SCHNARCHSACK
7
Schnarchsacks Abgesang
Jetzt
sollte man meinen, bei Jordy sei alles in Butter, ein flottes
Mädel, endlich gebändigt, das alle bisherigen Partnerinnen im
Bett weit übertraf und zeigte, was Koreanerinnen alles können.
Aber es wäre ihm wahrscheinlich lieber gewesen, wenn Kyonghi ihm
nicht ALLES gezeigt hätte, was sie kann. Denn genauso begabt wie
im Bett war sie für Blitz und Donner, und es bedurfte
meist nur eines unbedeutenden Anlasses, um sie aus der wochenlang
gewahrten Balance zu bringen. Jordy war nicht an Partnerinnen
gewöhnt, bei denen auf beinahe jeden Sonnenschein ein Hagelsturm
folgte, und hatte nicht genug Fingerspitzengefühl, um die
Themen, auf die Kyonghi allergisch reagierte, ständig zu
vermeiden. Und mit jedem neuen Clinch nahm sein Verständnis für
ihre schwere Kindheit und sein Mitgefühl für ihre finanziellen
Nöte ab, die er ihr bisweilen ein wenig linderte, zumal sie
jeden Geldschein, den er ihr zusteckte, danklos einkassierte und
im Stande war, ihm am gleichen Abend wieder eine wüste
Schimpfkanonade auf den Screen zu hämmern.
Aber es waren nicht nur Allergie-Themen, die Kyonghi provozierten. Wenn sie ihre innere Balance nicht fand, genügte ihr jede Nichtigkeit, um heftig Dampf abzulassen. Um ihr eine Freude zu machen, rief Jordy manchmal ihr Handy an, denn sie hatte einmal gesagt, seine Stimme zu hören, sei schon beinahe ein halbes Rendezvous. Nach kurzem telefonischen Gequassel erhielt Jordy umgehend eine frohe e-mail, und er mailte zurück:
"Ich hab mich auch gefreut. Jetzt muss ich aber zur Musikhochschule gehen und kann dir nicht ausführlicher antworten, aber heute Abend um neun melde ich mich wieder."
Als er aber am Abend wie versprochen eine neue, liebevolle Mail absandte, las er mit Verblüffung:
"Da hab ich mich den ganzen Abend auf deinen versprochenen Anruf gefreut, und du schickst mir grad nur mal eine e-mail. So einen unzuverlässigen Parter wie dich hab ich noch nie erlebt. Wahrscheinlich denkst du keine Sekunde an mich, sofern wir nicht gerade miteinander schlafen, und selbst dabei zweifle ich, ob du dich wirklich für mich interessierst."
Jordy wusste überhaupt nicht, wie ihm geschah, und weil ihm das Unwetter, das in der Folge über ihn hereinbrach, auf den Geist ging, antwortete er nicht auf Kyonghis Anwürfe. Daraufhin schmollte auch sie tagelang und unternahm keinen Versöhnungsversuch, und Jordy beschloss, seine Liaison mit Kyonghi zu beenden, falls diese nicht von sich aus zur Vernunft kommen sollte. Eine Partnerin für Streitereien hatte Jordy nicht gesucht, und wenn man sich wegen einer solchen Lappalie derart in die Haare gerät, hat eine Fortsetzung keinen Sinn. Er schrieb ihr also nach einer guten Woche Funkstille:
"Ich sehe, du hast kein Interesse mehr. Machen wir also Schluss. Ich danke dir für das knappe Jahr Lebensfreude, das du mir geschenkt hast. Ich werde dir das nicht vergessen und dich in guter Erinnerung behalten. Mach's gut !"
Es dauerte nur eine halbe Stunde, da hatte er gleich drei Antwortmails.
Nummer 1: "Du willst dich also von mir trennen ? Na schön, dann adieu."
Nummer 2: "Jordy, ich leide fürchterlich ! Lass mich nicht allein !"
