast für Obdachlose, aber eigentlich waren wir ja nicht aus Liebe zu dieser Stadt nach Belfast gekommen, sondern um Geld einzusparen, und machten deshalb lange Gesichter, und außerdem war die Nacht ja schon halb vorbei. Die Seelenretter ließen sich ihren Service auf 5 Shillings runterhandeln, und Ingo konnte auf seiner Pritsche zwischen all den Schnapsleichen und Clochards ringsumher wenigstens sicher sein, sich keinen kalten Po zu holen. Als sozialer Notfall zum halben Preis bei der Heilsarmee im Penner-Asyl zu übernachten und am Morgen mit altbackenem Brot und wässerigem Muckefuck gepäppelt zu werden, war eigentlich weit unter meiner Tramper-Würde, aber was tut man nicht alles seinem Kompagnon zuliebe, damit der sich Läuse und Flöhe einhandelt anstatt einer Lungenentzündung. |
Am nächsten Tag gondelten wir wieder nach Larne, kauften uns brav reguläre Tickets und ließen die Nachmittagsfähre, die wir leicht erreicht hätten, davonfahren, damit Ingo wie auf der Hinreise in den Polstern des nächsten Schiffs eine warme Nacht verbringen kann. Und wenn du mir jetzt sagst, es wäre gescheiter und billiger gewesen, wenn wir gleich in Larne geblieben wären, dann muss ich dir zwar Recht geben und deine Cleverness preisen, aber so klug sind so Leute wie wir, die ihren Denkapparat auf Energiesparbetrieb umgestellt hatten, meistens leider erst hinterher. |
In Schottland angelangt, ließen uns Ingos Handicap und die Nacht im Penner-Heim es angeraten erscheinen, einen Zahn zuzulegen und stracks die Heimat anzupeilen. Nach meiner Statistiker-Erfahrung sollten wir in 3½ Tagen in Frankfurt sein, und wenn wir Nacht-Hitchen versuchen, könnte es noch flotter gehen. Wir rumpelten also von Stranraer nach Süden, die Straßen wurden verkehrsreicher, die Städte größer, das Wetter schottischer und die Tramper-Konkurrenz immer vielköpfiger. Die Ladefläche eines Straßenfegers (so nennt man in Hitcher-Kreisen einen LKW, der alle Leute einlädt, die am Wegrand winken) füllte sich allmählich mit mehrheitlich deutschsprachigem fahrendem Volk, die alle nach Germanien wollten, und als wir abgesetzt wurden und unter der Plane hervorkrochen, standen wir im herrlichsten schottischen Regenwetter, das in uns liebe Erinnerungen weckte. |
Aus der unerbetenen Dusche retteten uns zwei Amerikaner, die ihr altbackenes Vehikel vor vier Stunden erst in Glasgow gemietet hatten und, so kurz nach der Ankunft im alten Europa, mit dem Linksverkehr noch beträchtliche Probleme hatten. Kann ich ihnen ja nachfühlen. Mitleidig setzten sie uns in Penrith direkt an der Autobahnauffahrt ab, damit wir flott weiterkommen, denn noch immer träuft der gute Whiskey-Rohstoff aus den grauen Wolken, aber zu unserer Verwunderung blieb es dort verkehrsmäßig recht ruhig, um nicht zu sagen, ungewöhnlich ruhig. Als nach einer halben Stunde noch immer kein Auto zu sehen war, schöpften wir einen ersten Verdacht, aber dann kam doch ein Wagen und hielt, und das war ein LKW voller Bauarbeiter, die sich kaum einkriegten vor Wiehern über uns blöde Ausländer, die an einer Autobahnauffahrt trampen wollten, die zu einem noch im Bau befindlichen Abschnitt des Motorways führt. |
"Uuahahahahaaa, da müsst ihr noch 11 Monate lang warten, bis euch einer mitnimmt, hahahahihihihohoho!", wieherten sie, brachten uns aber immerhin an die richtige Stelle, und weiter ging die Regen-Rallye. Am Rastplatz Wigan, schon in England, fern von den kopfschüttelnden Schotten, verdämmerte der Tag im Endlosregen, und wir verkrochen uns in den Heuschober, der auf der Wiese zu sehen war. |
Auf
sechs Achsen donnerten wir anderntags bei strahlendem
Sonnenschein nach Birmingham runter und hatten trotzdem
klatschnasse Hosenbeine, und warum wohl? Rätselecke....
