Debüt auf der Opernbühne

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Così fan tutte

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"Ich möchte sterben..." begann die mail, die Jordy nach einer längeren Sendepause von Kyonghi erhielt. Sie hatte ihm fürs neue Jahr wieder eine Auswahl von Terminen zugesandt, aber er hatte nur einen einzigen, recht späten daraus angenommen. An den anderen Tagen passte es ihm nicht, und übermäßig große Lust auf Begegnungen mit Kyonghi hatte er auch nicht. Auch ohne ihre Streitlust fand Jordy an ihr nur noch wenig Positives; das einzig wirklich Perfekte an ihr war ihre Lust auf Sex. Darin konnten es nur wenige mit ihr aufnehmen. Sex mit einer nur halb so jungen Partnerin war für Jordy zwar einerseits eine gute Triebabfuhr, die anderen Opas seiner Altersklasse nicht häufig vergönnt ist, und das wusste er zu schätzen, aber andrerseits spürte er auch sein Alter, denn Kissenspiele mit einer knapp über 30jährigen sind zugleich auch eine Art Leistungssport, der Jordy erheblich ins Schnaufen brachte.
Er wünschte sich ganz ehrlich eine Partnerin, die gerne doppelt so alt, dafür aber wirklich lieb und zärtlich wäre. Dafür würde er Kyonghi sofort meistbietend versteigern... Aber das war ja das Problem: Es fand sich keiner, der sich für sie begeistern wollte. Nach jeder Date-Party im Single-Club war Kyonghi deprimierter.
"Hinterher treffe ich mich fast jedesmal mit irgend einem Kerl. Aber danach höre ich nichts mehr von dem. Und kannst du es glauben - die meisten bezahlen genau nur ihren eigenen Kaffee, für mein Getränk muss ich auch noch selber blechen. Und so jemanden soll ich heiraten ? Dabei will ich, um ehrlich zu sein, eigentlich nur versorgt werden. Und Kinder haben. Dafür ist mir im Prinzip jeder Typ recht, der einen ordentlichen Job hat und kein Geizkragen ist. Am besten hänge ich mir ein Schild mit der Aufschrift 'Wer heiratet mich?' um den Hals. Dabei bin ich doch wirklich die ideale Ehefrau, findest du nicht ? Ich sehe doch ziemlich gut aus, habe schöne Beine und nichts gegen Hausarbeit, koche und singe wie ein As, lasse im Bett keine Wünsche offen und wäre jedem Mann eine prima Ehefrau und fürsorgliche Mutter. Woran hakt es nur, bin ich zu alt ? Ich möchte wirklich am liebsten einfach sterben. Oder sollte ich lieber wieder nach Wien gehen ?"

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Wie kann man so eine Bettgenossin trösten ? Jordy verspürte schon eine Art von Verantwortung. Sich nur an Kyonghi zu befriedigen und dann soll sie doch sehen, wo sie bleibt, das war nicht seine Art, aber Kyonghi erregte sein Mitleid nur in Maßen. So hübsch und ideal wie sie sich offenbar einschätzte, fand Jordy sie nämlich nicht, sie zählte eher zu den mittelmäßig aussehenden Mädels in seiner Historie; als Sängerin würde sie wohl nicht mal die Aufnahmeprüfung in den Opernchor schaffen, und eine so ordinäre und ruppige Frau wie sie hatte Jordy noch nie kennen gelernt. Japanerinnen sind sehr viel charmanter und eleganter. Sogar beim Sex war Kyonghi nicht einsame Spitze, denn Seryna war ihr durchaus ebenbürtig gewesen, und Seryna war eine talentierte und kreative Künstlerin, hatte ein sonniges Gemüt, ihr Herz auf dem rechten Fleck und ein gesundes Selbstbewusstsein.
"Als Alternative zum Sterben ist Wien gar nicht übel", meinte Jordy. "In Europa findest du eher einen Kerl, der dich heiratet. Du bist für Japan nicht so geeignet." 
In Gedanken fügte er hinzu, dass zu ihr am besten doch irgend ein Grobian vom Lande, ein Bierbauch vom Fußballplatz oder ein Vorarbeiter vom Bau passen würde, an Leuten von Kyonghis Art mangelt es in deutschen Städten ja wirklich nicht. Und er schämte sich vor sich selber, nicht wegen dieser ungalanten Gedankengänge, sondern weil er sich, nur gutem Sex zuliebe, mit so einer Partnerin eingelassen hatte. So weit war es also schon mit ihm gekommen.
"Findest du auch ? Ich hab mir das auch schon gedacht. Die verdrucksten Japaner und die familienhörigen Koreaner, deren alte Verwandtschaft ich noch pflegen müsste, hängen mir ziemlich zum Hals raus. Ich glaub, ich geh wieder nach Wien und finde einen Kerl mit einem Haufen Geld", schnurrte sie.
Jordy hätte ihr gerne noch gesagt, dass Leute mit einem Haufen Geld in Europa ein schon vormittags biersaufendes Weib wie Kyonghi, die es ohne Weiteres fertigbringt, auf eine Bemerkung, die ihr nicht passt, sofort lauthals auf Deutsch "geh scheißen, fick dich selber !" zu krakeelen, sicherlich nicht zu Champagner-Partys oder Botschafter-Empfängen mitnehmen würden, aber dazu hatte er keine Zeit, denn sie wackelte schon ungeduldig mit dem Unterleib, packte Jordys Hand und drückte sie zwischen ihre Schenkel.
"Du bist heute so nachdenklich, hast du keine Lust auf mich ?"
Eine gute Nummer war ihr anscheinend weitaus wichtiger und wertvoller als ein guter Rat, Kyonghi neigte nicht übermäßig zu tieferen Gedankengängen. Jordy gab ihr, was sie brauchte, und dabei vergaß sie vorübergehend ihren Lebensüberdruss.