Nummer 3:
"Wenn du wirklich Schluss machst, dann ist alles, alles aus.
Deine Kyonghi ist todsterbenselend !"
"Ich achte jetzt darauf, nur noch BHs zu kaufen, die meine Form vorteilhaft aussehen lassen", ließ sie Jordy wissen. "Vielleicht kann ich mir mit einem gut gestrafften Busen einen neuen Typ angeln. Und mach dich außerdem drauf gefasst, dass ich mir demnächst die Haare wieder tönen lasse."
Wer hat den Mädchen eigentlich den Floh ins Ohr gesetzt, dass alle Männer auf blondierte, zitronengelbe oder weinrot melierte Girls fliegen ? Dass ihr die Jungs nicht alle nachrannten, das lag doch wohl nicht daran, dass sie nicht hübsch genug war, sondern an ihrer Ruppigkeit, mit der sie sich von den schnurrenden japanischen Miezchen abzuheben trachtete. Freilich stehen die meisten Männer, nicht nur in Japan, mehr auf Miezchen als auf ruppige Streitlieseln, die nicht mal "danke" und "bitte" im Repertoire haben, um "auf gleicher Augenhöhe zu bleiben". Irgendwas musste Kyonghi, die doch emotional und finanziell total von Männern abhängig war, da missverstanden haben. Wenn sie den vermeintlichen Vorlieben irgendwelcher Männer zuliebe ihre Brust liftet und ihr Haar malträtiert, ist es eine Idiotie, sich zugleich durch Ruppigkeit unbeliebt zu machen. Höflichkeit und Freundlichkeit heben einen Menschen, ob Mann, ob Frau, viel einfacher auf Augenhöhe mit dem Partner oder höher, und sind zudem kostenlos erhältlich.
* * *
"Also, gut ausrasiert ist Sex viel schöner", schwärmte Kyonghi nach einem atemberaubenden Orgasmus, und auch die folgenden Begegnungen begannen fortan mit einer rituellen Rasur und der digitalen Dokumentation; Kyonghi war im Bett mittlerweile so an Jordy gewöhnt, dass sie alle Schamgefühle verloren hatte. Das erstaunte sie selbst am meisten.
"Also, mich in vollem Licht mit all meinen weiblichen Reizen einem Mann zu präsentieren und nichts dabei zu finden, das ist mir in meinem Leben noch nicht vorgekommen. Bisher hab ich mich immer ziemlich geniert. Aber seit ich mit dir die ersten guten Orgasmen bekomme, hab ich ein Vertrauen wie nie zuvor. Mit mir kannst du alles machen, und ich erfülle dir alle Wünsche."
"Vor einem Jahr im Unterricht hast du vermutlich noch nicht daran gedacht, dass du einmal nackt vor deinem Deklamationslehrer liegst und die Schenkel spreizt, damit er dich ausrasiert, fotografiert, oral befriedigt und dann vögelt."
"Weiß Gott nicht", kicherte sie. "Aber du und mein Prof, das sind zwei verschiedene Leute. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das dieselbe Person ist. Im Unterricht bist du so . . ., wie soll ich sagen, irgendwie unnahbar. 'Wer nicht etwas Wichtiges zu sagen hat, der braucht mich gar nicht erst anzusprechen', so ein Image hast du als Deklamationsprof. Da wagt man gar nicht, sich zu nähern."
"Und sowas will ein Liebhaber sein ! Erst vergehst du dich nach Herzenslust an mir, und dann hast du nicht mal ein paar Minuten Zeit, dir die Sorgen deiner Liebsten anzuhören !"
"Ich red mit dir auch gern über deine Sorgen, auch im Hotelbett. Aber wenn du von den drei Stunden, die wir haben, zwei Stunden und 55 Minuten für die Suche nach dem idealen Orgasmus benötigst, ist es fünf Minuten vor Ablauf der Zeit zu spät, auf deine Sorgen einzugehen. Das lässt sich ja nicht in fünf Minuten abtun. Aber wir haben doch noch eine halbe Stunde gemeinsamen Heimweg, da können wir ausführlich darüber sprechen."