Die Lösung finden Sie auf Seite 87. Kleiner Tipp: Lauf mal über eine ungemähte Wiese, wenns die letzten drei Tage davor geregnet hat. |
Dass die Zivilisation uns wieder hatte, ersieht man daraus, dass eine charmante junge Dame uns bärtige und verwahrloste Waldschrate in ihre Karosse lud und bis nach London chauffierte. So prachtvolle Mädels gibt's in England, ich versteh immer weniger, was Ingo an seinem rothaarigen Teenie so toll findet. Wir versprühten allen Charme, der uns nach Heather und Greta noch verblieben war, und hatten eine vergnügliche Fahrt. |
Der Typ, der uns am Abend noch bis nach Maidstone brachte, erzählte, er werde in einer Stunde wieder kommen und dann weiter fahren, weshalb wir, anstatt uns eine Wohnung zu suchen, in der Dunkelheit lustlos weiterwinkten, aber die Stunden verstrichen und tiefe Finsternis verschlang unsere Schatten, ohne dass sich der Blödian blicken ließ. Vielleicht hockte er mit dem Feldstecher hinter der Gardine und amüsierte sich über seinen gelungenen Streich und unsere Einfalt. Britischer Humor? Die spinnen, die Briten. Ein leerstehendes, beachtlich windschiefes Haus nahm uns auf für die Nacht, aber Federbetten und ähnlichen Komfort suchten wir dort vergebens. |
Wie es sich so fügte, mussten wir das nahe Hitchhiker-Nadelöhr Dover an einem Samstag anvisieren. Wir trennten uns vorsichtshalber, und das war gut so. Um 10 standen wir am Hafen und wollten gerade unsere Tickets kaufen, da kam ein Typ an und erzählte, er suche noch Leute, die mit ihm im Hovercraft aufs Festland rauschen wollten, das sei billiger und vor allem schneller. |
Jetzt denkste, wir lassen uns schon wieder vergackeiern, aber Nachrechnen bestätigte die Ersparnis von etwa dem Doppelten dessen, was wir in Belfast für das Nachtasyl ausgegeben hatten, und das geht so: Auf der Fähre ist im Preis für ein Automobil nur der Fahrer kostenlos enthalten, die Mitreisenden müssen ihre Passagen extra bezahlen. Auf dem Hovercraft kostet der Autotransport zwar erheblich mehr, aber dafür dürfen bis zu 7 Mitfahrer ihre Köpfe gratis aus dem Autofenster strecken, und wenn ein VW-Bus-Fahrer die Kalesche voll lädt und man sich den Preis dann redlich teilt, geht die Rechnung vorteilhaft auf. Erst als wir im Hafen Ramsgate waren, entsann sich Ingo der Tatsache, dass sein Parka, in den er sich des Nachts anstelle seines verlorenen Schlafsackes zu wickeln pflegte, noch in der Wartehalle von Dover liegen musste. Und wenn alle Mitmenschen so ehrlich sind wie ich, dann müsste er eigentlich noch heute dort liegen. |
Die Deutschen mit ihrem VW-Bus, die normalerweise keine Anhalter mitnehmen, es sei denn zum Geldsparen, mussten uns bis Bruxelles im Fond dulden. Bei den zwei hübschen Französinnen, die ab Bruxelles unsere Plätze einnahmen, machten sie freilich flugs eine Ausnahme. Ich hatte zufällig von einer früheren Reise noch ein paar belgische Francs übrig und, als erfahrener Tramper, auch dabei, und die reichten gerade, um mit der Tram aus der Stadt raus an die Autobahn zu gelangen, und weil in Belgien alle Straßen nachts beleuchtet sind, versuchten wir auch nach Einbruch der Dunkelheit unser Glück, et voilà: Ein Lift bis Liège, ein weiterer bis zur Grenze bei Aachen, und da war der Ofen aus. Im Frühtau in Deutschland, in Sichtweite die Zöllner, da hält kein Mensch an wegen zwei Typen, deren Kleidung auch im Mondenschein noch nach Waschmaschine schreit, dafür kenne ich meine Landsleute gut genug. Aber jetzt, wohin mit meinem fröstelnden Kompagnon, dem so nah der Heimat sogar sein Parka entbehrlich erschien? Eine Außenstelle der Heilsarmee besteht am Autobahn-Grenzübergang Aachen bislang noch nicht. Weshalb der deutsche Zoll da einen Autofriedhof unterhält, ist mir aber auch nicht ganz verständlich; vermutlich kaum, um einem schlafsack- und parkalosen Hitchhiker eine komfortable Nachtruhe auf Mercedes-Liegepolstern zu bereiten. Aber es kann ja auch eine lohnende Aufgabe sein, sinnlosen Dingen nachträglich einen Sinn zu geben. |
Dass wir
anderntags trotz Sonntagsverkehrs auf getrennten Wegen
wohlbehalten daheim anlangten, will ich dem besorgten
Leser nicht verheimlichen. Zu berichten gibt es nichts,
außer dass Ingo viel früher als ich angekommen ist, und
zwar nicht, weil er inzwischen nahezu gepäcklos war,
sondern weil ich einer holländischen Familie auf
Sightseeing bei ihrem Sonntagsausflug den Rhein entlang
als Fremdenführer und Dolmetscher dienen und Lorelei und
Drosselgasse noch über mich ergehen lassen musste, also
sieh dich vor, wenn du mal per Anhalter wohin willst,
mach am Sonntag lieber Pause und geh in die Disco, auf
den Fußballplatz oder zu deiner Liebsten, die freut sich
über den Besuch, aber lass die Finger vom Anhalten, das
ist sonntags einfach zu unprofessionell.
Aber was soll's, wir haben auf dieser Fahrt durchaus größeres Ungemach über uns ergehen lassen und auch überlebt... Take it easy! |
VNV
Die amerikanischen Brüder Neil und Jack Shanahan, die wir in Derry kennen gelernt hatten, sind übrigens später, zwei Jahre nach den geschilderten Ereignissen, wieder in Nordirland gewesen. Sie schrieben in einem Brief, dass sie auch Danny sofort wieder besuchen wollten, um zu sehen, wie es ihm jetzt so geht. Sie fanden aber sein Haus leer, Tür und Fenster zugemauert. Die Nachbarn sagten nur, dass er nicht mehr da sei, ob verhaftet, umgekommen oder nach Amerika ausgewandert, wusste kein Mensch. Auch Mary Roddy konnten sie nicht befragen: Die Old Oak Bar war nur noch eine ausgebrannte Ruine, mit verkohlten Resten bunter Ansichtskarten an der Wand, mehr war nicht geblieben von Marys zu Asche gewordenen Träumen. |
Wir wollen nur hoffen, dass Mary und Danny trotz allem noch irgendwo auf der weiten Welt leben, gesund und in Frieden. Mann, was wäre Derry ohne diese beiden guten Seelen für eine fröstelkalte Krawallstadt gewesen, und diese fuckin' Welt wäre ohne sie noch elender als sie ohnehin schon ist. |