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Am Abend war der Kater noch schlimmer.
"Ich bring mich jetzt aber wirklich um. Stell dir vor, ich hab mein Portemonnaie und meine Monatskarte in der U-Bahn liegen lassen, oder es ist mir aus der Tasche gefallen oder jemand hat es mir geklaut. Ich habe jetzt noch 100 yen (0,83 €) übrig, davon kann ich mir nicht mal einen Strick kaufen, um mich aufzuhängen !"
Jordys Mitgefühl hielt sich mit seinem Ärger die Waage. Er konnte sich gut vorstellen, wie Kyonghi in der Bahn an ihrem Smartphone hing und in irgendein idiotisches Spiel auf dem Screen vertieft war. Wenn sie mit so einem Game befasst ist, könnte man Kyonghi bis auf die Unterwäsche ausziehen und sie würde es nicht merken. Ärgerlich war jedenfalls, dass auch das Taschengeld, das sie Jordy nach jedem heimlichen Treffen abverlangte, jetzt flöten war.
"Bei uns gibt's Stricke gerade im Sonderangebot", wollte Jordy ihr eigentlich antworten, aber die aufs Geld versessene Kyonghi war vermutlich diesmal echt down. Also verzichtete er auf den Spott und schrieb lieber:
"Denk dran, dass Così fan tutte hopps gehen würde ohne Fiordiligi, das kannst du den anderen Sängern nicht antun. Bis zum Monatsende sind es noch neun Tage, dann kriegst du dein Gehalt. Kauf dir halt diesmal kein allerneustes iPad, sondern was zu essen dafür."
"Ich bin wirklich noch nie so verzweifelt gewesen, was soll ich machen ? Das Täschlein für die Monatskarte war von Gucci ! Ich habe mir von Orie Geld für die Heimfahrt ausleihen müssen....!"


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Jordy hinterlegte am folgenden Tag bei seiner Sekretärin einen Umschlag mit einem Geldschein drin, schrieb Kyonghis Namen drauf und innen dazu "Herzlichen Glückwunsch für dein Debüt als Opernsängerin", teilte ihr mit, wo sie es abholen konnte und bekam noch am Abend eine mail von ihr:
"Du hast mich gerettet, ich kann wieder lachen."
Jordy hatte ihr ohnehin zu ihrem Debüt ein Geldgeschenk machen wollen, das ist in Japan so üblich, und nun hatte er es ihr halt einen Monat früher gegeben. Kyonghi war einfach ein Dusseltier, und er hoffte nur, dass sie wenigstens dieses Geld festhalten und sinnvoll verwenden würde. Ansonsten dachte er an manche andere Frau, aber kaum an Kyonghi, hoffte, dass sie vor der Aufführung keine Zeit mehr für ein Treffen mit ihm haben würde und überlegte, wie er am elegantesten mit ihr Schluss machen könnte, ohne dass sie sich, wenn sogar ihr Lustgreis nichts mehr von ihr wissen will, gleich vor die S-Bahn werfen würde. Wenn sie nicht einen Heiratskandidaten fände oder nach Wien ginge, würde er, so schwante ihm, sie nie mehr los.
Tatsächlich begann Kyonghi, von unregelmäßigen Besuchen in dem Date-Club abgesehen, sich offenbar damit abzufinden, als Mätresse eines grauen M
äzens ein Zusatzauskommen zu finden, wenn sie mal klamm war, und klamm war sie ziemlich oft. Und weil sie davon ausging, dass Jordy nach ihrem noch jungen Körper süchtig sei, lud sie ihn entsprechend oft zu intimen Treffen und gab sich bald überhaupt keine Mühe mehr mit Kleidung und Schminken. Das hob sie sich für den Club auf. Haare waschen und Schminken konnte sie auch im Hotel, fand sie, und wenn Jordy zu nörgeln begann, unterbrach sie ihre Prozedur vorübergehend, machte sich über seinen Unterleib her, präsentierte sich anschließend in jeder gewünschten Lage und ließ sich nochmal durchziehen, bevor sie sich völlig ungerührt wieder ihrem Schminktisch zuwandte, während Jordy am Verschnaufen war.
   