Aber Kyonghi hörte nicht mehr zu. Auf dem Heimweg wechselte sie kein Wort mit Jordy, der indes nach dem dritten Versuch, eine Antwort von ihr zu erhalten, abbog und einen anderen Weg wählte. Sollte sie doch alleine schmollen. Da war er wieder, der übliche Zyklus, und Jordy ahnte jetzt schon, wie ihre Beziehung wohl enden würde. Wenn keiner mehr nachgab und dem Schweigen ein Ende setzte, würden sie einfach stumm auseinanderdriften. Jordy war es mittlerweile fast egal, er war bei jedem neuen Streittheater auf das Ende gefasst und bedauerte nur, dass ihm dann ein höchst begabtes Sexpüppchen abhanden käme. Noch war es aber nicht so weit.
Eine Woche später, nach totalem Blackout auf allen Kanälen, klopfte es an die Tür von Jordys Zimmer im Seminar, und Kyonghi kam hereingeschlüpft. Es war Spätherbst, draußen dunkelte es schon. Wortlos knipste sie das Licht aus, verschloss die Tür von innen, nestelte Jordys Hose auf und spielte dann mit ihm Lewinsky & Clinton. Das war Kyonghis sympathische Art, sich mit ihrem Schatz auszusöhnen.
Trotzdem war der Umgang mit Kyonghi schwieriger, als einen 800m-Hürdenlauf mit einem rohen Ei auf einem Teelöffel in der linken Hand zu absolvieren. Die Anlässe, die sie für ihre Ausflipperei suchte, wurden immer lächerlicher; Jordy konnte nichts tun oder sagen, ohne darauf gefasst sein zu müssen, dass Kyonghi ihm einen Strick daraus drehte. Dass sie eifersüchtig war und in Rage geriet, wenn er mit seiner Frau essen oder in die Oper ging, von Urlaubsreisen ganz zu schweigen, das konnte er noch verstehen, und deshalb vermied er es, die Existenz seiner Frau zu erwähnen. Das fruchtete allerdings nichts, wenn Kyonghi ihn fragte, ob er am Samstag mit ihr ins Konzert gehen wollte.
"An dem Abend habe ich leider schon was vor", antwortete Jordy.
"Ich weiß schon, was du mir verschweigen willst", begann die nächste Hagelsaison, und das mitten im kühlen November. Es war das reinste Wunder, dass sie es nun schon ein Jahr lang miteinander ausgehalten hatten und sich auch jetzt noch bisweilen unter eine gemeinsame Bettdecke zurückzogen und ablutschten, um dann die Matratzen nach allen Regeln der Kunst zu strapazieren. Nach der gemeinsamen Dusche am Ende, beim Abtrocknen, merkte Jordy, dass er sein Gesicht noch nicht vollständig vom Duft der Lüste befreit hatte. Kyonghi sah, dass er sich das Gesicht noch einmal einseifte.
"Wieso das denn ?" fragte sie verwundert. Wenn Jordy wachsamer gewesen wäre, hätte er eine nichtssagende Antwort gegeben. Aber er war an Typen wie die Kyonghi einfach nicht gewöhnt.
"Riecht noch nach Sex", grinste er, aber nicht lange, denn als er Kyonghis Gesicht sah, wusste er, dass er schon wieder etwas falsch gemacht hatte.
"Wenn du findest, dass mein Unterleib stinkt, war das heute unser allerletzter Sex."
"Red doch kein Blech, alle Mädchen riechen gleich, wenn sie wollüstig triefen, und außerdem habe ich nicht gesagt, dass du stinkst, sondern dass meine Fresse noch nach Sex riecht."
Zu spät, zu spät, Kyonghi hatte wieder einen Aufhänger, um eine Tragödie zu inszenieren, und Jordy fasste den Entschluss, mit dieser Zankstrippe bei der nächsten Gelegenheit Schluss zu machen, denn sowas hält kein Mensch auf Dauer aus.
"Und dann juckt es mich richtig untenrum, und ich brauche dich so bald wie möglich, um wieder mal sauber genommen zu werden !"
Das tat Jordy nicht ungern, wenn immer die Zeitläufte es zuließen und Kyonghis Laune auf friedliches Miteinander geschaltet war. Und wenn sie mal "nur" zum Essen gingen, brachte sie es doch am helllichten Tag fertig, ihm in irgendeinem Park den Hosenschlitz zu öffnen, seinen Ständer rauszunesteln und abzulutschen, bis sich Spaziergänger näherten. Manchmal war Jordy doch ganz froh, dass die geilste Liesel von ganz Ostasien ausgerechnet ihn und niemanden sonst zum Objekt ihrer Begierden erwählt hatte, auch wenn er hinterher jeden Kuss wieder höllisch abzubüßen hatte.
* * *
Natürlich hatte Kyonghi keine Chance, ins Aufbaustudium aufgenommen zu werden; auch in finanzieller Hinsicht war es sicher vorteilhafter, nach dem Studienabschluss die Musikhochschule zu verlassen. Ihre große Liebe ---nicht Jordy, sondern ein Opernsänger, bei dem sie früher Gesangsstunden genommen hatte--- tat ihr den Tort an, nicht sie, sondern eine andere aus der Schar seiner Elevinnen zu heiraten, und Jordy hatte für dessen Entscheidung vollstes Verständnis. So gut ihm Kyonghi auf der Matratze gefiel, heiraten würde er ein Weib mit Kyonghis Charakter um keinen Preis. Ihr künftiger Ehemann würde sich bei jedem Streit, nein, täglich, anhören müssen, dass sie nur ihm zuliebe dem Befehl von Eltern, Großeltern, Ahnen und Urahnen, bei Androhung der ewigen Verstoßung keinesfalls einen Japaner, sondern unbedingt einen Koreaner zu heiraten, missachtet habe. Für die koreanische Minderheit in Japan ist selbst ein arbeitsloser, krimineller Alkoholiker, sofern er nur koreanischer Abstammung ist, als Schwiegersohn willkommener als ein rechtschaffener, gebildeter, reicher und liebevoller Japaner. Zu Deutschen fällt Koreanern in der Regel nichts Negatives ein, aber Kyonghis Verwandtschaft ahnte ja auch nicht, was das Mädel mit ihrem deutschen Deklamationslehrer so alles trieb.
"Das kann ich dir nie verzeihen. Was fällt dir eigentlich ein, so eine Atombombe auf deine Kyonghi abzuwerfen und mit deiner Scheiß-Alten einfach abzuzwitschern ? Was du mir damit antust, ist dir anscheinend vollkommen egal. Du hast's gut. Du amüsierst dich mit deiner Alten irgendwo am Strand, und dann denkst du wohl, wenn du heimkommst, kannst du dich gleich wieder zu deiner Geliebten ins Bett legen. Auf so eine 'Liebe' scheiß ich dir einen dicken Haufen. Mit uns ist es aus, ein für allemal. Ich werde in der Zwischenzeit versuchen, dich zu vergessen. Adieu !"
Alle
vorigen Mädels, mit denen Jordy mal
was hatte, waren sich von Vornherein im Klaren darüber gewesen,
dass er als verheirateter Mann eben zuhause eine Ehefrau hatte
und als Ausländer eben bisweilen ins Ausland reiste. Sie hatten
sich zwar während seiner Abwesenheit einsam gefühlt, aber
auch
auf das Wiedersehen hinterher gefreut. Weißglühend wie die
Kyonghi ist noch keine gewesen. Eben noch hatte Jordy gut 500
Euro für sie ausgegeben, und sie hatte alles angenommen und wie
üblich nicht einmal "danke" gesagt, und jetzt führte
sie sich auf wie Fidel Castro, wenn er dem US-Präsidenten eine
e-mail schickt. Na ja, nach dem Urlaub wird sie schon wieder brav
ankommen und ihm am Hosenladen rumfummeln, dachte Jordy und fuhr
nach Bali.