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Am Bahnhof, an dem Jordy auf die wieder mal verspätete Kyonghi wartete, stand eine gut aussehende und chic gekleidete junge Dame, die ihn an Sumiko erinnerte, und schien ebenfalls eine Verabredung zu haben.
'Die statt Kyonghi, das wäre was für mich', dachte Jordy, aber sie sah mehr nach einer jungen Geschäftsfrau aus als nach Kyonghi-Ersatz. Da kam Kyonghi auch schon angetrappst, in ihren ollen Jeans, hakte sich bei Jordy unter und schlenderte durch die Gassen zu dem Hotel, bei dem sie inzwischen als Stammkundin schon Gutscheine bekam. Und jedesmal wegwarf. Fürs Zahlen war Jordy ja zuständig.
"Wenn mir bei den Opernproben so ein Gutschein für ein Stundenhotel aus der Handtasche fiele, würden etliche Leute staunen und sich über ein spannendes Gesprächsthema freuen...", meinte sie grienend.
In der Lobby des Hotels traf kurz darauf ein anderes Pärchen ein. Kyonghi genierte sich und verschwand gleich im Aufzug, aber Jordy erkannte aus dem Augenwinkel neidvoll, dass es die hübsche Lady war, die er an den Sperre des S-Bahnhofs bewundert hatte, mit einem ziemlich jungen Galan. Sie hatte also ebenfalls auf einen Freund gewartet, um sich in dem Hotel nahebei zu vergnügen !

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Jordy hätte am liebsten ihren Begleiter angesprochen, ob er keine Lust auf Partnertausch hätte. Aber da er im Tausch gegen diese Beauty nicht mehr zu bieten hatte als Kyonghi, unterließ er es und zog eben Kyonghi aus. Vom Hals an abwärts war sie schließlich ebenfalls nicht zu verachten. Und bot ihrem Sponsor wieder höchst befriedigenden Service.

Ein letzter Versuch, Jordy noch als zahlenden Zuschauer für Così fan tutte zu gewinnen, schlug fehl, und Kyonghi murrte nicht, sondern tat, als ob sie Jordys ausführliche Begründung akzeptierte.
"Also wenn ich unbedingt zu einer konzertanten 'Così fan tutte'-Aufführung mit Klavierbegleitung gehen wollte, ohne dass ich, sagen wir mal, vom Regisseur oder Dirigenten eine persönliche Einladung bekommen hätte, würde
das allerhöchsten Verdacht zuhause erregen. Schließlich ginge ich sogar bei einem Gastspiel der Scala von Milano und mit der Netrebko oder Gruberova als Fiordiligi nicht mal zur Generalprobe, wenn ich die Möglichkeit dazu hätte. Wie sollte ich erklären, dass ich mir unbedingt die Kyonghi anhören will ?"
Sie gab es auf, ohne gekränkt zu sein. Und dachte wahrscheinlich insgeheim, dass es auch für sie peinlich werden könnte, weil der Regisseur, für den sie schon lange geschwärmt hatte und der ihr den Tort angetan hatte, eine andere zu heiraten, ein Ex-Student von Jordy war. Der würde die Augen aufreißen...! Und wenn Jordy erzählte, dass er vor allem auf Kyonghis Wunsch hin erschienen sei, käme sie womöglich in die Klemme, denn dass er ihren Sangeskünsten verfallen sei,
würde ihm so leicht keiner abnehmen. Dass sie sich von Jordy regelmäßig schänden ließ, das sollte aber niemand von ihrer Operntruppe erfahren, das war ihr wichtig.