Diesmal war es Kyonghi aber anscheinend Ernst. Auf seinen Vorschlag, sich mal wieder zu treffen und auszusprechen, reagierte sie mit Hohn, und als er log, er habe ihr ein silbernes Geschmeide mitgebracht, selbiges aber aus Ärger in den Fluss geschmissen, gab sie nur zurück, er habe doch wohl nicht ernstlich geglaubt, dass sie noch etwas von ihm annehmen würde. Nun, bisher hatte sie noch nie irgendetwas verschmäht, was irgendwie geldwert war. Zu seinem Erstaunen lehnte sie jedoch das erneut vorgeschlagene Treffen nicht ab, machte aber klar:
"Sex und Küsse kannst du dir abschminken, damit wir uns recht verstehen", donnerte sie ihm auf den Screen. "Ich habe aber demnächst vier deutsche Lieder zu singen, die kannst du mir an dem betreffenden Tag nach dem Essen erläutern."
Leider reichte Jordys Liebe zu Kyonghi nicht mehr aus, um ihr erst ein teures Essen zu spendieren und hinterher kostenlos für sie zu arbeiten, damit sie überhaupt geruhte, ihn zu treffen. Er lehnte daher höflich ab.
"So, das ist also alles, was du für mich übrig hast ? Für so eine großartige Liebe bedank ich mich. Schließlich bist du selbst daran schuld, dass wir uns trennen müssen, du hast mich mit deinen Zumutungen verprellt. Keine Frau auf der ganzen Welt kann sich sowas gefallen lassen", begann eine unflätige Schimpfkanonade von Kyonghi, deren Highlights ich dir lieber erspare.
Daraufhin zog Jordy einen glatten Schlussstrich und ließ diese und gleichartige folgende Mails einfach unbeantwortet. Sein Bedarf an Zank, Hader und Streit war auf Jahre hinaus gedeckt, und wenn Kyonghi nichts weiter sonst zu bieten hatte, dann war er doch lieber ein schlaffer, aber friedfertiger Schnarchsack.
Aber wegen so einem Zöffchen lässt sich eine Kyonghi nicht einfach den Laufpass geben. Diesmal vergingen dreieinhalb Wochen, bis sie wieder angekrochen kam, sich sexdurstiger und zärtlicher denn je gerierte, um jeden Schleck und jeden Bums für ihre Nachkommen digital zu dokumentieren. Jordy war ganz froh, dass er eine gewaltige Sammlung von Kyonghi-Nackt- und Fickfotos besaß, denn bei ihrer Unberechenbarkeit war ihr zuzutrauen, dass sie einmal total ausflippen und ihm Unannehmlichkeiten bereiten könnte. Da war es beruhigend, dass er die Möglichkeit besaß, sie mit der Drohung einer Veröffentlichung im Internet zur Raison zu bringen, denn ihre Karriere als Sängerin und ihr Ruf in der koreanischen Gemeinde waren ihr sicher nicht gleichgültig.
Obwohl Kyonghi noch von Liebe sprach, war
ihre Hingabe leicht als Sehnsucht nach Zärtlichkeit zu
durchschauen, die sie mangels Talent beim Erobern flotter Jungs
derzeit nur bei Jordy gestillt bekam. Auch Jordys Zuneigung hatte
sich nach all dieser Zankerei so weit verflüchtigt, dass er
Kyonghi nur noch zum Ausleben leiblicher Gelüste benötigte;
ihre langen Mails gingen ihm auf den Wecker, und seine Antworten
fielen eher einsilbig aus, denn er musste jedes Wort vermeiden,
das Anlass zu neuen Eruptionen geben könnte. Auch Kyonghi war
clever genug, bei jedem Treffen sofort ein Hotelbett anzusteuern
und auf unnötiges Brimborium wie gemeinsame Kinobesuche, Dîners
oder Konzertabende zu verzichten. Es hätte mit ihnen noch eine
Weile so weitergehen können, wenn die Dinge nicht eine gänzlich
unvorhergesehene Wende genommen hätten.
* * *
Dass Jordy im August wieder mit seiner Frau verreisen würde, daraus hatte er kein Geheimnis gemacht. Um ihr die idiotische Eifersucht abzugewöhnen, hatte er ihr erzählt, dass die sommerlichen Auslandsreisen zum Jahresablauf gehörten wie die Taifune im Herbst und die Jingle Bells am Jahresende. Im Vorjahr hatte Kyonghi die jordylose Zeit zu nutzen gewusst, indem sie Fahrschule genommen und ihren Führerschein gemacht hatte, und in diesem Jahr wollte sie ihre Verwandtschaft in Korea besuchen, genauer gesagt in Pyeongyang, Nordkorea. Da sie noch immer nur ihren geduldeten Ausländerstatus samt nordkoreanischem Personalausweis besaß, war Nordkorea das einzige Land auf der weiten Welt, das sie besuchen konnte.
"Eigentlich muss ich dir dankbar sein dafür, dass ich meine Sommerferien neuerdings gut durchplant verbringe. Wenn du nicht mit deiner Alten abzischen und mich hier sitzen lassen würdest, dann hätte ich jetzt weder Führerschein noch Reisepläne."
Stolz zeigte sie Jordy ihren nagelneuen nordkoreanischen Reisepass.
"Jetzt bin ich endlich voll als
Koreanerin anerkannt und nicht nur ein geduldetes Irgendwas.
Nordkorea ist zwar arm und uninteressant, aber da habe ich
Verwandte, bei denen ich wohnen kann, und außerdem werde ich da,
so wie ich bin, akzeptiert und als voll berechtigte
Staatsbürgerin anerkannt. Leben möchte ich da zwar nicht, aber
es ist für mich doch eine Art echte Heimat."
Nach ihrer und Jordys Rückkehr kamen seltsame e-mails von Kyonghi.
"Willst du wissen, wie es in Pyeongyang war ? Das Essen war mies und das Wasser ungenießbar, ich habe sofort Durchfall gekriegt. Aber meine lieben Verwandten haben mir einen hübschen Chima jeogori (die koreanische Nationaltracht) schneidern lassen. Ich bin übrigens jetzt überzeugte Sozialistin :-) !"
Trotz des Smileys merkte Jordy bald, dass sie das nicht als Witz gemeint hatte. Die Fotos, die sie ihm sandte, waren mit antijapanischen und antiamerikanischen Parolen garniert, die Kyonghi anscheinend auswendig gelernt hatte, und als Jordy vorsichtig anfragte, ob das ihr Ernst sei, erhielt er von der bislang vollkommen unpolitischen Kyonghi eine lange politische Erläuterung der Weltlage. Ohne den lieben Führer Kim Jongil wäre ganz Korea nämlich längst eine japanisch-amerikanische Kolonie, und die Armut des Nordens sei eine Folge des Widerstands unter Kim Ilsung gegen die japanische Kolonialisierung und des heldenhaften Kampfes gegen die anhaltende amerikanische Bedrohung. Diese infamen Yankees knechten tückischerweise auch das südkoreanische Brudervolk, das insgeheim nichts stärker ersehne als die Wiedervereinigung unter dem lieben Führer Kimblablabla.