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Eine Woche vor der Aufführung wollte Kyonghi noch mal mit Jordy ins Hotelzimmer, aber der Termin passte ihm nicht. Außerdem riet er ihr, sich lieber auf ihre Rolle zu konzentrieren.
"Ich kann die zwar schon seit langem auswendig, aber ich bin mir immer weniger sicher, ob ich das alles an einem Stück durchsingen kann. Vielleicht schaffe ich es nicht."
"Umso wichtiger ist es, dass du dich ausruhst und konzentrierst."
"Dafür wäre ein Hotelbett am geeignetesten, finde ich."
Typisch Kyonghi. Jordy war der Ansicht, sie habe ihren Beruf verfehlt. Hostess hätte sie werden sollen und nicht Opernsängerin.
Am Morgen des großen Tags kam eine mail von Kyonghi.
"Ich hab die ganze Nacht nicht geschlafen. Ich bin hypernervös und habe jetzt schon Lampenfieber...!"
"Geh früh hin, red mit den anderen, achte gut auf dein Kostüm, dass es richtig sitzt, nirgends hakt oder zu eng sitzt, lass dich ordentlich schminken, und denk an deinen ersten Auftritt, deine allererste Szene. Wenn du da den Einsatz richtig hinkriegst und dich nicht auf die Zuschauer, sondern auf das Zusammenspiel mit deinen Partnern konzentrierst, geht danach alles von selbst."
So ging es wohl wirklich. Noch am späten Abend, als Kyonghi mit den anderen Sängern ihr Debüt mit viel Bier in irgend einer Kneipe begoss, kam ihre mail:
"Ich hab alles runtergesungen, bis zum Schluss ist es glatt gelaufen, ganz fabelhaft !"
Jordy gratulierte ihr und freute sich mit, dass ihr erster und vermutlich letzter Auftritt auf einer Opernbühne gut abgelaufen war, aber auf einem der Fotos, die sie ihm hinterher schickte, konnte man deutlich sehen, dass sie mit ihren Teamkolleg(inn)en wohl vor nahezu leeren Rängen gesungen hatte. Auch später hörte Jordy, als er bei einer anderen Gelegenheit den Sänger traf, der den Guillermo gegeben hatte, dass sich in dem Saal, in dem es rund zweihundert Plätze gab, sich gerade mal um die 50 Zuhörer eingefunden hatten, über die Hälfte davon Freunde, Bekannte und Angehörige der Mitwirkenden. Na ja, diese "Oper" war ja wohl mehr das Privatvergnügen einiger junger Nachwuchskünstler als eine richtige Oper. Ein wenig tat Kyonghi ihm leid, aber er wusste, dass ihr Talent zu mehr nicht reichte, und für ihr Selbstbewusstsein war es sicher ganz gut, dass sie wenigstens einmal eine große Rolle auf einer Bühne vor einer Handvoll Zuhörern durchgesungen hatte.

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In den Wochen danach hörte Jordy nichts mehr von Kyonghi. Ob sie sich wieder auf ihren Job in der Zeitarbeitsfirma stürzte, im Date-Club endlich erfolgreich war, kein zusätzliches Geld mehr benötigte oder ihm gar schmollte, wusste er nicht. Und es war ihm egal. Insgeheim hoffte er, dass ihr Debüt auf der Opernbühne zugleich der letzte Vorhang in ihrer Beziehung sein werde. Er wäre ihr keinesfalls böse, wenn sie sich überhaupt nicht mehr meldete. Von sich aus, das stand fest, würde er sie sicherlich nicht um ein Schäferstündchen bitten. Es war zwar nicht so, dass er sich endlich von seinen Früsten und Gelüsten verabschiedet hätte und in Pension gehen wollte, aber er spürte stärker denn je, dass Kyonghi keine Partnerin war, nach der er sich sehnte. Auch nach mehreren Wochen war seine Frustration nicht stark genug, um sich bei ihr zu melden. Schluss machen wollte er freilich auch nicht, es war ja auch gar nicht nötig, wenn Kyonghi einfach stille hielt. Allein die Vorstellung, dass ihm bei Bedarf ein Weib zum Vögeln zur Verfügung stehe, wirkte frustlindernd und beruhigend, und diese Illusion wollte er sich lieber nicht zerstören.
Irgendwann kam doch noch eine mail von Kyonghi, eine Anfrage, ob er ihr Freikarten für die "Meistersinger" besorgen könne, aber von Hotelzimmer und "geschäftlich schlafen" schrieb sie nichts, und Jordy vermied das Thema ebenfalls. Er fand es gut, wenn seine Vita sexualis auf diese Weise sanft entschlummern würde.
Und Freikarten für die "Meistersinger" hatte er auch nicht.


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