Jordy wies vorsichtig darauf hin, dass eine Menge Menschen über westliche Botschaften in China aus dem Norden nach Südkorea zu fliehen versuchten, weil sie der Diktatur entrinnen wollen, musste sich jedoch vorwerfen lassen, als Ausländer verstehe er nichts vom heldenmütigen Kampf des nordkoreanischen Volkes, das zu verhöhnen und zu verachten er gefälligst unterlassen solle. Sie habe ihre Einstellung zu Nordkorea nach ihrem Aufenthalt und eigenem Augenschein um 180 Grad geändert und sehe es nun als ihre Mission an, die Mitmenschen von den Tugenden der weisen Führung der Kim-Dynastie zu überzeugen und habe außerdem ihrer Verwandtschaft in Pyeongyang geschworen, Japan auf ewig zu hassen und keinen Menschen fremden Blutes zu heiraten.
Jordy versuchte mit großer Geduld, ihren Verstand anzusprechen, aber den hatte sie offenbar in Pyeongyang gelassen, denn außer vorgestanzten, pseudokommunistischen Sprechblasen war kaum noch etwas aus ihr herauszubekommen. So ein naives Kind umzudrehen war offensichtlich nicht allzu schwer, eine langwierige Gehirnwäsche oder Umerziehung war gar nicht nötig gewesen. So hatte sie endlich eine Heimat gefunden, konnte auf das lästige selbständige Denken verzichten und brauchte sich um ihre Zukunft nicht mehr zu sorgen. Sie hatte schon ein Angebot, im kommenden Frühjahr wieder nach Pyeongyang zu kommen und in einer riesigen Halle koreanische Preislieder auf den Lifü (lieben Führer) Kim vorzutragen, und dann würde man ihr schon einen ideologisch standfesten jungen Mann präsentieren, damit sie ganz nach Pyeongyang übersiedele. Spätestens nach einem halben Jahr ohne Handy, Internet und Eiskreme würde sie sich an den Mangel gewöhnen, es angenehm finden, dass sie nicht mehr zunimmt, sondern so mager und hager wird wie ihre Mitbürger, und damit aufhören, versehentlich noch Strauss-Lieder oder Puccini-Arien zu trällern.
Jordy ließ sich noch zwei- oder dreimal als unwissender Amerika-Lakai beschimpfen, dann kappte er die Leitung zu der unbelehrbar verrannten Kyonghi, die lauter Stuss schwafelte anstatt von Sex zu reden, wovon sie wesentlich mehr verstand als von Politik. Nur noch Propaganda, nie mehr Liebe und Sex ? Damit war Kyonghi bei Jordy an der falschen Adresse. In seiner letzten Mail riet er ihr noch, sich mal mit irgendwem aus Südkorea zu unterhalten, um die Ansichten des von Amerika geknechteten und von Japan ausgebeuteten Brudervolks zu hören.
Du wirst es nicht glauben, aber ausgerechnet diesen Rat beherzigte sie. Wahrscheinlich hatte ihr auch zu denken gegeben, dass alle ihre Freundinnen, auch die aus der koreanischen Gemeinde, sie für verrückt erklärten und auslachten. Es dauerte beinahe zwei Monate, bis sie sich bei Jordy wieder meldete und berichtete, dass sie die südkoreanische Staatsbürgerschaft beantragt habe, obwohl sie damit ihren nordkoreanischen Pass verlor und das Engagement im nächsten Frühjahr in Pyeongyang absagen musste. Dafür war sie mit dem neuen Pass eine Woche in Seoul gewesen.
"Eine tolle Stadt ! Alles ist so billig, da kann man sich zu einem Viertel der Preise von Tokyo mit Bier voll laufen lassen und nach Herzenslust koreanisch essen. Alles schmeckt tausendmal besser als in Japan, die Leute sind total herzlich, ich wäre beinahe dageblieben !" begeisterte sie sich, verabredete mit Jordy ein Treffen und stieg mit ihm vergnügt ins Hotelbett. Wie fortgeblasen waren ihre Propagandafloskeln. Es war ihr sogar unangenehm, daran erinnert zu werden. Zwischen den Ficks zeigte sie Jordy ihre Fotos und dachte auch bei den mündlichen Exerzitien nur daran, was sie ihm alles noch erzählen musste. Das war die Kyonghi, die Jordy mochte, positiv eingestellt und begeistert, und ein Fünkchen der früheren Zuneigung begann in seinem Herzen wieder aufzuglimmen.
Nach dem Treffen sandte er ihr eine sehr nette e-mail.
"Du warst heute richtig gut drauf. So
gefällst du mir ! So kann ich dich richtig lieb haben. Ich
glaube, wir passen doch gut zusammen. Treffen wir uns bald wieder
! Wir haben jetzt auch zusammen Glück. Heute morgen kam nämlich
von dort, wo ich vorgab, einen Termin zu haben, während ich mit
dir im Hotelbett lag, ein Anruf, und meine Frau sagte, ich sei
schon dorthin unterwegs. Glücklicherweise haben die nicht
nochmal angerufen, wo ich denn bliebe, sonst hätte ich mir eine
neue Ausrede einfallen lassen müssen ! Siehst du, wenn wir nur
zusammenhalten, haben wir auch das Glück auf unserer Seite
!"
Kyonghis Heiterkeit hatte Jordys Wachsamkeit völlig eingelullt. Ihre Reaktion war für ihn daher eine echte Überraschung.
"Ich finde, es reicht. Jordy, ich kann nicht länger mit dir zusammen bleiben. Wenn uns solche Gefahren drohen, kann ich nie wieder ruhig mit dir zusammen im Bett liegen. Ich muss immer darauf gefasst sein, dass hinterher eine Mail kommt und es heißt 'Heute haben wir leider kein Glück gehabt, es ist alles herausgekommen, wir müssen Schluss machen'. Das kann ich nicht ertragen. Nächste Woche begleite ich dich noch wie geplant ins Konzert, und danach beenden wir unsere Beziehung. Es war ein Fehler, dass ich mich mit einem verheirateten Mann eingelassen habe. Bitte versuch nicht, mich umzustimmen, es ist mein Ernst. Wenn du mich lieb hast, respektier bitte meinen Entschluss."
Bisher hatte Kyonghi immer in höchstem Zorn verkündet, dass alles aus sei. Heute aber kamen gesetzte Worte, die wohlüberlegt aussahen. Jordy wäre es lieber gewesen, sich nach einem heftigen Streit zu trennen als nach einem Tag voller inniger Umarmungen. Aber wenn er bedachte, dass es wohl kein Mittel gab gegen den ewigen Kreislauf von Liebeslust, Wutausbrüchen und Schmollstrecke, war ihm Kyonghis Vorschlag nicht ganz unwillkommen.
Während des Konzerts presste sie unentwegt seine Hand, und ihr Kopf sank auf seine Schulter. In der Pause schaute sie ihn aus traurigen Augen an und lehnte sich an ihn, und nach der Vorstellung folgte sie ihm stumm zu einer Parkbank hinter dem Konzertsaal. Jordy versuchte nicht, sie umzustimmen. Er umarmte Kyonghi lange, küsste sie zärtlich und gab ihr dann stumm das Amulett zurück, das sie ihm als Zeichen ihrer Liebe gegeben und das er immer bei sich getragen hatte.
"Also dann, vielen Dank für alles", sagte Jordy, stand auf, wandte sich ab und ging langsam fort in den nächtlichen Park. Kyonghi blieb reglos sitzen und machte keine Anstalten, ihm zu folgen. Sie spürte die Tränen kaum, die ihr lautlos die Wangen herunterrannen, während sie dem Schnarchsack nachblickte, der langsam zwischen den dunklen Schatten der Bäume in der Finsternis verschwand.